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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 97

Urheberrechtliche Probleme der Volltext-Versorgung am Beispiel des Automatischen Volltextservice des FIZ Karlsruhe1)


Martin Hackemann

1. Einführung

Die fortschreitende Entwicklung der Informationstechnologien ermöglicht auch eine Weiterentwicklung der elektronischen Informationsdienstleistungen. So wird etwa in verschiedenen Projekten großer Datenbankanbieter/ Hostzentren nach Wegen zur Vereinfachung der Literaturbestellung und Abrechnung gesucht. Eines dieser Projekte wird unter dem Titel "Automatic Document Delivery (AutoDoc)" vom FIZ Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der TIB und ZBMed durchgeführt. Bei der Planung und Durchführung derartiger Projekte dürfen jedoch die rechtlichen Grenzen, z. B. durch das Urheberrechtsgesetz nicht unberücksichtigt bleiben.

Im folgenden soll deshalb überblicksartig das Projekt AutoDoc des FIZ Karlsruhe vorgestellt werden (2.), das in Eigeninitiative des FIZ Karlsruhe und der Bibliotheken TIB und ZBMed durchgeführt wird. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt aber auf der Darstellung der urheberrechtlichen Rechtslage (3.). In einem abschließenden Kapitel geht es um die immer wieder von den Kunden an das FIZ Karlsruhe gerichtete Frage nach copyrightcleared Dokumenten (4.).

2. AutoDoc

Das FIZ Karslruhe entwickelt zusammen mit der TIB und ZBMed ein Volltextvermittlungssystem AutoDoc.

Dabei soll der Kunde, der bereits über einen Datenbankanschluß verfügt, über die Eingabe der bibliographischen Daten oder durch Übernahme des recherchierten Literaturnachweises in das System beim FIZ Karlsruhe als Mittler die Bestellung aufgeben. Die Nutzung des Volltextvermittlungssystems setzt einen Datenbankanschluß bei dem Kunden aber nicht zwingend voraus. Volltextvermittlungssystem und Datenbankanschluß bilden jedoch eine sinnvolle Einheit.

FIZ Karlsruhe prüft die Bestellung auf Vollständigkeit und Plausibilität, sucht den richtigen Lieferanten und leitet die Bestellung weiter an eine Großbibliothek (TIB oder ZBMed etc.). Die Auslieferung an den Kunden erfolgt entweder per Postversand oder Fax. Der Kunde erhält das Dokument in jedem Fall als Hardcopy. In der Bibliothek wird die Zwischenkopie vernichtet.

Es ist vorgesehen, künftig für die Übermittlung ein Faxgerät der Gruppe 4 (im folgenden "PC-Fax") einzusetzen, vorausgesetzt, auch der Kunde verfügt über ein solches Gerät. Vorteil des PC-Fax-Einsatzes ist zum einen die sechsfache Übermittlungsgeschwindigkeit. Zum anderen ermöglicht das PC-Fax die Ausgabe des Dokumentes in digitaler Form, so daß der Kunde das erhaltene Dokument z. B. in einer eigenen internen Datenbank speichern und seinen Mitarbeitern den Abruf des Dokumentes zur Weiterbearbeitung erlauben kann. Darüber hinaus soll das System automatisch die Suche des Volltextdokumentes in einem elektronischen Archiv auslösen und dessen Bereitstellung und Übermittlung veranlassen.

Die Abrechnung erfolgt in der Weise, daß die Kundenrechnung in der Bibliothek vollautomatisch elektronisch erstellt, über Datenfernverarbeitung an das FIZ Karlsruhe geleitet und von dort die Rechnung aus allen Lieferungen der verschiedenen Lieferanten erstellt und an den Kunden weitergeleitet wird.

Zur Zeit läuft ein erster Test an, in dem Erfahrungen gesammelt werden sollen, bevor das Projekt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

3. Urheberrechtliche Aspekte

Anwendbarkeit deutschen Urheberrechts

Da der Dienst AutoDoc z.Z. in Zusammenarbeit mit deutschen Document Suppliern angeboten wird, soll die Rechtslage nach deutschem Urheberrecht beurteilt werden.

Werkcharakter der Volltextdokumente

Die urheberrechtliche Problematik stellt sich natürlich nur, wenn das über das Bestellsystem des FIZ Karlsruhe bestellte Dokument als persönliche geistige Schöpfung gemäß § 2 Abs. 2 UrhG2) ein urheberrechtlich geschütztes Werk darstellt. Davon soll im folgenden ausgegangen werden.

Vervielfältigungshandlung

Die Ausführung der Bestellung durch die Bibliothek macht die Herstellung von Vervielfältigungsstücken erforderlich. Ein erstes Vervielfältigungsstück entsteht mit der Herstellung der zu versendenden Kopie des bestellten Dokumentes bzw. mit der Herstellung einer Zwischenkopie des per Telefax zu übermittelnden Dokumentes. Sofern das Dokument per Fax4 übermittelt wird, muß das Dokument eingescannt werden, was ebenfalls als Vervielfältigungshandlung anzusehen ist. Diese Vervielfältigungen sind nach § 16 dem Urheber vorbehalten. Ein weiteres Vervielfältigungsstück entsteht beim Besteller, wenn das Dokument aus dessen Faxgerät ausgegeben bzw. in dessen Rechner gespeichert wird.

Zulässigkeit der Vervielfältigung

Zulässig sind diese Vervielfältigungshandlungen, wenn der Urheber ihnen zugestimmt hat oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand im Rahmen der Urheberrechtsschranken nach §§ 45 ff., insbesondere § 53, vorliegt.

Vertragliche Erlaubnis

Die Vervielfältigung für den Kopienversand ist gestattet, wenn eine Vereinbarung zwischen Urheber und Werknutzer vorliegt. In Deutschland werden die Urheberrechte, etwa im Rahmen der gesetzlichen Vervielfältigungsfreiheit und des bibliothekarischen Leihverkehrs, von der Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen, die die gesetzlichen Urhebervergütungen (z. B. Geräte- und Betreiberabgabe nach § 54 a, Bibliothekstantieme nach § 27 Abs. 2) von den Werknutzern erhebt. Eine unmittelbare Vereinbarung zwischen den Rechteinhabern und den Bibliotheken besteht nicht.

Gesetzliche Erlaubnis

Eine gesetzliche Erlaubnis kann der Besteller eines Dokumentes dann für sich in Anspruch nehmen, wenn er sich auf einen Tatbestand des § 53 Abs. 1 oder 2 berufen kann, d. h. wenn die Herstellung von Vervielfältigungsstücken zum privaten oder eigenen Gebrauch erfolgt. Dabei darf der Berechtigte die Vervielfältigungsstücke auch durch Dritte herstellen lassen. In jüngster Zeit hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, ob und inwieweit professionell handelnde Dritte (z. B. Bibliotheken oder Banken mit einem durchorganisierten Kopierservice) im Auftrag des Kunden für diesen Kopien herstellen dürfen3).

Der BGH ist dabei zu Feststellungen gelangt, die für die Kopierpraxis in Deutschland erhebliche Bedeutung erlangen dürften:

  1. Ob der mit der Vervielfältigung beauftragte Dritte aus der Vervielfältigung wirtschaftlichen Gewinn zieht oder nicht, ist aus urheberrechtlicher Sicht unerheblich, solange dem Gesetz nichts Gegenteiliges zu entnehmen ist.
  2. Eine Kopiertätigkeit, die von einem Dritten im Auftrag des berechtigten Benutzers vorgenommen wird, ist nach § 53 Abs. 1 und 2 nur privilegiert, soweit sie sich auf den technisch maschinellen Vervielfältigungsvorgang beschränkt. Entscheidend ist, daß der mit der Herstellung des Vervielfältigungsstückes beauftragte Dritte gleichsam an die Stelle des Vervielfältigungsgerätes des privilegierten Nutzers tritt.
  3. Der Kopierdienst der Bibliotheken (Zusendung der bestellten Artikel in Kopie gegen Entgelt) ist daher zulässig, wenn sich der Kopierdienst auf die Herstellung der Kopien und Zusendung der Kopien an den Benutzer beschränkt. Der Umfang der Freistellung der Bibliotheken kann aber nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt werden.
Grenzen der Vervielfältigungsfreiheit
  1. § 53 trägt der Tatsache Rechnung, daß ein Verbot der Vervielfältigung im privaten Bereich praktisch nicht durchsetzbar ist.
  2. Außerdem ist der Urheber mit seinem immateriellen geistigen Eigentum in die Sozialpflichtigkeit der Eigentumsordnung gemäß Art. 14 Abs. 1 GG eingebunden, d. h. auch das Urheberrecht ist in bestimmten Grenzen der Allgemeinheit verpflichtet. Diese Grenzen werden durch die §§ 45 ff. bestimmt. Sie sind eng auszulegen.
  3. Die nach § 53 zugelassene Vervielfältigung darf weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzen (Art. 9 Abs. 2 RBÜ). Die zur persönlichen Nutzung geschaffene Vergünstigung des § 53 läßt daher eine neue Nutzungsmöglichkeit nicht zu, wenn und soweit die Gefahr besteht, daß das Urheberrecht dadurch ausgehöhlt werden könnte.
  4. Dem Anliegen des Gesetzgebers an einem gut ausgebauten, schnell funktionierenden und wirtschaftlich arbeitenden Informationswesen steht die Wahrung der Urheberrechte nicht entgegen. Das Informationsinteresse der Allgemeinheit findet seine Grenzen an den Schranken des § 53.
  5. Der Inhalt einer Information als solcher ist nicht urheberrechtlich geschützt. Recherche- und Informationsdienste können, ohne in fremdes Urheberrecht einzugreifen, Daten, Fakten sowie bibliographische Angaben mitteilen.
Vervielfältigungstatbestände nach § 53 UrhG

Nicht weiter eingehen möchte ich an dieser Stelle auf die Vervielfältigung für den privaten, d. h. persönlichen Gebrauch der Vervielfältigungsstücke nach § 53 Abs. 1 UrhG.

§ 53 Abs. 2 Nr. 1

Zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch ist die Herstellung eines Vervielfältigungsstückes nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 UrhG zulässig, wenn die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist, etwa zur Herstellung einer Arbeitskopie4).

§ 53 Abs. 2 Nr. 2

Nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG ist die Herstellung eines Vervielfältigungsstückes für das eigene Archiv zulässig. Voraussetzung ist allerdings, daß die Vervielfältigung von einem eigenen Originalwerkstück angefertigt wird. Das dürfte aber hier gerade nicht der Fall sein, da sich der Besteller ja die Kopie erst zusenden läßt, um sie dann für sich verfügbar zu haben.

§ 53 Abs. 2 Nr. 4a

  1. Nach § 53 Abs. 2 Nr. 4a ist die Herstellung einzelner Vervielfältigungsstücke zum sonstigen eigenen Gebrauch zulässig. Allerdings dürfen nur kleine Teile eines Werkes vervielfältigt werden. Das sind etwa 20 % eines Buches oder des redaktionellen Teils einer Zeitschrift. Die Vervielfältigung einzelner Aufsätze aus einer Zeitschrift ist also zulässig. Der eigene Gebrauch ist nicht näher festgelegt. Entscheidend ist, daß die Vervielfältigungsstücke für den Besteller bzw. für seinen eigenen internen geschäftlichen Gebrauch gefertigt werden.
    Sobald jedoch die Bibliothek elektronische Kopien eines Dokumentes liefert, kann sie sich nicht mehr auf den gesetzlichen Ausnahmetatbestand des § 53 Abs. 2 Nr. 4a berufen: Die Herstellung von Vervielfältigungsstücken von eigenen Originalwerkstücken ist in dem Moment nicht mehr privilegiert, in dem der Benutzer (bzw. in dessen Auftrag die Bibliothek) die eigenen Originale einscannt, um sie elektronisch verfügbar zu haben. Die vielfältigen Möglichkeiten der elektronischen Werknutzung gehen eindeutig über den vom Gesetzgeber 1965 gesetzten engen Rahmen für die freie Werknutzung hinaus. Das OLG Düsseldorf5) stellt deshalb auch ausdrücklich fest, daß nicht jede neue Nutzungsart, auch wenn sie noch im Rahmen des eigenen Gebrauchs des Benutzers liegt, von der Vervielfältigungsfreiheit gedeckt ist, sofern dadurch dem Urheber die Nutzung seines Werkes in unzumutbarer Weise entzogen würde6).
  2. Die Vervielfältigungsstücke dürfen nicht weitergegeben oder sonst für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen, § 53 Abs. 5.
4. Copyrightcleared Dokumente

Immer häufiger wird an den Volltext-Service der Wunsch nach sog. copyrightcleared documents herangetragen und dabei auf Dienstleistungen der BLDSC verwiesen.

Unter Copyrightcleared Dokumenten versteht die Großbibliothek BLDSC folgenden Service:

Der Benutzer, der lediglich Kopien einzelner Artikel aus Zeitschriften für seine wissenschaftlichen oder privaten Studien benötigt, zahlt keine gesonderte Copyright-Gebühr (sog. Library Privilege Photocopy Service); die Verwendung der Kopien ist daher restriktiver als beim Copyright Fee Paid Photocopy Service (seit November 1996 Publication Specific Copyright Fee).

Der Copyright Fee Paid Photocopy Service ist für eine einzelne Person bestimmt, die geschäftlich tätig ist und

Gewerbliche Nutzer in Belgien, Frankreich und Luxemburg u.a. Ländern (nicht aber in den Niederlanden, Deutschland, Großbritannien und weiteren Ländern) müssen diesen Service in Anspruch nehmen.

Die Kosten umfassen neben den reinen Kopierkosten zusätzliche Gebühren, die die BLDSC an die englische Copyright Licensing Agency zur Weiterverteilung an die Rechteinhaber abführen muß.

5. Zusammenfassende Bewertung

Die BLDSC kann ihren Kunden die vorbeschriebenen Nutzungsrechte nur einräumen, wenn sie zuvor von den Berechtigten die Erlaubnis erworben hat, die Dokumente zu diesen Zwecken ihren Kunden zu überlassen. Die erforderlichen Rechte erwirbt sie von der Copyright Licensing Agency.

Selbstverständlich könnten auch die TIB oder ZBMed als Anbieter des Volltext-Service AutoDoc diese Rechte auf Grund entsprechender Vereinbarungen mit den Rechteinhabern erwerben. Das Verfahren dazu wäre allerdings langwierig und mühselig. Ob die Bibliotheken daher diesen Weg beschreiten werden, ist fraglich. Solange dies jedoch nicht geschieht, kann den Bestellern des Volltext-Service AutoDoc eine über die gesetzliche Erlaubnis hinausgehende Nutzung nicht gestattet werden.

1) Vortrag anläßlich des Workshops des Flämischen Rates der wissenschaftlichen Bibliotheken (VOWB) und der Belgischen Dokumentationsvereinigung (ABD) am 18. Juni 1997 in Brüssel.

2) Im folgenden sind Vorschriften ohne Gesetzesangabe solche des Urheberrechtsgesetzes vom 9.9.1965 [UrhG]

3) BGH Wertpapiermitteilungen (WM) IV 1997, S. 731 ff..

4) Nach § 53 Abs. 5 UrhG n.F. darf auch [per Downloading] eine elektronische Kopie einer Datenbank oder eines wesentlichen Teils davon hergestellt werden; der Zweck darf dann aber nicht die Anlage eines eigenen Archivs, sondern nur z.B. die wissenschaftliche Analyse der Datenbank sein.

5) Betriebsberater (BB) 1996, S. 2110.

6) Aber auch dann verliert der Benutzer die Privilegierung, wenn er das eigene Archiv nicht mehr nur intern, sondern auch extern, etwa zur Befriedigung von Kundenanfragen nach Dokumentkopien benutzt, BGH, WM IV 1997, S. 731 ff..


Stand: 09.12.97
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