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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 98

International Coalition of Library Consortia (ICOLC)

Auswahl und Kauf elektronischer Information

Elmar Mittler

Die Internationale Koalition der Bibliothekskonsortien (ICOLC) machte Ende März die Veröffentlichung ihrer Stellungnahme zu "Auswahl und Kauf elektronischer Medien" bekannt. Erstmalig wird damit eine internationale Perspektive für Lizenzen und Kauf elektronischer Information von Bibliotheken eröffnet, die sich zu Konsortien zusammengeschlossen haben. (Der originale Wortlaut des "Statement of Current Perspective and Preferred Practices for the Selection and Purchause of Electronic Information" ist zugänglich unter der URL: http://www.library.yale.edu/consortia/statement.html).

Das Dokument spricht Fragen der gegenwärtigen und zukünftigen Informationsumwelt an, die wachsende Erwartung der Bibliotheksnutzer in eine stetige Finanzierung, faire Nutzungsbedingungen, Archivierungsrecht, Preisstrategien und Kosten für die elektronische Informationsbereitstellung. Die praktischen Empfehlungen umfassen Vertragsverhandlungen, Preisgestaltung, Datenzugang und -archivierung, Systemplattformen, Lizenzbegriff, Inhalt der Informationsmedien und ihr Management sowie Benutzerauthentifizierung.

Anlaß dieser Stellungnahme waren die explosionsartige Entwicklung von Lizenzverträgen, die großen Unterschiede der von den Verlegern vorgesehenen Regelungen, die aktuell steigenden Preise sowie die Besorgnis über die immer kleiner werdende Zahl unabhängiger Verlage für wissenschaftliche Information. Die Stellungnahme fordert unterschiedliche Preismodelle, bei denen Lizenzen für elektronisches Material von Abonnements für die Papierausgaben getrennt werden, sowie die Reduzierung der Preise für elektronische Information über den Bezug der Printversionen. ICOLC spricht vor allem auch seine Besorgnis über die wachsenden Versuche der Verleger aus, zusätzliche Anfangsaufschläge für elektronische Informationen zu erheben, verbunden mit erheblichen jährlichen Preisaufschlägen und dem Verbot für die Bibliotheken, gedruckte Abonnements abzustellen. Als Ergebnis können die Bibliotheken zwar auf mehr Titel elektronischen Zugang erhalten, zahlen aber durch den "Preis für Druckausgaben plus elektronischen Bezug plus Inflation" im Ergebnis als Preis für den elektronischen Zugang 40 % oder mehr als für die Druckausgabe in einem Zeitraum von 3 - 4 Jahren.

Arnold Hirshon, Vizedekan für Informationswesen an der Lehigh Universität, Vorstandsvorsitzender des Vorstandes der "Pennsylvania Academic Library Connection Initiative" und einer der Autoren der Erklärung, stellte fest, daß das "Druckpreis plus"-Kostenmodell für wissenschaftliche Bibliotheken einfach nicht mehr durchzuhalten ist. "Wir müssen alternative Preisstrukturen entwickeln, bevor diese derzeitige Praxis zur Norm wird". Auch wenn die Verleger in der Lage sein müßten, ihre angemessenen Kosten wieder hereinzuholen, wird in der Erklärung festgehalten, daß die Verleger nicht erwarten können, daß die Bibliotheken die gesamten Entwicklungskosten für derzeit noch unvollkommene Produktangebote und instabile Systeme tragen.

ICOLC sucht nach neuen ökonomischen Modellen, bei denen die Kosten pro Einheit der Information dadurch sinken, daß der kleinstmögliche Preis pro Zugang zu einem Zeitschriftentitel oder -artikel erlaubt wird. "Wir sehen Chancen für eine dramatische Preisreduzierung, wenn Verleger und Bibliothekare zusammenwirken, um den derzeitigen Kreislauf zu durchbrechen, bei dem die Bibliotheken jedes Jahr mehr für Zeitschriften ausgeben, aber dafür immer weniger Titel halten können", meinte Tom Sanville, Leitender Direktor von OhioLINK und ICOLC-Mitglied. Das ICOLC-Statement soll dabei durchaus ein Ölzweig für die Verleger sein. Ann Okerson, Stellvertretende Bibliotheksdirektorin der Yale Universität und Koordinatorin der North East Research Libraries Consortium (NERC) sagt: "Mit ICOLC wollen wir Gespräche mit den Verlegern beginnen, die Nutzung und Zugang zu elektronischen Informationsmitteln in Ausbildungs- und Forschungsinstitutionen voranbringen sollen". Elmar Mittler, Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, weist ergänzend darauf ein, daß ICOLC eine Mitgliedschaft von über 5.000 Bibliotheken weltweit umfaßt, die es zu einem effektiven Forum machen, um mit den Informationsanbietern gemeinsame Grundlagen zu entwickeln.

David Kohl, Dekan für Bibliothekswesen an der University of Cincinnati und einer der Autoren der Erklärung, unterstreicht, daß es in der Erklärung um mehr geht als nur ums Geld: "Wir richten unser Augenmerk ebenso auf die Qualität der Inhalte und die Möglichkeit der Archivierung dieser Inhalte, um zukünftige Zugänglichkeit zu garantieren, wie wir uns um die Erwerbungskosten für die Information heute kümmern".

Die Erklärung wird von Vertretern aus Konsortien in Australien, Deutschland, Großbritannien, Israel, Kanada und den Vereinigten Staaten unterstützt, zusätzliche Zustimmung anderer Nationen kann erwartet werden. Angeregt wurde die Erklärung von den "Prinzipien zur elektronischen Information", die von einer Gruppe deutscher und holländischer Bibliotheken 1997 entwickelt wurden. Hirshon traf sich mit dieser Gruppe als Vertreter von ICOLC, um europäische Kooperation für die Erklärung zu gewinnen. An einem Treffen in Den Haag im Februar nahmen Vertreter aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden teil.

"Wir entwickelten unmittelbares gegenseitiges Verständnis und gemeinsame Ansichten", sagte Fred Friend, University College London, und Hans Geleijnse, Direktor der Universitätsbibliothek Tilburg fügte hinzu: "Wissenschaftliche Publikation ist in zunehmendem Maße ein globales Unternehmen, und die Stärke der Bibliothekare wächst durch weltweite Aktion in Konsortien, um gemeinsame Grundlagen zu entwickeln". John Gilbert, Direktor der Universität Maastricht, stellt fest, daß "Bibliothekare auf der ganzen Welt das gleiche Interesse haben, ein Maximum an Information für die Professoren und Studenten zu den geringstmöglichen Kosten bereitzustellen".

Über die International Coalition of Library Consortia (ICOLC)

ICOLC, die Internationale Koalition der Bibliothekskonsortien, ist eine informelle Organisation, die sich 1997 zu treffen begann. Sie umfaßt etwa 60 Bibliothekskonsortien in den USA, Australien, Deutschland, Großbritannien, Israel und den Niederlanden und vertritt über 5.000 Mitgliedsbibliotheken weltweit. Die Koalition dient zunächst Hochschulkonsortien zur Erleichterung des Erfahrungsaustauschs über Fragen von gemeinsamen Interesse. ICOLC führt Veranstaltungen durch, um seine Mitglieder über neue elektronische Informationsquellen, Praktiken der Preisgestaltung von elektronischen Anbietern und Verkäufen und anderen Fragen von Bedeutung für Vertreter von Konsortien und ihre zuständigen Gremien informiert zu halten. Diese Veranstaltungen dienen auch dem Zweck, sich mit der Gruppe der Informationsanbieter zu treffen, über ihre Produkte zu diskutieren, und einen Dialog mit den Mitgliedern über gemeinsam interessierende Fragen zu führen.

ICOLC unterhält eine moderierte Liste und Webseiten zum Nutzen ihrer Mitglieder. Alex Klugkist, Vorsitzender des holländischen Bibliotheksverbandes und Direktor der Universitätsbibliothek Groningen, bemerkt, daß " ICOLC ein sehr wirksames Forum zur internationalen Koordinierung der Aktivitäten von wissenschaftlichen Bibliotheken geworden ist".

Weitere Informationen über ICOLC sind zu finden unter http://www.library.yale.edu/consortia.

Autoren der Erklärung

Arnold Hirshon, Vice Provost for Information Resources, Lehigh University, Bethlehem OA, and Chair, Executive Committee, Pennsylvania Academic Library Connection Initiative (PALCI). Tel.: 610/758-3025, Fax: 610/758-3004, E-Mail: arh5@lehigh.edu

Tom Sanville, Executive Direktor, OhioLINK, Columbus, OH, and Convener, ICOLC. Tel.: 614-728-3600, ext. 322, Fax: 614-728-3610, E-Mail: tom@ohiolink.edu

Ann Okerson, Associate University Librarian, Yale University, New Haven, CT, and Coordinator of the NorthEast Research Libraries consortium (NERL). Tel.: 203/432-1764. E-Mail: ann.okerson@yale.edu , Fax: 203/432-8527

David Kohl, Dean, University Libraries, University of Cincinnati, and Member, OhioLink Library Advisory Council Coordinating Committee. Tel.: 513/556-1515. E-Mail: david.kohl@us.edu , Fax: 513/556-0325

Kontaktperson in Deutschland

Prof. Dr. Elmar Mittler, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Tel.: (05 51) 39 - 52 12, Fax: (05 51) 39 - 52 22. E-Mail: mittler@mail.sub.uni-goettingen.de

Unterstützende Einrichtungen

Die Erklärung wurde im Prinzip von Repräsentanten der Mitglieder der "International Coalition of Library Consortia" (ICOLC) vorgenommen. Die Erklärung stellt nicht unbedingt die offizielle Meinung jedes beteiligten Konsortiums dar.

Deutschland ist in ICOLC vertreten durch den Gemeinsamen BibliotheksVerbund (GBV), Göttingen.


Stand: 13.05.98
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