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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 3, 98

Der "Cybrarian" in der Online-Bibliothek der Zukunft


Interview mit Karin Pauleweit, kommissarische Direktorin des Deutschen Bibliotheksinstituts in Berlin

info@polis: Wie wird das Internet Ihren Tätigkeitsbereich, das Bibliothekswesen, verändern?

Dr. Karin Pauleweit: Es verändert ihn jetzt schon und zwar ganz intensiv. Wir können heute schon feststellen, daß in den Bibliotheken, die online erreichbar sind, ein großer Teil der Arbeitszeit von Bibliothekaren für die Recherche im Internet verwendet wird. Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Typen von Bibliotheken, und die meisten von ihnen hat noch keinen Internet-Anschluß. Es sind derzeit in Deutschland gerade mal 6 Prozent der Bibliotheken, die über einen Anschluß verfügen. Aber bei den Bibliotheken, die einen Anschluß besitzen und auch wirklich nutzen, bei denen verschiebt sich der Schwerpunkt ganz stark in Richtung auf dieses neue Medium.

info@polis: Immer mehr Wissenschaftler veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse aus Aktualitätsgründen zuerst im Internet. Wie gehen die Bibliotheken mit den Veränderungen im wissenschaftlichen Publizieren um?

Pauleweit: Das beschäftigt derzeit nicht nur die Bibliotheken, sondern auch die Verlage. Wir sind schon intensiv im Gespräch sowohl mit Verlegern als auch mit Wissenschaftlern darüber, wie die Funktionsaufteilung in der Zukunft aussehen wird. Mögliche Modelle können aus unserer Sicht sein, daß Bibliotheken etwa "printing on demand" machen könnten, indem sie Texte im Netz finden und vor Ort für den Nutzer ausdrucken. Auch in der Quellenerschließung der Internet-Texte sehen wir eine Aufgabe für die Bibliotheken: freilich auf einem anderen Niveau als das heute möglich ist. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Entwicklung des künftigen Berufsbildes, für das im Englischen schon der Begriff des "Cybrarian" anstelle des "Librarian" vorgeschlagen worden ist. Möglicherweise wird das eine Art "Job-hopper" sein, der an elektronischen Texten sowohl in der Bibliothek als auch im Verlag arbeiten kann.

info@polis: BerlinOPAC ist der neue Online-Katalog über die Literaturbestände der Region, der vom DBI ins Netz gestellt wurde. Er verdeutlicht, daß das DBI keineswegs technisch so antiquiert ist wie zuweilen behauptet. Wie wird dieser Katalog angenommen und warum kommt er erst jetzt?

Pauleweit: BerlinOPAC wird von den Benutzern sehr gut angenommen. Er wird aus der Sicht der Bibliotheken fast schon zuviel genutzt. Das haben wir tatsächlich schon gehört: "Er wird viel zu viel genutzt - das ist ja ein Renner". Die Bibliotheken haben nun das Problem, daß sie den Ansturm ertragen müssen. Wir haben hier in Berlin eben eine etwas traurige Bibliothekslandschaft. Das ist auch der Grund, warum wir diese Lösung, die wir technisch schon längst hätten auf die Beine stellen können, bisher nicht realisiert haben. Es lag nicht daran, daß wir es nicht konnten, sondern daß wir bei Verhandlungen in Berlin - zwischen Politik, Bibliotheken und uns - nicht auf einen Nenner gekommen sind. Jetzt haben wir es auf eigene Faust gemacht. Und das Ergebnis ist da.

info@polis: Haben andere Bundesländer auch so etwas ?

Pauleweit: Es gibt mehrere regionale Verbünde. Das ist ja die Crux in Deutschland, daß die Regionen ihre eigenen Verbundkataloge haben. Unsere Aufgabe als DBI ist es, diese Verbundkataloge zusammenzuführen. Und Berlin ist in dieser Hinsicht bisher trauriges Schlußlicht gewesen.

info@polis: Was brauchte es an technischer Ausstattung und Entwicklung für BerlinOPAC?

Pauleweit: Es bedurfte keiner neuen Entwicklungen, wir konnten das alles mit den Möglichkeiten innerhalb unseres Hauses realisieren.

info@polis: Ein anderes Projekt zur Modernisierung des deutschen Bibliothekswesens ist SUBITO - der Online-Bestelldienst.

Pauleweit: Für SUBITO hat unser Institut die vorbereitenden Entwicklungsarbeiten durchgeführt. SUBITO hätte auch nicht von irgendeiner der großen Bibliotheken in Deutschland gemacht werden können, weil sie dafür nicht die technischen Kapazitäten besitzen und auch nicht die Erfahrung mit Datenbanken, die man als Basis für Subito braucht. Subito ist ganz klar ein Beweis für die Innovationsfähigkeit des DBI, weil wir auch konzeptionell starken Input gegeben haben. - Aber man soll Innovation nicht nur aus dem technischen Blickwinkel sehen. Ich möchte daher in diesem Zusammenhang auch das Jugendprojekt nennen, das wir gerade abgeschlossen haben. Das ist eine großartige Sache, die für eine breitere Bevölkerung Innovation in den Alltag bringt. Wir wollen den Bibliothekaren den Zopf abschneiden. Wir wollen ihnen verdeutlichen, was sie mit dem Einsatz von Multimedia alles machen können. Unter der Bezeichnung "Prinzip Lernstadt" haben wir das Konzept für einen multimedialen Arbeitsplatz in der öffentlichen Bibliothek entworfen. Damit sollen die Bibliotheken auch stärker für die Bildungsaufgabe des "lebenslangen Lernens" genutzt werden. In England sind solche Multimedia-Arbeitsplätze sehr verbreitet. Bei uns in Deutschland fehlt so etwas fast völlig.

info@polis: Einen schnelleren Wissenstransfer will auch Ihr neues EU-Projekt EXPLOIT erreichen. Was hat es damit auf sich?

Pauleweit: Das ist ein Projekt, das wir mit verschiedenen europäischen Partnern durchführen, unter anderem mit dem British Council. Es geht dabei um die Auswertung und Verbreitung der Ergebnisse aus anderen Telematik-Projekten, die von der Europäischen Union gefördert werden. Man hat festgestellt, daß zwar viele hochinteressante Projekte im europäischen Rahmen stattfinden - aber kaum einer merkt was davon. Wir werden innerhalb des Projektes EXPLOIT eine Datenbank entwickeln sowie ein Webmagazine, in denen diese Forschungs- und Entwicklungsergebnisse aufbereitet und allgemein zugänglich gemacht werden, damit sie auch wirklich genutzt und weiterentwickelt werden. Denn das, was in diesen Spezialprojekten vorgedacht ist, muß ja irgendwann einmal auch zur Anwendung gelangen. Und daran krankt es im Moment. Mit EXPLOIT wollen wir ganz gezielt dafür sorgen, daß Forschungs-Ergebnisse auch umgesetzt werden, und zwar in ganz Europa bzw. international. Der Kern werden die Forschungsprojekte des EU-Programms "Telematics" sein.

info@polis: Wann soll diese Datenbank benutzbar sein?

Pauleweit: Ich denke, daß wir im Laufe des ersten Jahres, also 1998, mit den Partnern u.a. in Großbritannien, Frankreich, Polen und Ungarn das genaue Konzept von EXPLOIT fertigstellen werden können. Die Datenbank steht zwar noch nicht, aber sie ist von uns schon entwickelt und muß nicht von Grund auf neu aufgebaut werden. Entscheidend ist, daß nicht wir zentral die Daten über Forschungsprojekte bekommen und sie dann wieder einspeisen müssen, sondern daß alle beteiligten Partner die Daten direkt in das System stellen. Wir haben etwas ähnliches bereits auf unserem Server, das sogenannte "Clearinghouse". Die ersten Anfänge von EXPLOIT dürfte es in einem Jahr zu sehen geben.

Das Interview mit Karin Pauleweit führte Manfred Ronzheimer, der uns freundlicherweise die Genehmigung zum Nachdruck erteilte. Das Interview ist auch online verfügbar auf dem neuen, von der Fraunhofer-Gesellschaft betreuten Server info@polis unter der URL: <http://www.isst.fhg.de/info@polis/nr15/Pauleweit.html>.

Auf diesem Server befindet sich eine weitere Abhandlung von Manfred Ronzheimer: Wie modern ist das Deutsche Bibliotheksinstitut? Das Buch im Zeitalter seiner digitalen Virtualisierbarkeit.
URL: http://www.isst.fhg.de/info@polis/nr15/Bibliotheks-Institut.html


Stand: 10.03.98
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