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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 1, 97

Bibliotheken - offen für lebenslanges Lernen 1)


John Allred

1. Historische Wurzeln

Die Geschichte der Erwachsenenbildung ist im Vereinigten Königreich wie in vielen Ländern sehr politisch und eng verbunden mit der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten. Bibliotheken, insbesondere öffentliche Bibliotheken, spielen dabei historisch eine Rolle, und ich habe darüber einiges veröffentlicht (Allred, 1978). Kurz, Bibliotheken haben sich oft zusammen mit der formalen Ausbildung entwickelt, als die Bestände ausgebaut wurden, um damit der arbeitenden Bevölkerung zu ermöglichen, ihre Studien nach der Schulbildung fortzusetzen und diese manchmal sogar zu ersetzen (im Vereinigten Königreich gab es öffentliche Bibliotheken schon vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht). Bibliotheken, obwohl sie nicht zu den Hauptbestandteilen der Ausbildung gehören, noch einen Ersatz dafür darstellen, gehören aber zum offenen Lernsystem.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als im Vereinigten Königreich den erwachsenen Lernenden mehr formale Systeme angeboten wurden, haben die öffentlichen Bibliotheken die Volkshochschulen in Oxford und Cambridge, den Arbeiterbildungsverein und die Abendschulen unterstützt, indem sie Buchpakete und manchmal auch Räume zur Verfügung stellten. Nach dem Ersten Weltkrieg hat die Kommission für Erwachsenenbildung des Ministeriums für den Wiederaufbau die Zukunft des öffentlichen Bibliothekssystems parallel zur Erwachsenenbildung geplant. Die nationale Integration beider Zweige entwickelte sich, und den Studenten stand die Zentralbibliothek für Studenten, später die Nationale Zentralbibliothek zur Verfügung, die nun ein Teil der British Library ist.

Das Vereinigte Königreich ist seitdem einen langen Weg gegangen, sowohl bei der Grundausbildung wie beim lebenslangen Lernen. Unser System der nationalen beruflichen Bildung mit standardisierten Qualifikationen wurde zu der "allgemeinen" nationalen beruflichen Qualifikation erweitert, indem es "beruflich" und "akademisch" miteinander in Einklang bringt, obgleich das "Lernen in der Freizeit" immer noch mißverständlich bezeichnet und nicht voll anerkannt wird. Der zweite Bildungsweg gehört zur Regierungspolitik, obgleich viele von uns eine Verbesserung des ersten Bildungsweges vorziehen würden, so daß die Ausbildung zum Bürger, "dem Citoyen", eine größere Rolle spielen könnte. Wir scheinen das Ideal des 19. Jahrhunderts, "die liberale Erziehung zum Bürger", verloren zu haben. Sogar das Weißpapier der Europäischen Kommission "Teaching and Learning: Towards the learning society" (European Commission 1996) bezeichnet als seine vier Ziele: Ausbildung, Fortbildung, Erfahrung, Kenntnis in der "Welt der Arbeit" und nicht die Fortbildung des Bürgers.

Das Offene Lernen und Fernuniversitäten sind heute im Vereinigten Königreich gut entwickelt: mit einem Anstieg der Teilzeitprogramme und Kurse in Modulen, die von Fachhochschulen und Universitäten und beim Fortbildungsprogramm für die Mitarbeiter in den Betrieben (bekannt als "lernende Organisationen") angeboten werden. Wissenschaftliche und Öffentliche Bibliotheken und der Bibliotheksverband widmen sich dieser Aufgabe in ihren Sitzungen, und wir arbeiten mit Politikern zusammen, mit der "Basic Skills Agency", "The Campaign for Learning", dem "National Advisory Council for Careers and Educational Guidance" und durch unsere Bewerbung an die Millenium Kommission, um Bibliotheken mit der Datenautobahn zu verbinden (Allred 1994). David Hough hat detailliert die Entwicklung der Offenen Lernzentren in fast jeder öffentlichen Bibliothek in unserem Lande beschrieben. Das typische Zentrum in einer Bibliothek hat ungefähr 140 Lernpakete im Bestand mit einem Umsatz von 45 in einem Monat (Allred 1995).

Es gibt noch große Unterschiede im Lernverhalten der Erwachsenen in den verschiedenen sozialen Klassen im Vereinigten Königreich, sogar in unserem Bibliotheksprojekt. Es gibt Anzeichen dafür, daß mit zunehmendem Alter die Erwachsenenbeteiligung fällt, besonders bei den über Fünfzigjährigen.

2. Lebenslanges Lernen - mehr als Fortbildung

Der Titel dieser Konferenz: Bibliotheken als ein Platz für lebenslanges Lernen bedeutet mehr als das Warten auf Leute, die in die Bibliotheken kommen und die Bücher erhalten, die sie brauchen. Es bedeutet mehr als Bibliotheken mit Regalen voller Bücher.

Das ist der Punkt, an dem der Paradigmawechsel eintritt. Unsere Gesellschaften, im Vereinigten Königreich besonders, entdeckten im 19. Jahrhundert die Bildung für die Massen und trennten sie vom Leben, in dem sie eine Ausbildungsindustrie schufen.

Vielen Menschen bedeuten daher heute "Lernen" und "Tun" zwei grundverschiedene Prozesse, und falls man sein "Lernen" nicht in einer pädagogischen Institution verfolgt, dann zählt es nicht, selbst wenn man etwas sehr Wichtiges lernt, wie zum Beispiel die Erziehung von Kindern oder die Konfrontation mit dem Tode, oder wie man den Job eines Premierministers ausfüllt. Überlegen Sie einmal, wie künstlich das ist. Die Forschungsarbeiten von Allen Tough fanden heraus, daß Erwachsene in den USA und im Vereinigten Königreich den größten Teil ihrer Bildung außerhalb der Ausbildungsinstitutionen empfingen (Tough 1979). Trotzdem haben soviele entwickelte Nationen heute Ausbildung, Fortbildung, Arbeit und Muße getrennt und ein destruktiv gespanntes Verhältnis zwischen ihnen geschaffen. In einem idealen Leben gäbe es solche Unterscheidungen nicht, und Bibliotheken machen diese Unterscheidung auch nicht. Die Bibliothek, die öffentliche Bibliothek und sogar Bibliotheken in wissenschaftlichen Institutionen wurden nicht immer als Orte der Bildung angesehen, weil eine echte Ausbildung einen Lehrer und ein Klassenzimmer benötigt. Das bedeutet eine Stärke und eine Schwäche für die Bibliothek. Sie ist kein Klassenzimmer, aber es wird unglaublich viel in ihr gelernt. Die Bibliothek sitzt recht unbehaglich zwischen der Bildung und dem wirklichen Leben.

Wir besitzen eine Menge Informationen darüber, was unsere Benutzer in den Bibliotheken machen, aber wissen wir auch, warum sie das machen? Die Bibliotheksbenutzung und das Lernen selbst sind letztendlich Wege zu demselben Ziel.

Ich fragte meine Freunde, warum sie eine öffentliche Bibliothek benutzen und sie sagten Sachen wie "um Leerzeiten zu überbrücken", "um Bücher zu lesen, die man sich nicht kaufen will", "wenn man nicht weiß, wo man beginnen soll" und "um andere Ideen kennenzulernen".

Die Gruppe "Öffentliche Bibliotheken" (der Library Association) hat für unsere Publikation zur nationalen Bibliothekswoche folgende Kommentare in 1993 gesammelt:

Dies alles zeigt, daß die Bibliothek mehr ist als eine Informationsquelle und nicht nur für leichten Lesestoff zuständig (obgleich diese Antworten immer bei Befragungen angekreuzt werden). Diese Benutzung ist ein zielgerichteter Prozeß, strukturiert mit der Absicht, die Kompetenz und Fähigkeit einer Person zu verändern - mit anderen Worten ein Lernprozess. Ich werde darauf noch zurückkommen. Unser "Offen für das Lernen"-Projekt fand heraus, daß Lernende in der Bibliothek so verschiedene Ziele haben, wie "um mein Selbst-vertrauen zu stärken", "um meine Chancen für eine Anstellung zu verbessern", "um bei einem neuen Unternehmen zu helfen" oder "um formale Qualifikationen zu erwerben". Der größte Teil der Leute sagte, daß die Bibliotheken ihnen geholfen haben, ihre Ziele zu erreichen.

3. Lernen für das Leben

Lernen ist eine komplexe Aktivität, bei der Information, Motivation, Ziele und Rückkopplung zusammenkommen, um die Fähigkeit eines Menschen zu verbessern, etwas zu tun. Bibliotheken sind nicht besonders gut als Informationsvermittler und können möglicherweise weniger wichtig werden, wenn die häuslichen und beruflichen Kommunikationsmittel sich verbessern. Es gibt sicherlich ebenso attraktive Orte für Vergnügen und Erholung. Aber die Bibliothek ist exzellent für das Lernen und zwar für den Teil dieses Spektrums, den wir als nicht formales und unabhängiges Lernen bezeichnen, das Lernen, das wir selbst in Eigeninitiative kontrollieren. Lernen für das Leben hat für uns heute große Bedeutung. Wir kommen hier von vielen Nationen, die großen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen ausgesetzt sind. Wir selbst lernen nun durch die verschiedenen und aufregenden Aktivitäten, die für uns arrangiert wurden. Elisabeth Simon hat gesagt, daß lebenslanges Lernen nicht nur Fortbildung ist, und wir sollten diese Bemerkung während unseres Lernens in den nächsten zwei Wochen nicht vergessen. Wir werden bemerken, daß unser Lernen ebenso ein sozialer Prozess ist wie der Erwerb neuer Kenntnisse und Fertigkeiten. Das Wissen, das wir erwerben (und es wird viel mehr sein als nur Wissen über Bibliotheken) wird dadurch beeinflußt, was wir für wichtig erachten, und wir entscheiden darüber je nach unseren Voraussetzungen und indem wir anderen zuhören. Die Entscheidung, wie wir mit diesem Wissen umgehen, wird von unserer Haltung abhängen, die wiederum dadurch beeinflußt wird, wie die Dinge sich uns darstellen - und wann.

Lebenslanges Lernen entscheidet über unsere volle Funktion als Mitglieder unserer Gemeinschaften (in England bedeutet das, daß wir mehr über die Europäische Gemeinschaft wissen müssen. Nicht alle von uns sind Europagegner). Es bedeutet Lernen über die Gemeinschaft, in der Gemeinschaft. Selbst wenn das Lernen grundlegend technisches Lernen ist (z. B. wie man einen Computer benutzt), bringen die Leute, mit denen wir lernen, und die Ressourcen, die wir benutzen, eine soziale Komponente mit sich. Mit lebenslangem Lernen sprechen wir übertragbare Fähigkeiten und den Wunsch an, diese zu übertragen, und die beste zu vermittelnde Fähigkeit ist Verständnis. Obgleich die Motivation der meisten Leute zum Lernen der Wunsch nach Arbeit ist, verlangen die Veränderungen heute mehr als Fertigkeiten. Elisabeth Simon nennt das "Lernverhalten". Wir brauchen nicht nur kenntnisreiche Gemeinschaften, sondern auch verständnisvolle. Individualismus ist schon gut, aber wir müssen unsere eigene Weltsicht kontinuierlich mit der anderer Menschen vergleichen. Das bedeutet Lernen ("die Aufgabe der Bildung ist es, das Leben problematisch zu machen" war der Rat, den man mir gab, als ich begann, Vorlesungen zu halten).

Jeder von uns hat einen "Standpunkt", wie wir in den nächsten Tagen entdecken werden. Karl Popper, der vor kurzem starb, hat Philosophen und Wissenschaftler mit dem Argument herausgefordert, daß sogar die Wissenschaft an Probleme nicht mit offenem Geist herangeht, sondern mit vorgefaßten Theorien, die sie dann zu widerlegen versucht. Das Problem mit der Politik (einschließlich der Wirtschaft und der Gesellschaft im allgemeinen?) ist, daß wir nicht einmal versuchen, unsere eigenen Theorien oder Standpunkte zu widerlegen. Wir setzen unsere ganze Energie ein, um sie zu verteidigen, bis hin zur Kriegserklärung.

Die Bibliothek, und nach meiner Erfahrung besonders die öffentliche Bibliothek, ist ein Platz, zu dem wir privat ohne Herausforderung oder Konfrontation gehen können (unser nicht regulierter Zugang), um Informationen zu finden, die unsere Theorien überprüfen. Diese Überprüfung findet oft ohne unser Wissen statt. Wieviele Bibliothekare haben einen Benutzer sagen hören: "Das wußte ich nicht". "Das ist ein interessanter Gesichtspunkt." Ich möchte behaupten, daß dies völlig unerwartet geschieht, besonders wenn man schöne Literatur liest. Ich selber muß noch die gegenwärtige Wirtschaft verstehen lernen, vielleicht, indem ich einen Roman von Jeffrey Archer lese (Jeffrey Archer ist ein Mitglied des Britischen Parlaments, der gut verdient, indem er Romane über Menschen und Geld schreibt).

Der Comedia Report (Greenhalgh 1995) wies ganz besonders darauf hin, daß die öffentliche Bibliothek im Vereinigten Königreich einer der wenigen verbleibenden öffentlichen Räume ist, die Gemeindebesitz sind, mit freiem Zugang für alle, für Leute, die sich unterhalten und die Welt beobachten wollen. Dieser lokale Zugang und die bequemen Öffnungszeiten sind eine Ressource für das Lernen. Eine Gewinnerin der Auszeichnung der Library Association (Independent Library Learner Award) in diesem Jahr hat ein Kind und muß hart arbeiten. Sie sagte, daß die langen Öffnungszeiten ihr die Freiheit für Entdeckungen geben. Sie hat nun die Stelle einer Raumpflegerin in der Bibliothek übernommen und kann damit ihr Lernen dort fortsetzen, "es spart Reisezeit".

Ich habe das lebenslange Lernen als eine soziale Aktivität beschrieben, nicht als eine isolierte Tätigkeit, und die Bibliothek als einen Ort für soziale Interaktion. Paradoxerweise handeln wir in der neuen Welt der Kommunikation mehr und mehr isoliert: die Älteren, die Randgruppen und die Heimarbeiter. Diese Menschen haben Zugang zu einer großen Menge von Informationen, aber sie haben keinen Kontakt, um ihre Weltsicht zu überprüfen. Sie müssen Argumenten begegnen und Beweisen, die ihre eigenen Argumente und Beweise in Frage stellen. Sie brauchen Möglichkeiten zur Erweiterung ihres Horizontes.

4. Selbstgesteuertes Lernen

Die Technologie stellt heute Möglichkeiten zum Eigenstudium zur Verfügung, die auch als seriöse Mittel zum Lernen anerkannt werden. Die Definition von "Offenem Lernen und Fernuniversitäten" wird mehr und mehr akzeptiert, dabei hat der Student die Möglichkeit zu wählen, was er lernen will und kann seinen eigenen Rhythmus bestimmen, in seiner eigenen Umgebung. Im Vereinigten Königreich entwickelt sich sehr schnell eine eigene Industrie, die solche Bildungskurse anbietet: Multi Media Pakete mit Tutorenunterstützung von unseren Volkshochschulen im Vereinigten Königreich, den Sprachschulen, den nationalen Volkshochschulen und der Hilfe anderer Organisationen, die durch die Politik der Regierung und durch eine sehr innovative Abteilung der Ausbilder unterstützt werden, den Zugang zum Lernen zu erleichtern. Der britische Verband für das Offene Lernen, der eine kommerzielle Gesellschaft ist, die viele Interessen vertritt, ist für das Projekt "Offenes Lernen in öffentlichen Bibliotheken" verantwortlich und entwickelt Qualitätsstandards für die entsprechenden Produkte.

In ganz Europa fand die ODIN-Studie der Europäischen Kommission (Brophy 1995) eine komplexe und vielseitige Szene für das Offene Lernen und die Fernuniversitäten vor, kam aber zu dem Schluß, daß Öffentliche Bibliotheken eine größere Rolle spielen könnten.

Diese Entwickungen sind nicht problemlos. Ohne gute pädagogische Führung vor Auswahl eines Kurses und ohne Zugang zu pädagogischen Hilfen durch Mentoren und Tutoren sowie ohne praktische Form der Bewertung kann das Offene Lernen "FoFo" sein (ich will diesen groben englischen Ausdruck nicht übersetzen, der meint, die Studenten sollen das selber herausfinden). Noch beunruhigender ist die unkontrollierte Form vieler Materialien für das Offene Lernen. Offenes Lernen ist ambivalent. Einerseits erlauben die Materialien und die persönliche Unterstützung des Lernprogramms dem Lernenden, sich dem Gegenstand von vielen Seiten zu nähern, ja sogar die Zielsetzung zu ändern. Andererseits kann es überstrukturiert und zu abhängig von einer kompetenten stetigen Überprüfung sein, so daß wenig Raum für eigene Experimente bleibt (McNay, 1994). Die erste Methode gleicht der Bibliotheksbenutzung. Die letztere benötigt keine Bibliothek. Selbst zu lernen war immer viel gebräuchlicher als uns bewußt ist. Sogar in der formalen Ausbildung lernen die Studenten wahrscheinlich genausoviel voneinander als von ihren Tutoren. Wir wissen, daß sogar akademische Bibliotheken für den Eigenbedarf genutzt werden und nicht nur wegen der empfohlenen Literatur. Gelegenheiten für das Selbstlernen wachsen stetig durch den ökonomischen Druck auf Ausbildungsinstitutionen und durch die Möglichkeiten der neuen Technologie. Das ELINOR-Projekt der De Montfort-Universität in Leicester experimentiert mit Texten in elektronischer Form, die den Studenten aus der Ferne zugänglich sind. Das erlaubt ihnen, Text und Ideen in einer hochkomplexen Form zu suchen und zu vergleichen (Zhao, 1994).

Falls sie denken, das Vereinigte Königreich habe jetzt zu innovativen Ausbildungsformen gefunden, sollten sie sich vor Augen halten, daß zur Zeit eine heiße Debatte über die Verdienste der traditionellen Lehrmethoden, im Gegensatz zu informellen oder modernen Lehrmethoden stattfindet. Man zeigte uns kürzlich das Beispiel, wie die asiatische Nation erfolgreich gebildete und effektive Arbeiter durch eine disziplinierte Schulbildung erzogen hat. Andererseits ist der Respekt der Bevölkerung für Ausbildung und der bedeutende Anteil der öffentlichen Ausgaben für die Ausbildung ungleich höher als bei uns und erklärt zum großen Teil die Unterschiede beider Länder. Die Erfolge des flexiblen und selbstbestimmten Lernens werden übersehen. Wie ein asiatischer Schriftsteller sagt, würden die Menschen seines Landes Schwierigkeiten haben, eine Frage in einem Examen im Vereinigten Königreich zu beantworten, die den Studenten auffordert, "diskutiere.."! Mit anderen Worten, für das Vereinigte Königreich ist die Bildung ein Prozeß, für die Asiaten ein Produkt. Ideal wäre es, beide zu mischen, das lebenslange Lernen als einen Prozeß zu sehen, der Bibliotheken benötigt.

5. Bedeutung für Bibliotheken

"Warum geben Bibliothekare immer Literaturlisten heraus?" fragt Vernon Smith im PLAIS-Report (Smith, 1978).

Es gibt schwerwiegende Probleme und wachsende Bedrohungen, wenn wir uns weiterhin an das "Liefermodell Bibliothek" halten. Man kann Informationen über das Lernen und Lernmaterialien an allen möglichen Orten neben den Bibliotheken erhalten. Rundfunkanstalten liefern Repititorien. Man kann den Bildschirmtext der lokalen Behörde benutzen. "Do it yourself"-Läden haben Anleitungen und Broschüren über Reparaturen. Chemiker geben Broschüren über Weinherstellung, Regierungen Gesundheitsinformationen heraus.

Wie ich aber oben sagte, beherrschen Bibliotheken ihre Rolle als Informationsversorger nicht sehr gut. Studien über Auskunftsarbeit im Vereinigten Königreich zeigen, daß wir während 50 % unserer Arbeitszeit falsche oder schwerwiegend unvollständige Informationen erteilen. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, welche Bandbreite an Informationen wir besitzen sollen sowie die Komplexität und Lebensdauer aktueller Informationen. Mein kleines Beratungsunternehmen erhält die meisten Informationen über Online-Datenbanken, CD-ROMs und durch Telefongespräche mit Experten. Wir wenden uns an die öffentliche Bibliothek, wenn wir nicht wissen, welche Informationen wir benötigen - mit anderen Worten, wenn wir lernen müssen. Einer unserer Bibliothekslerner war sehr dankbar, als er beim Lernen über das Versicherungsgeschäft herausfand, daß er gerade dies nicht ausüben wollte.

Bei der Entwicklung für das lebenslange Lernen muß die Bibliothek auch Material zur Verfügung stellen, das die Benutzer nicht unbedingt wünschen. Es soll die Leser herausfordern und ihre Interessen erweitern. Man könnte das "Sozialarbeit" nennen, aber das ist die Erziehung ebenso, und Bibliotheken üben dabei weniger Zwang und Kontrolle aus. Wie gut weiß man, was man weiß, wenn man nicht weiß, was man nicht weiß? Wie man 1917 auf der 40. Jahrestagung des Bibliotheksverbandes formulierte: "Selbstverwirklichung in einer Atmosphäre der Freiheit... Wir entwachsen der Schule, aber wir können nicht der Bibliothek entwachsen". Unser Preisträger des "Library Association United Kingdom's annual Independent Library Learner Award" Eddie Doran sagte: " Bibliotheken sind wie Schulen für jedermann". Er benutzte sie, als er während seiner Arbeit in den Docks von Hamburg Deutsch lernte, er lernte Jonglieren, Spanisch und jetzt Computer-Grafik.

Wenn Offenes Lernen ambivalent ist, ist es auch die Rolle der Bibliotheken. In einer Bibliothek können die Lernenden eine große Auswahl an Materialien benutzen, Dokumente, elektronische Medien, Computer und sogar Tutoren, wenn sie Unterstützung für ihre eigenen Lernziele suchen. Die Bibliothek des Offenen Lernens gründet sich auf Material mit Bedeutung für den Leser und die allgemeine Informationsvermittlung. Andererseits kann eine Bibliothek so lächerlich sein wie das strukturierteste offene Lern-Paket. Die Schlangen von Studenten für den Bestand zur verkürzten Ausleihe machen diejenigen von uns, die gern lernen, nicht glücklich. Es gibt Schwierigkeiten bei der Einbeziehung von Bibliotheken in das Offene Lernen. Frühe Erwartungen über die Benutzung von Materialien der Offenen Universität in Bibliotheken erfüllten sich nicht, bis Projektkurse eingeführt wurden. Die Offene Universität gestand später ein, daß sie die notwendige Bibliotheksbenutzung als ihr eigenes Versagen wertete beim Versuch, umfassendes Lernmaterial zur Verfügung zu stellen. Diese Erfahrungen beweisen ein sehr eingeschränktes Verständnis für das Medium Bibliothek im Kontext offenes Lernen.

In ihren umfassenden Beständen hat die Bibliothek eine "Wissenslandkarte". Die Notwendigkeit für Landkarten unserer Welt liegt auf der Hand. Die alte Auskunftsabteilung mit dem Grundbestand in hilfreicher Ordnung auf den Regalen führte den Benutzer leicht an sein Ziel. Das heutige Wissen ist komplexer, und das traditionelle Können der Bibliothekare muß IT-Systeme wie Hypertext und das Internet miteinbeziehen, wobei etwas Klassifizierung und Indexierung hilfreich wären.

Kataloge allein reichen nicht mehr für den Lernort Bibliothek aus. Sie sind nur gut zur Lieferung ohne Bedeutung für den einzelnen Leser. Multidimensionale Wissens-Landkarten mit einer großen Bandbreite verschiedener Ansichten in geeigneter und attraktiver Form, mit Netzwerken und Verweisungen in einer anregenden Umgebung, sind heute erforderlich. Wir brauchen Entsprechungen für die alten Führer für die Benutzer, die so aufbereitet sind, daß Informationen auf vielfältige Art verknüpft werden können (z. B. mit gekreuzter Indexierung). Ich sehe verschenkte Möglichkeiten beim OPAC (online public access catalogue), in dem man nicht ähnliche und gegensätzliche Autoren (wie z. B. die Wirtschaftsautoren Friedman und Ormerod) gemeinsam im Index aufführt und indem man versäumt, generelle Ansichten und Details zu ein und demselben Thema zusammen anzubieten. Teile der Forschungsarbeit unter dem EU-Bibliotheksprogramm entwickeln offene Lernkurse, um die Informationsfähigkeit von Studenten auszubilden (O'Donnell 1996) und diese Kurse über Telekommunikationsnetze anzubieten. Es gibt viele Möglichkeiten der Verbindungen zum Lernen.

Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, erwachsene Lernende zu unterstützen. Das ist einfach, weil Bibliothekare selbst hartnäckige erwachsene Lernende sind. Der persönliche Kontakt mit den Lernenden ist oft wichtig. Einige öffentliche Bibliotheken haben damit experimentiert, Mitarbeiter als Mentoren einzusetzen. Es war aber schwierig, dieses auf formaler Ebene durchzuführen. Die Gelegenheit, Lernende zu unterstützen, wird informell immer genutzt. Fast die Hälfte aller Lernenden diskutieren ihre Anliegen mit den bibliothekarischen Mitarbeitern. Eine unterstützende Nachfrage nach den Fortschritten durch eine Bibliothekarin hat oft die Motivation eines Lernenden unterstützt, fortzufahren oder auf geeignetere Lernkurse umzusteigen. Es gibt auch Fälle, die bei der Evaluation des Projektes durch den Bibliotheksverband festgestellt wurden, bei denen die fehlende einfache Nachfrage einen recht schädlichen Effekt auf den Fortschritt des Lernenden ausübte. Ich glaube, daß diese Unterstützung für das Programm Offenes Lernen im Zentrum unseres fachlichen Könnens steht (Bamber, 1992).

Lebenslang Lernende als Bibliotheksbenutzer benötigen Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk. Bibliothekare arbeiten sehr gut mit Netzen und können leicht die Verbindung zu Organisationen für pädagogische und berufliche Beratung, zu Tutoren, zu Einrichtungen für Prüfungen und Zeugnisse herstellen. Im Vereinigten Königreich haben viele öffentliche Bibliotheken sogar Mittel von lokalen Ausbildungseinrichtungen und Agenturen eingeworben, um Zielvorgaben für Fortbildung zu erfüllen. David Hough wird darüber berichten.

6. Zusammenfassung

Unsere ODIN-Studie (Brophy, 1995) stellt fest, daß es eine sehr große Bandbreite an Aktivitäten zum Offenen Lernen und Fernuniversitäten in Europa gibt. Wir haben dennoch gesagt, daß die Bibliotheken entscheiden müssen, welche Rolle von den vielen, die sich ihnen anbieten, sie beim lebenslangen Lernen spielen wollen. Material für das Offene Lernen besteht oft aus mehr als einem Medium: Papier, Software, Audio- und Videobänder etc. Das lateinische "Medium" bedeutet "in öffentlicher Art". Bibliotheken bewahren nicht nur Materialien, sondern bieten Menschen den Zugang zu dem Reichtum der weltweiten Informationen, zum Lernen und zum Wissen an.

In den siebziger Jahren gab es in den USA auf Bundesebene in öffentlichen Bibliotheken ein Projekt, das sich das "Projekt für selbstgesteuertes Lernen" nannte und das viel Erfahrung für unsere Entwicklungen im Vereinigten Königreich zur Verfügung stellte. Die ersten Worte, die ein Lernender bei der neu eingerichteten Auskunftsstelle in einer der öffentlichen Bibliotheken im Projekt aussprach, waren: "Sagen Sie mir, wer ich bin". Das sagt alles.

Literatur

ALLRED, JOHN (1995) Improving access to open and flexible learning: open learning in public libraries: the evaluation report. - Sheffield: Department for Education and Employment. (Report number OL241.)

ALLRED, JOHN (1994) 'Library-based open learning' in THORP, MARY and GRUGEON, DAVID. Open learning in the mainstream.- Harlow, Essex: Longmann Information and Reference. ISBN 0-582-23897-8. pp 74-86

ALLRED, JOHN (1978) The purpose of the public library, the historical view' in TOTTERDELL, BARRY. Public library purpose: a reader. - London: Bingley. ISBN 0 85157-2448. pp 15-32

BAMBER, ANTHONY (1992) Look up - and learn. - London: Library Association Publishing. ISBN 1-85604-068-2

BROPHY, PETER ; ALLRED, JOHN and ALLRED, JOYCE (1995) Open distance learning in public libraries Final report. -Preston: University of Central Lancashire for the EC. (to be published, but available on the Internet: http://www.uclan.ac.uk/ research/centre/cerlim)

EUROPEAN COMMISSION (1996). Teaching and learning: Towards the learning society. - Brussels; Luxemburg:E.C. Directorate General XXII.ISBN 92-827-5698-X

GREENHALGH, LIZ ; WORPOLE, KEN and LANDRY, CHARLES (1995). Libraries in a world of cultural change. - London: UCL Press. ISBNs 1-85728-468-2, 1-85728-469-0.

McNAY, IAN (1994) "To see the world in a grain of sand"... The risk of reductionism in open and distance education in THORP, MARY and GRUGEON, DAVID. Open learning in the mainstream. - Harlow, Essex: Longman Information and Reference. ISBN 0-582-23897-8. pp 108-119

O'DONNELL, PATRICIA and WATERS, MAIREAD (1996) "Educate - what's behind the Web?" -in Library technology 1(3) June 1996.pp 56,59

SMITH, VERNON (1987) Public libraries and adult independent learners: a report. - London: Council for Educational Technology. (Working paper 27.)

TOUGH, ALLEN (1979) The adult's learning projects: a fresh approach to theory and practicate in learning. 2nd ed. - Toronto: Ontario Institute for Studies in Education.

ZHAO, DIAN (1994) 'The ELINOR electronic library system' in The electronic library 12(5) Oct. 1994 pp 289-294.

1) Vortrag während des Internationalen Seminars der Bibliothekarischen Auslandsstelle "Die Bibliothek als Ort des lebenslangen Lernens" (Juli/August 1996 in Birkach bei Stuttgart). Alle Vorträge des Seminars werden zweisprachig in den Proceedings zum Seminar von der Bibliothekarischen Auslandsstelle veröffentlicht. Übersetzung von Elisabeth Simon.


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