Dissertationen spielen in der Literaturversorgung durch deutsche Bibliotheken eine quantitativ nicht unbedeutende Rolle.
Jährlich erscheinen etwa 26900 Dissertationen aufgeschlüsselt nach
Fächern | Summe | A | B | H | |
DK O | (Allgemeines) | 108 | 76 | 3 | 29 |
DK 1 + 2 | (Philosophie, Psychologie,Theologie, Religion | 935 | 699 | 14 | 222 |
DK 3 | (Sozialwissenschaften) | 3845 | 2791 | 97 | 957 |
DK 5 | (Naturwissenschaften) | 5964 | 1337 | 501 | 4126 |
DK 6 | (Medizin) | 10866 | 419 | 65 | 10386 |
DK 6 | (Technik) | 3385 | 1378 | 315 | 1692 |
DK 7 | (Kunst) | 440 | 279 | 14 | 147 |
DK 8 | (Sprach- und Literaturwissenschaft) | 775 | 675 | 6 | 94 |
DK 9 | (Geographie, Geschichte) | 573 | 420 | 20 | 133 |
Als fachwissenschaftliche Qualifikation von Wissenschaftlern haben sie eine zentrale Bedeutung. Promotionsordnungen der Universitäten regeln für die einzelnen Fächer das Verfahren zur Annahme und Veröffentlichung der Dissertationen. In der Regel wird nach wie vor der größere Teil im Selbstdruckverfahren hergestellt, ein kleinerer Teil als Mikroform, in einigen Fächern gibt es Verlagsveröffentlichungen.
Die deutschen Bibliotheken haben frühzeitig ein Tauschverfahren für Dissertationen entwickelt, um in den Universitätsbibliotheken vor Ort möglichst komplette Dissertationensammlungen verfügbar zu halten.
Dazu mußten die Promovenden eine bestimmte Anzahl von Exemplaren an ihre Universitätsbibliothek abgeben, früher 80-120 Kopien, heute 20-40 Belegexemplare, bei Mikroformen und Verlagsveröffentlichungen einige wenige.
Die Deutsche Bibliothek hat auf Grund des Gesetzes über Die Deutsche Bibliothek die Verpflichtung, die deutschen Dissertationen dauerhaft zu archivieren, zu erschließen und anzuzeigen und ggf. im Leihverkehr zur Verfügung zu stellen. Es gibt eine eigene Reihe der Deutschen Nationalbibliographie für Dissertationen sowie Titeldrucke und elektronisch verfügbare Aufnahmen.
Das Verfahren des gegenseitigen Tausches der Bibliotheken ist sehr aufwendig, die finanzielle Belastung des Promovenden zur Herstellung der gedruckten Belegexemplare hoch, auch wenn in den letzten Jahren Reduzierungen der Exemplarzahlen vorgenommen worden sind.
Es bietet sich an, Dissertationen künftig in digitalisierter Form anzubieten. Die Voraussetzungen sind dafür gut.
Es geht nicht darum, ein einziges Format und Medium zu definieren, wohl aber geht es darum, Wildwuchs zu vermeiden und die Vielfalt auf ein vernünftiges Maß zu bringen, damit die Erwartungen der Autoren und der Leser auf eine nutzungsorientierte Dienstleistung erfüllt werden. Deshalb ist es zunächst einmal erforderlich, daß sich die beteiligten Einrichtungen untereinander abstimmen. Dazu gehören Vertreter von Universitäten und Bibliotheken, von Fachgesellschaften, von Ministerien und Verlagen.
Vertreter der IuK-Kommission der deutschen Fachgesellschaften haben Ende 1996 bei der DFG einen entsprechenden Antrag Dissertationen Online gestellt, an dem die o. a. Gruppierung beteiligt ist. Daran ist auch Die Deutsche Bibliothek beteiligt.
Außerdem hat die Arbeitsgruppe Wissenschaftliche Bibliotheken der KMK die Einrichtung einer Fachgruppe für digitale Dissertationen vorgesehen. Auch dazu hat Die Deutsche Bibliothek ihre Mitarbeit angeboten.
Es ist wichtig, daß sich die Bibliotheken klar artikulieren, konkrete Verfahrensvorschläge machen, die Dienstleistungen gestalten und selbst auch entsprechende Verpflichtungen eingehen. Parallel zu technischen und organisatorischen Überlegungen ist eine Initiative zur Änderung der Promotionsordnung erforderlich, die die Ablieferungspflicht für Promovenden regelt, Datenträger und Datenformate festlegt und die Anzahl der gedruckten Exemplare parallel zur Netzpublikation bestimmt.
Die organisatorischen und technischen Vorschläge - durch entsprechende Pilotprojekte umgesetzt - müssen einerseits die langfristige Sicherung elektronischer Dissertationen, andererseits die direkte Verfügbarkeit regeln. Bei diesen Überlegungen können durchaus die Strukturen des bisherigen konventionellen Verfahrens Hilfestellungen leisten.
Verpflichtend sollte sein, daß die lokale Universität durch ihre Hochschulbibliothek und Die Deutsche Bibliothek für die langfristige Verfügbarkeit verantwortlich sind. Das ist schon heute so bei gedruckten Dissertationen! Dazu sollte sowohl ein elektronisches als auch ein gedrucktes Archivexemplar hinterlegt werden.
Die elektronische Netzpublikation bietet zusätzliche Nutzungsqualitäten. Es genügt deshalb nicht, nur eine gedruckte Version als Archivexemplar zu haben.
Beispielsweise erlaubt die Volltexterfassung die punktuelle Textrecherche, oder den Quervergleich identischer Aspekte in verschiedenen Dissertationen oder Publikationen, oder die Verknüpfung mit der Sekundärliteratur. Dissertationen werden dadurch attraktiver.
Die Langzeitarchivierung elektronischer Publikationen ist andererseits aber mit erheblichem Aufwand im Hinblick auf die laufende Anpassung an die rasante technische Entwicklung verbunden, die Umkopieren, Migrieren oder Konvertieren bedeutet. Diese Aufgabenstellung ist alles andere als trivial!
Für die Aufgabenerfüllung einer elektronischen Depotbibliothek ist deshalb die Definition einer bestimmten technischen und finanziellen Ausstattung erforderlich.
Ein geeignetes Organisationsmodell könnte wie folgt aussehen:
Die Hochschulbibliothek und Die Deutsche Bibliothek archivieren dauerhaft ein gedrucktes Exemplar der Dissertation. Die Hochschulbibliothek und Die Deutsche Bibliothek sichern möglichst die Langzeitverfügbarkeit der elektronischen Version. Da für Die Deutsche Bibliothek Dissertationen nur ein Teil des digitalen Depots sind und sie wegen der Sicherung der übrigen digitalen Publikationen prinzipiell die Migrationsplanung für die Langzeitarchivierung leisten muß, entsteht zumindest qualitativ kein neuer Aufwand. In Fällen, in denen der technische Aufwand der Hochschulbibliothek nicht vertretbar erscheint oder in denen die Hochschulbibliothek die elektronische Depotfunktion nicht übernehmen will oder kann, sollte Die Deutsche Bibliothek in der Lage sein, der Hochschulbibliothek die Bibliographie- und Zugriffsdaten oder das Dokument in der jeweils konvertierten Form auf dem lokalen Rechner zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam mit anderen europäischen Nationalbibliotheken erarbeitet sie derzeit eine technische Plattform für die Langzeitverfügbarkeit "elektronischer Pflichtexemplare" (NEDLIB-Projekt).
Für die übrigen Hochschulbibliotheken und überregionalen Schwerpunktbibliotheken können effiziente Zugriffs- und Lieferungsmöglichkeiten geschaffen werden, die wahlweise entweder die Dissertation im jeweiligen Bedarfsfall vor Ort verfügbar macht oder gestattet, sie in den Bestand der Bibliothek aufzunehmen. Daraus leitet sich nicht die Verpflichtung der dauerhaften Archivierung nach dem jeweiligen Stand der Technik ab.
Das Organisationsmodell ist überzeugend, bietet es doch einen schnellen und direkten Zugriff. Trotzdem dürfen wir die Sicht nicht nur auf das technisch Machbare einengen, wir müssen auch nach dem wissenschaftlich sinnvollen fragen.
Dissertationen sind wissenschaftliche Anfängerarbeiten. Sie sollen zeigen, was jemand kann, nicht unbedingt, wo die vorderste Front der Wissenschaft verläuft.
Dissertationen erreichen im Vergleich zum Ausland eine wesentlich höhere Titelzahl pro Jahr und einen durchschnittlich höheren Umfang pro Titel.
Dissertationen mit bemerkenswertem wissenschaftlichem Gehalt erscheinen häufig als Verlagspublikation oder konzentriert als Zeitschriftenaufsatz.
Trotz dieser die Forschungsrelevanz einschränkenden Bewertung schaffen wir ein Organisationsmodell, das - im Vergleich zu fachwissenschaftlichen Verlagspublikationen - für die bisherige Selbstdruckdissertation eine deutlich privilegierte Situation ergibt. Welcher wissenschaftliche Autor kann schon erwarten, verlegerisch so exzellent betreut zu werden, daß von seiner Publikation sowohl eine gedruckte als auch eine Netzpublikation existiert! Das kann dazu führen, daß Promovenden weniger die Verlagspublikation anstreben, daß Literatursuche im Internet bevorzugt auf Dissertationen stößt, weil das elektronische Literaturpotential in eine Schieflage gerät, daß diese Dissertationen wegen ihrer Verknüpfungsmöglichkeiten attraktiver sind, daß Server und Netze überlastet werden durch den Informationsumfang.
Vielleicht muß man künftig Umfangsbegrenzungen setzen, vielleicht muß man die Netz-Dissertation mit einem Verfallsdatum versehen und der gedruckten Version die Dauerhaftigkeit vorbehalten, vielleicht muß man aber auch umgekehrt die Netzversion als Privileg definieren und besondere Qualitätshürden (oder Kostenhürden) setzen. Möglicherweise gelten meine Bedenken auch nur für eine Übergangszeit der Disproportionen. Jedenfalls sollten diese Fragen nicht außer Acht gelassen werden. Gestellt werden müssen sie an die Wissenschaft selbst.
Behandelt werden könnten sie am besten in Projekten, bei denen Pilotentwicklungen innerhalb eines genügend eng begrenzten Fächerkanons stattfinden, so daß bei einer überschaubaren Menge von Dokumenten auch solche Aspekte untersucht werden können.
Nachdem zu den rechtlichen und organisatorischen Fragen eine Reihe von Aspekten genannt worden sind, auch kritische, sollen die Hauptziele einer geeigneten Informationsinfrastruktur für ein Vorhaben "Dissertationen Online" beschrieben werden:
1. Erfassung und Beschreibung der Dissertationen
1.1 Fachliche Spezifikationen
2. Archivierung
Grundsätzlich gibt es beim Aufbau von Suchmaschinen folgende Modelle:
Bei der Definition der Funktionalität der Suchmaschinen ist zu prüfen, ob zu den qualifizierten Recherchemöglichkeiten (formal, inhaltlich, sammlungs- oder aspektbezogen) auch Zugriffsfunktionen (Berechtigung, Status, Copyright und Abrechnungsverfahren) integriert werden sollen.
4. Bestell- und Liefersystem
Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß Dissertationen in einen Dokumentserver integriert sind. Die Lieferung der digitalen Dissertationen kann sowohl per FTP als auch per WWW erfolgen. Das System sollte über eine Z 39.50 Schnittstelle verfügen.
Die Software- und Hardwareausstattung sollte sowohl aus Fördermitteln der DFG als auch durch Investitionen aus den Hochschulsonderprogrammen (HSP) abgedeckt werden.
1) Überarbeitetes Referat, gehalten zur Tagung der Sektion IV des DBV am 5.3.1997 in Hamburg