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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7, 98

Die Basisklassifikation als Aufstellungssystematik in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden


Thomas Stäcker

Die Zweckmäßigkeit systematischer Freihandaufstellung bedarf heutzutage keiner Rechtfertigung mehr. Zu offenkundig sind die Vorzüge, deren wichtigste mit den dem Englischen entlehnten Schlagworten "browsing" und "serendipity" umschrieben werden. Aber auch ihr Wert als Instrument der Sacherschließung wird breit anerkannt. Dennoch stellt die systematische Aufstellung gegenüber dem mechanischen Verfahren nach Numerus-currens, das bei der Magazinaufstellung zur Anwendung kommt, in der Regel einen hohen Aufwand dar. Jeder Titel muß intellektuell einem systematischen Ort zugewiesen werden, eine Tätigkeit, die dem Fachreferenten oder einem eigens eingearbeiteten Mitarbeiter obliegt und nur bedingt delegierbar ist. Gerade in kleineren Bibliotheken - aber nicht nur in diesen - kann es infolgedessen leicht zu personellen Engpässen kommen. Quantitativ relevante Neuzugänge lassen sich nicht mehr oder nur unter erheblichen Verzögerungen bearbeiten. Seit es möglich ist, bibliographische und Sacherschließungsdaten entweder aus dem Verbund oder dem Internet zu beziehen, hat sich die Situation jedoch gewandelt: Die Übernahme von Fremdleistungen in der Sacherschließung stellen, zumindest technisch gesehen, grundsätzlich kein Problem mehr dar. Leider ist die Frage, welches klassifikatorische System, sei es für den standortgebundenen oder - freien SyK, für die jeweilige Bibliothek das beste ist, nicht allgemein, sondern nur von Fall zu Fall beantworten. Das Scheitern der Einheitsklassifikation hat dies eindringlich vor Augen geführt. Aus diesem Grunde jedoch generell auf eine Fremddatenübernahme, auch im Bereich der Sacherschließung, verzichten zu wollen, scheint nicht nur in Zeiten der stets beschworenen knapper werdenden Mittel, sondern auch mit Blick auf eine optimierte Ausnutzung vorhandener Ressourcen töricht.

Die JAL Bibliothek katalogisiert seit 1992 in PICA, allerdings nicht in den GBV, sondern als Institut der Rijksuniversiteit Groningen in den Leidener PICA-Verbund (GGC). Mit diesem Schritt lag es nahe, diese Quelle für die eigene Aufstellungssystematik zu erschließen. Die hergebrachte Aufstellung und Klassifikation genügte den neuen Anforderungen nicht mehr. Wegen der eingeschränkten personellen Ressourcen wurde zum einen ein Verfahren anvisiert, das mit möglichst geringem intellektuellen Aufwand zu realisieren sei. Zum anderen sollte die zu wählende Klassifikation dem besonderen Charakter der Bibliothek als Spezialbibliothek für den reformierten Protestantismus, die Konfessionsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts und ostfriesische Landesgeschichte genügen. Bei der Wahl einer Klassifikation schien zunächst nur eine sehr engmaschige, theologische Fachklassifikation in Frage zu kommen. Doch hätte dies die Nutzung von Fremddaten von vorneherein weitgehend vereitelt. Allen Beteiligten war klar, daß im eigentlichen Kernbereich der Bibliothek, dem reformierten Protestantismus, eine Fremddatenübernahme nur mit Einschränkung möglich sein konnte. Dennoch sollte wenigstens im Sinne eines Orientierungsrahmens auf Fremddaten zurückgegriffen werden können. Man wählte aus der niederländischen Basisklassifikation einige Oberklassen aus, die um Unterklassen erweitert wurden. Leider konnten auf diese Weise andere Titel, die nicht diesen Klassen zuzuordnen waren, nur ungenügend im System untergebracht werden. Schon mit dem Einzug in den Neubau, 1995, der mit einer deutlichen Aufstockung des Erwerbungsetats und einer thematischen Ausweitung des Sammelgebietes einherging, drängte sich die Frage der Aufstellungssystematik erneut auf. Im Juni 1998 transferierte die JAL Bibliothek ihre Daten aus dem GGC in den GBV in Göttingen. Mit diesem Wechsel verschärfte sich das Problem, weil die BK des GBV leider z. T. erheblich von der im niederländischen Verbund gepflegten BK-Version abweicht. Insbesondere das Fehlen bzw. die anderweitige Besetzung der niederländischen Klasse 11.57 für den Reformierten Protestantismus, den Sammelschwerpunkt der Bibliothek, war ausgesprochen mißlich. Entweder war die Abweichung zu tolerieren, mit der Folge einer Auseinanderentwicklung von Aufstellungssystematik und Verbundssystematik, oder die verwendete Systematik mußte von Grund auf revidiert werden. Da der Freihandbestand mit rund 40.000 Bänden noch beherrschbar schien, fiel die Wahl mutig auf die zweite Variante. Zugleich sollte aber mit der Entscheidung, die Systematik zu revidieren, das damalige Votum für die BK angesichts der sich unterdessen bietenden Möglichkeiten erneut einer Prüfung unterzogen werden.

Weiterhin schien die Orientierung an einer Universalklassifikation die beste Wahl1). In die engere Auswahl kamen nur zwei, zum einen die Regensburger Systematik, zum anderen die Basisklassifikation, weil beide als Verbundsystematiken relativ leicht verfügbar waren und von vielen Bibliotheken als potentiellen Fremdatenlieferanten angewendet werden. Systematiken wie DK bzw. UDC, LCC, etc. kamen nicht in Betracht, nicht weil sie nicht ihre unbestreitbaren Vorzüge gehabt hätten, sondern einzig, weil sie entweder nicht ohne Probleme per EDV verfügbar oder auf deutsche Verhältnisse nicht ohne weiteres übertragbar waren. Wiederum andere Systematiken, wie z. B. die der Gesamthochschulbibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen (HBZ),2) wurden wegen der ihnen im geisteswissenschaftlichen Bereich anhaftenden Mängel verworfen.

In beiden genannten Systematiken waren Erweiterungen im Kernbereich der Bibliothek unumgänglich. Trotz der sicherlich bestehenden Vorzüge der Regensburger Systematik - sie ist als universelle Aufstellungssystematik konzipiert und wird wohl im kommenden "Ablösesystem" der Nicht-PICA-Länder eine Rolle spielen - fiel die Wahl schließlich erneut auf die BK. Dies nicht nur wegen ihrer leichten Verfügbarkeit, sondern auch, weil sie sich aus ihrer Anlage heraus ideal auf die spezifischen Bedürfnisse einer Spezialbibliothek zuschneiden läßt. Ihre Güte liegt in der Beschränkung. Mit rund 2.100 Systemstellen bietet sie zwar nur eine Rumpfklassifikation, kann aber ohne besonderen Aufwand in den gewünschten Segmenten weiter verfeinert werden. Desgleichen garantiert der hohe Abstraktionsgrad der BK ein großes Maß an Hospitalität: Eventuell später hinzukommende Klassen lassen sich mühelos einfügen. Von ihrer Konzeption her ist die BK zwar als standortfreie Systematik angelegt, doch hatte bereits E. Pretz3) mit Verweis auf U. Schulz4) ausgeführt, daß sie sich auch als Aufstellungssystematik eignet. Die von Schulz vorgeschlagene Umbenennung der Oberklassennotationen mit memotechnischen Kürzeln wurde jedoch nicht nachvollzogen. Zum einen ist die Wahl mnemotechnischer, sog. "sprechender", Kürzel nicht in jedem Fall eine Erleichterung für den Benutzer (Lorenz, S. 104), zum anderen erscheint der Nachteil einer rein nummerischen Notation den Vorteil, den die unmittelbare Übertragbarkeit der PICA-BK auf die Aufstellungsnotation darstellt, nicht aufzuwiegen. Bedenkenswert war die Frage der OPAC-Fähigkeit der BK. Schon bei deren Entwicklung galt sie als wesentliches Kriterium. Leider ist die gefundene Lösung nicht optimal. Thematische Trunkierungen, wie sie etwa innerhalb der DDC möglich sind, können in der BK in diesem Umfang nicht durchgeführt werden. Die enummerative Gestaltung der Unterklassen läßt feinere Trunkierungen in der Regel nicht zu. Z. B. würde die Anfrage "15?" zwar alle Literatur zur Geschichte liefern, aber eine sinnvolle Trunkierung unterhalb dieser Oberklasse ist meist nicht möglich. So liefert "15.4?" zwar Literatur zur gesamten deutschen Geschichte, aber nicht zu Schleswig-Hollstein, Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Würtemberg und Bayern, weil deren Klassen mit "15.5" beginnen. Trotz dieses Nachteils überwiegen die Vorteile, die die unmittelbare Nutzung im PICA-Verbund mit sich bringen. Nicht zuletzt die Entscheidung Der Deutschen Bibliothek, in den Lesesälen ihres Neubaus nach BK aufzustellen,5) bestärkte diese Ansicht. Denn so ist sichergestellt, daß die Anwendung und Pflege der BK, auch als Aufstellungssystematik, auf eine feste institutionelle Grundlage gestellt ist. Die von der DDB vorgenommene Erweiterung auf der dritten Hierarchiestufe wurde übernommen und um einige weitere Schlüssel erweitert. Die vier Formschlüssel auf der dritten Hierarchistufe Der Deutschen Bibliothek,

erhielten folgende Ergänzung: Das Verfahren, unter dem Schlüssel ".10" alle Titel zu versammeln, denen kein Formschlüssel zuzuordnen ist, wurde übernommen. Nur auf diese Weise kommen die nach Formschlüssel differenzierten Titel vor den übrigen im Regal zu stehen. Einige Untergruppen der BK-Klassen 01., 06., 15. und vor allem 11.55 Protestantismus sind auf dieser Stufe durch Bildung weiterer enumerativer Klassen der Form .20, .21 etc. ausdifferenziert worden. So findet sich z. B. unter der Notation 11.55.53 Literatur zu Calvin. An den Notationsblock schließt sich ein dreistelliger Signaturbestandteil an. Das bisherige Verfahren, Signaturen nach dem Vorbild der RU Groningen mit numerus currens zu bilden, wurde zugunsten springender Signaturen, die eine größere Flexibilität erlauben, aufgegeben. Bei einer angestrebten Maximalgröße von 30 - 40 Bänden pro Klasse steht somit ein ausreichend weiter Nummernbereich zur Verfügung.

Eine Signatur setzt sich somit wie folgt zusammen: BK + Formschlüssel + Signaturelement (z. B. 06.13.10.200 für einen Titel zur Paläographie). Auf dem dreizeiligen Signaturschild wird der BK-Bestandteil fett hervorgehoben. Formschlüssel und Signaturbestandteil nehmen je eine Zeile ein.

Auf den Geschäftsgang ergeben sich vorteilhafte Auswirkungen. Im konkreten Falle wird der neuerworbene Titel in PICA recherchiert; sind eine oder mehrere BK-Notationen von anderen Bibliotheken vergeben worden, wird die geeignetste für die Aufstellung übernommen. Die Katalogisierung vergibt selbständig Formschlüssel und Signaturen. Allein Titel, die keine oder keine durch Analogie zu bildende BK haben, sowie Titel der Gruppe 11.XX werden an den Fachreferenten weitergeleitet, der über die in Frage kommende Systemstelle entscheidet. Voraussetzung ist hier, daß im Geschäftsgang die Sacherschließung auf die Katalogisierung folgt (Der angenehme Nebeneffekt: Der jeweilige Titel ist bis zum Zeitpunkt der Sacherschließung unter seiner Akzessionsnummer prinzipiell ausleihbar; das Buch steht also nach nur wenigen Tagen dem Benutzer zur Verfügung.). Der Fachreferent legt schließlich für die verbleibenden Titel Notation und Signatur fest und gibt sie in den Verbund ein. Überdies verkürzt sich die Verweildauer des Titels beim Fachreferenten ganz deutlich dadurch, daß er im GBV auf vorhandene analoge Titel als Eingliederungshinweise zurückgreifen kann, die z. T. mühsame Recherchen überflüssig machen. An dieser Stelle kommt die zweite Komponente der BK zum Tragen, nämlich die Feinklassifikation durch Schlagworte (in Beurteilungen der BK bleibt oft unberücksichtigt, daß es sich um ein zweigliedriges, aus verbalen und klassifikatorischen Erschließungskomponenten bestehendes System handelt). In Kombination mit den bereits im PICA-Verbund vorhandenen Daten der SWD wird eine Einordnung z. T. wesentlich erleichtert.

Das hier beschriebene Verfahren eignet sich für alle Bibliotheken mit Freihandbereichen. Besonders interessant ist es natürlich für Bibliotheken, die am PICA-Verbund partizipieren, aber sicher nicht nur für diese. Abzuwägen ist die Frage, ob man größere Umsystematisierungen ggfs. in Kauf nehmen will. Kleinere Freihandbereiche können jedoch leicht nach diesem Verfahren resystematisiert werden. Die ausgesprochen gute Konkordanzfähigkeit der BK gewärleistet deren Applikabilität auf die Regensburger Systematik, die LCC oder die UDC (die BK wurde in Anlehnung an die UDC entwickelt). Ihr Abstraktionsgrad erlaubt größte Flexibilität nach lokalen Bedürfnissen und stellt so einen gelungenen Mittelweg zwischen der Skylla der zu reglementierenden Feinstrukturierung und der Charybdis zu großer Allgemeinheit (z. B. die Systematik der DNB) dar. Günstig vermag sich zudem das Ineinandergreifen verschiedener Sacherschließungselemente auszuwirken. Wer im Freihandbereich nicht fündig wird, kann sich im PICA-SyK mit weiteren standortfreien Notationen oder mit Schlagworten versorgen, die ggfs. auf andere Notationen hinweisen. Auf diese Weise ist zugleich ein Schlagwortregister für die Systematik realisiert. Für den Freihandbestand erweist sich die BK als Aufstellungssystematik in einer Zeit wachsender Fremddatennutzung und kooperativer Sacherschließung als eine für den Benutzer und Klassifikator gleicherweise vorteilhafte Lösung.

1) Kriterien für die Auswahl bei Niewalda, Paul: Aufstellungssysteme in wissenschaftlichen Bibliotheken der BRD. In: Die Buchaufstellung im Spannungsfeld von Bibliothek, Bibliothekar und Benutzer. Wien 1985. (Biblios-Schriften , 128), S. 55 ff.

2) Vgl. Lorenz, Bernd: Systematische Aufstellung in deutschen Biliotheken. 3. Aufl.. Wiesbaden 1995, S. 45.

3) Pretz, Edwin: Die Basisklassifikation. Entwicklung und klassifikationstheoretische Analyse. Hausarbeit zur Prüfung für den höheren Bibliotheksdienst. Köln 1995, S. 18.

4) Schulz, Ursula: Die niederländische Basisklassifikation: eine Alternative für die "Sachgruppen" im Fremddatenangebot der Deutschen Bibliothek. In: BIBLIOTHEKSDIENST 25 (1991), S. 1215ff.

5) Besonderen Dank schulde ich Frau Bruehl von der DDB, die mir das von ihr konzipierte System für die Lesesäle der DDR erläutert hat.


Stand: 01.07.1998
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