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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 98

Modernisierung der Deutschen Bibliotheksstatistik - 610 Spezialbibliotheken äußern ihre Meinung


Eberhard Janke

Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos!

Die Deutsche Bibliotheksstatistik für das Berichtsjahr 19961) bestätigt es erneut: Nur ein gutes Drittel (951 = 35 %) der 2.723 dem DBI bekannten Spezialbibliotheken nahmen an der DBS-Erhebung teil. Berücksichtigt man darüber hinaus eine gewisse "Dunkelziffer" nicht erfaßter Bibliotheken dieses Typs, kann wohl von einer Gesamtzahl von über 3.000 ausgegangen werden. Auf jeden Fall stellen Spezialbibliotheken innerhalb der wissenschaftlichen Bibliotheken quantitativ den größten Anteil dar, was jedoch durch die weitaus stärkere Beteiligung (ca. 98 %) der 1.134 Universalbibliotheken "verdeckt" wird.

Die statistische "Unterbelichtung" von Spezialbibliotheken ist kein national beschränktes Phänomen2). So findet dieser Bibliothekstyp in einer Studie über die Erfassung bibliotheksstatistischer Daten in zwölf europäischen Ländern in keinem Land (außer dem Vereinigten Königreich) überhaupt eine gesonderte Erwähnung, und der Blick auf die britischen Erfahrungen vermittelt eine ähnliche "Statistik-Abstinenz" wie bei uns. Dort nahmen 1996 nur 772 (= 20 %) von ca. 4.000 Institutionen mit Spezialbibliotheken/Informationseinrichtungen an der Datenerhebung teil.

Diesem alarmierenden Zustand abzuhelfen und die in ihrer Existenz bedrohte spezialbibliothekarische Statistik zu "retten", hat sich eine vom Deutschen Bibliotheksinstitut einberufene Expertengruppe zur Überarbeitung der DBS Teil C inzwischen mit verschiedenen Aktivitäten3) bemüht und auch die internationale Diskussion zu diesem Thema in Gang gesetzt4). Die Dringlichkeit einer DBS-Revision ist in den Beiräten des DBI und der ASpB/Sektion 5 des DBV wiederholt erörtert worden. Daß dabei die Strategie der Expertengruppe als methodisches Modell für die Revision anderer Teile der DBS eingeschätzt wurde, mag nicht zuletzt auch auf die durch "virtuell" basierte Arbeitsabläufe5) erzielte Effektivität und "Produktionsgeschwindigkeit" zurückzuführen sein.

Überwältigende Resonanz auf Testerhebung

Das wichtigste Ergebnis der ersten Etappe war die Erarbeitung eines Fragebogen-Entwurfs, der zusammen mit den "alten" Erhebungsbögen versandt und auf der DBI-Statistik-Website sowie durch Links von anderen Homepages (z. B. der ASpB, AKMB) zugänglich gemacht wurde6). Die inzwischen abgeschlossene Testerhebung für das Berichtsjahr 1997 erbrachte ein überraschendes Ergebnis: 610 Spezialbibliotheken (d. h. ca. zwei Drittel aller teilnehmenden Bibliotheken!) haben reagiert und damit ihr Interesse dokumentiert

Dies ist umso bemerkenswerter, als sie sich zum größten Teil der Mühe unterzogen haben, sowohl den alten als auch den neuen Fragebogen auszufüllen, wofür den Kollegen Dank und Anerkennung gebührt. Dank gebührt aber ebenso dem Engagement der Experten und Multiplikatoren (insbesondere der spezialbibliothekarischen Arbeitsgemeinschaften), die erst die Voraussetzungen für eine derartige Resonanz geschaffen haben.

Über die Ergebnisse der Testumfrage soll ausführlicher auf der DBV-Jahrestagung 1998 in Hamburg berichtet werden. Eine erste Grobauswertung bestätigt, daß es sich bei den Spezialbibliotheken um den Bibliothekstyp mit den stärksten Inhomogenitäten handelt, was zu entsprechend divergierenden Ansichten und Ansprüchen führt. Hervorhebenswert erscheinen folgende Probleme:

Wohin soll die "Reise" gehen?

Die Expertengruppe hat die Chance genutzt, im Lichte der durch die Grob-auswertung gewonnenen Erkenntnisse nochmals die Ausgangssituation ihrer Aktivitäten und ihre strategischen Ziele zu hinterfragen: Warum und für wen wird spezialbibliothekarische Statistik betríeben? Welche "Visionen" verfolgt die Expertengruppe? Als Anforderungen ergaben sich aus der Diskussion u. a.:

Was können wir jetzt konkret erreichen?

Zunächst geht es vordringlich darum, die zahlreichen Wünsche, Anregungen und Kritikpunkte auszuwerten und - soweit möglich und sinnvoll - in die Überarbeitung des Fragenkatalogs einzubeziehen. Dabei bilden sich nach jetzigem Diskussionsstand folgende Perspektiven der Weiterentwicklung heraus:

Für die sukzessive "Elektronisierung" der DBS sind als nächste Schritte erforderlich: Die Dynamik der gegenwärtigen "Modernisierungskampagne" darf - ein Grunderfordernis jedes Change Managements - nicht durch zu langen Zeitablauf "erstickt" werden7). Das erfordert einen straffen Aktionsplan mit folgenden Terminvorgaben: Die Einführung des neuen Fragenkatalogs in den Regelbetrieb ist bereits in diesem Jahr möglich, weil die veränderte Datenerhebung der Bibliotheksöffentlichkeit inzwischen hinreichend bekannt ist und nur noch in den Teilen geändert wird, für die ohnehin nur wenige oder keine Bibliotheken Daten geliefert haben, d. h. bei Fragen mit fehlender bzw. schwacher Akzeptanz. Darüber hinaus liegt zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Zeilen die aktuelle Fassung auf der DBI-Website allgemein zugänglich auf, so daß sich die Spezialbibliotheken rechtzeitig darauf einstellen können.

Nur was sich ändert, bleibt!

Ohne ständiges Marketing und permanente Weiterentwicklung, das haben die Erfahrungen und die Diskussionen der Expertengruppe gezeigt, wird eine fachübergreifende Bibliotheksstatistik bei Spezialbibliotheken die erforderliche Akzeptanz nicht erreichen. Die derzeitige Initiatve kann nur ein erster Anstoß sein, die DBS als "lernende" Einrichtung zu verstehen, bei der "Soll" und "Ist" mit der nötigen Balance von Erneuerung und Kontinuität laufend miteinander abzugleichen sind. Die Beibehaltung der Rubrik "Anregungen/Vorschläge/Kritik" als ständiger Rubrik bzw als Website-Link soll hierfür institutionalisierte Voraussetzungen schaffen.

Kundenorientierung muß auch bei der Weiterentwicklung der Bibliotheksstatistik als oberstes Gebot gelten, was jedoch bei der Vielfalt der Zielgruppen (s. o.) keine leichte Aufgabe ist. Sie zu lösen erfordert sowohl eine ausreichende hauptamtliche Betreuungskapazität im DBI als auch eine ständige Rückkopplung mit der Praxis. Da das Mandat der Expertengruppe mit Abschluß ihrer einjährigen Arbeitsperiode im Herbst 1998 erlischt und eine Wiederbelebung der Statistikkommission nicht zu erwarten ist, muß hier nach anderen Wegen gesucht werden. So hat der ASpB-Vorstand und -Beirat einen ständigen Statistik-Ansprechpartner benannt (gegenwärtig den Verfasser). Die weiteren Mitglieder der Expertengruppe (Christiane Schaper, Frankfurt/M., Annette Schlag, Bonn und Karsten Wendt, Duisburg) haben sich außerdem bereiterklärt, auch weiterhin in einem "informellen Netzwerk Bibliotheksstatistik" mitzuwirken.

Schließlich könnten auch die bibliothekarischen Ausbildungseinrichtungen (die zunehmend die Spezialbibliotheken als Lehrgegenstand und Berufsfeld entdeckt haben) einen praxisorientierten Beitrag zum gegenseitigen Nutzen leisten, indem sie sich an der Auswertung beteiligen und durch Fortbildungsangebote insbesondere Bibliotheksmitarbeitern ohne Fachausbildung die erforderliche Statistik-Kompetenz verschaffen. Hinsichtlich der analytischen Statistikauswertung sei auf das britische Vorbild der Library and Information Statistics Unit (LISU) an der Loughborough University8) verwiesen, mit der die Expertengruppe bereits einen Erfahrungsaustausch eingeleitet hat.

Nur mit vereinten Kräften und dem Willen zur ständigen Weiterentwicklung kann es gelingen, die nationale Bibliotheksstatistik auch für Spezialbibliotheken als attraktives Managementinstrument zu etablieren.

1) Deutsches Bibliotheksinstitut: Deutsche Bibliotheksstatistik 1996 / Teil C : Wissenschaftliche Spezialbibliotheken, Teil D : Gesamtstatistk - Berlin, 1997. - Über die mangelhafte Teilnahme und Aussagefähigkeit der Daten berichtet Helmut Rösner: Die wissenschaftliche Spezialbibliotheken und ihr Nachweis in der Deutschen Bibliotheksstatistik. - In: 50 Jahre ASpB / Bearb.: Martina Reich. - Karlsruhe, 1997, S. 231-237

2) Auf europäischer Ebene vgl. hierzu: Collection and use of library statistics and performance indicators in Europe. - In: Library performance indicators and library management tools / European Commission, DG XIII-E3, Luxembourg, 1995, S.31-53. - (Libraries in the information society). - Die Situation im Vereinigten Königreich beschreibt: Creaser, Claire and David Spiller: TFPL survey of UK special library statistics. - Loughborough, 1997. - (LISU occasional paper ; 15)

3) Deutsche Bibliotheksstatistik : Expertengruppe zur Überarbeitung der DBS/Teil C nahm ihre Arbeit auf. - In: BIBLIOTHEKSDIENST 31 (1997) 12, S. 2368-2370 + Beil. - In veränderter Fassung z. B. auch in: nfd Information 48 (1997) 6, S. 46. - APBB-Mitteilungen (1997) 82, S. 72-74 + Beil.

4) Janke, Eberhard: Revising the German special library statistics : a quantity-to-quality initiative. - In: From quantity to quality : a European workshop for suppliers and users of library statistics / European Commission, DG XIII-E4. - Luxembourg, 1998, S. 103-104. - (Telematics for libraries). - In überarb. u. erw. Fassung auch in: INSPEL Int. J. for Special Libraries 31 (1997) 4, S. 242-246

5) So etwa beschrieben für die Perspektive des Vereins Deutscher Ingenieure in: Ehrenamt per Intranet. - In: VDI-Nachrichten (24.10.1997)

6) DBS Teil C (Spezialbibliotheken). - In: Bibliothekswesen Deutschland : Daten und Zahlen / Deutsches Bibliotheksinstitut. - http://www.dbi-berlin.de/bib_wes/zdf/zdf_00.htm

7) Doppler, Klaus; Christoph Lauterburg: Change Management : den Unternehmenswandel gestalten. - 3. Aufl. - Frankfurt/M. [u. a.], 1994

8) Eine differenzierte und facettenreiche Auswertung bietet Creaser, Claire and David Spiller: TFPL survey of UK special library statistics (Anm. 2)


Stand: 13.05.98
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