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Bibliotheksdienst Heft 7, 96

Kopierrecht:

Klage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegen die TIB nun auch von dem OLG München abgewiesen 1)

Gerhard Schlitt

Im Rechtsstreit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (Kläger) gegen das Land Niedersachsen als Träger der Technischen Informationsbibliothek (TIB) (Beklagte) um die Kopiertätigkeit hatte die 7. Zivilkammer des Landgerichts München I im Mai 1995 die Klage in allen Punkten abgewiesen (s. Bibliotheksdienst 29 (1995), H. 8, S. 1307/1308).

Der Börsenverein legte - wie erwartet - gegen dieses Urteil Berufung ein. Diese Berufung hat nun der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit Urteil vom 23.5.1996 umfassend zurückgewiesen.

Der Kläger war, kurz zusammengefaßt, u. a. der Meinung, die TIB betreibe einen systematischen Kopienversand, der nicht mehr unter die eng auszulegende Schranke des § 53 UrhG falle, sondern der eine eigene Verwertungsart sei, die als Vervielfältigungs- und Verbreitungshandlung nach §§ 16 und 17 UrhG angesehen werden müsse. Die TIB maße sich gegenüber ihren Kunden die Stellung und Funktion eines Verlages an. Die TIB biete nämlich die Herstellung und den Erwerb von Vervielfältigungsstücken an, wobei dieses Angebot bereits eine Verbreitungshandlung im Sinne von § 17 UrhG darstelle.

In seiner Entscheidungsbegründung verweist das OLG München zunächst auf die "zutreffenden und sorgfältigen Ausführungen" des Landgerichts München und stellt dann - wörtlich zitiert - u. a. fest:

  1. "... der Senat ist der Ansicht, daß die Beklagte rechtmäßig handelt.
    Der Kläger mag sich gegebenenfalls mit seinem Anliegen wiederum an den Gesetzgeber wenden, falls die Verlagstätigkeit tatsächlich in unzumutbarer Weise unterlaufen werden sollte durch den streitgegenständlichen Kopienversand, und eine angemessene Aufteilung der dem Urheber nach § 54 f. UrhG zustehenden Vergütungen zwischen Verlag und Urheber nicht auf andere Weise zu erzielen sein sollte."

  2. "Nach geltendem Recht ist das Verhalten der Beklagten nach § 53 UrhG zulässig. Die Urheber ... werden über § 54 f. UrhG im Rahmen einer Zwangslizenz auch wirtschaftlich am Kopienversand beteiligt. Ein Verstoß gegen Art. 14 GG ist bei dieser Regelung nicht ersichtlich."

  3. "Entgegen dem Ansinnen des Klägers kann die grundsätzlich eng auszulegende Ausnahmeregelung des § 53 UrhG nicht über § 17 UrhG nur deshalb zu Fall gebracht werden, weil die Beklagte ihre Dienste mit modernen Mitteln anbietet und die Benutzer davon Gebrauch machen.

    Die Argumentation des Klägers liefe darauf hinaus, daß die Beklagte ihren Bestand an wissenschaftlichen Arbeiten nur über Karteikästen oder ähnliches offenbaren dürfte oder die interessierten Kreise zumindest anreisen müßten, um vor Ort die gewünschten Kopien ziehen zu lassen oder allenfalls mit Hilfe des interbibliothekaren Leihverkehrs dies bei einer anderen, näher gelegeneren Bibliothek tun könnten.

    Bereits dies zeigt, daß hier letztlich lediglich technische Erleichterungen den Kläger veranlassen, eine gesetzlich geregelte Nutzungsart anders beurteilt wissen zu wollen.

    Das ist aber keine Aufgabe für ein Gericht, sondern allenfalls für den Gesetzgeber."

  4. "Allein die Tatsache, daß die Beklagte darauf hinweist, daß sie (als Bibliothek) über die eventuell benötigte Literatur verfügt und bereit ist, für befugte Personen im Rahmen des § 53 UrhG zulässige einzelne Vervielfältigungsstücke herzustellen und ihnen zu überlassen, führt nicht aus dem Rahmen des § 53 UrhG heraus.

    Denn die Beklagte stellt nicht von sich aus Vervielfältigungsstücke her, trifft keine diesbezügliche Auswahl und verstößt auch nicht gegen § 53 Abs. 5 UrhG: Entgegen der Argumentation des Klägers handelt es sich nach dieser Bestimmung um Vervielfältigungsstücke des befugten Benutzers, die dieser nach § 53 Abs. 5 nicht verbreiten darf. Andere als unter § 53 Abs. 2, 4 a UrhG fallende Vervielfältigungsstücke stellt die Beklagte jedoch nicht her und verbreitet solche auch nicht..."

  5. "Der beklagte Rückgang von Auflagen wissenschaftlicher Werke und die Bestandskoordinierung mehrerer Bibliotheken ist allenfalls rechtspolitisch anzugreifen, nicht mit Hilfe eines Zivilprozesses."

  6. "Der Kopienversand ist ... nach den Materialien ausdrücklich ein Fall des § 53 UrhG und kein aliud dazu, wie der Kläger behauptet. Der Gesetzeswortlaut ist, wie bereits betont, sinnvollerweise nicht auf einen bestimmten technischen Weg beschränkt, sondern offen."

  7. "Der Kläger verzeichnet die tatsächliche Situation, wenn er geltend macht, der Kopienversand der Beklagten trete an die Stelle der den Verlagen vorbehaltenen Veräußerung von Vervielfältigungsstücken, das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht des Rechtsinhabers werde hier in seinem Bestand unterlaufen.

    Die Verlage vertreiben zum einen komplette Werke und nicht Auszüge gemäß § 53 UrhG. Zum anderen bewegt sich der Kläger damit wieder auf die vom Gesetzgeber bereits abgelehnte Kopierzentrale der Verlage zu.

    Auch die eng auszulegende Schranke des § 53 UrhG führt damit nicht zum Erfolg für den Kläger."

  8. "Der Kläger, der immerhin aus abgetretenem Recht der Urheber und Rechtsinhaber klagt, übersieht schlichtweg die Regelungen der §§ 54 ff UrhG und bemängelt vor allem, die Verlage würden lediglich zu Produzenten bloßer Kopiervorlagen degradiert, wenn die Beklagte vorliegend obsiege. Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber dies bei der Reform 1994 im Zeitpunkt der Klage nicht so sah, ergeben sich entsprechend dem Geschäftsbericht der VG Wort Einnahmen pro Jahr in Höhe von mindestens 50 Mio. DM über § 54 f UrhG ..., die nach einem Schlüssel zwischen Verlag und Autor geteilt werden. Auch sprechen die Zahlen über die Direktbestellung von 1980 bis 1995 bei der Beklagten ... gegen die Befürchtungen des Klägers, da die Bestellungen bis auf die Jahre 1981 und 1990 sogar zurückgegangen sind.

    Schließlich ist der Vortrag der Beklagten nicht widerlegt, die Kopiertätigkeit würde ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben. Streitentscheidend ist dies jedoch nicht."

Dieses in seiner Aussage erfreulich deutliche Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Börsenverein hat zunächst zur Fristwahrung Revision eingelegt und läßt zur Zeit die Aussischten für Revisionsverfahren prüfen.

Interessenten können ein Exemplar der vollständigen schriftlichen Urteilsbegründung bei der Direktion der TIB anfordern.

1) B. Sinogowitz, Erlangen, zum 75. Geburtstag


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