Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 2, 2000

"... daraus zu sehen, was die Sineser für kluge Leute sind":1

Der ostasienbezogene Bestand der Forschungsbibliothek Gotha

Britta Woldering

 

Im Sommer 1999 wurden die Universitätsbibliothek Erfurt und die Forschungs- und Landesbibliothek Gotha zu einer organisatorischen Einheit zusammengeschlossen. Vor diesem Hintergrund ist es für den Lehrstuhl für Ostasiatische Geschichte der Universität Erfurt von Interesse, ob, in welchem Umfang und von welcher Art ostasienbezogene Bestände in der Forschungsbibliothek Gotha vorhanden sind.

Vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 beschäftigte ich mich als Wissenschaftliche Hilfskraft des Lehrstuhls für Ostasiatische Geschichte mit der Erschließung des ostasienbezogenen Bestandes der Forschungsbibliothek Gotha. Hauptziel dieses kleinen Projektes war die Erstellung eines Kataloges des in Gotha vorhandenen Bestandes, ein Nebenziel sollte die Beschreibung möglicher Forschungsgebiete, die mit diesem Bestand bearbeitet werden könnten, sein.

Katalogsituation

Der Bestand der Forschungsbibliothek Gotha teilt sich in den herzoglichen und den gymnasialen Bestand. Der herzogliche Bestand ist bis 1945 in Bandkatalogen systematisch erschlossen: Der Systematische Katalog teilt den Bestand in Gruppen (z.B. Geschichte, Geographie, Theologie), die z.T. wiederum in sich nach Ländern unterteilt sind. Über die Hälfte der von mir verzeichneten Titel sind über dieses System erschlossen und damit schnell auffindbar. Der überwiegende Teil war in den Gruppen "Geschichte" und "Geographie" zu finden. Bestände aus anderen Gruppen, die nicht nach Ländern systematisiert sind, sind über den Referenzkatalog "Orientalia" ermittelbar: dieser Katalog verzeichnet u.a. zu einzelnen Ländern Asiens Titel aus allen Bereichen, wenn auch nicht erschöpfend. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bestandsrevision nicht anhand dieses Referenzkataloges vorgenommen wurde. Alle dort aufgefundenen Titel mussten in den eigentlichen Katalogen auf ihr tatsächliches Vorhandensein überprüft werden. Die Kataloge kleinerer Gruppen wie "Mathematik", "Numismatik" und "Theologie" konnte ich über den Abgleich mit dem Orientalia-Katalog hinaus aus Zeitgründen nur stichprobenartig sichten. Es mögen sich dort noch einzelne Titel verbergen, die in meinen Katalog keinen Eingang gefunden haben. Aufwand und zu erwartende Ergebnisse standen angesichts der knappen vorhandenen Zeit in keiner sinnvollen Relation.

Der gymnasiale Bestand hingegen ist kaum systematisch erschlossen. Auch er ist in Gruppen wie "Geschichte", "Erdkunde" usw. unterteilt, darüber hinaus aber lediglich in einem Numerus currens-Katalog verzeichnet. Hier ist eine systematische Suche stark dem Zufall überlassen, und es gilt, durch Querlesen auf "Nester" zu stoßen, was in der Gruppe "Erdkunde" auch gelang. Im gymnasialen Bestand mögen sich also mehr noch als im herzoglichen Bestand relevante Titel verbergen, die ich nicht auffinden konnte.

Eine generelle Schwierigkeit der Kataloge ist, dass sie handschriftlich geführt wurden, was ein kursorisches Lesen zum Auffinden von "Nestern" erschwerte.

Arbeitsmethode

Die Erschließung des ostasienbezogenen Bestandes der Forschungsbibliothek Gotha habe ich durch Autopsie vorgenommen. Ein Teil der projektrelevanten Titel (rund 25%) ist bereits in der Verbunddatenbank des GBV verzeichnet. Hier entfiel für mich die eigene Titelaufnahme, wenngleich ich selbstverständlich auch diese Werke gesichtet habe. Aus zeitlichen und organisatorischen Gründen war eine Katalogisierung in die GBV-Datenbank nicht möglich. Ich habe stattdessen eine eigene, auf die Gegebenheiten des Lehrstuhls für Ostasiatische Geschichte in Erfurt abgestimmte Katalogdatenbank aufgebaut. Es handelt sich hierbei um eine internetfähige FileMaker Pro-Datenbank, die bei Bedarf über Internet international zugänglich gemacht werden kann. Die Textversion des Kataloges ist als PDF-Datei unter folgender URL erreichbar: http://www.uni-erfurt.de/ostasiatische_geschichte/texte/ergo/pdf/ergol_01.pdf. Die Druckversion kann über den Lehrstuhl bestellt werden (Adresse am Schluss dieses Beitrages).

Bestandsbeschreibung2

Für die Erschließung des ostasienbezogenen Bestandes wurde Literatur berücksichtigt, die sich mit China, Japan und Korea befasst, am Rande, wenn auch nicht erschöpfend, auch solche über Tibet und die Mongolei. Bei den Schriftenarten wurden Dissertationen und Zeitschriften sowie unselbständig in Zeitschriften erschienene ostasienbezogene Literatur nicht berücksichtigt.

Der von mir verzeichnete ostasienbezogene Bestand der Forschungsbibliothek Gotha umfasst 586 Titel (wovon einige wenige dublett sind) in rund 700 Bänden. Dies entspricht 0,12% des Gesamtbestandes.

Zeit

Der ostasienbezogene Bestand umfasst den Zeitraum vom 16. bis 20. Jahrhundert: das älteste Werk ist L'historia del gran regno della China von Juan Gonzalez de Mendoza (1587), das jüngste Werk ist Der Weg zu den weißen Wolken: Geschichten aus dem Gelehrtenwald von Wu Jingzi (1962). Der Schwerpunkt des Bestandes liegt deutlich auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Im Einzelnen verteilen sich die Titel wie folgt auf die Jahrhunderte:

16. Jh.:
17. Jh.:
18. Jh.:
19. Jh.:
20. Jh.:
ohne Jahr:

    4 Titel =
  36 Titel =
  61 Titel =
237 Titel =
224 Titel =
  24 Titel =

  0,7%
  6,1%
10,4%
40,4%
38,2%
  4,0%

Region

In Bezug auf die Region liegt im Bestand ein deutlicher Schwerpunkt auf China:3

China
Japan
Korea
Tibet

399 Titel =
144 Titel =
  24 Titel =
  36 Titel =

68,0%
24,5%
  4,0%
  6,1%

Sprache

Der mit Abstand überwiegende Teil des Bestandes ist in deutscher Sprache verfasst. Der Bestand verteilt sich wie folgt:

deutsch
englisch
französisch
lateinisch
chinesisch
japanisch
koreanisch

338 Titel =
109 Titel =
  89 Titel =
  41 Titel =
    5 Titel =
    1 Titel =
    0 Titel

58%
19%
15%
  7%
  0,85%
  0,17%

Erhaltung

Der Bestand ist beinahe durchweg gut erhalten. Es sind nur einige wenige Bände, welche durch Wurmfraß, Papierzerfall oder sonstige Schäden schwer benutzbar sind. Auch die Schäden durch herausgeschnittene Kupferstiche oder fehlende Karten halten sich, soweit zu sehen war, in Grenzen. Der Bestand ist also trotz seines z.T. hohen Alters in vollem Umfang benutzbar.

Anhand der Bandkataloge lässt sich sehen, dass die Verluste des ostasienbezogenen Bestandes zum Teil erheblich sind. Die bei der Revision als Verlust gestrichenen Eintragungen betreffen alle Bereiche, und es ist erkennbar, dass der ursprüngliche Bestand noch eine ganze Anzahl weiterer wichtiger Werke umfasste.

Inhaltliche Beschreibung des Bestandes

Den Bestand umfassend zu beschreiben oder ihn gar im Hinblick auf seine Vollständigkeit im Vergleich zu den in der jeweiligen Epoche erschienenen ostasienbezogenen Werken insgesamt zu klassifizieren, hätte den Rahmen dieses Projektes gesprengt. Allerdings kann man auch ohne tiefere Bestandsforschung einige Aussagen treffen.

Am Bestand lässt sich sehr gut die Entwicklung der Kenntnisse über China ablesen, die sich, grob skizziert, aus folgenden Quellen speiste: Die frühen Übermittler von Informationen aus China nach Europa waren die Jesuiten-Missionare. Sie mussten jährlich über ihre Missionsarbeit berichten, und aus diesen Berichten und Briefen wurden die frühen Bücher über China zusammengestellt. Diese waren auch die ersten, die sich mit der Sprache auseinandersetzten und sie erlernten, in erster Linie, um die philosophischen und religiösen Schriften der Chinesen lesen zu können. Daraus entstanden die ersten Übersetzungen chinesischer Werke in europäische Sprachen, zumeist lateinisch oder französisch. Die nächste Quelle der China-Kenntnis waren die Berichte der Gesandtschaftsreisenden, die ab dem 17. Jahrhundert von verschiedenen Ländern entsendet wurden. Darauf folgten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert die Expeditionsreisen. Anfang des 19. Jahrhunderts setzte in Europa die institutionalisierte wissenschaftliche Beschäftigung mit China ein. Es wurden erste Lehrstühle an den Universitäten eingerichtet, man beschäftigte sich wieder mit dem überlieferten Schrifttum, und es wurde vermehrt übersetzt.

Der ostasienbezogene Bestand der Forschungsbibliothek enthält eine große Anzahl wichtiger Werke aus allen oben beschriebenen Phasen, frühe "Bestseller" unter den China-Büchern und Werke zu bestimmten Themenkreisen, von welchen ich einige im Folgenden kurz vorstellen möchte.

Frühe Berichte über China

Sinicae historiae decas prima res à gentis origine ad Christum natum in extremâ Asiâ (1658) von Martin Martini leitete seinerzeit einen Wandel in der europäischen Historiographie ein, denn die nach chinesischen Quellen mitgeteilten Einzelheiten ließen sich mit der in Europa bestehenden weltgeschichtlichen Konzeption nicht vereinbaren. Martinis Werk blieb bis zum Erscheinen von Maillas Histoire générale de la Chine die wichtigste europäische Informationsquelle über die frühe Geschichte Chinas.

Die Histoire générale de la Chine (1777) von Joseph Anne Marie de Moyriac de Mailla ist eine Folge von Übersetzungen in Auszügen aus dem Tongjian gangmu (ein Geschichtswerk aus dem 12. Jahrhundert), ergänzt durch andere Quellen für die neuere Zeit, und löste Martinis Werk über die Geschichte Chinas ab. Die Histoire blieb lange Zeit die umfangreichste Geschichte Chinas, die dem europäischen Publikum neue Einblicke in Geschichte und Historiographie des Landes vermittelte. Die Histoire ist in Gotha gleich zweimal vorhanden: einmal in der 13bändigen Ausgabe mit Supplementband, dafür ohne Kupferstiche und Karten, und einmal in der leider sehr schlecht erhaltenen 12bändigen Ausgabe, dafür mit Kupferstichen und Karten.

Auch das erste westliche "China-Handbuch" ist in Gotha vorhanden: De Sinarum magnaeque tartariae rebus commentatio alphabetica (um 1690) von Andreas Müller Greiffenhagen, ein Lexikon über China und die "Große Tartarei".

Ein weiterer Meilenstein in der europäischen China-Kunde ist China illustrata (1667) von Athanasius Kircher, von welchem auch die französische Übersetzung La Chine d'Athanase Kirchere (1670) in Gotha vorhanden ist. Das Werk ist eines der meistgelesenen China-Bücher der frühen Neuzeit und besticht durch die Fülle des verarbeiteten Materials und die zahlreichen hervorragenden Abbildungen.

Ein weiteres frühes China-Handbuch, das in Gotha zwar in der französischen Originalausgabe (1736) und in der deutschen Übersetzung (1747), allerdings jeweils nicht vollständig erhalten ist, ist die Description géographique, historique, chronologique, politique et physique de l'empire de la Chine et de la Tartarie Chinoise von Jean Baptiste Du Halde.

Auch Gottfried Wilhelm Leibniz interessierte sich für China und den Vergleich europäischer und chinesischer Kulturbereiche. Er hielt Europas Kenntnis von China für so wichtig, daß er selbst aus den Schriften von Jesuitenmissionaren einen Band mit Informationen über China zusammenstellte: Novissima Sinica historiam nostri temporis illustratura, von welchem in Gotha sowohl die erste (1697) als auch die zweite Ausgabe (1699) vorhanden sind.

Ein weiteres herausragendes Werk ist Nouvel atlas de la Chine (1737) von Jean-Baptiste Bourgouignon d'Anville, bis ins 19. Jahrhundert das kartographische Standardwerk über China.

Gesandtschaftsberichte über China

Neben den jesuitischen Werken, die den Großteil der frühen China-Kenntnisse in Europa vermittelten, gelangten Informationen über China durch Berichte von Gesandtschaften nach Europa. Auch hiervon sind sehr viele in den unterschiedlichsten Ausgaben in Gotha vorhanden.

Die Bibliothek besitzt beispielsweise die von Johan Nieuhof und Olfert Dapper verfassten Berichte über die ersten drei holländischen Gesandtschaftsreisen nach China (1655-57), wobei Nieuhofs Chinawerk bis heute eines der bedeutendsten und gesuchtesten ist, dessen Abbildungen und Karten von erheblichem Wert sind. Sie prägten das China-Bild der Zeit und wurden bis ins 18. Jahrhundert immer wieder nachgeschnitten und nachgedruckt: Die Gesandtschaft der Ost-Indischen Geselschaft in den vereinigten Niederländern an den Tartarischen Cham und nunmehr auch Sinischen Keiser. In Gotha sind sowohl die erste (1666) als auch die zweite Ausgabe (1669) vorhanden.

Zwei Berichte über eine russische Handelskarawane nach China (1692-94), die von Everard Ysbrant Ides und Adam Brand verfasst wurden, finden sich ebenfalls in Gotha.

Über eine weitere Gesandtschaftsreise, die 1792-94 von Lord Macartney im Auftrag des Königs von Großbritannien unternommen wurde, liegen neben dem offiziellen Bericht des Gesandtschaftssekretärs George Staunton mehrere Berichte von solch unterschiedlichen Teilnehmern der Reise wie John Barrow (Astronom und Mechaniker), Johann Christian Hüttner (Hauslehrer des Sohnes von Staunton) und Aeneas Anderson (Leibdiener Lord Macartneys) vor. Ein Vergleich dieser Berichte, die aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichem Zugang zu offiziellen Dokumenten u.ä. verfasst wurden, wäre sicherlich lohnenswert. Die Berichte liegen in Gotha in verschiedenen Ausgaben und verschiedenen Sprachen vor und bieten reiches Material für eine solche Untersuchung.

Auch von der Gesandtschaftsreise der holländisch-ostindischen Gesellschaft unter der Leitung von Andreas Everard van Braam Houckgeest in den Jahren 1794-95 sind Berichte erhalten, wobei der in Gotha vorhandene erste Band der zweibändigen französischsprachigen Ausgabe sehr selten ist. Diese Ausgabe wurde in Philadelphia (USA) gedruckt und nach Europa verschifft, wobei aber 500 Bände des ersten Bandes einem Raub durch Piraten zum Opfer fielen. Die deutsche Ausgabe ist in Gotha vollständig erhalten.

Die in Gotha vorhandenen Expeditionsberichte betreffen größtenteils Tibet. Hier gibt es zum einen die Berichte des Forschungsreisenden Wilhelm Filchner, zum anderen zahlreiche Schriften des schwedischen Asienforschers Sven Hedin.

Aber auch Schriften des Lehrers von Sven Hedin, Ferdinand von Richthofen, sind in Gotha vorhanden. Von Richthofen leitete die preußische Ostasienexpedition und unternahm von 1868-72 insgesamt sieben Forschungsreisen nach China. Er galt seinerzeit als maßgeblicher China-Experte und legte die chinakundliche Grundlage der deutschen Asienpolitik.

Anfänge der europäischen Sinologie

Schließlich sind auch einige Schriften der ersten Lehrstuhlinhaber europäischer Sinologien in Gotha vorhanden:

Auffällig viele Titel sind von Friedrich Hirth vorhanden, dem ersten Inhaber des neugegründeten Lehrstuhls für Chinesisch der Columbia-University in New York. Die Schriften tragen fast durchgehend den Vermerk "Geschenk des Verfassers". Dass Hirth ausgerechnet der Bibliothek in Gotha, die ja nie eine Universitätsbibliothek oder asienbezogene Bibliothek war, Exemplare seiner Werke schenkte, erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass er in Gräfentonna bei Gotha geboren wurde und deswegen eine besondere Verbindung zur Herzoglichen Bibliothek empfand.

Ähnlich auffallend sind die zahlreich vorhandenen Sonderdrucke von Aufsätzen des Sinologen Gustav Schlegel, der in Leiden tätig war.

Kurios ist im Zusammenhang mit den frühen Gelehrten der Sinologie vielleicht ein Streit zwischen Wilhelm Schott und Julius Klaproth, der sich anhand der Bestände in Gotha nachvollziehen läßt. Schott übersetzte als Erster die Werke des Kongzi (Konfuzius) ins Deutsche: Werke des tschinesischen Weisen Kung-Fu-Dsü und seiner Schüler (1826 und 1832). Klaproth zweifelte an der Richtigkeit der Übersetzung und veröffentlichte unter dem Pseudonym Wilhelm Lauterbach die Schrift Dr. Wilhelm Schotts vorgebliche Übersetzung der Werke des Confucius aus der Ursprache: eine litterarische Betrügerei (1828). Darauf erschien Schotts Replik Abfertigung der verläumderischen Insinuation eines angeblichen Wilhelm Lauterbach (1828).

Japan

Auch in Bezug auf Japan hat die Forschungsbibliothek Gotha einiges an Besonderheiten zu bieten.

Zu allererst wäre hier Nippon: Archiv zur Beschreibung von Japan (1832-1851) von Philipp Franz von Siebold zu nennen, einem deutschen Arzt, der ab 1826 sechs Jahre lang als Holländer getarnt in Japan lebte, praktizierte und forschte, also zu einer Zeit, als Japan sich gegen das Ausland streng abschloss und nur einige wenige Holländer ins Land ließ. Das Werk ist zwar nicht ganz vollständig erhalten, aber dennoch eine Rarität. Das Archiv ist noch heute eines der wichtigsten zeitgenössischen Darstellungen des Landes. Es wurden zwischen 1832 und 1851 unter der persönlichen Anleitung von Siebold in Leiden auf Subskription und in Lieferungen nur wenig mehr als 100 Exemplare hergestellt. Das Japan-Institut in Berlin unternahm 1928 unter der Leitung von Friedrich Max Trautz eine Faksimilierung des Werks, wozu das Gothaer Exemplar als Vorlage einen wesentlichen Beitrag leistete, da es im Vergleich zu anderen in Deutschland vorhandenen Exemplaren sehr viel vollständiger war. Das Faksimile ist leider nicht in Gotha vorhanden, wohl aber der stark gekürzte und verkleinerte Nachdruck des Originalwerkes, den Siebolds Söhne 1897 in zwei Bänden herausgaben.

Ein weiteres wichtiges, wenn auch nicht so rares japanbezogenes Werk in Gotha ist Engelbert Kämpfers weyl. D.M. und hochgräfl. lippischen Leibmedicus Geschichte und Beschreibung von Japan (1777-79). Kaempfer war der erste bedeutende europäische Japan-Forscher. Das auf seinen Reisen 1690-1692 in Japan gewonnene Japan-Bild blieb bis ins 19. Jahrhundert für Europa maßgebend. Das vorliegende Werk ist die bis heute grundlegende Ausgabe von Kaempfers Werk. Es wurde 1777-79 aus den Originalhandschriften des Verfassers von Christian Wilhelm Dohm herausgegeben. Auch die französische Übersetzung dieses Werkes ist in Gotha vorhanden, und zwar in der Originalausgabe von 1729 und in der kleinformatigen Ausgabe von 1732.

Als Letztes möchte ich aus dem japanbezogenen Bestand den Bericht einer Expedition der besonderen Art vorstellen. Japan hatte sich nach anfänglichem Handel mit dem Westen und Kontakt mit dem Christentum im 16. Jahrhundert nach der Vertreibung der Christen und dem Abbruch der Handelsbeziehungen über 200 Jahre lang in fast totaler Isolation abgeschlossen. 1853 erzwang eine amerikanische Expedition unter Commodore Matthew Calbraith Perry die Öffnung Japans und die Errichtung von Außenhandelshäfen. Der Bericht dieser Expedition, der aus den Notizen und Berichten Perrys und seiner Offiziere auf Anweisung des Kongresses der Vereinigten Staaten zusammengestellt wurde, ist ebenso in Gotha vorhanden wie die deutsche Übersetzung der Erinnerungen Perrys an diese folgenreiche Expeditionsreise. Außerdem ist der Bericht eines deutschen Mitreisenden dieser Expedition vorhanden: Reise um die Erde nach Japan an Bord der Expeditions-Escadre unter Commodore M. C. Perry (1856) von Wilhelm Heine.

An dieser Stelle möchte ich den landesbezogenen Blick auf den Bestand verlassen und einige andere Anmerkungen zum ostasienbezogenen Bestand der Forschungsbibliothek Gotha anschließen.

Sprache

Ein wichtiger Bereich des Bestandes ist der Bereich der Sprache. Wie aus der oben gegebenen Statistik ersichtlich, ist kaum originalsprachige Literatur vorhanden. Allerdings gibt es in Gotha einige erwähnenswerte Wörterbücher und Grammatiken, wenngleich gerade in diesem Bereich die Verluste des ursprünglichen Bestandes recht hoch sind.

Ein frühes Handbuch der chinesischen Sprache ist das Museum sinicum In quo Sinicae Linguae et Litteraturae ratio explicantur (1730) von Gottlieb Siegfried Bayer.

Das erste europäische Wörterbuch der chinesischen Sprache im eigentlichen Sinne und zugleich das umfangreichste Chinesisch-Lexikon seiner Zeit ist das Dictionnaire chinois, français et latin (1813). Diese publizistische Großunternehmung war nur dank der Unterstützung Napoleons möglich. Als Autor wird Joseph de Guignes genannt, aber eigentlich war er nur der Herausgeber des handschriftlichen Lexikons von Basilio Brollo (Basilio da Gemona). Die Initiative zum Druck dieses Wörterbuchs hingegen ging von dem Orientalisten Antonio Montucci aus, der jedoch wegen seiner Nationalität als Herausgeber für ein von Napoleon unterstütztes und in Paris gedrucktes Werk nicht in Frage kam. Deshalb wurde de Guignes der Jüngere für diese Funktion ausgewählt. Zu diesem Wörterbuch erschien 1819 ein Nachtragsband von Julius Klaproth in Paris. Auch dieser ist in Gotha vorhanden.

Das Wörterbuch blieb allerdings wegen seines großen Formates und auch wegen seines hohen Preises eine Kuriosität und wurde bald von dem sechsbändigen Wörterbuch des englischen Missionars Robert Morrison verdrängt, das 1815-1823 in Macao erschien: A dictionary of the chinese language in three parts, von welchem in Gotha leider nur ein Band erhalten ist.

Für das Japanische wären als eine der frühesten Grammatiken die Bearbeitung des Manuskripts einer japanischen Grammatik des Jesuiten-Paters Joao Rodriguez Girao von 1604 zu nennen, nämlich die Elémens de la grammaire japonaise (1825) von Ernest Augustin Xavier Clerc de Landresse.

Weitere Besonderheiten des Bestandes

Der Bestand hat zwei Erzeugnisse drucktechnischer Experimente aufzuweisen: den ersten Druck mit in Europa nachgefertigten japanischen Lettern und den ersten Druck mit mongolischen Typen im außerrussischen Europa.

1847 erklärte sich die Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei in Wien bereit, japanische Drucklettern herzustellen, um die von August Pfizmaier übersetzte japanische Erzählung Ukiyogata rokumai byôbu ("Sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt") von Ryûtei Tanehiko im Original drucken zu können. Dieses Werk erschien in einem Band in Original und Übersetzung. Im Vorwort heißt es, dies sei der erste japanische Druck außerhalb Japans.

Ein ähnliches Experiment war Mongolische Märchen: Erzählung aus der Sammlung Ardschi Bordschi, herausgegeben von Bernhard Jülg, in welchem der mongolische Originaltext mit der deutschen Übersetzung in einem Band vereinigt wird. Aus dem Vorwort geht hervor, dass die Idee, den Originaltext zusammen mit der Übersetzung zu veröffentlichen, zunächst am Mangel mongolischer Lettern zu scheitern drohte, da es außer in St. Petersburg und Kasan in Europa keine mongolische Druckerei gab. Doch der Leiter der Wagnerschen Universitätsbuchhandlung in Innsbruck erklärte sich 1867 bereit, mongolische Lettern herzustellen und ermöglichte so die Durchführung des Projektes.

Eine Besonderheit ganz anderer Art ist Description de l'ile de Formosa en Asie (1705) von George Psalmanazar. Psalmanazar war ein Hochstapler, dem es gelang, sich trotz seines blonden Haares in Europa als Formosaner auszugeben. Als solcher verfasste er jenes Werk über Formosa, in welchem er über die Geschichte, Geographie, Religion, die Sitten und Gebräuche und sogar über die Sprache schrieb, ohne jemals dort gewesen zu sein. Das Werk erregte Aufsehen und Interesse und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Psalmanazar unternahm auch eine Übersetzung des Katechismus ins Formosanische. In seinen postum erschienenen Memoiren gibt Psalmanazar seine Hochstapelei zu. 1926 wurde eine Übersetzung der Description ins Englische in der Reihe "The Library of Impostors" ("Bibliothek der Hochstapler") bei Holden in London mit einem ausführlichen Vorwort über Leben und Taten Psalmanazars herausgegeben.

Die oben in der gebotenen Kürze vorgestellten einzelnen Werke des ostasienbezogenen Bestandes der Forschungsbibliothek Gotha machen natürlich nur einen kleinen Teil aus und stellen keinesfalls alle herausragenden Werke des Bestandes dar. Die Forschungsbibliothek Gotha ist eine Schatztruhe für historisch arbeitende Ostasienwissenschaftler, und eine stärkere Nutzung des Bestandes wäre wünschenswert. Der Katalog und dieser Bericht mögen dazu beitragen, dass die Erschließung, Bekanntmachung und Nutzung des ostasienbezogenen Bestandes der Forschungsbibliothek Gotha weiter voranschreitet.

Forschungsbereiche

Abschließend möchte ich stichwortartig einige Forschungsbereiche nennen, welche mit dem ostasienbezogenen Bestand der Forschungsbibliothek Gotha bearbeitet werden könnten.

Bei Überlegungen zu Forschungsvorhaben in Gotha muss außerdem berücksichtigt werden, dass ein ostasienbezogener Informationsapparat und moderne Standardwerke nicht vorhanden sind. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass Forscher in Gotha wertvolle Quellenarbeit zur Erforschung der Geschichte Ostasiens leisten können.

Literaturverzeichnis

August Pfizmaier (1808-1887) und seine Bedeutung für die Ostasienwissenschaften. Otto Ladstätter, Sepp Linhart (Hrsg.). Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1990. (Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens ; 3)

Clavis Sinica : zur Geschichte der Chinawissenschaften. Materialien für die 8. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Chinastudien (DVCS), 24.-26.10.1997 in Berlin. Bochum: Ruhr-Universität, 1997.

Haberland, Detlef. Von Lemgo nach Japan : das ungewöhnliche Leben des Engelbert Kaempfer 1651 bis 1716. Bielefeld: Westfalen Verlag, 1990.

Mungello, David E. Curious land : jesuit accommodation and the origins of sinology. Wiesbaden [u.a.]: Steiner, 1985. (Studia Leibnitiana Supplementa ; 25)

Walravens, Hartmut. China illustrata : das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhunderts. Weinheim: Acta Humaniora, VCH, 1987. (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek ; 55) [Ausstellung im Zeughaus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 21. März bis 23. August 1987]

Adressen:
Universität Erfurt, Lehrstuhl für Ostasiatische Geschichte, PSF 307, 99006 Erfurt. Tel.: (03 61) 7 37–44 30, Fax: (03 61) 7 37–44 39, E-Mail Sekretariat: Monika.Leetz@uni-erfurt.de, Homepage: www.uni-erfurt.de/ostasiatische_geschichte/index.htm, Forschungsbibliothek Gotha, Postfach 10 01 30, 99851 Gotha, Besuchsadresse: Schloß Friedenstein, 99867 Gotha, Tel.: (0 36 21) 30 80-0, Fax: (0 36 21) 30 80 38, Öffnungszeiten: Mo 13 – 17 Uhr, Di – Do 9 – 17 Uhr, Fr 11 – 19 Uhr

 

1 Baudier, Michel: Denckwürdige Beschreibung des Königreichs China in welcher enthalten ein Bericht von ihren Sitten und Gewohnheiten, ihrer Religion und Abgötterey, desgleichen von den Ordnunge sowol am Königlichen Hof als auch bei andern Gerichten, daraus zu sehen was die Sineser für kluge Leute sind. Eisenach: Thilo, 1679. Dieses Werk ist Teil des ostasienbezogenen Bestandes der Forschungsbibliothek Gotha, von welchem im Folgenden die Rede ist.

2 Die Quellen, aus welchen im Folgenden referiert wird, werden im Literaturverzeichnis genannt.

3 Manche Titel behandeln nicht nur eines, sondern mehrere dieser Länder. Daraus ergibt sich die Gesamtsumme von mehr als 100%.


Stand: 26.01.2000
Seitenanfang