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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 98

United Kingdom Serials Group (UKSG)

21st Annual Conference

Marco Mächler und Alice Keller

Die sanfte, hügelige Landschaft von Devon in sattem Grün, die tadellose Unterkunft auf dem modernen Campus der Universität und die unspektakulären aber angenehmen Angebote an "social life" am Rande des Kongresses konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der britischen Bibliothekswelt einiges im Gange ist, das dem Besucher aus der Schweiz ein gehöriges Maß an Staunen und Respekt abfordert.

Die 21. Jahrestagung der United Kingdom Serials Group (http://www.uksg.org/), 30. März bis 1. April in der University of Exeter, stand ganz im Zeichen der digitalisierten wissenschaftlichen Publikationen, insbesondere der elektronischen Zeitschriften. Mit 400 Teilnehmern - vornehmlich aus dem Vereinigten Königreich, Irland, USA, Skandinavien, den Niederlanden und ein paar weiteren Ländern (darunter ganzen fünf Personen aus der Schweiz) - und 30 Anbietern in der begleitenden Produktausstellung war der Anlaß gerade noch überschaubar.

Die zentrale Frage nach der weiteren Daseinsberechtigung von Verlagen, Agenturen und Bibliotheken in einer Welt direkter und unbeschränkter Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Autoren und Leserinnen - mittels WWW - ist nicht nur eine akademische Spielerei. Alle Partner in dieser Informationskette müssen ihre Rolle immer wieder neu definieren und sich gemeinsam um die Gunst der Leserschaft bemühen. Darüber herrschte Einigkeit in der ersten von insgesamt sechs Sessionen, "Mapping the Futures", in der ein Verleger (Robert Kiernan, Chairman and Chief Executive, Routledge Publishers), ein Vertreter der Zeitschriftenagenturen (James T. Stephens, President, EBSCO Industries, USA) und ein Bibliothekar (Allan MacDougall, Director of Library Services, Dublin City University, Ireland) die Zukunftsvision ihrer Institutionen mit vorsichtigem Optimismus skizzierten.

Zwar reklamieren die Verlage zusätzliche Einnahmequellen, um die steigenden Investitionskosten im Multimediabereich zu kompensieren, und die (wenigen) Zeitschriftenagenturen leiden infolge schwindender Rabatte seitens der Verlage unter sinkenden Margen. Die Bibliotheken schließlich - in Großbritannien und den USA nicht anders als in Europa - kämpfen mit stetig abnehmenden Erwerbungsbudgets gegen die drohende Versiegung der "lebenswichtigen" Informationsquellen für die ihnen anvertrauten Institutionen und die auf sie vertrauende Benutzerschaft.

Alle wollen und sollen überleben, wenn auch zunehmend und unaufhaltsam fusioniert und "gemerged". Dies gilt auch für die Bibliotheken. Sie, in erster Linie, müssen erkennen, daß sie nicht mehr im Alleingang sondern nur im Verband (bzw. Verbund!) eine echte Chance haben, mit ihren Zulieferern vernünftige Konditionen auszuhandeln, wobei - wie von allen Seiten immer wieder betont wurde - es nicht Sieger und Verlierer geben darf, sondern nur Gewinner!

Die Briten haben es schon vorgemacht: überregionale und nationale Bibliotheks-Projekte, finanziert aus diversen staatlichen Quellen (http://www.jisc.ac.uk) und unter enger Mitwirkung von Verlagen und Agenturen haben gezeigt, daß es möglich ist, gemeinsam Lösungen zu finden, die allen Beteiligten zum Vorteil gereichen. Folgerichtig waren denn die Verlage und Agenturen auch als Chairmen, Sprecher und Zuhörer auffallend stark vertreten.

Eine Session über "Knowledge Management" beleuchtete generell die wichtige Rolle von Information und Informationsverwaltung bzw. -Vermittlung als Vermögenswert von Unternehmen. Als praktisches Beispiel einer integrierten Lösung für Bibliotheken wurde das kommerzielle Produkt OVID vorgestellt (Suzie Alexander, European Sales Manager, Ovid Technologies Ltd; http://www.ovid.com/).

OVID - ursprünglich eine Software für Bibliographien auf CD-ROM - ist bestrebt, Volltext aus elektronischen Zeitschriften zu integrieren. Statt Links zu bestehenden Verlagsservern anzubieten, will OVID alle Volltexte in einheitlichem Format (SGML; http://caad.arch.ethz.ch/~weder/Doc/HTML/4.0/cover.html) laden und unter einer einzigen Oberfläche anbieten. Unbefriedigend dürfte die dadurch entstehende Verzögerung bis zum Erscheinen des neuesten Heftes sein. Der Zugriff auf diese Volltexte ist dabei nicht an das Abo der Print-Zeitschrift gekoppelt. Die Kommission der Biomedizinischen Bibliotheken der Schweiz ist sehr am Produkt OVID interessiert. Für die ETH-Bibliothek ist es aber allzu klinisch ausgerichtet.

Die Session "In the market for electronic products" zeigte anhand konkreter Beispiele das Potential von gemeinsam erarbeiteten Lösungen zur Informationsversorgung auf.

Peter Leggate (Keeper of Scientific Books, Radcliffe Science Library, University of Oxford) beleuchtete zunächst die schwierige Aufgabe der Bibliotheken, ihren Benutzern gleichzeitig einheitlichen und einfachen Zugang zu klassischen wie auch elektronischen Medien zu eröffnen. Erwerbungskosten, Lizenzverhandlungen, Copyright-Aspekte, Plattformvereinheitlichung, Katalogisierungsfragen und die Vermittlung eines adäquaten Zugangs für die Benutzerinnen kosten viel Geld und Manpower. Bei stagnierenden Budgets stellen sich schier unlösbare Probleme.

CHEST (Combined Higher Education Software Team; http://www.chest.ac.uk) ist ein mittlerweile bewährtes und gut funktionierendes Beispiel einer Non-profit-Organisation, welche für zahlreiche akademische Institutionen in Großbritannien und Irland vor allem Software-Lizenzen aushandelt. Daneben vermittelt es Rabatte auf unzählige Produkte der Informationstechnologie. Mike Johnson (Director of CHEST and NISS [National Information Services and Systems; http://www.niss.ac.uk]) stellte seine Erfolge zu Recht mit Stolz vor: über 5.000 Lizenzen, vermittelt an 500 Institutionen im Verlauf der vergangenen zehn Jahre. Das Paradebeispiel: eine einzige landesweite Lizenz für den Beilstein, mit Zugang für 60 verschiedene Institutionen! CHEST übernimmt auch die Installation und Administration der Produkte, sowie die entsprechende Schulung des Bibliothekspersonals, was den Bibliotheken zusätzlich Kosten spart.

John Fielden (Director of CHEMS = Commonwealth Higher Education Management Service) berichtete über die Entwicklung der UK Site Licence Initiative. Ziel ist wiederum der landesweite Zugriff, diesmal auf elektronische Zeitschriften.

In der 1. Phase (1996-98) des Projektes (PSLI = Pilot Site Licence Initiative; http://www.niss.ac.uk/education/hefce/pub97/m3_97.html) und ETH-BIB P 920 461: 10(1997)/1, pp. 17ff) ging es vor allem um die Abklärung der Bedürfnisse von Bibliotheken und Benutzern anhand eines von den Verlagen Academic Press, Blackwell und Institute of Physics bereitgestellten Test-Angebotes von Titeln mit Preisnachlaß von 30 - 40 % und um daraus abgeleitete Empfehlungen für die nächsten Schritte. Einige wichtige Erkenntnisse: es gab keine überstürzten Abbestellungen von Papier-Ausgaben; unbedingt notwendig ist der Zugang zu Postscript-Druckern; Werbung (!) und einfacher Zugriff (über eine gute Bibliotheks-Homepage) sind entscheidend für den Erfolg.

Fred Friend (Director of Scholarly Communication, University College London) umriß anschließend die wichtigsten Ziele der 2. Phase (1999-2001) des Projektes (NESLI = National Electronic Site Licensing Initiative; http://www.jisc.ac.uk/pub97/c8_97.html und ETH-BIB: P 920 461: 11(1998)/1, pp. 37ff). Landesweiter Zugriff für 180 akademische Institutionen auf möglichst viele Titel von möglichst vielen Verlagen zu möglichst günstigen Preisen! Das Ganze verwaltet durch einen Geschäftsführer und anfänglich noch gut unterstützt durch staatliche Gelder, soll mit der Zeit selbsttragend werden und für Verleger und Bibliotheken unter marktwirtschaftlichen Bedingungen in eine win-win Situation führen.

Schließlich berichtete Julia Gammon (Head Acquisitions Department, University of Akron, USA) über Erfahrungen mit dem Projekt OhioLINK (http://www.ohiolink.edu/), einem Verbundsystem von z. Z. 56 Bibliotheken im Staate Ohio, mit Zentralkatalog, Verbundausleihe und Konsortiallizenzen für Datenbanken und elektronische Zeitschriften. Von besonderem Interesse: "Principles for Licensing Electronic Resources", ein Merkblatt mit 15 wichtigen Punkten (aus bibliothekarischer Sicht) bei Verhandlungen über Lizenzen, zusammengestellt von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern verschiedener amerikanischer Bibliotheksvereinigungen (dazu siehe auch: http://www.arl.org/scomm/licensing/licbooklet.html).

Eine weitere Session war dem Thema "Serials in Public Libraries" gewidmet. Um es kurz zu machen: die öffentlichen Bibliotheken haben noch nicht dieselben Erfolge aufzuweisen wie die akademischen. Zwar sind die Produkte eher billiger, aber es fehlt noch an Koordination (oft sind die elektronischen Medien nur in der Hauptstelle vorhanden) und der Schulung von Personal und Kundschaft. Immerhin ist der Vorsprung gegenüber öffentlichen Bibliotheken in der Schweiz doch beträchtlich. EARL (Electronic Access to Resources in Libraries; http://www.earl.org.uk) ist ein Konsortium aus z. Z. über 140 Bibliotheken und Behörden (wiederum landesweit!), das den öffentlichen Bibliotheken den Zugang zu elektronischen Diensten verschaffen will. Eine der angeboten Serviceleistungen, MagNet (http://www.earl.org.uk/magnet/index.html) dient dem Bestandsnachweis von Magazinen, Zeitschriften und Zeitungen in allen angeschlossenen Bibliotheken, wobei mit Titelwort, Thema, Bibliotheksname oder Region gesucht werden kann.

In der Session "The Cost of Quality" berichtete ein emeritierter Physikprofessor über die alle vier Jahre an allen Universitäten durchgeführte Qualitätsbeurteilung wissenschaftlicher Publikationen, deren Resultate sich schließlich auf den Fluß von Forschungsgeldern an den einzelnen Wissenschafter auswirken. Die Qualität der wissenschaftlichen Literatur hängt aber nicht nur von den einzelnen Artikeln ab, sondern ebenso von den entsprechenden Publikationsorganen. Ein emeritierter Psychiater und Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift "Addiction" erläuterte seine Ansicht darüber, was eine qualitativ hochstehende Zeitschrift ausmacht: ein internationales Editorial Board und internationale Autoren, eine abwechslungsreiche Zusammenstellung von Spezial- und Übersichtsartikeln, Diskussionsforen, Kongreßberichte und weitere Rubriken, welche für den Leser einen interessanten Mehrwert darstellen gegenüber der reinen, zusammenhanglosen Aneinanderreihung von Einzelartikeln, und schließlich das Bemühen der Herausgeber, die Zeitschrift als Meinungsbildner zu konzipieren und nicht als Mitläufer.

Das Projekt SuperJournal soll diejenigen Faktoren herauszufinden, welche den Erfolg elektronischer Zeitschriften ausmachen und sie zu einem nützlichen und wertvollen Informationsmedium für die Forschung machen (http://www.superjournal.ac.uk/sj/ und http://www.ariadne.ac.uk/issue14/superjournal/intro.html).

Partner sind wiederum verschiedene Verlage und Bibliotheken, aber auch ein universitäres Computerzentrum und ein Spezialinstitut, das sich mit der Thematik Mensch/Technologie befaßt. Wichtigste Resultate bis anhin: Die meist gebrauchten Funktionen sind browsing und printing, Suchmaschinen werden selten gebraucht; Zugriff wird von irgendwoher (remote access) gewünscht auf eine große Auswahl an Titeln; am häufigsten wird das neueste Heft konsultiert.

In einer letzten Session berichtete zunächst Simon Tanner (Digitisation Consultant, Higher Education Digitisation Service) über HEDS (http://heds.herts.ac.uk), ein Projekt zur Digitalisierung von Unterichtsmaterialien, Altbeständen, etc. Die Experten geben Unterstützung oder übernehmen im Auftrag alle Phasen eines Digitalisierungsprojektes, von der Vorabklärung (Machbarkeitsstudie auf Grund der vorliegenden Originale) über die eigentliche technische Umsetzung bis zur Klärung von copyrights und der gebrauchsfertigen Ablieferung des gewünschten Produktes.

Auch diese Aufgaben sind wiederum vom Staat subventioniert. Für private Kundschaft werden Marktpreise verrechnet.

Für weitere Projekte zum Thema siehe auch:
http://www.ukoln.ac.uk/services/lic/digitisation/,
http://www.jstor.ac.uk/
http://www.bodley.ox.ac.uk/ilej/
http://www.SUB.Uni-Goettingen.de/GDZ/
http://www2.echo.lu/libraries/en/projects/dieper.html
http://gallica.bnf.fr/.

Malcolm Smith (Director, British Library Bibliographic Services & Document Supply) unterstrich zum Schluß noch einmal die Herausforderung, welche die Bibliotheken angesichts ihrer zunehmend elektronisierten Zukunft anpacken müssen: eine Art Chaos-Management im Kampf mit technischen, sozialen und rechtlichen Problemen und Widrigkeiten. Einige Meilensteine auf dem Weg zur elektronischen Bibliothek wurden an diesem Kongreß vorgestellt, etliche weitere Fragen aus dem praktischen Alltag sind noch nicht gelöst, darunter etwa die Archivierung, die Fernleihe, die "Eingangskontrolle", neue Kostenmodelle (http://www.ukoln.ac.uk/services/elib/papers/pa/charging/) und die Frage einer eindeutigen und permanenten Identifikation elektronischer Dateien (http://www.doi.org/; http://www.arl.org/newsltr/194/identifier.html und ETH-BIB P 920 461: 11(1998)/1, pp. 47ff).

Resumee aus Schweizer Sicht

Föderalistische Strukturen und partikuläre Interessen dürfen kein Hindernis sein, wenn es darum geht, mit immer knapperen Mitteln den Forschungsstandort Schweiz mit der notwendigen wissenschaftlichen Information zu versorgen. Überregionale oder gar nationale Projekte (mit entsprechender Finanzierung) sollten jetzt in Angriff genommen werden, um eine hinreichende und dennoch ökonomisch vertretbare Informationsbeschaffung für die landesweite Forschergemeinschaft langfristig abzusichern. Politiker, vorgesetzte Behörden und vor allem wir Bibliothekarinnen und Bibliothekare auf allen Stufen sollten uns stark machen für eine zeitgemäße (d. h. zunehmend elektronische) und betriebswirtschaftlich organisierte wissenschaftliche Informationsversorgung mit qualitativ hochstehenden und von der Benutzerschaft gut genutzten Medien. Zusammenarbeit aber (auch mit Verlegern, Buchhandlungen und Agenturen) heißt regelmäßige, gemeinsame Gespräche und pragmatische Vereinbarungen. Wir müssen das Notwendige erreichen, nicht das Bestmögliche.

Die Briten (und andere) haben es vorgemacht. Wir sollten von ihren Erfahrungen profitieren.

Die ETH-Bibliothek hat einen Anfang gemacht durch ihre Initiative für landesweite Lizenzen auf CD-ROMs. Der nächste Schritt ist eine Zusammenarbeit im Bereich der elektronischen Zeitschriften. Die Zeit drängt!

Ein gewaltiges Hindernis auf unserem Weg läßt sich allerdings nicht so schnell aus dem Weg räumen. Es zeigt sich nämlich auch auf unserem Gebiet, daß die Schweiz als Nicht-EU-Land von vielen interessanten Projekten (und den damit verbundenen Geldern) ausgeschlossen ist. In einer Zeit der zunehmenden Globalisierung der Information und der Informationsvermittlung gewiß ein höchst unbefriedigender Zustand.


Stand: 09.06.98
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