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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 2, 2000

Harmonisierung des europäischen Urheberrechts

Eine Zwischenbilanz

Helmut Rösner

 

Entwicklung

Mit den weitgehend in die nationalen Urheberrechtsgesetze eingegangenen EG-Richtlinien zum Schutz von Computer-Software (1993), zum Vermiet- und Verleihrecht (1995) und zum Schutz von Datenbanken (1996) ist die Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Union schon ein Stück weit voran gekommen. Diese Regelungen beziehen sich aber noch vorwiegend auf das analoge Umfeld bzw. auf digitale Medien, soweit sie in physischer Form verbreitet werden.

Die eigentliche Herausforderung stellt jedoch die digitale Form der Informationsverbreitung im Online-Zeitalter dar. Hier soll die im Dezember 1997 vorgelegte Richtlinie zur "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft"1 abschließende Klärung bringen. Ihre Einbindung in internationale Abkommen (Berner Übereinkunft, WIPO-Verträge), die globalen Verflechtungen der Informationsanbieter, der Widerstreit der auf dem Informationsmarkt konkurrierenden Interessen, die Polarität von gesetzlichen Vorschriften und einzelvertraglichen Vereinbarungen und nicht zuletzt nationale Traditionen machen die "Copyright-Richtlinie" zu einem exemplarischen Problem, nämlich: EU-weiten Konsens über die fragile Balance zwischen den Interessen der Urheber, Produzenten, Vermittler und Nutzer digitaler Informationen zu finden. Im Eigeninteresse als Vermittler und im Interesse ihrer Nutzer sind die Bibliotheken von den Bestimmungen dieser Richtlinie besonders betroffen.

Der erste Entwurf der Richtlinie geht auf das Grünbuch "Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" von 19952 und sein "Follow-Up" von 19963 zurück. Wie bei allen anderen "interessierten Kreisen" setzte auch im Bibliotheksbereich unverzüglich eine rege Lobby-Arbeit ein, sowohl EU-weit - hier ist die effiziente Arbeit von EBLIDA nicht hoch genug zu werten - als auch auf nationaler Ebene durch die jeweiligen Bibliotheksverbände. Im Dezember 1997 legte die Europäische Kommission erstmals den "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates..." vor, und die mit EBLIDA abgestimmten Aktivitäten der nationalen Bibliotheksverbände wurden erneut angekurbelt. Von deutscher Seite wurde im April 1998 eine ausführliche Stellungnahme der BDB mit konkreten Formulierungsvorschlägen, erarbeitet von der DBI-Rechtskommission, an das Bundesjustizministerium eingereicht und an die deutschen Abgeordneten und Ausschussmitglieder des Europäischen Parlaments geschickt.4

Der Richtlinienvorschlag erlebte noch mancherlei Änderungen, bis er, ergänzt um verschiedene Alternativvorschläge der damit befassten Ausschüsse, im Februar 1999 dem Plenum des Europäischen Parlaments zur Ersten Lesung vorgelegt wurde. Dieses Ereignis stellte wohl nicht gerade eine Sternstunde des Parlaments dar, vor allem aber eine herbe Enttäuschung für die europäischen Bibliotheken. Mit einem Minimum an Plenardebatte wurde der Kommissionsvorschlag ungeachtet der Alternativen verabschiedet. Aber noch war nichts verloren, wie sich zeigen sollte. Die Europäische Kommission erstellte nachträglich einen "Geänderten Vorschlag" (COM(99)250 vom Mai 1999), der sich doch deutlich von der im Plenum verabschiedeten Fassung unterschied und die Bibliotheken wieder Hoffnung schöpfen ließ.5 Erneut gaben sie Stellungnahmen und Einsprüche ab, die zunächst ohne Resonanz blieben, denn in Brüssel kam es zu einer politischen Zäsur: die Europa-Wahlen.

Im Herbst 1999 konstituierten sich das neue Europäische Parlament und seine Ausschüsse, deren Mitglieder jetzt zu 60% aus Neulingen bestanden. Gleichzeitig ist dem Parlament aufgrund des Amsterdamer Vertrags ein größeres Mitbestimmungsrecht als früher zugewachsen. Und wenn nicht alle Anzeichen trügen, scheint insgesamt unter den EP-Abgeordneten eine leicht positivere Einstellung gegenüber den Interessen der Allgemeinheit, also der Verbraucher und der Nutzer digitaler Informationen, somit auch der Bibliotheken, eingetreten zu sein. Auch der neue Berichterstatter des Parlaments für die Copyright-Richtlinie, der italienische Sozialist Enrico Boselli, hat größere Aufgeschlossenheit für diese Belange signalisiert als sein ebenfalls italienischer Vorgänger Roberto Barzanti.

In der Zwischenzeit war ein äußerst fleißiges Gremium am Werk: die Copyright Working Group des Ministerrats, bestehend aus Vertretern der nationalen Justizministerien. Sie traf sich in kurzen regelmäßigen Abständen und hatte sich zum Ziel gesetzt, zum Ende der finnischen Ratspräsidentschaft, also Ende 1999, eine beschlussreife Vorlage für eine Gemeinsame Position des Ministerrats und somit für die Zweite Lesung im Parlament vorzulegen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht; es gab mehrere "konsolidierte Fassungen", aber noch mehr Meinungsverschiedenheiten. Die Binnenmarkt-Konferenz In Helsinki Anfang Dezember konnte schließlich nur einen Sachstandsbericht zur Kenntnis nehmen.

Der weitere Zeitplan sieht vor:

Probleme

Das Gesetzgebungsverfahren in der EU ist komplex und langwierig, aber auch die Materie hat es in sich. Ohne zu sehr in die diffizilen Details zu gehen, seien kurz die Struktur und die Kernpunkte des Richtlinienvorschlags dargestellt:

Artikel 1: Regelungsgegenstand (Urheber- und verwandte Schutzrechte im Rahmen des EU-Binnenmarktes und im Hinblick auf die Informationsgesellschaft).

Artikel 2: Das Vervielfältigungsrecht steht exklusiv den Urhebern, ausübenden Künstlern und Produzenten zu.

Artikel 3: Das Recht der öffentlichen Wiedergabe steht exklusiv den Urhebern ("communication to the public") und den Produzenten ("making available") zu.

Artikel 4: Das Verbreitungsrecht steht exklusiv den Urhebern zu.

Artikel 5: Hier werden die (für Bibliotheken lebensnotwendigen) Ausnahmen von den Artikeln 2, 3 und 4 definiert, und zwar in abschließender Aufzählung.

Artikel 6: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, gesetzlichen Schutz vorzusehen gegen die unerlaubte Umgehung wirksamer technischer Schutzmaßnahmen.

Artikel 7: Ein System der "rights-management information" wird vorgeschrieben, mit dem die Rechtsinhaber die Schutzgegenstände identifizieren und die Nutzungsbedingungen kontrollieren.

Die Artikel 8 - 11 behandeln allgemeine und formale Bestimmungen.

Naheliegenderweise steckt die geballte Ladung der Probleme im Artikel 5, der einerseits haarklein und andererseits doch wieder mehrdeutig die Ausnahmen aufzählt, daher haben BDB und DBI-Rechtskommission mit einer neuerlichen gemeinsamen Stellungnahme an das Bundesjustizministerium und die Ausschüsse des Europäischen Parlaments Anfang Dezember 1999 ihre Vorstellungen dargelegt und mit präzisen Formulierungsvorschlägen zu diesem Artikel ergänzt.6 Ungeachtet der Einzelregelungen bestehen hier drei grundsätzliche Probleme:

  1. die optionale, aber abschließende Aufzählung der Ausnahmen, die es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, über die genannten hinaus weitere nationale Ausnahmen vorzusehen; mehrere Mitgliedstaaten und insgesamt die Bibliotheken plädieren dafür, dass bereits bestehende nationale Ausnahmen aufrechterhalten werden können, was freilich der europaweiten Harmonisierung entgegenläuft,
  2. das heikle Verhältnis zwischen Artikel 5 und 6, also zwischen den gesetzlich erlaubten Ausnahmen und den technischen Schutzmaßnahmen seitens der Hersteller, durch die auch zulässige Ausnahmen wieder außer Kraft gesetzt werden können,
  3. die Vergütungsregelung: Grundsätzlich haben die Rechtsinhaber einen Anspruch auf eine "fair compensation", doch wie diese aussehen und gehandhabt werden soll, ist noch heftig umstritten.

Diese Fragen sind noch nicht geklärt, aber auch die Einzelregelungen enthalten noch so manche Unsicherheiten.

Vervielfältigungsrecht

Nach Artikel 5 (1) sind vorübergehende Vervielfältigungen erlaubt, die vergänglich und begleitend sind, einen "wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens" darstellen und keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben und deren Zweck es ist, ein effektives Funktionieren eines Übertragungssystems zu erleichtern und eine Nutzung zu ermöglichen. Damit ist also das "Browsing" und "Caching" abgedeckt.

Wichtig für Bibliotheken ist der Artikel 5 (2), der Ausnahmen vorsieht

  1. für Vervielfältigungen auf Papier oder einem ähnlichen Träger;
  2. für Vervielfältigungen auf Ton-, Bild- oder audiovisuelle Träger, beschränkt jedoch auf "eine natürliche Person zur privaten und ausschließlich persönlichen Verwendung für nicht gewerbliche Zwecke" - unbeschadet technischer Schutzmaßnahmen (letzteres ist im Zusammenhang mit Artikel 6 noch strittig); in dem mit diesem Absatz korrespondierenden Erwägungsgrundsatz 26 wird allerdings vorgegeben, dass "in gewisser Hinsicht" eine Unterscheidung zwischen analoger und digitaler privater Vervielfältigung vorzunehmen sei;
  3. für "bestimmte Vervielfältigungshandlungen, die zum Zweck der Archivierung oder Erhaltung eines Werks oder Schutzgegenstands von Einrichtungen vorgenommen werden, die keinen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Zweck verfolgen, wie Bibliotheken, Archive und Einrichtungen im Bildungs-, Ausbildungs- oder kulturellen Bereich".

Die zulässigen Vervielfältigungen nach Artikel 5 (2) Abs. a) und b) sind vergütungspflichtig, wobei die Regelung der Vergütungsmodalitäten in das nationale Ermessen gestellt wird. Der die Bibliotheken unmittelbar ansprechende Absatz c) ist noch umstritten: Manchen erscheint der Zweck der "Archivierung und Erhaltung" zu eng, anderen ist die Bestimmung zu weit gefasst, nicht ganz klar ist, ob auch digitale Vervielfältigungen hierunter fallen. Man kann es immerhin als positives Zeichen nehmen, dass sich von der "Konsolidierten Fassung" vom September zu der vom Oktober 1999 eine teilweise Neuformulierung ereignet hat: statt "von Einrichtungen,..., wie Bibliotheken..." heißt es jetzt: "von öffentlich zugänglichen Bibliotheken oder Museen oder von Archiven, die ..."

Sonderfall: Private Vervielfältigung

Nach der geltenden Rechtslage (§ 53 UrhG) dürfen Vervielfältigungen "zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch" hergestellt werden (ausgenommen von Noten, ganzen Büchern, Computerprogrammen und vollständigen elektronischen Datenbanken); diese Vervielfältigungen können auch durch Dritte angefertigt werden, also beispielsweise durch Bibliotheken für ihre Benutzer. Im digitalen Zeitalter erhält diese Regelung eine neue wirtschaftliche Dimension, daher wird auf Druck der Produzenten im Richtlinienvorschlag besonders heftig über die private digitale Kopie gerungen.

Die (federführende) Generaldirektion XV hat in einer Erläuterung zum "Geänderten Vorschlag" (Mai 1999) dazu ausgeführt: "In bestimmten Fällen digitaler Aufnahmemedien (die eine unbegrenzte Anzahl schnell hergestellter, perfekter Kopien ermöglichen) können die Mitgliedstaaten den Rechtsinhabern erlauben, das private Vervielfältigen zu kontrollieren mittels operationaler, verlässlicher und wirksamer technischer Mittel, um ihre Interessen zu schützen, sofern diese technischen Mittel bestehen. Die Vorschriften des Vorschlags über den Rechtsschutz technischer Kopierschutz- und anderer technischer Maßnahmen gegen Umgehung, Verletzung und Manipulation sind deutlicher als vom Parlament verlangt, aber sie halten weiterhin eine Balance zwischen den verschiedenen betroffenen Rechten und Interessen."7

Genau zu diesem Thema äußerte sich die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin in einem Vortrag am 20. August 1999 anlässlich der PopKomm-Messe in Köln.8 Sie geht aus vom geltenden Vervielfältigungsrecht und seiner Schrankenregelung, die auf den Prinzipien einerseits des Schutzes der Privatsphäre (Kontrollproblem) und andererseits des Gemeinwohls (Vervielfältigungen in Einrichtungen der Bildung und Wissenschaft) aufbauten. Diese beiden "Rechtfertigungsgründe" sieht sie auch heute noch als gegeben und dank der Vergütungsregelung als ausgeglichen an. Das Inkasso- und Verteilungssystem für die Reprographie-Vergütung durch die Verwertungsgesellschaften setzt sich immer mehr auch bei den EU-Mitgliedstaaten durch, ausgenommen der angelsächsische Bereich, dem sie entgegenhält: "Lieber ‚rought justice‘ als ‚no justice‘". Däubler-Gmelin erklärt wörtlich: "Durch die Verwendung digitaler Vervielfältigungstechniken, gleich, ob die Vorlage analog oder digital festgelegt ist, sollte sich daran nichts ändern, da Wissenschaft und Forschung auf moderne Kommunikationstechnologien nicht verzichten können."

Diese Feststellung kann als wegweisend bezeichnet werden, aber es gibt kräftigen Gegenwind aus der Tonträgerindustrie, die aufgrund der modernen Technik, von einer einzigen CD mittels Brenner sozusagen im Schulhof-Format spottbillige und erstklassige Kopien herzustellen, dramatische Umsatzverluste befürchtet. Und diese Angst ist ja auch nicht ganz unbegründet: (Seit kurzem ist eine breite und grenzüberschreitende Initiative zahlreicher Teilnehmer am Medienmarkt - von Zeitschriften über Tonträgerproduzenten bis zum Deutschen Musikrat - mit einer Kampagne gegen die private CD-Kopie auf das Schlachtfeld getreten9).

Die Justizministerin gelangt zu der Alternative: Verbot privater digitaler Kopie oder technische Schutzmaßnahmen wie Verschlüsselungssysteme. Das erste ist illusorisch, weil ohne Eingriff in die Privatsphäre eine Kontrolle nicht möglich wäre, und das zweite hält sie für problematisch, weil eine Umgehung dieser Schutzmaßnahmen als Straftatbestand sanktioniert würde, auch dann, wenn es sich um eine erlaubte Umgehung handelte. Einen Ausweg deutet sie schließlich in einer Erhöhung der gesetzlichen Kopiervergütung auf ein "angemessenes Niveau" an - und in dieser Perspektive erkennt die BDB ihren schon seit langem geäußerten Wunsch wieder.

Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe

Der Artikel 5 (3) sieht die Möglichkeit von Ausnahmen vom exklusiven Vervielfältigungsrecht (Artikel 2) und vom exklusiven Recht der öffentlichen Wiedergabe (Artikel 3) in folgenden Fällen vor:

  1. für die Nutzung ausschließlich zur Veranschaulichung im Unterricht oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung, soweit dies "durch den damit verfolgten nicht gewerblichen Zweck gerechtfertigt ist" (vergütungspflichtig)
  2. für die nicht gewerbliche Nutzung zugunsten behinderter Personen, soweit es die betreffende Behinderung erfordert
  3. für die Verwendung von Auszügen in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse.

Weitere mögliche Ausnahmen betreffen die Verwendung zu Zwecken der Kritik (Rezensionen), der öffentlichen Sicherheit oder der Berichterstattung über Verwaltungs-, Parlaments- oder Gerichtsverfahren, bei religiösen Veranstaltungen oder durch öffentliche, nicht gewerbliche Einrichtungen wie Krankenhäuser; diese Regelungen haben für Bibliotheken kaum eine Bedeutung. Anders könnte es sich mit dem neu hinzugekommenen Absatz k) verhalten: er sieht mögliche Ausnahmen vor für "die Nutzung in bestimmten anderen Fällen von geringerer Bedeutung, soweit solche Ausnahmen bereits in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind und sofern sie nur analoge Verwendungen betreffen und den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in der Gemeinschaft nicht berühren; dies gilt unbeschadet der in diesem Artikel enthaltenen Ausnahmen und Beschränkungen."

Dieser noch umstrittene Text gilt als Kompromisslösung, um die Frage einer offenen oder erschöpfenden Aufzählung der Ausnahmen zu entschärfen, und zwar als die "äußerste Grenze dessen, was die Kommission noch als einen Kompromiss betrachten könnte". Damit sind die Kriterien des Drei-Stufen-Tests erfüllt (bestimmte Fälle - im Rahmen der normalen Auswertung - keine unzumutbare Beeinträchtigung der Interessen des Rechtsinhabers), und bestehende Ausnahmeregelungen in den nationalen Urheberrechtsgesetzen werden nicht angetastet; problematisch - und keineswegs im Interesse der Bibliotheken - ist aber die ausdrückliche Beschränkung auf die analoge Nutzung.

Da der Artikel 5 (3) lediglich Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe zulässt, bekommt der Absatz (3a) besondere Bedeutung, denn er lässt auch eine Ausnahme vom ausschließlichen Verbreitungsrecht (Artikel 4) zu, sofern sie "durch den Zweck der erlaubten Vervielfältigung gerechtfertigt ist". Was bedeutet das?

Im Erwägungsgrundsatz 28 des Richtlinienvorschlags wird die Online-Lieferung als Ausnahme ausdrücklich ausgeschlossen, dieser Absatz (3a) könnte unter bestimmten Umständen wieder eine Möglichkeit eröffnen. Deshalb wird in der gemeinsamen Stellungnahme von BDB und DBI-Rechtskommission ein gesonderter Absatz neu vorgeschlagen, nämlich eine Ausnahme für "die Online-Lieferung von unwesentlichen Teilen eines digitalen Werkes, soweit der Zugang und die Benutzung des betreffenden digitalen Werkes auf der Grundlage eines Vertrages erfolgt und die Lieferung an einen beschränkten Teil der Öffentlichkeit vorgenommen wird. Für die Online-Lieferung ist eine angemessene Vergütung zu bezahlen."

Vergütung

Damit sind wir bei dem Stichwort Vergütung angelangt. Immer wieder werden die Vertreter der Bibliotheken mit dem Vorurteil der Anbieterseite konfrontiert, sie wollten alles ‚gratis und umsonst‘; und immer wieder halten sie dagegen, dass das nicht stimmt und nie gestimmt hat. Wie die Bibliotheken seit jeher für käuflich erwerbbare Medien bezahlt haben, so werden sie auch die notwendigen Gebühren für Lizenzen und Vergütungen entrichten - allerdings auch nicht mehr und das möglichst nur einmal. Lizenzen unterfallen dem Vertragsrecht, können also frei ausgehandelt werden (je nach Stärke der Verhandlungspartner) und können gesetzliche Vorgaben außer Kraft setzen - es sei denn, der von BDB und DBI/Rechtskommission eingebrachte neue Absatz (5) kommt zum Zuge, der vorschlägt, dass die Nutzungsberechtigten in der Wahrnehmung der gesetzlich zulässigen Ausnahmen nicht behindert werden dürfen, sofern eine vertragliche Grundlage besteht, und dass entgegenstehende vertragliche Bestimmungen nichtig sind, sofern eine angemessene Vergütung entrichtet wird.

Diese Bestimmungen finden sich bereits sinngemäß im deutschen UrhG (§ 55a); ob sie eine europäische Chance haben, bleibt abzuwarten; auch EBLIDA hatte - bisher vergeblich - dafür plädiert.

Auch zur Frage der Vergütungen bietet der Richtlinienvorschlag eine Brücke. Im Erwägungsgrundsatz 12a wird den Mitgliedstaaten empfohlen, mittels spezieller Verträge und kollektiver Lizenzen die Vergütungsmodalitäten für Ausnahmetatbestände national zu regeln. Die deutschen Bibliotheken befinden sich im Gegensatz zu denen anderer Länder hier in einer relativ günstigen Situation, da es ein seit langem bewährtes Vergütungssystem unter Einbeziehung der Verwertungsgesellschaften gibt. Wie dieses System an die neuen digitalen Erfordernisse anzupassen ist, darüber wird es lange Verhandlungen geben müssen, die erst im Zuge der Umsetzung der Richtlinie in das deutsche UrhG anlaufen werden.

Lizenzen

Unabhängig davon aber bleibt ein grundsätzlicher Widerspruch bestehen: Da für die digitalen Informationen in der Regel nur noch Nutzungsrechte auf dem Wege von Lizenzverträgen erworben werden können, dominiert die Vertragsfreiheit. Oft wurde schon hingewiesen auf die Ungleichgewichtigkeit der Partner bei Lizenzverhandlungen, zumal wenn einzelne Bibliotheken oder kleine Konsortien gegenüber den global players des digitalen Marktes auftreten.

Um so wichtiger sind also Richtlinien und Modelle für Lizenzverträge; hier haben EBLIDA und zuvor schon ECUP unentbehrliche Vorarbeiten geleistet, die inzwischen abgeschlossen wurden. Auf der jüngsten Tagung der EBLIDA-Expertengruppe "Copyright" (9. Dezember 1999 in London) standen vier Typen von Musterlizenzverträgen im Mittelpunkt, die der Londoner Anwalt John Cox in enger Abstimmung mit EBLIDA ausgearbeitet hat. Jeweils ein Vertragstext (mit Alternativen) und ein Kommentar ist bezogen auf

John Cox, ehemals Verleger, dann Leiter einer Zeitschriftenagentur, jetzt selbständiger Anwalt, hat seine Musterverträge sehr präzise und dabei auf äußerste Neutralität bedacht abgefasst und versteht sie als "tool-box" für die eigene Ausgestaltung von Lizenzverträgen.10

Wie wird es weitergehen?

Lizenzvertragsverhandlungen gehören längst zum Alltagsgeschäft der Bibliotheken, wobei der sinnvolle Trend zur Bildung von Konsortien auf regionaler, in einigen Fällen auf nationaler Ebene (z.B. NESLI in Großbritannien) allmählich zu einer gewissen Angleichung der Konditionen führen kann. Daneben aber sollte auf kontinuierliche Lobby-Arbeit der Bibliotheksverbände so lange nicht verzichtet werden, wie sich der Richtlinienvorschlag noch im Beratungsstadium befindet. Und dann beginnt erst der eigentliche Kampf mit Argumenten, wenn es um die nationale Umsetzung der Richtlinie geht; das wird nach Lage der Dinge frühestens 2001 sein. In Deutschland ist ein Damokles-Schwert zunächst entschärft worden: das 5. Änderungsgesetz zum UrhG, in dessen "Diskussionsentwurf" vom Herbst 1998 der Begriff der "Öffentlichen Wiedergabe" (communication to the public) neu definiert werden und das schon vor der Richtlinie in Kraft treten sollte, ist erst einmal zurückgestellt; offensichtlich wird doch die europäische Entwicklung abgewartet. Aber mehr als eine Verschnaufpause ist das nicht: das 5. Änderungsgesetz kommt bestimmt.

 

1 (COM(97)628)

2 (COM(95)382)

3 (COM(96)568)

4 URL: http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/re_pu_01.htm

5 (URL des "Geänderten Vorschlags" vom 21. Mai 1999: http://europa.eu.int/comm/dg15/en/intprop/intprop/copy2.htm).

6 URL: http://www.bdbibl.de/dbv/akt/

7 Vgl. Fußnote 5)

8 veröffentlicht in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht ZUM, 11/1999, S. 769-775.

9 vgl. http://www.copykillsmusic.de

10 Alle Vertragstexte und Kommentare sind über das Internet frei zugänglich unter: http://www.licensingmodels.com


Stand: 26.01.2000
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