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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 98

Auf SIERA ist immer Verlaß?


Ein Erfahrungsbericht

Norma Müller, Simone Osswald, Alexandra Piper, Kirsten Trautwein

Ausgelöst durch eine Besprechung von Mitgliedern der SIERA-AG der SISIS-Anwendergruppe Baden-Württemberg über das Update SIERA V2.1 A40 (Auslieferung Ende 1997), soll hier ein kritischer Erfahrungsbericht über den Einsatz des Erwerbungsmoduls SIERA (SE-Version 2.1 A00 bis A40) abgegeben werden.

Die Erfahrungen mit SIERA wurden zwar in unterschiedlichen Bibliothekstypen verschiedener Bestandsgröße und unterschiedlichen Schwerpunkten gemacht, die Quintessenz ist jedoch einheitlich.

Es gibt mehrere Bereiche, in denen Schwierigkeiten auftreten:

1. Programmfehler

Hierbei handelt es sich um Funktionen, die im Leistungsumfang vorgesehen sind, jedoch fehlerhaft programmiert wurden. Einige Beispiele:

Gutschriften (deren Verbuchung lange Zeit problematisch war), können jetzt erfaßt werden, werden aber unter Umständen im falschen Haushaltsjahr gebucht. Das Thema Gutschriften beschäftigt uns seit 1996.

Bei Aufruf desselben Lieferanten von mehreren Arbeitsplätzen aus kommt es zu Bildschirmhängern. Dieser Fehler ist seit 1996 bekannt.

Bei Lieferanten-Umbestellung bzw. Duplikatbestellung werden im generierten Katalogdatensatz eines Bandes beide Lieferanten eingetragen. Seit 1996 gemeldet.

Es treten Ungereimtheiten in der Haushaltsübersicht auf, z.B. unerklärliche Negativ-Beträge bei offenen Bestellungen oder unrealistische Umsatzzahlen bei Lieferanten. In der aktuellen HÜL (Haushaltsüberwachungsliste) werden Buchungen, die auf alte Haushaltstitel erfolgten, mitgerechnet. Beschäftigt uns seit Anfang 1997.

2. Konzeptionsfehler

Diese Fehler haben gravierende Auswirkungen für den Anwender, da Funktionen gar nicht oder unbrauchbar umgesetzt sind, z.B.:

Bei Fortsetzungsbestellungen (Zeitschriften, Fortsetzungswerke) kann die Exemplarzahl aus datenbanktechnischen Gründen nicht erhöht und bei Zeitschriften auch nicht reduziert werden (in der ONL-Version behoben).

Die Lieferantenübersicht, in der alle Rechnungsdaten eines Lieferanten angezeigt werden, ist sehr unübersichtlich und bietet keinerlei Suchmöglichkeiten (in der ONL-Version behoben). Bei Aufruf der Funktion werden alle Rechnungen eines Lieferanten mit allen Einzelposten angezeigt, die seit dem ersten Tag erfaßt wurden. Durch die ständig wachsende Datenmenge ist diese Funktion ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr anwendbar. Bei einer Anwenderbibliothek dauert der Aufruf des Hauptlieferanten mehrere Minuten (Korrektur wurde einem Anwender für A40 zugesagt).

Alte, erledigte Bestellsätze von Monographien und zum Teil auch Zeitschriften können in einem Löschlauf bereinigt werden, jedoch nicht die Bestellsätze der Bände aus Fortsetzungsbestellungen (Loseblattwerke, Schriftenreihen). Dadurch können auch die dazugehörigen Katalogdaten nie gelöscht werden und werden im OPAC mit angezeigt: Das ist besonders ärgerlich bei den Ergänzungslieferungen.

Der Zeitschriften-Kardex, in dem die Hefteingänge verzeichnet werden, kann im Katalogmodul SIKIS am Auskunftsplatz nicht aufgerufen werden.

Die Erstellung und Bearbeitung von Zeitschriftenumläufen ist rudimentär. Es können keine Umläufe kopiert und anschließend abgeändert werden. Auch das Einfügen von Umlaufteilnehmern ist nicht möglich, man muß die Umläufe neu aufbauen. Es ist nicht möglich zu recherchieren, in welchen Umläufen ein Mitarbeiter eingetragen ist.

Grundlegende Dinge wie z.B. die korrekte alphabetische Sortierung der Lieferantenliste (d.h. keine Differenzierung von Groß/Kleinschreibung, Auflösung von Umlauten statt Sortierung nach z) oder die freie Briefgestaltung bei Bestellungen und anderen Benachrichtigungen.

3. Fehlerbehandlung

Das erste Problem bei der Fehlerbehandlung ist die Bewertung des Fehlers. Oft ist das, was der Anwender als Fehler betrachtet, aus Sicht des Herstellers ein Änderungswunsch, da die Funktion im Programmkonzept nicht vorgesehen war (s. Punkt 2.). Diese Einstufung als Änderungswunsch (Change Request) bewirkte bisher in der SE-Version eine nachrangige bis Nicht-Behandlung der Änderung. Zum Teil werden diese Change Requests, die der Sisis GmbH seit langem vorliegen und von Anwenderseite dringend gefordert werden, auch nicht in der Konzeption der zukünftigen Version SIERA-ONL berücksichtigt, es werden die alten Konzeptionsfehler übernommen.

Die Programmfehler (s. Punkt 1.) werden wiederum in vier Prioritätsstufen eingeteilt. Hier gibt es oft Unstimmigkeiten zwischen dem Anwender und der Fa. Sisis GmbH, mit welcher Dringlichkeit ein Fehler behandelt werden muß. Vom Erkennen und Melden eines Fehlers bis zur endgültigen Bereinigung können Jahre vergehen - allerdings unabhängig von der Priorität. Dafür kommt es vor, daß bereits korrigierte Fehler in einem späteren Update wieder auftauchen.

Auch Zusagen zur Verbesserung und Beschleunigung des Fehlermeldeverfahrens nach Gründung der Sisis GmbH Anfang 1997 konnten nicht gehalten werden. Der neue Fehlermeldeweg über Internet oder Fax-Nachricht beschleunigt zwar den Versand der Fehlermeldung an die Sisis GmbH, aber auf Stellungnahmen oder Rückmeldungen der Firma muß der Anwender teilweise mehrere Monate warten.

Die Verfahrensweise bei Fehlerbewertung und -behandlung entspricht nicht den Vorstellungen, die man als Anwender hat, der für Programmpflege und -wartung bezahlt.

SIERA ist sicher das komplexeste Modul des Bibliothekssystems SISIS und benötigt entsprechenden Personaleinsatz, doch als Kunden haben wir den Eindruck, daß nicht genügend Ansprechpartner mit umfassendem Wissen zur Verfügung stehen.

Schon beim Einrichten des Systems mangelt es an fachkundiger Beratung, und die Schwierigkeiten sind vorprogrammiert.

4. Produktpolitik

Sowohl bezogen auf das ganze Produkt SIERA, als auch auf einzelne Funktionen sind die Aussagen nicht unbedingt verläßlich. Das Gesamtpaket SISIS-SE hat den Stand Version 4.0, SIERA-SE ist mit Version 2.1 im Hintertreffen. Lange Zeit wurde uns eine SIERA-SE Version 3.0 bzw. 4.0 zugesagt, dann statt der Version 4.0 gleich Version 5.0 mit der bisherigen Informix-SE-Datenbank.

Seit diesem Jahr wissen wir, daß es die SISIS Version 5.0 nur in der Informix-ONL-Variante geben wird. Der Umstieg für alle SISIS-Module würde trotz Pflegevertrag DM 10.000,- bis 20.000,- kosten. Die über Jahre angefallenen, fehlerhaften Datensätze und Datenbankprobleme schleppt man mit in die ONL-Version. In der SE-Version sollen nur noch die echten Fehler korrigiert werden, über deren Definition man bekanntlich streiten kann (s. Punkt 3.).

Ein besonderes Ärgernis in einem Teilbereich von SIERA sei hier erwähnt:

Bei der Einführung 1995 wurde einem Anwender geraten, Loseblattsammlungen als Fortsetzungswerk und nicht als Zeitschrift zu erfassen, da in diesem Bereich eine Neukonzeption geplant sei. Diese Neukonzeption gab es nie. Heute soll man Loseblattwerke als Zeitschriftenbestellung anlegen - ein Konvertierungsprogramm wird nicht angeboten. Es müßten im konkreten Fall 500 Bestellungen storniert und neu erfaßt werden.

Da der Druck der Zeitschriften-Umlaufzettel nicht gestaltbar war, hat eine Bibliothek 1995 für DM 4.200,- eine Umprogrammierung in Auftrag gegeben. Mit dem Update SIERA V2.1 A35 wurde diese -Änderung 1997 an alle Anwender vertrieben. Ein Dankschreiben der Firma für die Sonderfinanzierung der Programmpflege ging allerdings nicht ein.

Fazit

Verglichen mit den anderen Programmodulen SIAS (Ausleihe), SIKIS (Katalog) und OPAC (Benutzerterminal), die uns die tägliche Arbeit erleichtern, ist SIERA nicht ausgereift und birgt viele Fehlerquellen.

Vor allem die fehlerhafte Haushaltsabwicklung über Jahre verhindert in diesem Bereich einen echten Rationalisierungseffekt, da die Überwachung und Abrechnung des Medienetats an anderer Stelle stattfinden muß. Ebenso aufwendig und problematisch ist der Bereich Fortsetzungsverwaltung, der von vielen SIERA-Anwendern gemieden und lieber konventionell bearbeitet wird.

Insgesamt kann man sagen, daß die Fehlersuche und -dokumentation, sowie das Verwalten von Notizen und Listen zu Problem- und Sonderfällen bei SIERA einen unzumutbaren Zeitaufwand bedeutet.

Gerade, weil es sehr wenige Erwerbungsmodule auf dem Markt gibt, sollte es auch im Interesse der Sisis GmbH liegen, diese Marktlücke zu füllen. Zufriedene SIERA-Anwender sind die beste Werbung!


Stand: 09.11.98
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