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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 97

Frankreich: Mehr öffentliche Bibliotheken, weniger qualifiziertes Personal


Gernot U. Gabel

Die kommunalen Bibliotheken unseres Nachbarlandes sind weiter auf Expansionskurs, wie eine Auswertung der vom französischen Kultusministerium vorgelegten Statistik für das Jahr 1995 (Bibliothèques Municipales: Données 1995) ergibt.

Von den 3.096 Bibliotheken, denen die "Direction du Livre et de la Lecture" (DLL) des französischen Kultusministeriums einen Fragebogen zuschickte, haben sich 2.763 (98,2 %) an der Umfrage beteiligt. Nach Eingang der Rückmeldungen wurden rund 300 Einrichtungen nicht berücksichtigt, da sie entweder nur über marginale Erwerbungsetats verfügten (weniger als 50.000 Francs) oder zu geringe Öffnungszeiten auswiesen (weniger als 6 Wochenstunden). Die Auswertung stützt sich somit auf die Angaben von 2.315 kommunalen Bibliotheken, die für die Literaturversorgung von insgesamt 35,2 Millionen Bürgern zuständig sind (knapp 60 % der Bevölkerung). (Die Literaturversorgung der ländlichen Bevölkerung Frankreichs wird hingegen von den Bibliothèques Centrales de Prêt (BCP) sichergestellt). Zwischen 1990 und 1995 ist die Zahl der ÖBB von 1.614 auf 2.315 (+ 44 %) angewachsen.

Tafel 1: Verteilung der ÖBB auf Kommunen

Größe der KommunenAnzahl der ÖBBVersorgte Bevölkerung

Paris12.175.200

mehr als300.000 Einw.41.941.700

100.000 300.000 Einw.334.946.200

50.000 100.00 Einw.734.863.000

20.000 50.000 Einw.2889.011.100

10.000 20.000 Einw.4005.675.200

5.000 10.000 Einw.5603.950.700

2.000 5.000 Einw.6662.239.200

weniger als2.000 Einw.290386.200

Summe2.31535.188.000

1. Nutzflächen

Da das französische Kultusministerium Gelder für den Bibliotheksbau bereitstellt, konnte das Bauprogramm auch 1995 fortgesetzt werden. Allein in den vergangenen drei Jahren erhöhte sich sowohl die Zahl der Bibliotheken (von 2.064 auf 2.315) wie die Nutzfläche der ÖBB um jeweils rund 75.000 qm, so daß 1995 rund 1,6 Mio qm Nutzfläche zur Verfügung standen. Somit stieg auch das Angebot an Leseplätzen von 108.600 (1993) auf 126.400 (1995). Dennoch wird die Anzahl der Leseplätze, gemessen an der zu versorgenden Bevölkerungszahl, auch vom Kultusministerium noch für zu gering erachtet. Die Zahl der eingesetzten Bücherbusse ist mit 176 hingegen nahezu konstant geblieben, die übrigens zumeist in mittelgroßen Gemeinden (20.000 - 100.000 Einw.) zum Einsatz kommen.

2. Ausgaben

Die 2.247 ÖBB, die detaillierte Angaben zu ihren Kosten machten, haben 1995 rund 3,1 Milliarden Francs verausgabt, von denen wie üblich der größte Teil im Personalsektor anfiel. Die Verteilung auf die Kostenbereiche im einzelnen:

Tafel 2: Gesamtausgaben der ÖBB (1995)

BereichAusgaben (in Mio FF)

Personal2.563,1

Literaturerwerbung458,0

Einband und Ausstattung74,1

Veranstaltungen47,7

Die Ausgaben für den Erwerb von Büchern, Zeitschriften und Medien betragen nur 14,6 % der Gesamtausgaben, sie sind zudem zum zweiten Mal seit 1994 rückläufig. 1993 lag ihr Anteil bei 16 Prozent, ein Jahr später immerhin noch bei 15,6 Prozent. Erstaunlicherweise gelang es den Bibliotheken dennoch, mehr Medieneinheiten als im Vorjahr anzuschaffen. Ließen sich 1993 lediglich 3,7 Mio ME erwerben, so stieg deren Zahl im Folgejahr auf 4,2 Mio ME und 1995 sogar auf 4,5 Mio ME. Zudem wurden noch 172.000 Zeitschriften im Abonnement gehalten.

Tafel 3: Erwerbungen (1995)

Größe der KommuneAnzahl der ÖBBErworbene Medieneinh.

Paris1177.000

mehr als 300.000 Einw.4167.400

100.000 - 300.000 Einw.30576.600

50.000 - 100.000 Einw.66609.800

20.000 - 50.000 Einw.2671.199.900

10.000 - 20.000 Einw.371765.100

5.000 - 10.000 Einw.518597.800

2.000 - 5.000 Einw.635396.000

weniger als 2.000 Einw.275103.400

Summe2.1674.593.000

3. Bestand

Dank einer offensiven Erwerbungspolitik ist der Medienbestand der kommunalen Bibliotheken Frankreichs, obwohl 1995 Materialien im Umfang von 850.000 ME ausgeschieden wurden, auf eine beachtliche Größe angewachsen. Standen den Benutzern 1993 rund 75 Mio ME zur Verfügung, so war deren Zahl ein Jahr später auf 79 Mio ME und 1995 auf 85 Mio ME angewachsen. Statistisch entfallen somit auf jeden Einwohner in den von ÖBB versorgten Kommunen 2,7 ME. Und bekanntlich findet sich in den Magazinen mancher französischen ÖBB in größerem Umfang wertvolles und altes Schriftgut, das aus den Beständen der aufgehobenen Kirchen und Klöster sowie des Adels stammt und ihnen nach der Revolution übereignet worden war. Fast 8 Millionen Bände aus der Zeit des 15. bis 19. Jahrhunderts in mehr als 400 ÖBB fallen darunter.

Allerdings tun sich die ÖBB Frankreichs noch ein wenig schwer mit dem Erwerb und der Bereitstellung von neuen Medien. Weniger als ein Drittel bietet seinen Besuchern Video-Kassetten an, und nicht einmal 150 Bibliotheken halten elektronische Medien bereit.

4. Ausleihe

Erfreut wird vom Ministerium konstatiert, daß die Zahl der eingeschriebenen Leser sich erneut erhöht hat. Waren 1993 rund 5,8 Mio Benutzer registriert, so stieg deren Zahl in den vergangenen zwei Jahren auf 6,2 Millionen. Damit sind knapp 18 % der von den ÖBB versorgten Bevölkerung als Leser einer Bibliothek eingeschrieben. Und das Angebot an Büchern und Medien wird angenommen, wie die Ausleihzahlen belegen. Eine besonders stürmische Zunahme der Nachfrage herrscht bei Videos, wie sich der Tabelle entnehmen läßt.

Tafel 4: Ausleihe

Jahr Entleihungen (in Mio):BücherTonträgerVideos

1993123,215,31,8

1994130,016,6 2,3

1995136,918,23,3

5. Öffnungszeiten

Ein weniger positives Bild bietet sich bei den Öffnungszeiten. Trotz mehrerer Appelle des Ministeriums liegt die durchschnittliche Öffnungszeit aller Bibliotheken bei weniger als 20 Stunden pro Woche. Während man 1994 noch einen Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr vermelden konnte, sank dieser Wert 1995 sogar unter die vor vier Jahren erreichte Marke ab. Besonders den Kleinkommunen fällt es schwer, längere Öffnungszeiten einzuführen. Doch immerhin halten mehr als 300 Bibliotheken ihre Tore mehr als 30 Wochenstunden geöffnet.

6. Personal

Die Zahl der Beschäftigten in den Bibliotheken unseres Nachbarlandes hat sich zwar weiter erhöht, aber zugleich ist beim Ausbildungsstand ein gewisser Rückschritt zu verzeichnen. Während die Zahl der entlohnten Mitarbeiter zwischen 1993 und 1995 von 17.800 auf 19.600 anwuchs, hat sich im selben Zeitraum die Zahl der Mitarbeiter im höheren Dienst leicht reduziert (von 778 auf 769) bei gleichzeitiger moderater Anhebung der Stellenzahl für den gehobenen Dienst (von 887 auf 1008). In sehr viel größerem Umfang nahm hingegen die Zahl der Beschäftigten zu, die über eine weniger qualifizierte Ausbildung verfügen oder lediglich angelernt sind. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dürften sich mittelfristig Probleme bei der Besetzung von Beratungsstellen für Benutzer einstellen und damit die Bibliotheken weniger attraktiv für die von ihnen umworbene Klientel werden.


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