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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 1, 98

Schlagwortnormdatei und RSWK in Kunst- und Museumsbibliotheken


Rüdiger Hoyer

Der Beratungsdienst Wissenschaftliche Spezialbibliotheken des DBI ermöglichte der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken am 23./24. Oktober 1997 in der Münchener Kunstakademie ein Fortbildungsseminar zu den Einsatzmöglichkeiten von RSWK/SWD speziell in Kunst- und Museumsbibliotheken. Die Veranstaltung setzte das genau ein Jahr vorher bei dem DBI/AKMB-Fortbildungsseminar "Erschließungswerkstatt für Kunst- und Museumsbibliothekare" (Sprengel-Museum Hannover) begonnene Fachgespräch fort und wurde wiederum von der AKMB-Vorsitzenden Monika Steffens auf effiziente Weise moderiert.

Im Gegensatz zur Vorjahresveranstaltung waren die Referate auf den SWD-basierten Einsatz der RSWK konzentriert. Vor einem hinsichtlich Praxiserfahrung und Wissensstand heterogenen Publikum aus Diplombibliothekaren und Wissenschaftlern im Bibliotheksdienst war dabei die schwierige Aufgabe gestellt, einerseits Grundinformationen zu SWD und RSWK zu vermitteln, andererseits aber auch teils fachbezogene, teils prinzipielle Probleme und Zukunftsmöglichkeiten zu artikulieren.

Durch die Entsendung kompetenter Spezialisten verlieh vor allem Die Deutsche Bibliothek als Zentralredaktion und Anbieter der SWD der Veranstaltung eine besondere Attraktivität. Der DDB-Leiter der Schlagwortnormdatei, Martin Kunz, gab zu Anfang einen Überblick zu Struktur und Entwicklungsstand der SWD als kontrolliertem Universalvokabular. Diese Ausführungen wurden am zweiten Tag vervollständigt durch Dr. Frank Wende, Fachreferent der DDB für Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte, der fachbezogen die Ansetzung von Sacherschließungsbegriffen nach RSWK erläuterte.

Die Ausführungen der DDB-Vertreter verdeutlichten im Zusammenspiel mit den verschiedenen Referaten aus dem Kreise der AKMB und den kritischen Diskussionen einige für den RSWK/SWD-Einsatz wesentliche Sachverhalte, die hier rekapituliert werden sollen.

Wie durch die Fachdiskussionen der vergangenen Jahre akzentuiert, handelt es sich bei der SWD um ein kooperativ erstelltes kontrolliertes Vokabular, bislang nicht aber um einen inhaltlich stets stringent angelegten Thesaurus. Konstitutiv für die SWD sind hinsichtlich der Struktur der Begriffsrelationierung die Thesaurus-Norm DIN 1463, hinsichtlich der Begriffsansetzung die "Regeln für den Schlagwortkatalog (RSWK)" nebst den "Praxisregeln...". Die SWD liefert sozusagen Bausteine, die bei der RSWK-basierten dokumentbezogenen Literaturerschließung verwendet werden können. Je reichhaltiger die SWD, desto mehr dieser Fertigbausteine stehen zur Verfügung.

Ganz analog zur RAK-Problematik stellt sich aber auch für SWD/RSWK das Dilemma, daß die Regelgrundlagen bislang keine verläßliche und einheitliche Handhabe für die EDV-Implementierung RSWK-orientierter Datenerfassung und -abfrage bieten. Die für 1998 anstehende 3. Auflage der RSWK wird, wie Kunz betonte, dieses Problem zumindest dadurch angehen, daß die Beispiele ausdrücklich Bezug nehmen auf die Strukturierung der SWD-Datensätze.

Die SWD-Einführung von Herrn Kunz wurde in wertvoller Weise ergänzt durch den einzigen nicht direkt RSWK/SWD behandelnden Vortrag, einen Bericht von Dr. Bernd Lorenz (UB Regensburg) über die Ergebnisse der DBI-Expertengruppe Klassifikation. Das Referat thematisierte auch die Frage, ob, über die Problematik von Aufstellungssystematiken hinaus, klassifikatorische Sacherschließung zusätzlich zur Verschlagwortung benötigt wird, um Fachliteratur leichter im Zusammenhang greifbar zu machen. Dem Berichterstatter blieb der Eindruck, daß dies keineswegs erwiesen ist. Im Zusammenhang mit der SWD betonte Lorenz, daß sich die traditionell in die SWD-Sätze integrierten Notationen der DDB-Grobklassifikation keineswegs mit elaborierten Systematiken wie der Regensburger Verbundklassifikation messen können.

Das Verhältnis von Schlagwort und Klassifikation und, allgemeiner, das Problem der einsichtigen und stringenten Relationierung von Fachbegriffen, blieb auch in allen weiteren Referaten und Diskussionen zumindest implizit ein Kernthema. Unbestritten ist, daß die sinnvolle Relationierung von Begriffen, z. B. durch hierarchische Verweisungen und Synonymie-/Homonymiekontrolle um so wichtiger wird, je spezifischer die Begriffe sind. Es ging aber bei der Veranstaltung ja gerade um die Überprüfung der Implikationen des Einsatzes eines bislang von universal orientierten Institutionen geprägten Vokabulars in teils hochspezialisierten Umgebungen. Und es wurde ganz deutlich, daß die Bedürfnisse spezialisierter Institutionen in einem durchaus nicht unproblematischen Verhältnis zu den Bedürfnissen und zur eingeübten Praxis der bisher hauptsächlich RSWK/SWD anwendenden großen Universalbibliotheken stehen.

Ein besonderer Prüfstein war die spannende Frage, ob etwa mit RSWK/SWD über die Literaturerschließung hinaus auch eine Brücke zur musealen Objekterschließung gebaut werden kann, ein alter Traum der Museums-EDV. Während der Bibliotheksdirektor des Germanischen Nationalmuseums, Dr. Eberhard Slenczka, dies nach einer exemplarischen Überprüfung der SWD auf das Vorhandensein bestimmter in seinem Hause relevanter Sachbegriffe ausgesprochen positiv beurteilte, äußerten sich Dr. Christof Wolters (Institut für Museumskunde, Berlin) und Regina Scheffel (Bayerisches Nationalmuseum, München) wesentlich zurückhaltender, da sie bei Stichproben aus der SWD eine durchgängig stringente Relationierung der Einzelbegriffe vermißten. Wolters und Scheffel akzentuierten damit einen auch von den DDB-Vertretern eingestandenen 'wunden Punkt' der bisherigen SWD-Kooperation. Sie versuchten aber in einer nach Einschätzung des Berichterstatters letztlich überzogenen, aber aus der klassifikatorischen Museumstradition verständlichen Weise, die SWD-Daten nach der Zuordnung zur schon erwähnten DDB-Grobklassifikation zu beurteilen. Es sei deshalb an dieser Stelle bemerkt, daß die seit jeher in der SWD mitgeschleppten Notationen der Grobklassifikation nur ganz bestimmten Zwecken sinnvoll dienen können, in erster Linie der Sortierung nationalbibliographischer Literaturinformationen nach großen Fächern, um in Universalbibliotheken die Verteilung von Neuerscheinungsinformationen an die Fachreferenten sicherzustellen. Sicherlich wäre es falsch, die DDB-Grobklassifikation als einen wirklich genuinen Bestandteil der in der SWD manifestierten Sacherschließungsmethodik zu sehen. Eine klassifikatorische Zuordnung von Schlagwörtern ist eben nicht Bestandteil der Regeln für den Schlagwortkatalog. Eine systematische Überprüfung der Einsatzfähigkeit von RSWK/SWD in Museen muß sich darüber hinaus, was auch Wolters und Scheffel berücksichtigten, nicht nur am unmittelbaren Nutzeffekt des vorhandenen, in ständiger Erweiterung begriffenen SWD-Datenmaterials orientieren, sondern an den überhaupt in RSWK/SWD gegebenen Möglichkeiten der Datenerfassung und an deren Verhältnis zu den existierenden EDV-Umgebungen in Museen. Auf Nachfrage aus dem Publikum hin wurde betont, daß von den Referenten aus den Museen und auch von der DDB bei einem Einsatz von RSWK/SWD im Museumsbereich eher an eine Art zusätzlichen Sacherschließungszugang gedacht würde.

Der als Bibliotheksleiter am Zentralinstituts für Kunstgeschichte, München, tätige Berichterstatter resümierte, stellvertretend für den Fachverbund KHI Florenz / ZI München / Bibliotheca Hertziana, Rom, Praxiserfahrungen aus einer für Individualbegriffe systematisch auf die SWD rekurrierenden, auch UW umfassenden, hochspezialisierten Sacherschließung außerhalb der großen Verbundumgebungen. Dabei wurde die Eignung des RSWK-Regelwerks und der SWD-Datenstrukturen aus der Sicht einer großen Spezialbibliothek prinzipiell ausdrücklich bestätigt. Andererseits wurde auch hierbei betont, daß der Einsatz von RSWK/SWD in hochspezialisierten Umgebungen die Modifikation bzw. Ergänzung einiger Regeln und Datenformatdetails nahelegen könnte. Dies betrifft nicht nur die von RSWK empfohlenen Erschließungsbeschränkungen hinsichtlich Literaturarten und Anzahl der Erschließungen, sondern prinzipielle Entscheidungen zum Inhalt der SWD. So besteht im Fachverbund Florenz-München-Rom eine ausgeprägte Tendenz, auch sog. Verknüpfungsketten für Individualbegriffe als eigene Stammsätze anzulegen, eine Praxis, die in der SWD bislang möglichst vermieden wird, um den Datenumfang zu begrenzen. Andererseits erweist sich die von der DDB als SWD-Zentralredaktion angewendete Praxis, noch über RSWK hinaus etwa bei spezifischen Bauwerken Siehe-auch-Verweise von architektonischen Typen etc. unterzubringen, allenfalls für Universalbibliotheken mit einer vergleichsweise reduzierten Erwerbung hochspezifischer Literatur praktikabel, da ansonsten zu befürchten wäre, daß Benutzer bei einer Recherche mit Sachbegriffen zusätzlich eine schier unüberschaubare Fülle an Einzelverweisen auf Individualia erhielten. Auch hinsichtlich des auf die Erschließung von Künstlerliteratur konzentrierten Praxisreferats von Dr. Helgard Sauer von der SSG-Bibliothek für Gegenwartskunst, der Sächs. Landesbibliothek / SUB Dresden, wo systematisch Rückweise von Kunstrichtungen etc. auf Einzelkünstler gemacht werden, wurde diese Praxis kontrovers diskutiert. Sowohl R. Hoyer als auch später Dr. Gisela Mülhens-Matthes (Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn) betonten den aus der Praxis von Spezialbibliotheken hervorgehenden Wunsch nach einer Überprüfung und Verbesserung der schon in der SWD befindlichen, kunstrelevanten Termini samt ihren thesaurusartigen Relationen.

Das gesamte Fortbildungsseminar war geprägt von der höchst erfreulichen Bereitschaft der DDB, nach den kirchlich-wissenschaftlichen Bibliotheken nun auch in Zukunft die Kunst- und Museumsbibliotheken in die SWD-Kooperation einzubeziehen. Doch ist zu ahnen, daß dies den Charakter der SWD als auf den sachlich erschlossenen Erwerbungen der Universalbibliotheken beruhendes Vokabular verändern könnte. Zumal die großen kunstwissenschaftlichen Spezialbibliotheken würden, wie die vom auch Aufsatzerschließung betreibenden Fachverbund Florenz-München-Rom bereits nach wenigen Monaten der Arbeit probeweise an die DDB gelieferten etlichen tausend Datensätze für nicht in der SWD vorgefundene Individualbegriffe beweisen, einen nicht unerheblichen quantitativen Beitrag an fachlich relevanten, wenn auch nicht unbedingt für Universalbibliotheken, Begrifflichkeiten in die SWD einbringen können. Dies würde wiederum das SWD-Vokabular und die RSWK-Sacherschließung für eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Spezialbibliotheken interessant machen, sei es durch Normdatenübernahme bei der eigenen Erstellung von Sacherschließungen, sei es durch die Übernahme von mit Sacherschließungen versehenen Fremdtiteldaten. Wichtigstes Ergebnis der Tagung war, daß Die Deutsche Bibliothek durch diesen Sachverhalt in der Absicht bestärkt wurde, analog zu der mit den kirchlich-wissenschaftlichen Bibliotheken getroffenen Absprache künftig den AKMB-Bibliotheken das Einbringen von Neuansetzungen in die SWD zu ermöglichen. In Anbetracht der zu erwartenden Mengen im Bereich der Individualbegriffe wird dabei sogar an eine eigene, mit einem eingeschränkten Schreibzugriff ausgestattete Clearingstelle gedacht, die freilich erst einmal organisiert und finanziert sein müßte. Weitere diesbezügliche Gespräche werden Mitte November 1997 anläßlich der in der DDB stattfindenden "Anwenderkonferenz 'Zentrale bibliographische Dienstleistungen'" geführt.

Trotz dieses überaus positiven Ergebnisses kann nicht genug betont werden, daß für EDV-Sacherschließung nach RSWK unter Nutzung der Normdatei SWD auf Anwendungsebene noch keine zureichend einheitlichen datentechnischen Konventionen bestehen. Die Möglichkeit, über die Normdaten-CD der DDB die SWD und die übrigen nationalen Normdateien auch außerhalb eines Regionalverbundes am PC zu konsultieren, impliziert keinerlei Entscheidung über das literaturbezogen für die Sacherschließung angewendete Datenformat und über die Art der Nutzung der Normdaten, z. B. als mit Verknüpfungen angesteuerte Stammdatei, ggf. auch eigene Ansetzungen integrierend, sowie über das Nachhalten von Normdaten-Veränderungen in den mit Erschließungen versehenen Titeldaten.

Auch die Aufbereitung von RSWK-Sacherschließungsdaten in EDV-Benutzerkatalogen sollte gewissen normierten Anforderungen unterliegen. Sicher beschlich viele Teilnehmer die Erkenntnis, daß die Pflege der Inhalte der SWD und die dokumentbezogene Nutzung der SWD für RSWK-gemäße Erschließungen trotz aller Fachdebatten der vergangenen Jahre noch keinesfalls mit einem Konsens über die Aufbereitung dieser Daten für das Publikum einhergehen. In existierenden WWW-OPACs von Universitätsbibliotheken oder Regionalverbünden sind, das sei nachträglich bemerkt, jedenfalls durchaus unterschiedliche Differenzierungs- und Informationsmöglichkeiten bei der sachlichen Suche zu beobachten. Der auf der hier besprochenen Fortbildungstagung verschiedentlich konstatierte Mangel der SWD an Elaboriertheit in den thesaurusartigen Begriffsrelationierungen macht sich in solchen OPACs jedenfalls nicht bemerkbar, weil die Thesaurusstrukturen der SWD meist überhaupt nicht für Benutzerzwecke ansichtig gemacht werden. Insofern kann behauptet werden, daß die beträchtlichen Arbeitsinvestitionen in SWD-gestützte RSWK-Sacherschließung gegenwärtig in manchen Details als bibliothekarischer Selbstzweck erscheinen. Gerade leistungsfähige Spezialbibliotheken mit ihren publikumsbedingt oft besonders differenzierten Anforderungen an Möglichkeiten wissenschaftlicher Literaturrecherche könnten auf diesem Gebiet einen Impetus geben und besonders interessante Fachangebote entwickeln.

Die Tagungsteilnehmer artikulierten jedenfalls hinreichend deutlich den Wunsch nach Fortführung und anwendungsbezogener Vertiefung der von AKMB und DBI eingeleiteten effizienten Fortbildungsbemühungen zur Sacherschließung. Die Vertreter der DDB zögerten nicht, ihre Mitwirkung bei zukünftigen regelrechten Schulungsmaßnahmen zuzusagen. Die außergewöhnlich hohe Teilnehmerzahl von über sechzig Personen beweist nicht nur den guten Ruf von AKMB-Fortbildungen, sondern läßt vor allem darauf schließen, daß mit Hilfe des DBI in eine ausgesprochene Fortbildungslücke gestoßen und gleichzeitig ein optimaler Wirkungsgrad auf die angesprochene Zielgruppe erreicht wurde. Die attraktiven Rahmenbedingungen der Tagungsstätte haben sicherlich hierzu beigetragen, wofür der Akademie der Bildenden Künste in München, namentlich ihrer Bibliothekarin, Sabine Muske, ganz herzlich gedankt sei.


Stand: 19.01.98
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