Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 3, 97

Berufsorientiertes Schreiben

Ein Pilotprojekt der Fachhochschule Potsdam

Dagmar Jank

1. Berufsorientierte Schreibkurse an Hochschulen: Der Status quo in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA

In der hochschulpolitischen Diskussion um Studienreformen taucht immer häufiger der Terminus "Schlüsselqualifikationen" auf1). Studierende aller Fachrichtungen sollen im Laufe des Studiums bestimmte Schlüsselqualifikationen erwerben, die im Arbeitsleben eine große Rolle spielen. Zu den wichtigen Schlüsselqualifikationen gehören zweifellos Sprach- und Schreibkompetenz sowie Sprech- und Redekompetenz. Einige Universitäten bieten bereits Veranstaltungen zum Erwerb dieser Schlüsselqualifikationen an2). Die einzige Institution im Fachhochschulbereich, von der bisher Anregungen zum Thema "Sprach- und Schreibkompetenz" ausgingen, ist das Hochschuldidaktische Zentrum (HDZ) der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Berlin. Lutz von Werder, der das HDZ leitet, hat in den letzten Jahren mehrere Werke zur Schreibforschung und Schreibpädagogik veröffentlicht. In seinem Buch "Erfolg im Beruf durch kreatives Schreiben" widmet sich der Autor ausführlich Themen wie "Schreiben im Beruf", "Schreibkarrieren und Schreibstörungen im Beruf", "Moderationstechniken beruflichen Schreibens in Schreibwerkstätten", "Kreatives Schreiben für Manager, Journalisten, Ärzte, Ingenieure und Techniker, Juristen, Fachhochschullehrer sowie in sozialen Praxisfeldern"3).

Nach amerikanischen Untersuchungen sind zwischen 20 und 25 % der Arbeitszeit von gehobenen Berufen mit Schreiben ausgefüllt. 85 % der Texte werden produziert, um berufliches Handeln zu begründen. Buchtitel wie "Write for Success. A Guide for Business and the Professions", "Effective Writing for Engeneers, Managers, Scientists" oder "Winning in Your Profession by Writing Books" suggerieren eine rasche Erlernbarkeit des Schreibens und bringen Schreibkompetenz und Erfolg im Beruf in einen direkten Zusammenhang. Die in den USA weit fortgeschrittene Differenzierung des beruflichen Schreibens führte zur Entwicklung berufsspezifischer Ausbildungskurse und diverser Zeitschriften ("Journal of Business Communication", "Bulletin of the Association for Business Communication", "Journal of Technical Writing and Communication", "Technical Writing Teacher"). Derzeit bieten über 300 US-amerikanische Universitäten Kurse an, in denen in mehreren Stufen berufliches Schreiben trainiert wird. Das reicht von allgemeiner über fachliche Schreibqualifizierung (Journalismus, Wirtschaft, Jura) bis zum Einsatz des Computers beim Schreiben4). Von Werder prognostiziert, daß schon bald auf bestimmte Berufe zugeschnittene kreative Schreibkurse auch an deutschen Universitäten und Fachhochschulen angeboten werden.

Die Zeitschrift "HDZ Info. Informationen des Hochschuldidaktischen Zentrums an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin" berichtet bisher überwiegend über vom HDZ durchgeführte Umfragen, bei denen nahezu einhellig alle befragten Berufsgruppen einen großen Bedarf an berufsorientierten Schreibkursen artikulieren. Die Mitglieder akademischer Berufsverbände etwa sind der Auffassung, daß mindestens 20 % der gesamten Arbeitszeit von Akademikern mit Schreiben ausgefüllt sind, Schreibkompetenz also sehr wichtig ist. Eine auf Berlin begrenzte Umfrage bei sozialen Einrichtungen kam zu dem Ergebnis, daß ca. 30 % der gesamten Arbeitszeit in diesem Bereich auf Schreiben verwandt werden. Als Textsorten, die vorkommen, wurden genannt: Berichte, Anträge, Protokolle, Aktenvermerke und die Bearbeitung verschiedener Formulare5).

2. Berufsorientiertes Schreiben: Ein Pilotprojekt des Fachbereichs Archiv-Bibliothek-Dokumentation und des Modellstudiengangs Kulturarbeit der Fachhochschule Potsdam

Die 1991 gegründete Fachhochschule Potsdam hat derzeit fünf Fachbereiche und einen Modellstudiengang. Die Fachbereiche Sozialwesen, Architektur, Bauingenieurwesen, Design und Archiv-Bibliothek-Dokumentation und der seit 1995 existierende Modellstudiengang Kulturarbeit sind gehalten, fachbereichsübergreifende Veranstaltungen anzubieten, damit die Studierenden frühzeitig vernetztes Denken lernen. Sowohl der Fachbereich Archiv-Bibliothek-Dokumentation als auch der Modellstudiengang Kulturarbeit bieten bereits im Grundstudium eine zweistündige Pflichtveranstaltung zur Erlangung von Sprech- und Redekompetenz an, so daß es nahelag, ergänzend eine Übung zur Vermittlung von Sprach- und Schreibkompetenz zu konzipieren. Die beiden Dozentinnen, Prof. Ellen Lissek-Schütz (Modellstudiengang Kulturarbeit) und Prof. Dr. Dagmar Jank (Fachbereich Archiv-Bibliothek-Dokumentation) verständigten sich auf folgende wichtige Textsorten: Abstract, Protokoll, Geleitwort und Vorwort (eines Ausstellungskatalogs), Thesenpapier, Geschäftsbrief, Spendenwerbebrief, Pressemitteilung, Buchbesprechung. Die Studierenden sollten lernen, daß man Sprach- und Stilgefühl durch regelmäßiges Schreibtraining verbessern kann, wenn man weiß, was beim Schreiben einzelner Textsorten zu beachten ist, wenn man bereit ist, seine eigenen Texte kritisch zu lesen oder sich von andern redigieren zu lassen und wenn man fremde Texte sorgfältig liest und genau analysiert.

3. Ablauf der Veranstaltung

Im Sommersemester 1996 standen insgesamt 13 Doppelstunden zur Verfügung. Der Teilnehmerkreis bestand aus 30 Studierenden des 2. Fachsemesters, wobei ca. 2/3 aus dem Fachbereich Archiv-Bibliothek-Dokumentation und ca. 1/3 aus dem Modellstudiengang Kulturarbeit kamen. An den Unterrichtsstunden nahmen beide Dozentinnen teil, die Moderation erfolgte alternierend. Auf der Grundlage der in Anm. 6) genannten Literatur wurden Arbeitspapiere für die Studierenden (Informations- und Übungsmaterialien) erstellt.

Die ersten Stunden waren mit grammatikalischen und stilistischen Übungen ausgefüllt. In den folgenden Sitzungen gaben die Dozentinnen eine Einführung in die jeweilige Textsorte, stellten den Bezug zum Berufsleben her, besprachen "Mustertexte" aus dem ABD-Bereich und dem Bereich Kulturarbeit, wobei sowohl gute wie auch schlechte Beispiele heranzogen wurden. Am Ende der Stunde wurde die Hausaufgabe für die nächste Woche besprochen. Die Studierenden sollten im Laufe des Semesters mindestens drei Textproben nach freier Wahl abliefern, die korrigiert und - mit Kommentaren oder Verbesserungsvorschlägen versehen - zurückgegeben wurden. Auf Wunsch folgte außerdem eine mündliche Beratung, die allerdings nur selten in Anspruch genommen wurde. Ein bis drei Beispiele pro Textsorte wurden anonymisiert in der Gruppe ausgewertet .

Die folgende Übersicht gibt den Ablauf der Veranstaltung wieder:

1. Stunde:
Lernziel und Organisatorisches;
Bedeutung des berufsorientierten Schreibens

Block 1: Schreibrituale

2. Stunde:
Schreibrituale (vier Beispiele zum Thema "Schreibkarrieren" aus Lutz von Werder, Vorstellen der Schreibrituale der Teilnehmer/innen und der Dozentinnen)

Block 2: Wörter und Stil

3. Stunde:
Übung 1: "ABC der am häufigsten verwechselten Wörter der deutschen Sprache" (Beispiele aus Walter Rost);
Übung 2: Verben, Adjektive, Fremdwörter, Modewörter, Silbenschleppzüge, Bilder, Synonyme (Beispiele aus Norbert Franck)

4. Stunde:
Ausdrucksmöglichkeiten und -variationen für die schriftliche Darstellung

Block 3: Sätze und Texte

5. Stunde:
Übung 3: Kurze oder lange Sätze, Schachtelsätze, aktiv schreiben
(Beispiele aus Norbert Franck)
Einführung: Abstract mit Hausaufgabe
(wahlweise Abstract eines aktuellen Artikels aus dem Bibliotheks- oder Kulturbereich aus der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel")
Gliederung: Hinweise zum Aufbau schriftlicher Arbeiten
(äußere Form, gedanklicher Aufbau)

Block 4: Produktion und Analyse von Texten

6. Stunde:
Besprechung von Teilnehmer-Beispielen: Abstract

7. Stunde:
Einführung: Protokoll. Analyse eines Protokolls aus dem Bereich Kulturarbeit. Hausaufgabe: Anfertigung eines Protokolls (empfohlen wurde, ein Protokoll von einer Lehrveranstaltung aus dem laufenden Semester anzufertigen)

8. Stunde:
Besprechung eines Teilnehmer-Protokolls (Kulturarbeit)
Geleitwort und Vorwort eines Ausstellungskatalogs: Analyse mehrerer Beispiele (A-B-D und Kulturarbeit)

9. Stunde:
Einführung: Thesenpapier; Einführung: Geschäftsbrief
(Hausaufgabe: Thesenpapier oder Geschäftsbrief)

10. Stunde:
Besprechung mehrerer Teilnehmer-Beispiele: Geschäftsbrief
(ABD und Kulturarbeit)

11. Stunde:
Einführung: Spendenwerbebrief; Besprechung von Spendenwerbebriefen

12. Stunde:
Einführung: Pressemitteilung, Besprechung von Beispielen
(ABD und Kulturarbeit); Einführung: Buchbesprechung

13. Stunde:
Besprechung von Teilnehmer-Beispielen: Pressemitteilung
Auswertung des Seminars

4. Auswertung und Perspektiven

Die Resonanz der Studierenden auf die angebotene Übung war eindeutig positiv. Sie hoben besonders lobend hervor, daß sie die Möglichkeit zu praktischen Übungen hatten und die Texte ausführlich korrigiert und kommentiert zurückgegeben wurden. Gewünscht wurden noch mehr Übungen, insbesondere zu den Textsorten Protokoll, Thesenpapier, Geschäftsbrief, Bewerbungsschreiben. Das "team teaching", das die Dozentinnen als überaus anregend empfanden, wurde auch von den meisten Studierenden begrüßt. Kritisiert wurde zurecht die Größe der Gruppe. Die Grammatikübungen zu Beginn der Veranstaltung erinnerten einige zu sehr an den Schulunterricht, wenngleich man selbstkritisch einsah, daß sie doch noch nötig waren.

Die Dozentinnen zogen ebenfalls eine positive Bilanz. Wünschenswert erschiene die Einbindung mindestens einer zweistündigen Veranstaltung zum berufsorientierten Schreiben in die Curricula vieler Fachhochschulstudiengänge. Diese Veranstaltung sollte die in vielen Studiengängen angebotene "Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten/Schreiben" ergänzen. Die hohe Teilnehmerzahl und die positive Resonanz beweist, daß den Studierenden die Bedeutung von Schreibkompetenz im Berufsleben bewußt ist.

1) Krauß-Leichert, Ute: Schlüsselqualifikationen: eine Antwort auf heutige und zukünftige Bildungsanforderungen? Kursorische Gedanken zu einem Thema, das für Ausbildungsinstitutionen immer aktuell sein sollte. In: Biblionota. 50 Jahre bibliothekarische Ausbildung in Hamburg, 25 Jahre Fachbereich Bibliothek und Information. Hrsg. vom Fachbereich Bibliothek und Information der Fachhochschule Hamburg. Münster 1995, 142-148

2) Welbers, Ulrich: "Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen". Nachdenken über Studienreformen in den 90er Jahren und der Versuch einiger Antworten. In: Das Hochschulwesen 43/1995, 188-196

3) Werder, Lutz von: Erfolg im Beruf durch kreatives Schreiben. Berlin 1995

4) Peter, Jörg: Deutsche Akademiker haben Angst vor dem beruflichen Schreiben. Ergebnisse einer empirischen Umfrage bei deutschen Berufsverbänden freier Berufe. In: HDZ Info. Informationen des Hochschuldidaktischen Zentrums an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin, 1995, H. 4, S. 14-20

5) Peter, Jörg: Schreiben ist eine Schlüsselqualifikation sozialer Arbeit. Eine Berliner Studie stellt bei Fachkräften Defizite beim Verfassen und Strukturieren von Texten fest. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 1996, H. 1/2, S. 34-35

6) Grundlagenliteratur: Briese-Neumann, Gisa: Wer führt Protokoll? Effektive Protokollführung. München 1994; Bünting, Karl-Dieter, Bitterlich, Axel, Pospiech, Ulrike: Schreiben im Studium. Ein Trainingsprogramm. Berlin 1996; Dieterich, Klaus M.: So entstehen erfolgreiche Spendenwerbebriefe. Praxis-Leitfaden für alle, die mit Briefen um Spenden bitten. Krefeld 1994; Franck, Norbert: Schreiben wie ein Profi. Artikel, Berichte, Briefe, Pressemeldungen, Protokolle, Referate und andere Texte. 2. Aufl. Köln 1995; Rost, Walter: Ausdruck: sehr gut. Ein praktisches Lehrbuch des guten Stils mit zahlreichen Übungen und Lösungsvorschlägen. Reinbek bei Hamburg 1989; Rota, Franco P.: PR- und Medienarbeit im Unternehmen. Instrumente und Wege effizienter Öffentlichkeitsarbeit. 2. Aufl. München 1994; Textor, A.M.: Sag es treffender. Ein Wörterbuch für alle, die täglich diktieren und schreiben. Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg 1996


Seitenanfang