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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 8, 98

Das Schauspielhaus Düsseldorf 1904-1933


Erschließung eines Nachlasses

Sigrid Arnold, Michael Matzigkeit

Von 1991 bis 1995 wurde mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Erschließung des Nachlasses Schauspielhaus Düsseldorf - Louise Dumont und Gustav Lindemann innerhalb des Programms zur "Katalogisierung abendländischer Handschriften und Nachlässe" durchgeführt. Mit dem Arbeitsergebnis lag nach über sechzig Jahren eine erstmals wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Zugangsmöglichkeit zu dem handschriftlichen Bestand vor, den der ehemalige Generalintendant Gustav Lindemann 1947 mit anderen wertvollen Theaterarchivalien der Stadt Düsseldorf in Form einer Stiftung überlassen hatte.

Durch die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung und die Bereitstellung einer Vollzeitstelle für eine Arbeitskraft des wissenschaftlichen Bibliothekswesens konnte die Erschließung eines so umfangreichen Nachlasses in einem überschaubaren Zeitraum erfolgreich abgeschlossen werden.

Der Nachlaß Schauspielhaus Düsseldorf (1904-1933)

Das Bild vom "Schauspielhaus Düsseldorf", das 1904 von Louise Dumont und Gustav Lindemann unter Beteiligung rheinischer Industrieller als privates Theater gegründet wurde und 1933 nach einem erfolglosen Fusionsversuch mit dem Schauspielhaus in Köln als "Deutsches Theater am Rhein" die Pforten schließen mußte, ist bis heute weitgehend durch Äußerungen der beteiligten Akteure bestimmt. "Musterbühne" - in (selbst-)bewußter Anspielung auf das Düsseldorfer Theater unter Karl Leberecht Immermann - , "Vorbühne des Westens" oder "Reformtheater" sind die wertenden, immer noch gerne benutzten Begriffe, die der Ära Dumont-Lindemann einen fast mythischen Zug verleihen.

Wie sich nachweisen ließe, befand sich das Schauspielhaus Düsseldorf tatsächlich in mancherlei Hinsicht in einer vorderen, gelegentlich auch führenden Position und hat die Entwicklung des deutschen Theaters im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts mitgeprägt. Dabei hat die privatrechtliche Gesellschaftsform dieser Bühne manche Handlungsräume erschlossen, die einem kommunalen Theater verwehrt blieben.

Nach wie vor ist der Nachlaß "Schauspielhaus Düsseldorf" der Kern- und Hauptbestand des 1947 in städtische Hand übergegangenen Dumont-Lindemann-Archivs, obwohl sich in den vergangenen 50 Jahren seines Bestehens die Sammlungsbereiche ständig erweitert und sich der Sammel- und Dokumentationsschwerpunkt auf das lokale und regionale Theatergeschehen ohne zeitliche Begrenzung in Vergangenheit und Gegenwart erweitert hat. Bis heute liegt jedoch keine wissenschaftliche Arbeit vor, die dem Gesamtphänomen "Schauspielhaus" in umfassender Weise gerecht würde. Angesichts der immensen Fülle der schriftlichen Dokumente, der Szenenfotos, Bühnenbild- und Kostümentwürfe, Rollenbücher, Theaterzettel oder Presseausschnitte aus dem 28jährigen Bestehen dieser Bühne, wurde manches Vorhaben - auch in Teilbereichen - erst gar nicht ausgeführt.

Aber nicht nur die Quantität des vorhandenen Materials war dafür verantwortlich. Auch Auslagerungen und Umzüge, bei denen der Nachlaß immer nur provisorisch, unter archivalischen wie konservatorischen Gesichtspunkten höchst unzureichend aufbewahrt wurde, haben die gewachsene Ordnung des Nachlasses der Körperschaft "Schauspielhaus" mehrfach verändert.

Ein systematischer Zugang war bisher auch deshalb nicht möglich, weil nur unzureichende Erschließungsmittel vorhanden waren. Für den Handschriftenbereich z. B. existierte bis zum jetzt vorliegenden Findbuch der Korrespondenzen und Personalakten ein grob strukturiertes Verzeichnis der sogenannten Doppelordner, in dem eine Zusammenstellung der "wertvollen" Bestände verzeichnet wurde. Die wertende Zusammenstellung erfolgte nach 1945 auf Wunsch und unter Anleitung von Gustav Lindemann. Zweifellos wurden so qualitativ hochwertige Autographen von "Adenauer bis Zuckmayer" zusammengetragen. Der selektive Blick des Archivgründers verhinderte aber allein dadurch, daß bei dieser Auswahlpraxis ganze Bereiche der alltäglichen Arbeit des Schauspielhauses nicht für würdig befunden wurden, in das Verzeichnis aufgenommen zu werden, daß damit ca. 80 % des gesamten handschriftlichen Bestandes für die Forschung nicht zur Verfügung standen und eine Analyse des Schauspielhauses als funktionierendem Organismus auch nicht möglich wurde.

Die Aufgabe des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen 1991 und 1995 geförderten Erschließungs- und Katalogisierungsprojekts bestand nun darin, eine neue, das gesamte handschriftliche Material einschließende Ordnung für die Körperschaft "Schauspielhaus" zu finden, die der ursprünglichen Überlieferung möglichst nahekam und trotzdem sinnvolle Vereinheitlichungen und Vereinfachungen beinhaltete. Aus der Rückschau auf die zurückliegende Arbeit ist es heute selbstverständlich, daß diese Ordnungsstruktur bei einem so umfangreichen Nachlaß einer Körperschaft sich über Jahre entwickelte und immer wieder angepaßt werden mußte, um den tatsächlichen Gegebenheiten des Schauspielhauses zu entsprechen.

Der Wert des vorliegenden Findbuches liegt vor allem darin, durch die Rekonstruktion des Bestandes mit jetzt ca. 64.700 einzelnen Briefen, Postkarten, Telegrammen auf der Basis des alten Aktenplans den Nachlaß so strukturiert zu haben, daß der innere Aufbau der Körperschaft "Schauspielhaus" mit Direktion, Verwaltung, dem künstlerischen und technischen Bereich usw. in ihrer Funktionsweise wieder transparent wird und so Forschungsvorhaben gezielt und materialerschöpfend vorgenommen werden können. Gute Aussichten also für die Objektivierung des Mythos "Schauspielhaus Düsseldorf".

Das Findbuch

Die Bereitstellung von Finanzmitteln durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft war mit der Auflage verbunden, die Erschließung und vor allem die Katalogisierung der Handschriften mittels EDV gemäß den von der DFG aufgestellten Richtlinien zum "Einsatz der Datenverarbeitung bei der Erschließung von Nachlässen und Autographen" (dbi-materialien ; 108) durchzuführen. Nach Abschluß der Arbeiten sollte ein gedrucktes Findbuch vorgelegt und die aufbereiteten Daten an die Zentraldatei der Autographen an der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz übermittelt werden, um die Bekanntmachung der Zugänglichkeit des Quellenmaterials zu gewährleisten.

Für uns standen 1991 zwei Software-Programme zur Auswahl, die die technischen und inhaltlichen Anforderungen der o. g. Richtlinien berücksichtigten: das Datenbankprogramm HANS (Handschriften, Autographen, Nachlässe und Sondermaterialien), das an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg unter Allegro-C entwickelt worden war, und TUSTEP (Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen).

Wir entschieden uns wegen seiner bereits zum damaligen Zeitpunkt ausgereiften und erprobten Strukturen für TUSTEP. Ein weiterer Grund war, daß uns dieses Progamm durch Vermittlung der DFG kostenlos überlassen wurde, die seine Entwicklung bereits früher gefördert hatte. TUSTEP läuft unter diversen Betriebssystemen und kann den eigenen Arbeitsbedürfnissen individuell angepaßt werden. Programmdateien und Makros übernehmen Funktionen und Routinen wie Vergleichen, Sortieren, Register erstellen und auch die Aufbereitung zum Druck. Mit Editormakros lassen sich immer wieder benötigte Textteile (bei uns war es das vorher zusammengestellte Kategorienschema) beliebig oft aufrufen, um die fehlerträchtige Schreibarbeit so gering wie möglich zu halten. Mit einer minimalen EDV-Ausstattung konnten wir TUSTEP auf einem PC unter DOS installieren. Seit November 1997 läuft es auch unter Windows NT.

In Dr. Friedrich Seck, Bibliotheksdirektor an der Universitätsbibliothek Tübingen, fanden wir - auf Grund seiner eigenen Programmiererfahrung mit TUSTEP bei der Bearbeitung von literarischen Nachlässen - kompetente und immer hilfsbereite Unterstützung.

Prof. Dr. Wilhelm Ott, Leiter der Abteilung literarische und dokumentarische Datenverarbeitung am Zentrum für Datenverarbeitung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, ist Ansprechpartner für die Lizenzvergabe von TUSTEP sowie für Schulungen.

In dem vorliegenden Findbuch ist der handschriftliche Teil des Nachlasses erfaßt. Die Korrespondenzen wurden ihrem Inhalt nach in Sachgruppen geordnet und entsprechend abgelegt. Das Inhaltsverzeichnis und der Hauptteil des Findbuchs spiegeln diese Ordnung wider. Wer sich einen Überblick z. B. über die Korrespondenzen der Abteilung Dramaturgie des Schauspielhauses verschaffen möchte, wird das Kapitel V, Korrespondenz Dramaturgie aufschlagen. Innerhalb des Kapitels ist die Korrespondenz nach Briefen an die Dramaturgie, Briefen von der Dramaturgie mit der internen Korrespondenz sowie der Korrespondenz Dritter über das Schauspielhaus eingeteilt und jeweils alphabetisch sortiert. Dieses Ordnungsprinzip gilt auch für die anderen Kapitel.

Die Briefe sind nicht einzeln erfaßt, sondern nach Verfassern in Konvoluten. Innerhalb des Konvoluts gilt die chronologisch aufsteigende Reihenfolge.

Die zweite Zugangsmöglichkeit zum Nachlaß bieten das Personen- und das Körperschaftsregister. Hinter dem jeweiligen Eintrag mit Lebensdaten und Beruf oder Funktionsbezeichnung, sofern sie bekannt waren, stehen sogenannte Referenzen, die auf die laufenden Signaturen der Aufnahmen im Hauptteil verweisen. Nicht jede Verknüpfung von Registereintrag und Aufnahme im Hauptteil ist auf den ersten Blick ersichtlich: Personen, die im Auftrag einer Körperschaft tätig waren, sind für das Register namentlich erfaßt, aber nicht in der Aufnahme ausgewiesen. Eine inhaltliche Erschließung der Dokumente durch Stich- oder Schlagwortregister war wegen des Nachlaßumfangs nicht möglich.

Für die Angehörigen des Schauspielhauses wurde der Versuch unternommen, die entsprechenden Personalakten zu rekonstruieren, wie sie ursprünglich im Theater bestanden haben. Dies gilt gleichermaßen für das künstlerische als auch technische Personal sowie für die Schüler und Schülerinnen von Theaterakademie und Hochschule für Bühnenkunst. Das Konzept der Personalakte sieht die Person im Mittelpunkt und ordnet somit die Korrespondenz nach Briefen von, Briefen an, Briefen über die Person sowie Dokumente, die ihr Leben beschreiben. Nach der Überschrift folgt die laufende Nummer (die Signatur des Konvoluts) und der/die Korrespondenzpartner. Anschließend wird der Konvolutinhalt beschrieben: die Orte und das Datum/der Zeitraum, in denen die Briefe verfaßt sind (bei fehlendem Ort wird "o.O.", bei fehlendem Datum "o.D." angegeben) sowie Art und Anzahl der Materialien, die enthalten sind. Zu den Inhalten der einzelnen Briefe wurden in der Regel keine Angaben gemacht, aber besonders wichtige Aspekte wurden in Fußnoten festgehalten.

Auf das angewendete Kategorienschema soll hier im einzelnen nicht eingegangen werden; wichtig ist bei der Erfassungsarbeit jedoch das Beachten von Pflichtkategorien wie z. B. Verfasser, Adressat, Entstehungsort und -zeitraum, Umfangsangaben. Jede einzelne Aufnahme bietet die Verzeichnung von bis zu 10 Personen und bis zu 10 Körperschaften.

Einer steigenden (Präsenz-) Benutzung der Nachlaßmaterialien und auch Informationen zur Vervollständigung unserer Angaben sehen wir gern entgegen. Allerdings erfordern Erhaltungszustand oder noch bestehende Persönlichkeitsrechte für die Einsichtnahme von Briefen im Einzelfall Benutzungsbeschränkungen.

Das Schauspielhaus Düsseldorf 1904 - 1933. Korrespondenzen und Personalakten.
Bearbeitet von Sigrid Arnold und Michael Matzigkeit, EDV-Unterstützung Friedrich Seck

Theatermuseum Düsseldorf / Dumont-Lindemann-Archiv 1997. 645 S.
ISBN 3-929945-12-6 <Ln.> DM 250,-
ISBN 3-929945-13-4 <brosch.> DM 150,-

Bestellungen an:
Theatermuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf
Jägerhofstr. 1, D-40479 Düsseldorf
Tel.: (02 11) 89 - 9 46 68 (Sekretariat)
Tel.: (02 11) 89 - 9 63 48 (Handschriftenabteilung)
Fax: (02 11) 89 - 2 90 45


Stand: 05.08.98
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