Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 2000

Vermittlung von Informationskompetenz

Erfahrungen bei der Integration in das Curriculum an der TU Hamburg-Harburg1

Thomas Hapke

 

1. Einleitung

"Auch für die Ausbildung der Studierenden ließen sich die Universitätsbibliotheken noch viel mehr ausnutzen, wenn ein regeres Ineinandergreifen zwischen Bibliotheksbetrieb und akademischem Unterricht hergestellt würde. Nicht darin liegt für die Universität der Nutzen der Bibliothek, dass sie überhaupt da ist, sondern darin, dass die Universitätsangehörigen die Bibliothek und ihre Einrichtungen kennen und sie zu benutzen verstehen. Man möge die neu an die Universität gekommenen Studierenden in die Bibliothek und ihren Betrieb systematisch einführen lassen, man möge auch von Zeit zu Zeit mit den Mitgliedern dieses oder jenes Seminars eine Führung in der Bibliothek veranstalten."2

Das Zitat des österreichischen Bibliothekars Ferdinand Eichler vom Beginn des letzten Jahrhunderts (1910) hat auch heute nichts von seiner Gültigkeit verloren.3 Wichtigstes Ziel der Aktivitäten wissenschaftlicher Bibliotheken bleibt die Integration ihres Services in die Lehre und Forschung der sie tragenden Institutionen.4

Die Schwedin Nancy Fjällbrant, die "Mutter" der europäischen Benutzerschulung, schreibt 1987:

"Library user education is closely related to marketing and promotion of the information resources available. This should be regarded as one of the most important functions of the modern proactive libray."5

Veränderungen in den Stammorganisationen der Bibliotheken hinsichtlich der Anforderungen neuer Technologien in der Arbeitswelt sowie der Notwendigkeit der Bewältigung der Informationsflut erfordern die von Fjällbrant angesprochene Rollenänderung von Bibliotheken zu proaktiven Komponenten mit der Betonung auch auf dem Marketingaspekt.

Nach einer Beschreibung des wünschenswerten konzeptionellen Überganges von der Benutzerschulung zur Vermittlung von Informationskompetenz in und durch Bibliotheken werden vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen an der einschichtigen Universitätsbibliothek der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) Realitäten und Zwänge der Praxis aufgezeigt und das Arbeitskonzept in Harburg vorgestellt. Als tragfähiger Ansatz wird hier die Integration der Vermittlung fachspezifischer Informationskompetenz in Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminare, Projektierungskurse,...) angesehen, da nur so bedarfs- und zielgruppengerecht am richtigen Ort zur richtigen Zeit sich die Gelegenheit bietet, Studierenden wesentliche Komponenten von Informationskompetenz zu vermitteln. Praktische Beispiele demonstrieren am Schluss, wie allgemeine theoretische Konzepte zur Strukturierung von Schulungs-Sequenzen, zur Befähigung der Datenbank-Erkundung und damit zur Hilfe zur Selbsthilfe dienen können.

 

2. Von der Benutzerschulung zur Vermittlung von Informationskompetenz

2.1 Begründungen

Die massenhafte Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien in Wissenschaft und Hochschule, Wirtschaft und Verwaltung erfordert und ermöglicht neue Wege des Lernens und Lehrens. Die zeitliche Dynamik der Technologien, aber auch der Wissenschafts- bzw. Wissensentwicklung, erzwingt geradezu Konzepte lebenslangen Lernens. Universitäten und Hochschulen müssen ihre Absolventen auf diese Problematik vorbereiten. Wissensvermittlung dient auch im Wissensmanagement der Universitäten verstärkt dem Zweck der Kompetenzvermittlung. Wichtig sind hier besonders Wissenserwerbs-, Orientierungs-, und Sozialkompetenz und nicht mehr nur Fachkompetenz. Eine neue Wissenskultur setzt auf exemplarisches, projektbezogenes, transdisziplinäres Lernen, um Probleme der Relevanz von Wissen und der Informationsflut in den Griff zu bekommen.6

Diese Entwicklungen legen für Bibliotheken den Übergang von der Benutzungsschulung zur Vermittlung von Informationskompetenz nahe (Abb. 1). Hierbei sind besonders die längerfristige Orientierung auf lebenslanges Lernen und aus meiner Sicht auch die Vermittlung von Konzepten und Strategien entscheidend. Letzteres bedeutet, dass bei der Vermittlung von Inhalten weniger das konkrete System im Vordergrund stehen sollte, sondern die bedarfsbezogene Vermittlung von Konzepten (siehe auch Abschnitt 5).

Abbildung 1: Von der Benutzerschulung zur Vermittlung von Informationskompetenz7

Benutzerschulung

Vermittlung von Informationskompetenz

bezogen auf eine Bibliothek oder ein
Informationssystem

bezogen auf viele Informationssysteme

orientiert an Institution

orientiert am "lebenslangen
Lernen"

pragmatisch

konzept-basierend

kurzfristige Ziele

langfristige Ziele

Schwerpunkt auf Werkzeug oder spezieller Datenbank

Schwerpunkt auf Strategie

kurs-orientiert

über Kurs hinausweisend

lehr-orientiert

lern-orientiert

Benutzerschulung in Bibliotheken kann sich heute nicht mehr auf Schulungsangebote für den eigenen Online-Katalog oder vorhandene einzelne CD-ROM-Datenbanken beschränken. Die Vielfalt der Such-Oberflächen der CD-ROM-Datenbanken wird übertroffen von der Vielfalt der im Internet, oft sogar kostenfrei, zur Verfügung stehenden Datenbanken. Die rasante technische Entwicklung überrascht den Internet-Benutzer immer wieder mit neu konzipierten Oberflächen als Benutzerschnittstellen, an deren alte Version sie sich gerade erst gewöhnt hatten. Darauf bezogene, zeitgerechte Schulungsangebote müssen grundsätzliche Einsichten und Praktiken zur Recherche in elektronischen Datenbanken vermitteln. Damit können auch Bibliotheken mithelfen, multimediales Lernen im Netz zu ermöglichen. Wesentlichstes Ziel aller Schulungsaktivitäten ist die Bewusstwerdung von Möglichkeiten, die Entwicklung von Fähigkeiten und damit die Hilfe zur Selbsthilfe (Empowering).8 Das "neue" Lernen, das individuell, aber auch in Gruppen stattfinden kann, benötigt entsprechende elektronische, gedruckte und auch menschliche Ressourcen. "Resource based learning" benötigt als Lernort einen Platz, in dem neben den Möglichkeiten von Still- und Gruppenarbeitsplätzen auch die entsprechenden gedruckten und elektronischen Ressourcen angeboten werden: die Bibliothek.

Die Idee der Teaching Library, der Informationskompetenz und der Resource-based Learning Centers greifen Konzepte aus dem angloamerikanischen Bereich auf. Benutzerschulung ist in Deutschland bisher kein Lieblingsthema der Bibliotheken gewesen. So stehen dann auch im Bereich der Förderung der digitalen Bibliothek der Zukunft in Deutschland eher Erschließungs- und Digitalisierungsprojekte im Vordergrund. In Großbritannien wurden dagegen im Rahmen der eLib- (The Electronic Libraries Programme)-Projekte eine Vielzahl von Projekten im Bereich "Training and awareness", also im Schulungsbereich, gefördert: EduLib (Educational Development for Higher Education Library Staff), Netlinks (Networked Learner Support), Netskills (Network Skills Training for Users of the Electronic Library), TAPin (Training and Awareness Programme in networks) u.a. (vgl. www.ukoln.ac.uk/services/elib/)

Informationskompetenz (Information Literacy) im hier betrachteten Sinne beinhaltet die Befähigung der Studierenden, Lernenden und Kunden, diejenigen Informationen zu finden und zu verwerten, die sie für Arbeit und Studium benötigen. Das unterschiedliche Verständnis von Informationskompetenz ist von Christine Bruce aufgearbeitet worden.9 Steht die Technik eines speziellen Systems im Vordergrund ("How to use"), ist mit Informationskompetenz die Fähigkeit gemeint, dieses System effektiv zu benutzen. Häufig wird auch die Kenntnis von Informationsquellen (Menschen eingeschlossen) als Informationskompetenz bezeichnet oder es wird als kreative Kunst der Informationsprozess betont. Auch die Fähigkeit der Bewältigung von Information (Auswahl relevanter Information, Strukturierung und Wiederauffindbarkeit) nennt man oft Informationskompetenz. Zu diesen vier wichtigsten Bedeutungskomponenten kommen hinzu: die Fähigkeit des Aufbaus einer persönlichen Wissensbasis in einem neuen Interessengebiet, die Gewinnung neuer Erkenntnis aufgrund eigenen Wissens und eigener Erfahrung sowie kluger Gebrauch von Information zum Vorteil anderer (ethische Komponente).

Andererseits wird Informationskompetenz auch als Teil informationeller Bildung angesehen, wobei diese dann "nur" eine der Aktionskompetenzen darstellt (die anderen sind: Präsentations-, Kommunikations- und Transaktionskompetenz), die durch sogenannte Basiskompetenzen (Technologische Kompetenz, Medienkompetenz) ergänzt werden.10

Neben der Bedeutung lebenslangen Lernens gibt es einen weiteren wichtigen Grund für die Aufnahme der Schulung von Informationskompetenz in die Curricula: Es wächst der Bedarf nach Personen, die in der Lage sind, effektiv Information zu finden, und damit wachsen auch die Berufsmöglichkeiten auf solche Weise geschulter Absolventen. So wird der Begriff Informationskompetenz zunehmend auch auf Organisationen angewendet, wenn man das Wissens- und Informationsmanagement von Unternehmen betrachtet.

Eine letzte, ebenfalls nicht zu vernachlässigende Begründung für verstärkte Schulungsaktivitäten von Bibliotheken ist auch die "profane" Erleichterung und Entlastung für die Auskunftsplätze der Bibliothek.

 

2.2 Problembereiche

Wichtige Argumente gegen Schulungen sollte man immer im Kopf haben. Sind unsere Bibliotheken so schwierig zu benutzen, dass sie ihre Kunden ausbilden müssen? Jeder kundenorientierte Betrieb im freien Markt könnte sich dies nicht leisten. Pacey hat alle diese Einwände auf den Punkt gebracht: Notwendig ist keine Benutzerschulung, sondern "Kundenberatung/-unterstützung" ("User support"), eine Synthese verschiedener Komponenten: "induction (im Sinne von selbst herbeiführend in einer selbsterklärenden Bibliothek), skill training, on-demand help, enquiry answering, and point-of-use guarding".11

Marketing von Bibliotheksdienstleistungen und damit von Benutzerschulungen bedeutet auch zielgruppenspezifisches Erwartungsmanagement und damit Zielgruppenforschung.12 Die Erwartungen und Wünsche der Kunden sollten sich im Service-Angebot der Bibliotheken widerspiegeln. "Bis zur Diplomarbeit braucht ein Student nur die Lehrbuchsammlung der Bibliothek", so die Aussage eines wissenschaftlichen Mitarbeiters aus der TUHH. Vielleicht ist dies ja eine Folge veralteter Lehre an den Hochschulen und ändert sich in Zukunft. Generell aber steigt die Tendenz, möglichst alles vom Schreibtisch aus erledigen zu können. Zumindest in den Ingenieur- und Naturwissenschaften kommen die Nutzer daher in der Regel ungern von selbst in die Bibliothek. Als jemand, der in einer Bibliothek arbeitet, hat man hier oft zu hohe Erwartungen. Primäres Bedürfnis der Studenten ist in der Regel das Bestehen von Klausuren und Prüfungen. Erst am Ende des Studiums beginnen sie auch mehr als die vorgeschriebene Literatur zu lesen, wenn Studienarbeiten und Diplomarbeiten dies erfordern.13

Für die methodische Seite der Vermittlung von Informationskompetenz gibt es kein Patentrezept. Es sollten aber neben den bisher dominierenden input- auch handlungsorientierte Methoden berücksichtigt werden. Optimal ist dabei die Vermittlung der Fähigkeiten durch Studierende untereinander. Lehren wird ersetzt durch selbständiges, selbstbestimmtes Lernen mit Hilfe vorhandener Ressourcen (Bücher, WWW, computer-basierte Lerneinheiten, Menschen). Bonnie Cheuk hat darauf hingewiesen, dass die Erwerbung von Informationskompetenz kein wirklich systematischer Prozess ist, sondern ein dynamischer und situationsbezogener. "Individuals do not seek and use information in the same way at different times and places."14

Pacey weist mit Recht darauf hin, dass Bibliotheken für sich nicht in Anspruch nehmen dürfen, exklusiv für die Vermittlung von Informationskompetenz zuständig zu sein. Die eigentlich Lehrenden an den Hochschulen sehen dies teilweise sicher ganz anders. Auch die Schulen müssen und werden in dieser Richtung arbeiten. Das einzigste deutschsprachige Buch mit dem Titelstichwort "Informationskompetenz", eine Übersetzung eines Buches aus den Staaten, wendet sich an Schüler der Oberstufen!15

Es kann also nicht darum gehen, "Claims" abzustecken, sondern darum, arbeitsteilig mit den Angesprochenen zusammenzuarbeiten. Dass hier, wahrscheinlich, in Bibliotheken Arbeitende eine besondere Herausforderung spüren und durchaus auch bestimmte Aspekte von Informationskompetenz den Lehrenden an Schulen und Universitäten vermitteln sollten (wenn sie es denn wollen), steht außer Frage.

 

3. Das "Working Concept" an der TU Hamburg-Harburg

Das aus der Praxis heraus entstandene Arbeitskonzept zur Benutzerschulung an der TUHH ist vom Aufbau sicher sehr ähnlich wie an vielen vergleichbaren Technischen Universitäten z.B. in Skandinavien, an denen Benutzerschulung wichtiger Bestandteil des eigenen Marketing-Konzeptes ist.16 Neben einer Orientierung am Studienbeginn wird Studierenden gegen Ende des Studiums eine Einführung in die fachspezifische Fachinformation geboten. Dies passiert an der TUHH zur Zeit im Rahmen eines Projektes nur für das Studiendekanat Verfahrenstechnik. Dritte Stufe ist dann die Vertiefung für Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter. In einer Art von Spiral-Curriculum werden so an mehreren Stellen während des Studiums die Studierenden zwangsläufig mit der Bibliothek in Berührung kommen und - differenziert nach dem Zeitpunkt - sich Fähigkeiten der Informationskompetenz aneignen können.

Ein Schnupperbesuch in der Bibliothek im Rahmen des sogenannten "Vorkurses Mathematik", der noch vor dem Beginn des Studiums stattfindet, dient neben der Überwindung von Schwellenängsten hauptsächlich der Wahrnehmung der Bibliothek durch die Studierenden und ist damit auch Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Erste Orientierung zu Anmeldung und Ausleihbedingungen sowie Hinweise auf die Unterscheidung von Lehrbuchsammlung, Lesesaal und Magazin werden inhaltlich angeboten. Eine automatisch laufende Präsentation mit Hinweisen auf erste Serviceangebote dient als Blickpunkt. Ein sogenanntes Vorkursquiz ermöglicht erste, einfache OPAC-Recherchen. Lakritzstangen schaffen affektiv-emotionelle Anreize.

Organisiert von den Fachschaften der TU Hamburg-Harburg bekommen viele Studenten im Rahmen der Orientierungswoche im ersten Semester eine Einführung in die Bibliotheksbenutzung. Diese klassischen Führungen dienen auch zur Entlastung des Personals an den Serviceplätzen der Bibliothek und geben in dreißig Minuten neben räumlicher Orientierung auch erste Hinweise zur OPAC-Benutzung und zu anderen Serviceangeboten der Bibliothek.

Seit mehreren Jahren wird von der Bibliothek in Absprache mit dem Studiendekanat Verfahrenstechnik der TUHH ein "Crash-Kurs Fachinformation in Verfahrenstechnik und Chemie" zwei Mal im Wintersemester angeboten (vgl. www.tu-harburg.de/b/hapke/crash_vt.html), der auch in das Kommentierte Vorlesungsverzeichnis Verfahrenstechnik aufgenommen wurde. Diese zweistündigen Crash-Kurse geben neben einem Überblick über Möglichkeiten der Recherche nach verfahrenstechnisch-chemischer Information (Nachschlagewerke, Datenbanken, Internet-Ressourcen) auch eine Einführung in die konkrete Handhabung elektronischer Informationsmittel (Aufbau einer Recherchestrategie, Recherche-Vokabular, Suchlogik und Kontextoperatoren, Datenbank-Aufbau usw.).

Leider ist die Resonanz vor allem aus dem Studierendenbereich immer sehr gering gewesen. Andererseits mussten speziell bei bestimmten, gerade laufenden Lehrveranstaltungen immer wieder Einzelanfragen gerade nach relativ grundlegenden Informationsmitteln beantwortet werden. Die Motivation von Seiten der Studenten, sich mit Fragen der Recherche nach wissenschaftlicher Information zu befassen, ist naturgemäß bei konkreten Aufgaben am größten. Daher wird seit einem Jahr die Einführung integriert in Lehrveranstaltungen angeboten (siehe den nächsten Abschnitt).

Vier Mal wurden vom Autor mittlerweile im Rahmen der internen Weiterbildung der TUHH sechsstündige Kurse unter dem Titel "Recherchestrategien in elektronischen Datenbanken - Bibliothekskataloge, Aufsatz-Datenbanken und Internet-Suchmaschinen" durchgeführt, an denen vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter teilgenommen haben. Dabei werden vor allem allgemeine Gesichtspunkte von Informationskompetenz vermittelt,17 die z.B. auch bei regelmäßig stattfindenden Schulungen von fachspezifischen CD-ROM-Datenbanken immer eine Rolle spielen sollten. Die Schulung von Informationskompetenz bleibt auch für Diplomanden und Doktoranden eine wichtige Aufgabe.

 

4. Integration der Vermittlung fachspezifischer Informationskompetenz in Lehrveranstaltungen

Young nennt vier Kriterien, von denen mindestens drei erfüllt sein müssen, um von lehrveranstaltungs-integrierten Kursen zu sprechen:18 Die Lehrenden von außerhalb der Bibliothek müssen bei Planung, Durchführung und Bewertung beteiligt sein. Zweitens muss der Inhalt direkt bezogen auf das Ziel der Lehrveranstaltung sein. Die Studenten müssen an der Informationsveranstaltung teilnehmen, und ihre Teilnahme wird viertens auch bewertet. Diesen Idealzustand wird man in Deutschland zur Zeit sicher nur selten erreichen.

Die Zusammenarbeit mit den Lehrenden (Fakultät, Studiendekanat, ...) der eigenen Universität ist für die Integration von Elementen der Vermittlung von Informationskompetenz in Lehrveranstaltungen wichtigste Voraussetzung. In einem Projekt mit dem Studiendekanat Verfahrenstechnik wird dem zuständigen Fachreferenten der Bibliothek an der TUHH die Möglichkeit gegeben, die Recherche nach verfahrenstechnischen Informationen vorzustellen und zu demonstrieren. Eingebettet wird dies in Vorlesungen am Beginn des Hauptstudiums. Diese kurzen "Einschübe" zum Thema Fachinformation in Vorlesungen schaffen für alle Studierenden eine gleichmäßige Grundlage. Außerdem erreicht man so möglichst viele. Sie dienen auch dazu, den Fachreferenten den Studierenden als fachliche Kontaktperson in der Universitätsbibliothek anzubieten. Trotzdem stellen diese "One-shot"-Veranstaltungen nicht das Optimum der Integration dar.

Im März 2000 war ich das erste Mal am sogenannten Projektierungskurs "Process Design Course 2000" beteiligt. Die Studierenden, die am Ende ihres Studiums stehen, hatten die Aufgabe, einen verfahrenstechnischen Prozess, hier z. B. die Herstellung von Triacetin, einem wichtigen Zwischenprodukt der chemischen Industrie, zu planen und zu entwerfen, durchzurechnen und zu analysieren, hinsichtlich Energieverbrauch, Sicherheit, Umweltbelastung, Marktanalyse u.a. ("Process Design of a Triacetin Plant"). Als Ergebnis des Projektierungskurses müssen die Teams der Studierenden einen Bericht und eine mündliche Präsentation abliefern. Als Teil der Einführungsveranstaltung wurden die wichtigsten Informationsquellen der Verfahrenstechnik vom Fachreferenten vorgestellt und dabei besonders auf die Recherche nach Stoffdaten eingegangen (vgl. www.tu-harburg.de/b/hapke/infolit/stoffdat.htm).

Am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt, nämlich dann, wenn die Kunden der Bibliothek dies benötigen, können so wesentliche Elemente von Informationskompetenz vermittelt werden. Zu den von Holger Schultka vorgeschlagenen betreuten Bereichen in der Bibliothek kommen also auch solche außerhalb der Bibliothek.19 Man wird so dem von Pacey betonten "user support" am ehesten gerecht.

Sinnvoll sind solche projektartigen Lehrveranstaltungen sicher auch am Anfang des Studiums, wie es zum Beispiel an der University of Queensland in Australien mit dem Kurs "Introduction to Professional Engineering" durchgeführt wird, ebenfalls mit Beteiligung der Bibliothek.20 Dies wäre sicherlich besser als die auch an der TUHH angebotenen Seminare zu "Arbeits- und Studientechniken", an denen sich die Bibliothek in Harburg bisher kaum beteiligt hat.

Vor der Zusammenarbeit müssen oft die Lehrenden selbst von der Notwendigkeit von Informationskompetenz-Schulungen überzeugt werden, was durchaus ein längerer Prozess sein kann. Regelmäßige Informationsveranstaltungen (alle 1-2 Jahre) in den Arbeitsbereichen/Instituten der Universität mit Berichten über die Möglichkeiten der Bibliothek sowie mit der Vorstellung spezieller Datenbanken fördern dies sehr.

 

5. Schulung allgemeiner theoretischer Konzepte

Abschließend sollen einige der Konzepte vorgestellt werden, die der Autor im Rahmen seiner Schulungen vermittelt. Im Hinblick auf theoretisch-inhaltliche Konzepte zur Strukturierung von Informationskompetenz-Schulungen21 wird das Konzept "Systematische Literatursuche" als Grundlage für die integriert in Lehrveranstaltungen ablaufenden Einführungen in die verfahrenstechnische Fachinformation genommen. Die Lernschritte sind orientiert an der Reihenfolge der Schritte im Informationsprozess, wenn man sich in ein neues Themengebiet einarbeitet. (Siehe Abb. 2 und vgl. www.tu-harburg.de/b/hapke/infolit/vt-info.htm)

Abbildung 2: Informationsquellen zur Verfahrenstechnik

Ein Schaubild zur Orientierung im Bereich wissenschaftlicher Informationsmedien (Abb. 3) wird von mir als Einstieg in fast alle meine Veranstaltungen benutzt.22 Es hat auch Eingang als didaktische Komponente in den neuen Informations- und Image-Flyer unserer Bibliothek gefunden und veranschaulicht, in welcher Reihenfolge Forschungsergebnisse aus einem Forschungsprojekt idealtypisch in wissenschaftlichen Informationsquellen veröffentlicht werden. Es integriert die Konzepte "Publikationssequenz" sowie "Unterscheidung in primäre und sekundäre Informationsmittel".

Das schon erwähnte Seminar "Recherchestrategien in elektronischen Datenbanken" vermittelt eine Reihe von theoretisch-inhaltlichen Konzepten zur Befähigung der Datenbank-Erkundung (siehe Fußnote 17 und im Netz www.tu-harburg.de/b/hapke/recherch/tuhhplan.htm): Datenbank-Struktur, Datenbank-Felder, Konzept-Diagramm und Verknüpfungsoperatoren, Kontrolliertes/Freies Vokabular. Ein Survival-Guide gibt Anleitung zur Datenbank-Erkundung, eine Konzept-Landkarte veranschaulicht, wie Thema/Informationsbedürfnis, Datenbank und Recherchestrategie über diese Konzepte mit dem zentralen Problem des Vokabulars (Suchwörter) verbunden sind (Abb. 4).

Die Fähigkeit zum effektiven Gebrauch elektronischer Informationsquellen, in der Regel Datenbanken, wird eine der Grundvoraussetzungen für offenes, selbstbestimmtes Lernen zukünftiger Studenten- und Schülergenerationen sein. Gerade die Erkundung von Datenbanken (database exploration) ist eine neue Form von Fähigkeit, die im Rahmen von "Hypermedia Literacy" neben anderem (information search and retrieval, authoring skills, user skills) gelernt werden muss.

Die "Evaluation" sowohl von Recherchen und deren Ergebnissen als auch die Bewertung von Datenbanken wird in Zukunft immer wichtiger. Für den Suchenden ist nicht mehr wie früher das Finden einer gesuchten Information problematisch, "sondern vor allem das Aussieben verlässlicher Informationen aus einer Vielzahl ähnlicher Angebote".23 Dies gilt zunehmend auch für die Auswahl der Datenbanken. Angesichts des wachsenden Datenbank-Angebotes im Netz - jeder Informationsproduzent, ob professionell oder privat, kann heute selbst eine eigene Datenbank erstellen und anbieten - wird es die primärste und notwendigste Fähigkeit nicht nur des professionellen Rechercheurs sein, Datenbanken zu erkunden (database exploration) und zu bewerten.

 

6. Zum Schluss

Die Entwicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft erfordert verstärkte Anstrengungen von Bibliotheken im Bereich der Fort- und Weiterbildung ihrer Kunden. Langfristig ist daher die Integration von "Benutzerschulung" bzw. der Vermittlung von Informationskompetenz in die organisatorische Struktur der Bibliotheken wünschenswert.24 Alle Abteilungen der Bibliothek könnten sich mit ihren spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten am "Bildungsprogramm der Bibliothek" beteiligen, um letztendlich die wirkliche "Teaching Library" zu realisieren und damit auch im Sinne des abschließenden chinesischen Sprichwortes zu wirken:25

If you give a man a fish
He will have one meal
If you teach him how to fish
He will be fed for life

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrages auf dem Kongress "Information und Öffentlichkeit" der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB) und der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI) in Leipzig am 20. März 2000 in der öffentlichen Sitzung "Schulungen durch Bibliotheken - neue Konzepte und Methoden zur Vermittlung von Bibliotheks- und Informationskompetenzen" der EDBI-Kommission für Benutzung und Information.

2 Ferdinand Eichler: Die wissenschaftlichen Bibliotheken in ihrer Stellung zu Forschung und Unterricht : Vortrag. Leipzig: Harrassowitz, 1910. Hier: S. 27.

3 Älter ist die Tradition der "user education" bei den amerikanischen Bibliotheken. Tiefel sieht die Anfänge hier in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts: V.M. Tiefel: Library user education : examing its past, projecting the future. Library Trends 44 (1995) S. 313-338. Schmidmaier geht in seiner Bibliographie auch für Deutschland sogar noch weiter zurück: Dieter Schmidmaier: Versuch einer Bibliographie zur bibliothekarischen Wissenschaftspädagogik im deutschsprachigen Gebiet 1500-1970. Freiberg: Bergakademie, 1970.

4 Mike Heery and Steve Morgan: Practical strategies for the modern academic library. London: Aslib, 1996. Hier besonders S. 17-40. Kapitel 3 (S. 41-75) dieses Werkes beschäftigt sich "nur" mit "Teaching and Learning". Einen weiteren guten Überblick zum Stand der "Benutzerschulung" bietet Margaret Watson: Overview: Managing user education and training. In: Managing the electronic library : a practical guide for information professionals / ed. by Terry Hanson and Joan Day. London: Bowker-Saur, 1998. S. 393-412. Zur Einbindung in die Tätigkeit im Fachreferat siehe den Beitrag des Autors: Transfer zwischen Wissenschaft und Bibliothek - Beispiele aus der Praxis des Fachreferats Chemie und Verfahrenstechnik. Bibliotheksdienst 33 (1999) 11, S. 1835-1847.

5 Nancy Fjällbrant: Online user education in the Nordic countries. IATUL Quarterly 1 (1987) S. 35-40, hier: S. 40.

6 Christoph Hubig: Informationsselektion und Wissensselektion, in: Wissensmangement : Schritte zum intelligenten Unternehmen, Hg. Hans Dieter Bürgel, Berlin 1998, S. 3-18. Hier S. 16. und Christoph Hubig: Technologische Kultur, Leipzig 1997. Hier S. 187-188.

7 Nach Heery, Morgan, a.a.O., S. 44.

8 John Kirby ; Lucy Liddiard ; Kay Moore: Empowering the information user : new ways into user . London : Library Association, 1998

9 Christine S. Bruce: Workplace experiences of information literacy. International Journal of Information Management 19 (1999) S. 33-47

10 Brigitte Mötsch: Informationelle Bildung in der Schule unter besonderer Berücksichtigung des Internet. Aspekte und Grundlagen curricularer Konzeptionen. Diplomarbeit 1997/1999 www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/1999/168/. Informationskompetenz nach Mötsch beinhaltet: Kenntnis von Informationsquellen, Recherchestrategien, Beurteilung der empfangenden Information, Aufbereitung und Umsetzung sowie Umgang mit Informationen (Informationskultur). Es geht hier auch um Bewusstwerdung von Defiziten wie Informiertheitsillusion und Desinformiertheit.

11 Philip Pacey : Teaching user education, learning information skills; or, Towards the self-explanatory library. British journal of academic librarianship 1 (1995), S. 95-104

12 Interessant ist das Oldenburger Beispiel mit Fokusgruppen-Befragungen: Christine Gläser ; Brigitte Kranz ; Katharina Lück: "Das wissen wir doch am besten, was die Benutzer wollen." oder: Fokusgruppeninterviews mit Bibliotheksbenutzern zum Thema "Elektronische Informationsvermittlung im BIS Oldenburg" - Ein Erfahrungsbericht. Bibliotheksdienst 32 (1998) 11, S. 1912-1921

13 Bonnie Cheuk: A marketing approach to the design of education programs for under-graduates. Reference services review 27 (1999) 1, S. 62-68

14 Bonnie Wai-yi Cheuk: Rethinking information literacy education : appreciating human information seeking and use as a dynamic and situational process. IATUL News 8 (1999) 2, S. 3-8. Hier: S. 4.

15 Carol Koechlin, Sandi Zwaan: Informationen beschaffen bewerten benutzen : Basistraining Informationskompetenz. Mülheim an der Ruhr: Verl. An der Ruhr, 1998. Auch die zur Zeit umfassendste Darstellung zur Information Literacy widmet mehr als ein Drittel ihres Umfanges der Vermittlung von Informationskompetenz im Schulbereich ("K-12"): Kathleen L. Spitzer, Michael B. Eisenberg, Carrie A. Lowe: Information literacy : essential skills for the information age. Syracuse, N.Y.: ERIC, Clearing House on Information & Technology, 1998.

16 siehe Aufsätze in IATUL Quarterly 1 (1987) 1

17 Thomas Hapke: Recherchestrategien in elektronischen Datenbanken - Inhaltliche Elemente der Schulung von Informationskompetenz (nicht nur) an Universitätsbibliotheken. Bibliotheksdienst 33 (1999) 7, S. 1113-1129

18 Rosemary Young, Stephena Harmony: Working with faculty to design undergraduate information literacy programs. New York: Neal-Schuman, 1999.

19 Holger Schultka: Benutzerschulung: ein Serviceangebot an Universitätsbibliotheken. Bibliotheksdienst 33 (1999) 12, S. 2063-2073

20 Janine Schmidt and Gulcin Cribb: Leading life-long learning : the libary's role. In: Abstracts and Fulltext Documents of Papers and Demos given at the 1999 IATUL Conference 1999. "The Future of Libraries in Human Communication". URL: http://educate.lib.chalmers.se/IATUL/proceedcontents/chanpap/cribb.html

21 Conceptual frameworks for bibliographic education : theory into practice / edited by Mary Reichel and Mary Ann Ramey. Littleton, Colo : Libraries Unlimited, 1987

22 Verändert nach: Stuart James: Using literature. Chichester: Wiley, 1987. (Analytical chemistry by open learning). Diese Abbildung ist inhaltlich identisch zu Abbildung 3 in Thomas Hapke: Recherchestrategien ..., a.a.O., hier: S. 1117. An dieser Stelle wird die Abbildung außerdem noch ausführlicher erläutert. Gestaltung: Bettina Kaiser.

23 Ulrich Babiak: Effektive Suche im Internet : Suchstrategien, Methoden, Quellen. 3., aktualisierte und erw. Aufl. Beijing [u.a.] : O'Reilly, 1999. Hier: S. 12.

24 Jonathan W. Esterin: From bibliographic instruction to instructional management : a process-oriented approach for reengineering library instruction programs. Katherine Sharp Review, Winter 1999, No. 6. www.edfu.lis.uiuc.edu/review/6/estrin_bi.html

25 zitiert bei Fjällbrant, a.a.O.


Stand: 03.05.2000
Seitenanfang