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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 98

Der Bibliotheks-Goliat Aleph 500 im Kampf gegen BIS-LOK, den bibliothekarischen David

Verena Droste, Wolfgang Paulus, Karin Weishaupt

1. Ereignisse um BIS-LOK im letzten Jahr

Für die BIS-LOK-User-Group war das vergangene Jahr recht turbulent, da mit dem Konkurs von Firma DABIS im Juni 1997 die Zukunft von BIS-LOK in Frage gestellt schien (siehe dazu: Paulus, Wolfgang / Weishaupt, Karin: Das verflixte 7. Jahr oder die Reise nach Jerusalem der BIS-LOK-User-Group. In: BIBLIOTHEKSDIENST 31 (1997), S. 2165-2175). Auf der 7. BIS-LOK-Tagung am 29./30.9.1997 in Gelsenkirchen wurde zwar das neue Produkt der Nachfolge-Firma ExL Aleph 500 vorgestellt, aber dieses war zu diesem Zeitpunkt noch nicht an die Bedürfnisse des deutschen Marktes fertig angepaßt und erschien aus mannigfaltigen Gründen nicht gleich als die Lösung aller offenen Fragen.

Daher ging es in diesem Jahr nicht weniger turbulent weiter. Am 5./6. März 1998 traf sich ein großer Teil der User-Group auf Einladung der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars St. German in Speyer; und das neunte Treffen folgte am 29./30. September 1998 im Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen.

Die Tagung in Speyer war eher eine Anti-BIS-LOK-Tagung, da dort gar nicht über die beiden Produkte der Firma Ex Libris (Deutschland) GmbH, wie ExL inzwischen heißt, diskutiert wurde, sondern sechs andere Firmen die Gelegenheit hatten, ihre Produkte als Alternativen zu BIS-LOK und Aleph vorzustellen.

Das Treffen in Gelsenkirchen versuchte die verschiedenen Linien wieder zusammenzuführen. Der erste Tag war der Präsentation der neuen Version BIS-LOK 4.0 und der inzwischen fertiggestellten deutschen Version von Aleph 500 gewidmet. Am zweiten Tag berichtete ein Kollege aus der Fraunhofer-Gesellschaft, wo z. Zt. ein Ablösesystem für TINlib gesucht wird, über die dortigen Aktivitäten, und Mitglieder der BIS-LOK-User-Group schlossen sich mit Berichten über ihre Erfahrungen mit Alternativ-Produkten an.

2. Allgemeine Erkenntnisse

Aus all diesen Aktivitäten lassen sich einige allgemeine Erkenntnisse ableiten:

Der Umstieg von einem Bibliothekssystem auf ein anderes ist noch wesentlich schwieriger als der erstmalige Einstieg in die Bibliotheksautomatisierung. Das liegt nicht nur an der Problematik der Datenübernahme und der Umstiegsstrategie, sondern auch an den gestiegenen Ansprüchen, da man sich bei einem Wechsel verbessern möchte und daher Mängel des neuen Systems nur schwer akzeptiert, erst recht in Bereichen, in denen das alte System gut funktionierte.

Der Markt der Bibliothekssoftware befindet sich z. Zt. in einer Umbruchsituation, da einige der verbreitetsten Systeme nicht mehr den Anforderungen an moderne Software entsprechen. Offenbar stellt diese Situation aber nicht nur eine Chance dar, sondern bewirkt auch eine allgemeine Verunsicherung, und viele Bibliotheken tun sich mit der Entscheidung für ein Ablösesystem recht schwer.

Wer ein System sucht, das hardware-unabhängig und unter verschiedenen Betriebssystemen läuft, hat inzwischen diverse Möglichkeiten; die Zeiten, in denen es in dieser Hinsicht keine rechte Alternative zu BIS-LOK gab, sind endgültig vorbei.

BIS-LOK ist zwar inzwischen technologisch überholt; aber gerade der Vergleich mit anderen Systemen zeigt, daß das System bibliothekarisch gut ist, sogar so gut, daß es von anderen Systemen kaum erreicht wird. Die Einschätzung von BIS-LOK ist bei vielen Anwendern im Laufe des letzten Jahres deutlich positiver geworden als vorher.

Die diversen Alternativ-Produkte bestechen zwar durch ihre moderne Oberfläche und die neuen Möglichkeiten, die die Windows-Technologie mit sich bringt, vor allem in Hinblick auf Export- und Import-Schnittstellen; aber keines ist so, daß sich nach einer Präsentation alle freudig darauf stürzen würden.

Auch auf andere Anbieter haben die Wünsche der potentiellen Kunden Einfluß. Bei mindestens zwei Produkten ist bereits eine Weiterentwicklung auf der Basis der von den BIS-LOK-Anwendern geäußerten Kritik zu verzeichnen.

Bibliotheks-Software hat zwar nur einen relativ kleinen Markt und ist damit recht teuer; doch gab es bereits drastische Preissenkungen oder Sonderangebote für den Umstieg. Wenn also das erste Angebot einer Firma wegen des zu hohen Preises auszuscheiden scheint, muß darüber noch längst nicht das letzte Wort gesprochen sein.

3. Die verschiedenen Produkte

Aus den Berichten der BIS-LOK-Anwender wurde deutlich, das es im Wesentlichen sechs Möglichkeiten für die Weiterarbeit gibt. Es gab zwar auf beiden Tagungen noch Ausstellungsstände und Präsentationen weiterer Firmen, aber diese Produkte spielten in den Diskussionen praktisch keine Rolle.

3.1 SunRise von SISIS

Eine der bestehenden Möglichkeiten konnte noch nicht recht geprüft werden, da es Firma SISIS abgelehnt hatte, an einer der beiden BIS-LOK-Tagungen des Jahres 1998 teilzunehmen und ihr neues Produkt SunRise vorzustellen. Es sind statt dessen drei Präsentationen speziell für BIS-LOK-Anwender in Gelsenkirchen, Berlin und München angesetzt, bei denen mehr Zeit zur Verfügung steht, sich mit dem System vertraut zu machen, als es nebenbei auf einer Tagung mit ausgefülltem Programm möglich wäre. Die neuen Oberflächen sind zwar leider noch nicht für alle Module fertiggestellt, doch macht das technologische Konzept den Eindruck, gut durchdacht und zukunftsträchtig zu sein.

Da das System unter UNIX läuft, ist es für Anwender eines Einplatzsystems wohl weniger interessant; wer sich aber mit der vorausgesetzten Hardware und dem zugehörigen Betriebssystem anfreunden kann, findet ein Produkt vor, das auf langjähriger bibliothekarischer Erfahrung basiert, und eine Firma mit einem großen Kundenstamm. Für den Einsatz von SunRise muß man nicht auf die Fertigstellung aller Module warten, sondern kann im Mischbetrieb die neuen und alten Produkte der Firma einsetzen.

3.2 Aleph 500 von Ex Libris

Eine weitere Möglichkeit ist der Umstieg auf das Ex Libris-Produkt Aleph 500, für das die Firma allen BIS-LOK-Anwendern sehr günstige Umstiegskonditionen bietet, sofern noch 1998 zumindest eine Absichtserklärung abgegeben wird, das System mittelfristig einzuführen. Trotzdem waren die Reaktionen eher verhalten. Die Ausrichtung auf Verbundsysteme bringt nicht nur einen enormen Funktionsumfang mit sich, sondern auch eine gewisse Unhandlichkeit des Systems. Wie die Arbeitsabläufe einer kleinen Bibliothek, wo der gesamte Buchgeschäftsgang in einer Hand liegt, sinnvoll darin abgebildet werden können, blieb unklar. Außerdem wurde festgestellt, das auch für einen "geschenkten Mercedes" sehr wohl die Unterhaltungskosten zu berücksichtigen sind. Schon die Pflegegebühren liegen deutlich über denen der anderen Produkte.

Für Aleph 500 hat Ex Libris in der letzten Zeit einige große Aufträge bekommen. Der Verbund der wissenschaftlichen Bibliotheken in Berlin hat sich für dieses System entschieden, und an der Humboldt-Universität wird es ab Mitte 1999 auch als Lokalsystem eingesetzt. "Aleph erklimmt die Alpen" wurde stolz nach dem Abschluß eines Vertrages mit einem Verbund großer Bibliotheken in der Schweiz verkündet, und in Österreich hatte Aleph zu diesem Zeitpunkt schon eine gewisse Höhe erreicht.

Ob diese Erfolge aber gerade für kleinere Bibliotheken die Motivation zum Umstieg erhöhen, sei dahingestellt. Auch der Riese Goliat verlor den Kampf gegen den wendigen kleinen David. Sollte sich eine kleine Bibliothek wirklich auf solch einen Riesen einlassen?

"Eigentlich verblüffend: da bietet ExL die 'kostenlose' Migration von BIS-LOK nach Aleph an - und keiner will sie haben!" So steht es im Web-Server der Fraunhofer-Gesellschaft (http://www.irb.fhg.de/online/info/eval.htm). Ob wirklich keiner diese Entscheidung trifft, sei dahingestellt, eine Mehrheitsentscheidung wird aber sicherlich nicht in diese Richtung getroffen.

3.3 Libero von Lib-it

Das Produkt Libero der Firma Lib-it, der dritte Kandidat, hatte auf der Tagung in Speyer viel Anklang gefunden und war daher von mehreren Mitgliedern der BIS-LOK-User-Group in den folgenden Monaten genauer geprüft worden. Der Preis ist eindeutig sehr günstig. Was nützt aber der beste Preis, wenn man kein rechtes Vertrauen zur Zukunft der Firma hat? Diese ist im Wesentlichen abhängig von der Person der Geschäftsführerin, hat nur einen minimalen Personalstand und in Deutschland bisher sehr wenige Kunden. Eine gewisse Unsicherheit wurde noch dadurch bestärkt, daß mehrfach berichtet wurde, Anfragen seien entweder gar nicht oder erst nach unverhältnismäßig langer Zeit beantwortet worden. Was bedeutet das für den Support, wenn man sich für das System entschieden hat?

Dieses wurde als interessant und recht pfiffig beurteilt, weist aber auch Schwächen auf. Die Katalogisierung ist unkomfortabel und nur von gut geschultem Fachpersonal zu bedienen, und auch der OPAC läßt zu wünschen übrig. Insgesamt hatte sich der gute Eindruck von der Tagung in Speyer eher wieder verflüchtigt.

3.4 BibliothecaWinvon B.O.N.D.

BibliothecaWin, die vierte Variante, hatte in Speyer zumindest ebenso viel Anklang gefunden wie Libero. Bei genauerer Prüfung zeigte sich zunächst, daß das System wesentlich mehr auf Öffentliche als auf wissenschaftliche Bibliotheken zugeschnitten war. Das äußerte sich in Mängeln bei der Verwaltung von Körperschaften, Serien und unselbständiger Literatur. Dann kam die große Überraschung: die Firma hatte offenbar genau auf die bei den Präsentationen geäußerte Kritik gehört, die Diskussionen der BIS-LOK-User-Group im Internet mitverfolgt und die genannten Mängel beseitigt. B.O.N.D. war auf der Tagung in Gelsenkirchen mit einem Stand vertreten und konnte allen Interessierten eine verbesserte Version demonstrieren. Das läßt den Schluß zu, das die Firma bereit ist, auf Kundenwünsche einzugehen und über die notwendigen Kapazitäten dafür verfügt.

Etwas ungünstig ist noch die Lizenzpolitik: nicht gleichzeitige Zugriffe auf die Daten, sondern Installationen müssen bezahlt werden; das erhöht in den meisten Fällen die Zahl der benötigten Lizenzen und damit den Preis. Trotzdem liegt das System preislich noch im Mittelfeld. In einem Kommentar zur Gelsenkirchener Tagung wurde BibliothecaWin als heimlicher Star der Veranstaltung bezeichnet - eine Einschätzung, die durchaus realistisch sein dürfte.

3.5 BIS-C von DABIS

Die fünfte, sehr preisgünstige Alternative zu BIS-LOK ist BIS-C, das von DABIS, Wien, vertrieben wird. Das Umstiegsangebot besteht darin, daß Investitionskosten nur für neue Module - z.B. Zeitschriftenverwaltung und WWW-OPAC - anfallen und lediglich zur Bedingung gemacht wird, einen Pflegevertrag abzuschließen. Positiv anzurechnen ist der Firma, daß sie bereitwillig Testversionen zur Verfügung stellt, damit man sich mit dem System vertraut machen kann und nicht auf eine Präsentation angewiesen ist, bei der Unzulänglichkeiten immer irgendwie verschleiert werden. DABIS bietet ein Produkt in 32-Bit-Technologie mit grafischer Oberfläche (zumindest teilweise). BIS-C ist von seiner Funktionalität her im Wesentlichen identisch mit einer älteren Version von BIS-LOK, soll aber noch im Herbst 1998 um eine Zeitschriftenverwaltung und Kostenstellen in der Erwerbung erweitert werden. Ein konkreter Kritikpunkt an der Ausleihe, der sich in Tests von BIS-LOK-Anwendern ergeben hatte, war von Firma DABIS in kurzer Zeit bereinigt worden.

Wenn es eines Tages doch dazu kommt, daß BIS-LOK von Ex Libris nicht weiter gepflegt wird, stellt BIS-C eine Alternative für alle dar, die mit dem System zufrieden sind, nicht viel investieren wollen oder können und keinen großen Technologiesprung erwarten. Wer allerdings davon ausgeht, daß der Aufwand an Zeit und Energie bei einem Systemwechsel schwerer wiegt als die Investitionskosten und daher einen wirklichen Sprung nach vorn machen will, braucht sich mit BIS-C gar nicht erst zu beschäftigen.

3.6 BIS-LOK von Ex Libris

Die sechste Möglichkeit schließlich besteht darin, zunächst bei BIS-LOK zu bleiben. Während sonst üblicherweise eine Firma für ihr Produkt wirbt, hatte in diesem Falle umgekehrt die Anwendergruppe Ex Libris überzeugen können, daß ihr System gut ist und weitergepflegt werden muß. Während die Aussagen der Firma zur Zukunft von BIS-LOK in letzten Jahr eher zurückhaltend waren, wurde jetzt glaubhaft versichert, daß dieses Produkt weiterentwickelt wird, wenn auch nur moderat. Auf der Tagung in Gelsenkirchen wurden die neue Version 4.0 und der Web-OPAC von BIS-LOK in seiner ersten Fassung präsentiert, und die Version 5.0 ist in Planung. Der Übergang ins Jahr 2000 stellt nach Aussagen der Firma ab Version 3.0 kein Problem dar, so daß in dieser Hinsicht nur für diejenigen Handlungsbedarf besteht, die noch immer eine ältere Version einsetzen.

4. Ausblick

Fast alle Tagungsteilnehmer versicherten, ins nächste Jahr mit BIS-LOK gehen zu wollen; und ca. zwei Drittel waren sogar zu der Aussage bereit, auch für 1999 keinen Umstieg auf ein anderes System vorzusehen. Diese Zahlen sind sicherlich nicht repräsentativ für die gesamte BIS-LOK-User-Group. Diejenigen, die bereits auf ein anderes System umgestiegen sind oder zumindest ihre Wahl definitiv getroffen haben, haben sich bereits aus der Gruppe abgemeldet oder zumindest nicht an der Tagung teilgenommen, weil sie kein Interesse mehr an BIS-LOK haben. Allerdings ist die Zahl der "Abtrünnigen" offenbar noch nicht sehr hoch.

Liegt diese eher konservative Haltung an der Qualität von BIS-LOK? Oder liegt sie daran, daß die anderen Systeme nicht recht überzeugen? Sicherlich wird auch der Aufwand eines Umstiegs allgemein gescheut. Die Datenkonvertierung stellt ein Problem dar, dessen Ausmaß sich erst im Ernstfall zeigen wird; eine Zeit des Parallelbetriebs und die Einarbeitung in ein neues System werden in erheblichem Umfang personelle Ressourcen binden. Schließlich stellen auch die finanziellen Ressourcen ein Problem dar. Kaum eine Bibliothek verkraftet "ganz nebenbei" die mit einem Umstieg verbundenen Investitions-, Schulungs- und sonstigen Dienstleistungskosten.

Auf jeden Fall ist durch die Versicherung von Ex Libris, BIS-LOK werde weitergepflegt, etwas Ruhe eingekehrt. Die Firmenstrategie ist nachvollziehbar: Da Aleph auch nach Aussagen der Firma selbst für Bibliotheken mit weniger als zehn Arbeitsplätzen überdimensioniert ist und ein "Mini-Aleph" keine sinnvolle Entwicklung darstellt, braucht Ex Libris ein Produkt für kleinere Bibliotheken; und was sollte das anderes sein als BIS-LOK, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt? Die eigenen Kunden zu einem Umstieg zu drängen, den sie gar nicht wollen, kann keine akzeptable Strategie sein; daher ist eine Weiterentwicklung unumgänglich. Sie wird erst dann eingestellt, wenn sie nicht mehr wirtschaftlich ist. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, haben die BIS-LOK-Anwender selbst in der Hand.

Es wird noch ein zehntes Treffen der BIS-LOK-User-Group im September 1999 geben, voraussichtlich wieder im Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen; aber auch die Firma bot an, zu dieser Tagung nach Hamburg einzuladen.

In der Zwischenzeit werden Informationen, die für die BIS-LOK-User-Group relevant sind, auf dem WWW-Server des Instituts Arbeit und Technik zur Verfügung gestellt. Sie können unter der Adresse http://iat-info.iatge.de/sik/forsch/fo_blum.htmlabgerufen und durch eigene Beiträge ergänzt werden. Unter dieser Adresse sind auch die ausführlichen Protokolle der BIS-LOK-Tagungen zu finden.

David hatte zwar seinen Kampf gegen Goliat gewonnen, aber im Laufe der Zeit machten ihm genug andere Feinde das Leben schwer. Es wird sich zeigen, wie lange der Bibliotheks-David BIS-LOK noch siegt und welchem Feind er letztendlich unterliegt.


Stand: 09.11.98
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