Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 97

Erstmalig akademische Grade "Wissenschaftliche Bibliothekarin"/"Wissenschaftlicher Bibliothekar" verliehen


Wolfgang Jänsch

Am 28. November 1997 beendete die 1. Matrikel das postgraduale Studium der Bibliothekswissenschaft am "Institut für Bibliothekswissenschaft" (IB) der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Damit war die zweijährige Fernstudienzeit zu Ende, und die Zeugnisse konnten vergeben werden. Nachdem schon über diesen Studiengang, seine sehr erfreuliche Resonanz und auch über Studienerfolge und -ergebnisse in dieser Zeitschrift berichtet werden konnte, eigentlich schon fast nichts Besonderes mehr. Allen Beteiligten, auch den Fernstudenten war bewußt, daß sie nach bestätigten Studien- und Prüfungsordnungen abschließen. Genau diese wurden von uns aber ständig so angelegt, daß auch inhaltliche Anlehnung bzw. Äquivalenz zur Ausbildung für den höheren Dienst an Bibliotheken gegeben ist. Dabei achteten wir aber ganz konsequent gleichzeitig auch darauf, daß wir als universitäres Ausbildungsinstitut die Möglichkeiten einer Graduierung voll ausschöpfen können. Genau das ist uns in letzter Konsequenz auch gelungen.

Erstmalig gibt es nun in Deutschland auch auf dem Gebiet der Bibliothekswissenschaft einen eigenen akademischen Grad: "Wissenschaftliche Bibliothekarin"/"Wissenschaftlicher Bibliothekar" ("Wiss. Bib."). Die HU hat sich entschlossen, diesen akademischen Grad zu verleihen. Sie folgte damit dem Vorschlag des Bereichs Fernstudium am IB. Die Philosophische Fakultät I, zu der das IB gehört, brachte den Antrag ein, und der Präsident der HU traf eine diesbezügliche positive Entscheidung. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur stimmte zu, und die Verleihung konnte erfolgen; die entsprechenden Urkunden konnten gedruckt werden.

Was hier so kurz mit einem Satz umrissen wurde, war in der Realität ein sehr langer und durchaus auch komplizierter Prozeß. Letztendlich standen kurz vor Abschluß der 1. Matrikel alle Beteiligten unter extremem Zeitdruck, und es ist nur der schnellen Entschlußkraft und des engagierten Einsatzes der Beteiligten an der Universität (inclusive der Nutzung der Möglichkeit von Eilentscheidungen) und in der Senatsverwaltung zu danken, daß ein so positives Ergebnis gefunden werden konnte.

Nach Beginn der Ausbildung der 1. Matrikel wurde zunächst eine Studien- und Prüfungsordnung ausgearbeitet, die die Vergabe eines Zeugnisses vorsah (veröffentlicht im Amtlichen Mitteilungsblatt der Humboldt-Universität zu Berlin Nr. 32/1996 vom 9. Januar 1997). Gleichzeitig waren wir uns im Bereich Fernstudium von Anfang an klar darüber, daß eine universitäre Graduierung sinnvoll ist. Diese sollte sich aber wiederum eindeutig von der M.A. (Magister Artium)-Ausbildung unterscheiden. Sehr wohl bietet das IB diesen M.A.-Studiengang auch weiterhin im Direktstudium an. Wie allgemein bekannt sein dürfte, kann das Fach Bibliothekswissenschaft dabei als Haupt- oder Nebenfach mit anderen Fächern an der HU in einem grundständigen Studiengang kombiniert werden. Von dieser Möglichkeit machen sehr viele Studierende Gebrauch. Z. Z. werden ca. 50 Fächerkombinationen (mit Bibliothekswissenschaft) am IB von den Studierenden realisiert. Das Zeugnis und die Urkunde, die die Absolventen nach diesem grundständigen Studium erhalten, weisen den akademischen Grad "M.A." aus. Das sollte, weil auch langjährig bewährt, so beibehalten werden. Die Spezifik der bibliothekswissenschaftlichen Komponente sollte an dieser Stelle weder hervortreten, noch sollte sie dominieren. Bibliothekswissenschaft ist in diesem Ausbildungssystem genau so ein Fach, wie jedes andere auch (nicht mehr und nicht weniger). Ein Zusatzstudium jedoch, welches nur auf die Tätigkeitsbereiche im Bibliothekswesen abzielt, dabei auch noch an bereits bestehende Ausbildungsgänge der Referendarausbildung anlehnt, konnte also schwerlich ebenfalls einen "M.A."-Grad vergeben. Auch die Bezeichnung "Dipl.-Bibl." konnte nicht vergeben werden. Sie würde zwar in Analogie zum "Dipl.-Phys." oder "Dipl.-Chem." logisch erscheinen, würde aber kollidieren mit dem "Dipl.-Bibl." des gehobenen Dienstes. Hier hätte höchstens an Stelle des Zusatzes "(FH)" der Zusatz "univ." erfolgen können. Ein an und für sich zwar rein "ordnungsmäßig" machbarer Weg, aber er würde durch den Zusatz "univ." in Analogie zu anderen universitären Studiengängen auf ein grundständiges Studium hindeuten. Genau das ist aber nicht gewollt, denn es handelt sich im vorliegenden Fall um ein postgraduales Zusatzstudium; also ein zweites Studium (der Abschluß eines 1. Studiums ist schon Zugangsvoraussetzung). Es sollte auch unbedingt zum Ausdruck gebracht werden, daß die erworbene Qualifikation "Wissenschaftliche Bibliothekarin" bzw. "Wissenschaftlicher Bibliothekar" dem Ziel des Erwerbs von theoretischen und praktischen Kenntnissen auf wissenschaftlicher Grundlage über Funktion und Arbeitsmethoden des Bibliothekswesens, dem Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Organisation von Informationsprozessen sowie der Befähigung zur Führung von Bibliotheken und Informationseinrichtungen und zur Realisierung eigener wissenschaftlicher Projekte und der Weiterentwicklung von Verfahren und Methoden der Bibliothekspraxis dient. Dies steht zwar nahezu wörtlich auf dem Zeugnis, welches zum Ende des postgradualen Studiengangs ausgehändigt wird, damit war aber immer noch keine Bezeichnung gefunden. Genau in dieser Phase befanden wir uns, nachdem das Fernstudienprojekt bereits erfolgreich begonnen hatte, die 2. Matrikel bereits immatrikuliert war und die BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung), durch deren Bereitstellung von Fördergeldern das Ausbildungsprojekt überhaupt erst ermöglicht wurde, kontinuierlich die Evaluation durchführte. Erfreulicherweise gab es zu dieser Zeit auch eine neue KMK-Empfehlung vom 6.12.96 der Kultusministerkonferenz der Länder, die Parameter empfahl, wonach akademische Grade nur unter bestimmten Bedingungen vergeben werden sollten. Vereinfacht dargestellt waren für einen Zusatzstudiengang folgende Aspekte für uns wichtig geworden:

In vorausschauender Erwartung dieser Problemkreise erfüllten wir bereits weitestgehend durch unsere sehr präzisen Ordnungen (Zulassungs-, Studien-, Prüfungsordnung, Praktikumsrichtlinie) die Aspekte. Allein mit dem letzten Aspekt taten wir uns etwas schwer ("sprechbar" ??!). Es folgten umfangreiche Konsultationen und Beratungen unter den Kollegen am Institut. Sehr engagiert zeigte sich auch hierbei der Wissenschaftliche Beirat des IB. Gemeinsam wurde nun der Begriff "Wissenschaftliche Bibliothekarin"/"Wissenschaftlicher Bibliothekar" mit der Abkürzung "Wiss. Bib." geschaffen. Ob dieser nun so richtig sprechbar ist, möchte an dieser Stelle nicht diskutiert sein. Es gab auch Vorschläge, eine lateinische oder englische Fassung zu prägen. Letztendlich waren wir uns weitestgehend aber einig, daß es wichtiger ist, diesen akademischen Grad für den deutschsprachigen Raum anzubieten; obwohl zwischenzeitlich auch starkes Interesse aus dem Ausland nach diesem Studiengang vorliegt. Nach Klärung all dieser Sachverhalte mußte nun auch noch kurzfristig die Prüfungsordnung den akademischen Grad ausweisen. Dies geschah mit der Veröffentlichung der diesbezüglichen Ergänzung der Prüfungsordnung am 17.11.1997 (s. Amtl. Mitteilungsblatt der HU Nr. 32/1997, speziell § 13).

Den erreichten Erfolg sehen wir allerdings nicht nur als Verdienst für unser Wirken an, sondern wir sehen darin auch einen Ausdruck für die Achtung und Wertschätzung all derer, die bereits wissenschaftlich im Bibliothekswesen wirken oder eine solche Tätigkeit anstreben - eine schöne Anerkennung für diese wissenschaftliche Fachdisziplin und somit auch für das Bibliothekswesen insgesamt.

Gewöhnungsbedürftig dürfte der Grad doch noch sein. Zunächst reicht die Ausbildungskapazität am IB auch nur, um jährlich 30 neue Studenten für dieses Zusatzstudium zu immatrikulieren. Die Liste der Wartenden ist leider lang und in den Jahren auch so geblieben, zum einen zwar auch schöner Ausdruck für die Qualifizierungswünsche und den Qualifizierungswillen der im Bibliothekswesen Beschäftigten, zum anderen aber auch Ausdruck für die begrenzte Ausbildungskapazität am IB. Gerade diese Ausbildungskapazität soll auf Grund von pauschalen Sparauflagen an der HU nun leider auch noch weiter eingeschränkt werden. Solange noch BLK-Mittel den Ausbildungsgang stützen, dürfte es keine Probleme geben; danach müssen gegebenenfalls neue Wege der Finanzierung gefunden werden. Die Einführung von Studiengebühren könnte evtl. einen Teil der Kosten der Ausbildung decken; will man jedoch "astronomische" Studiengebühren vermeiden, so kann damit immer nur ein Teil der Kosten gedeckt werden. Gegenwärtig bemühen sich alle Ausbildungsbeteiligten sehr bei der Suche nach gangbaren Lösungen. Auch die KMK-Empfehlungen sollen beachtet sein, wonach ein akademischer Grad auch langfristig erhalten und beibehalten sein soll. Dies ist für den "Wiss. Bib." natürlich sehr zu wünschen. Bewußt haben wir auch keine kurzfristige oder "modernistische" Terminologie gewählt; ganz analog auch zu den Benennungen der Ausbildungsinhalte. Bei den Ausbildungsinhalten selbst sehen wir jedoch permanent Bewegungsspielraum und Adaptionsnotwendigkeit bei Einführung und Nutzung neuer Techniken und Technologien.

Die vorliegende Zeitschrift bildet u. a. auch ein gutes Forum zur Diskussion dieser Ausbildungsinhalte. Flexibel wollen wir auf neue Praxisforderungen reagieren. Auch studienmethodisch soll es weitergehen.

Ein neues BLK-gefördertes Projekt ermöglicht uns hoffentlich die Nutzung und Erprobung von Videokonferenz-Systemen in der Lehre. Dabei soll Bibliothekswissenschaft in Fernstudienform (2. Hauptfach) als Teilstudiengang am IB absolviert werden und gleichzeitig das 1. Hauptfach im Direktstudiengang an der Universität Koblenz-Landau studiert werden ("Teleteaching macht's möglich"). Über diese zukünftige Entwicklung kann hoffentlich später einmal berichtet werden.

Zunächst freuen wir uns alle über den neuen akademischen Grad "Wissenschaftliche Bibliothekarin"/"Wissenschaftlicher Bibliothekar" ("Wiss. Bib.").


Stand: 09.12.97
Seitenanfang