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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 97

Verfilmung und EDV-gestützte Bereitstellung von Flugblättern
Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur der Bibliothek für Zeitgeschichte

Gerhard Hirschfeld

Im Rahmen ihres Förderprogramms "Mikroverfilmung gefährdeter Bibliotheksbestände" förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit Oktober 1993 ein Projekt der Bibliothek für Zeitgeschichte zur Verfilmung und EDV-gestützten Bereitstellung ihres Flugblattbestandes der Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur.

1. Zur Dokumentationsstelle

Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde 1972 die Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur als eine Sondersammlung der Bibliothek für Zeitgeschichte eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, die sogenannte graue Literatur zu sammeln, d. h. jene wissenschaftlich relevanten Materialien, die in der Regel nicht über den konventionellen Literaturvertrieb verbreitet werden. Schwerpunkt der Sammlung sind politische Stellungnahmen von Bürgerinitiativen, politischen Gruppen oder Einzelpersonen zu folgenden Themenbereichen: Studentenbewegung, außerparlamentarische Opposition, Friedensbewegung, Rüstungs- und Abrüstungspolitik, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, Anti-Atomkraft-Bewegung, Rechts- und Linksradikalismus, Antifaschismus, Ausländer- und Flüchtlingsproblematik. Neben Broschüren, Zeitschriften, Plakaten und Kleinmaterialien verfügt die Dokumentationsstelle über einen umfangreichen Flugblattbestand.

2. Flugblattbestand

Der Flugblattbestand der Dokumentationsstelle umfaßt z. Zt. ca. 115.000 Flugblätter. Sie sind bis 1989 nach dem Provenienzprinzip und ab 1990 nach dem Eingangsjahr abgelegt. Die Flugblätter können im gegenwärtigen Zustand für die Forschung nicht mehr angemessen benutzt werden, da sie akut vom Papierzerfall bedroht bzw. bereits vielfach beschädigt sind. Die Papierqualität ist sehr schlecht und der Druck verblaßt, da die Vervielfältigung damals meist im Umdruckverfahren bzw. auf Wachsmatrizen durchgeführt wurde. Bei dem Flugblattbestand handelt es sich um eine in Deutschland in vieler Hinsicht einzigartige Sammlung, die als zeithistorische Archivalien für die wissenschaftliche Forschung von großer Bedeutung sind.

3. Verfilmung

Vorrangiges Ziel des Projektes war die Schutzverfilmung und damit Schonung der Originale, intendiert war jedoch zugleich auch eine verbesserte Nutzung und Zugänglichkeit der Materialien.

Gemäß den Vorgaben der DFG wurde für die Verfilmung der 35 mm-Mikrofilm, Rollenlänge 30,5 m benutzt. Es wurden je 1 Silberfilm sowie 2 Diazo-Benutzungskopien angefertigt.

Als Vergrößerungsfaktor wurde 1:13 gewählt, d. h. eine DIN A4 Vorlage füllt die Hälfte, eine DIN A3 Vorlage das gesamte Aufnahmefeld einer Vollschrittaufnahme aus. Zweiseitige Flugblätter belegen zwei Aufnahmen (Vorder- und Rückseite), bei mehrblättrigen Flugblättern wurden immer zwei zusammengehörende Seiten nebeneinander verfilmt.

Bei jeder Aufnahme wurde am Filmrand ein sogenannter Blip mitverfilmt. Durch diese Bildmarke ist eine bestimmte Aufnahme über den PC ansteuerbar. Neben den Aufnahmen werden die entsprechenden Ziffern eingeblendet, die die Aufnahmen je Film durchzählen.

Es wurde nach Bildlage 2 B DIN 19057 verfilmt. Durch die Wahl des kleineren Vergrößerungsfaktors (im Vergleich zur Bildlage 2A) ist gewährleistet, daß auch schwer lesbare Vorlagen auf dem Mikrofilm noch zu entziffern sind. Desweiteren ist auf diese Weise jeder Flugblattseite (bzw. Seiten die zusammengehören) ein Blip zugeordnet, was die Erschließung wesentlich vereinfacht.

4. Formalerfassung und inhaltliche Erschließung der Flugblätter

Von April 1995 bis März 1997 erfaßte eine ABM-Kraft nachträglich die Flugblätter aus dem südwestdeutschen Raum. Inzwischen sind ca. 18.000 Flugblätter aus Freiburg, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Reutlingen und Tübingen verzeichnet.

Eine Verfilmung vor der Erschließung war unumgänglich, da die Flugblätter bereits in einem sehr schlechten Zustand waren und ein weiterer Aufschub einer Schutzverfilmung nicht zu verantworten war. Da die Filme ohne eine formale Erfassung und inhaltliche Erschließung unbrauchbar sind, wird künftig die zügige Verzeichnung des Flugblattbestandes in der Flugblattdatenbank absolute Priorität haben müssen.

Die Erfassung erfolgt in getrennten Arbeitsvorgängen unter drei verschiedenen Menus (Views): die formale Erfassung, die Verzeichnung der auf dem Film eingeblendeten Bildnummer und der Filmnummer sowie die inhaltliche Erschließung. Bei einer Recherche kann über die in der Datenbank erfaßten Filmnummer und der auf dem Film eingeblendeten Bildnummer auf die entsprechende Aufnahme des Flugblatts auf dem Film zurückgegriffen werden.

Bei der Formalerfassung werden Titel und Titelzusätze, herausgebende Körperschaften und Personen, Erscheinungsdatum, Erscheinungsort, Erscheinungsform, Reihen, Umfang, Format, Technische Bemerkungen und anschließend die Bildnummer erfaßt. Da die Angaben zu Erscheinungsdaten und Körperschaften auf den Flugblättern teilweise unvollständig sind, sind oft aufwendige Recherchen zur Ermittlung der Daten notwendig.

Die Körperschaften werden in eine gesonderte Körperschaftsdatenbank übertragen. Dort werden Verweisungen auf die Ansetzung sowie Abkürzungen der Körperschaften verzeichnet. Durch einen Abgleich der Eingabe mit dieser Lookup-Datenbank ist eine einheitliche Ansetzung und somit ein optimales Ergebnis bei der Recherche gewährleistet.

Bei der inhaltlichen Erschließung werden die Kategorien Schlagwort, Land, Kurzbeschreibung und Abstract erfaßt. Neben den Sachschlagworten können ferner Körperschaften, Ereignisse, Personen, Abkommen und geographische Begriffe ins Schlagwortfeld eingegegeben werden. Die Eingaben werden mit der Schlagwortdatenbank (Lookup-Datenbank) abgeglichen. Nichtdeskriptoren werden in Deskriptoren umgewandelt. Wird ein bereits in der Schlagwortdatenbank vorhandener Begriff eingegeben, werden automatisch "Related Terms" eingespielt. Muß ein neues Schlagwort in der Schlagwortdatenbank ergänzt werden, kann dies direkt aus der Sacherschließung heraus erfolgen.

5. Benutzung/Recherche

Um das Material weitestgehend zu schonen, soll wenn irgend möglich, nicht mehr auf die Originale zurückgegriffen werden, sondern nur noch mit den davon erstellten Mikrofilmen gearbeitet werden.

Die zwischenzeitlich retrospektiv formal und inhaltlich erschlossenen Flugblätter können in der Datenbank recherchiert werden. Über die Filmnummer und die eingeblendete Bildnummer ist jedes Dokument eindeutig identifizierbar und somit auf dem Film suchbar. Es handelt sich hier also um ein hybrides System, bei dem lediglich die Suchmerkmale elektronisch erfaßt sind, der Volltext (Flugblatt) jedoch, mit einer suchbaren Adresse (Film- u. Bildnummer) versehen, auf Mikrofilm vorliegt.

Das Besondere ist hier die direkte Anbindung des PCs an den Mikrofilm-Readerprinter (Bell+Howell ABR 2000) über eine Schnittstelle. Der Readerprinter wird nicht, wie standardmäßig vorgegeben, mit Hilfe des Mars-Controllers bedient, sondern die Ansteuerung erfolgt direkt über die PC-Tastatur. Der Benutzer führt eine inhaltliche Suche durch, läßt sich über die Ansteuerung der Bildnummern die Flugblätter anzeigen und erhält diese ggf. als Kopie.

6. Anbindung Readerprinter-PC

Die Flugblattdatenbank wurde in dem Datenbankmanagement und Informations-Retrieval-System STAR erstellt. STAR läuft in der Dokumentationsstelle unter dem Betriebssystem AMOS auf einem "Alpha Micro 2000-06"-Rechner. Die Treiberprogrammierung erfolgte in ALPHABASIC. Alle Arbeitsplätze sind mit dem Rechner vernetzt. Die PCs sind mit der PCVision Software ausgestattet, die eine Kommunikation mit dem Rechner ermöglicht. Der Readerprinter ist direkt (seriell) an einen PC angebunden. Recherche und Ansteuerung der Dokumente auf dem Mikrofilm erfolgen über die PC-Tastatur (siehe Anhang).

Die Steuerung der Rollfilmbühne erfolgt über zwei Schritte:

Zuerst werden die aus der Datenbank ausgewählten Datensätze in eine Datei geschrieben. Anschließend wird diese mit Hilfe einer Stapelverarbeitung abgearbeitet. Eine Stapelverarbeitung der gewünschten Dokumente war notwendig, da das Betriebssystem AMOS eine direkte Anwahl der Bildnummern aus der Datenbank heraus nicht erlaubt. STAR selbst wäre in der Lage, externe Programme oder Arbeitsabläufe anzusteuern.

In der Stapelverarbeitung wird angezeigt, wenn der Film gewechselt werden muß. Der alte Film wird entladen, die Nummer des neu zu ladenden Films wird angezeigt. Nach dem Einlegen des neuen Films wird die nächste Bildnummer angefahren.

Unabhängig davon kann die Rollfilmbühne auch ohne vorheriges Retrieval in der Datenbank betrieben werden. Alle Funktionen wie Film einlegen/auswerfen, Bild vor/zurück, bestimmte Bildnummer ansteuern ect. wurden ins Menu integriert.

7. Nachweis in der EROMM-Datenbank

Um Mehrfachverfilmungen zu vermeiden, werden die Master-Mikroformen deutscher Bibliotheken im European Register of Microform Masters - EROMM verzeichnet. Nach eingehender Prüfung haben das Deutsche Bibliotheksinstitut in Berlin und die NSUB Göttingen entschieden, das Projekt in Form eines Pauschaleintrags in der EROMM-Datenbank nachzuweisen.

8. Schwierigkeiten

Da es sich bei dem Datenbanksystem STAR unter AMOS um ein proprietäres System handelt, sind Schwierigkeiten bei der Anbindung des Readerprinters entstanden, die mit einem anderen Betriebssystem - zum Beispiel mit UNIX - zu vermeiden gewesen wären. Eine Umstellung auf UNIX ist jedoch aus Kostengründen momentan nicht zu realisieren. Mit STAR unter UNIX wäre es beispielsweise möglich, direkt aus der Recherche heraus einen Blip auf dem Film anzusteuern. Mit AMOS ist dies nicht möglich - das Rechercheergebnis muß in eine Datei geschrieben werden, die dann per Stapelverarbeitung abgearbeitet wird. Auch hinsichtlich der Zugänglichkeit der Recherchedaten an anderen Orten wäre STAR unter UNIX von Vorteil, da dann die Daten und die Filme an Dritte weitergegeben und in andere Systeme integriert werden könnten.

Weitere Probleme, die bislang nicht gänzlich zufriedenstellend gelöst werden konnten:

Die Schnittstelle der Rollfilmbühne verfügt nicht über einen Buffer, so daß zwei schnell aufeinanderfolgende Befehle nicht ausgeführt werden können und die Schnittstelle dadurch "lahmgelegt" werden kann. Dies macht ein Aus- und wieder Einschalten des Readerprinters notwendig. Ein manuelles Weiterblättern zum nächsten Bild bringt die Zählung durcheinander, d. h. die Bildnummern werden im manuellen Betrieb nicht gezählt. Doch auch bei der Steuerung über die Tastatur mit Bild vor/zurück treten gelegentlich Fehler auf. Die Schnittstelle sollte in der Lage sein, die Blips wirklich zu lesen und diese mit den geschickten Nummern abzugleichen, wodurch ein wirklich zuverlässiges Auffinden der Bildnummern gewährleistet wäre. Während der Stapelverarbeitung kann eine Feinjustierung mit Hilfe der Pfeil-Tasten erfolgen, die bisher jedoch nur in einer Richtung funktioniert. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, daß es ohnehin schneller und einfacher ist, wenn die Feinjustierung direkt am Bildschirm des Readerprinters, mit dem dafür vorgesehenen Knopf, eingestellt wird.

9. Ausblick

Die Verfilmung auf Mikrofilm gilt derzeit als die dauerhafteste und kostengünstigste Sicherung von gefährdeten Beständen. Darüber hinaus eröffnet der Mikrofilm die Möglichkeit einer nachträglichen Digitalisierung. Im Fall des Flugblattbestands der Dokumentationsstelle wäre es wünschenswert, die Mikrofilme einzuscannen und als Images auf CD-ROM bzw. auf einem Server zu speichern. Die Filmnummern und eingeblendeten Bildnummern könnten für die Indexierung verwendet werden. Ein OCR-Verfahren kommt wegen der großen Variationsbreite des Materials nicht in Frage. Momentan ist jedoch die Digitalisierung von Mikrofilmen noch relativ teuer. Vor allem sehr schlechte Aufnahmen, die mit einer höheren Auflösung nachgescannt werden müßten, würden die Kosten zusätzlich in die Höhe treiben. Generell ist die Qualität der Scanns inzwischen schon sehr gut: Papierkopien von Scanns und Kopien vom Mikrofilm unterscheiden sich kaum. Der Vorteil einer Digitalisierung liegt in der verbesserten Zugänglichkeit und Handhabung: liegen die Aufnahmen der Flugblätter als Images vor, kann sehr viel schneller und einfacher darauf zugegriffen werden. EDV-Daten und Images könnten über Internet zur Verfügung gestellt werden.

Dem gegenüber gestaltet sich bei der Readerprinter-PC-Lösung, da ein häufiges Wechseln der Filmspulen notwendig ist, die Benutzung bisher noch etwas umständlich. Um eine verbesserte Zugänglichkeit der Mikrofilme zu erreichen, wäre es denkbar, die Filme (bzw. ein Teil der Filme) mit der Erschließung auf Papier an Dritte weiterzugeben. Über Indices und unter Angabe der Filmnummer sowie der eingeblendeten Bildnummer könnte man so die Mikrofilme benutzen.


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