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Bibliotheksdienst Heft 7, 96

Information für Handel und Industrie (Business Information) an Bibliotheken in Rußland

Ein Kongreß in Rußland und die Gründung eines neuen Verbandes

Elisabeth Simon

"Business Information" ist ein fester Bestandteil der Informationsarbeit von britischen, amerikanischen und kanadischen Bibliotheken. Das erste Informationssystem für Business wurde schon 1920 von dem öffentlichen Bibliothekssystem in Sheffield gegründet. Im Laufe der Zeit schlossen sich weitere britische Bibliotheken zu dem Kooperationsverband "Sinto" zusammen. Teilnehmer dieses Verbandes und einzelne Bibliotheken, die derartige Dienstleistungen anbieten, sind in der "Library Association Industrial Group" vereinigt.

Auch in den USA oder Kanada wird die Grundversorgung an "Business Information" von Öffentlichen Bibliotheken geleistet (z. B. Metropolitan Public Library von Toronto). Daneben haben sich im Laufe der Zeit in den USA Netzwerke gebildet, die Geschäftsleuten Zugang nicht nur zu Fachinformationen bieten, sondern auch alle Hintergrundinformationen liefern, die manchmal zur Bewertung der wirtschaftlichen Situation ausschlaggebend sein können (z. B. die "laboratories" von AT & Bell). Dienstleistungen für Handel und Industrie, seien es nun Basisinformationen in der Öffentlichen Bibliothek oder enggeknüpfte Netzwerke zwischen Datenbanken und "Fachleuten", benötigen einen pragmatischen Ansatz, der leider in der Bibliotheksarbeit Deutschlands noch nicht die Regel ist.

Die Lage der Bibliotheken in den ehemaligen Ostblockländern nach 1989 brachte viele frühere Informationsstellen auf die Idee, ihre Dienstleistungen kostendeckend für den sich bildenden freien Handel anzubieten. Es war aber schwierig abzuschätzen, wer diese Dienstleistungen brauchen konnte, ob diese auch von dem neuen Kundenkreis akzeptiert werden würden und wie eine vernünftige Relation zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Informationsbedürfnissen herzustellen war. Von den zahlreichen Informationsvermittlungsstellen in der ehemaligen DDR, die nach dem Fall der Mauer solche Dienstleistungen angeboten haben, hat nicht eine überlebt.

Dieses ist nicht erstaunlich für Jelena Hankova, die 1995 auf einer Konferenz in Deutschland den tschechischen Informationsdienst "INFOCUS" vorstellte und dabei die Schwierigkeiten charakterisierte: Obwohl jede "Firma" schon vor der Wende ihr eigenes Informationszentrum besaß, waren diese nur für die wissenschaftliche Auswertung zuständig. Diese Zentren waren nach marxistischen Ansätzen konzipiert, daher "there was no real practical need and necessity to use business information in today's meaning of the word in enterprising and managing practice and there were not too many opportunities to study special theoretical literature oriented to market economy". Eine Folge davon ist die niedrige "information literacy" der jungen Leute, die es nicht gelernt haben, mit Informationen umzugehen.

Als erste Schlußfolgerung der Entwicklung von "Business Information" und ihrer Ausweitung in die Länder Ost- und Mitteleuropas kann man also folgern:

  1. Die Bibliotheken sehen darin eine Überlebenschance; dieses ist z. B. in der tschechischen Republik (Rechtsinformation) und in Ungarn zu beobachten (u. a. Informationen über Versicherungen).

  2. Die Berücksichtigung des kulturellen Umfeldes bringt einen Erfolg der Informationsdienstleistungen mit sich; dies ist besonders in China ausgeprägt, wo Datenbanken als joint ventures von kommunalen "Firmen" der Seidenindustrie mit amerikanischen Partnern aufgebaut wurden.

  3. Diese Dienstleistungen sind nur im Verbund zu erbringen.

  4. Internationale Kooperation ist daher unabdingbar.
Verglichen mit den angloamerikanischen Ländern stehen die Länder des ehemaligen Ostblocks vor einer weitaus schwierigeren Lage, da ihre Informationsdienstleistungen nicht nur auf einen heimischen, sich entwickelnden Markt zielen, sondern auch den ausländischen Investoren Informationen liefern sollen. Es gibt bereits Informationszentren, die damit auch wirtschaftlichen Erfolg erzielen, obwohl sie oft gegen eine ungleiche Konkurrenz kämpfen müssen, da viele ausländische Investoren ihre eigenen Informationsquellen haben und auch diese besser zu nutzen verstehen. Ein Beispiel in Prag zeigt den Vorteil der Kooperation: Ein irischer und ein tschechischer "Information broker" mit ihren jeweils kleinen Teams leisten auf dem Gebiet der Rechtsinformation wichtige Dienste, denn wegen der rasch wechselnden rechtlichen Grundlagen, vor allem der Zoll- und Steuerbestimmungen sind schnelle Informationen vor Ort lebensnotwendig.

Über Versuche russischer Bibliotheken, sich durch verschiedene Dienstleistungen ein Überleben zu sichern, wurde in dieser Zeitschrift bereits berichtet (vgl. E. Genieva; E. Simon: Russische Bibliotheken - quo vadunt? In: Bibliotheksdienst 28. 1994, S.1896). "Business Information" gehört dazu, nur wird dieser Begriff viel weiter gefaßt, als wir das bis jetzt verstanden.

Bibliotheken, die sich "Business Libraries" nennen, bieten nicht nur diese Dienstleistung an, sondern sie betreiben auch "business", z. B. als Verleger. Hier ist die Universitätsbibliothek von Tomsk zu nennen, die mit Kalendern, Notizbüchern und Plakaten gute Geschäfte macht. Die Technische Bibliothek von Jekatarinenburg ist ebenfalls als Verleger und als Ansprechpartner für "Information Companies" tätig, also als lokaler Partner für ausländische "Information broker".

Die Universitätsbibliothek von Novosibirsk bietet der lokalen Verwaltung Informationen an, die Stadtbibliothek von Nikolai hat die ersten "Gelben Seiten" von Nikolai erarbeitet. Die zentrale Staatliche Bibliothek der Region Murmansk in Monchegoszk erhält überhaupt keinen Etat mehr, sondern versorgt die Region mit Informationen gegen entsprechendes Entgelt oder Serviceleistungen. So wird die Elektrizität der Bibliothek durch Informationsdienstleistungen bezahlt. Alles kostet etwas ("everything has to be paid for except the cloakroom").

Es gibt sogar Bibliotheken, die in Konkurrenz getreten sind mit solchen, die ihre Dienstleistungen noch kostenlos anbieten, und dennoch stärker besucht werden. In den meisten Fällen werden die Gebühren auf Subskriptionsbasis erhoben (z. B. 30.000 Rubel für ein halbes Jahr, 500 Rubel für den Besuch des Lesesaales). Das "Commercial and Technical Centre" der zentralen Stadtbibliothek St. Petersburg bietet Informationsdienstleistungen für Studenten und die lokale Verwaltung an - nicht als einzige Institution dieser Art, daher soll im Dezember eine Konferenz der "Information Companies" abgehalten werden. Allen ist klar, daß sie kooperieren müssen.

Diese und andere Bibliotheken trafen sich zu einem einwöchigen Seminar in Moskau und Vladimir. Organisiert wurde die Konferenz von Bibliomarket, und sie diente dem Erfahrungsaustausch und der Öffentlichkeitsarbeit. Es waren zahlreiche Pressevertreter und Personen aus dem Wirtschaftsleben anwesend. Außerdem wurden Tätigkeitsberichte von folgenden Institutionen abgegeben:

International Bureau of Information and Telecommunications; Moscow Center of Scientific and Technical Information; Moscow Center of Legal Information; LG Information Group - Company; Metainform bookselling company and business book newspaper; "Positive" Book Center of Tomsk University Library, die oben schon erwähnt wurde. Dieses Zentrum arbeitet gleichzeitig als Grossist, in dem es schwer zu beschaffende Literatur in Moskau einkauft und diese in Tomsk und Umgebung vertreibt. Dabei arbeitet es eng mit der Firma "Moscow International Publisher" zusammen, ein hoffentlich positiver Anfang einer neuen Buchinfrastruktur, deren Fehlen die Bibliotheken und damit die Informationsversorgung in diesem großen Land so sehr behindert.

Die "Library Support Foundation" schließlich spielte bei dieser Konferenz eine besondere Rolle. Sie hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, der die beste russische "business library" auszeichnen soll. Zuvor sollen erst einmal die vorhandenen Erfahrungen bewertet werden, um einen Überblick darüber zu gewinnen, was schon gemacht wird und auf welchem Gebiet Aktivitäten gefördert werden sollen.

Die Fortsetzung der Konferenz in Vladimir diente dem kulturellen Rahmenprogramm und der Öffentlichkeitsarbeit. Vladimir ist das alte russische Kirchenzentrum. Es ist stolz auf seine Kultur und Geschichte, die leider wie so oft in der russischen Geschichtsbeschreibung eine Folge von Schlachten ist. Die Kirchen, die restauriert sind oder werden, vermitteln einen Eindruck von diesem geistigen Zentrum in der jetzigen "Provinz". Die wissenschaftlich-öffentliche Regionalbibliothek von Vladimir ist wie vergleichbare Bibliotheken ein Informationszentrum für diese Region. Zur Zeit wird in Vladimir, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, ein Siemens Technologie Zentrum aufgebaut.

Nach einem Workshop mit Gruppenarbeit, die teils auf Begeisterung, teils auf eine gewisse Hilflosigkeit der russischen Kollegen traf, wurde dann am letzten Tag der Konferenz in Vladimir der Verband der Business Libraries gegründet. Dieser ist nicht auf Rußland beschränkt, sondern bezieht die Ukraine und Weißrußland mit ein in der Absicht, auch Mitglieder aus anderen GUS-Republiken zu gewinnen.

Die slawische Gemeinsamkeit wurde eigentlich nur von der Regionalbibliothek in Vladimir betont. Bibliomarket und seine Kunden folgen dieser "Ideologie" nicht. Man konnte sich zur Zeit auch nicht über eine regionale Untergliederung der Vereinigung verständigen, beschloß aber die Herausgabe eine Zeitschrift, deren Federführung bei Bibliomarket liegt. Die Eintragung dieses Vereins erfolgte Anfang Mai.

Das 1992 in Moskau gegründete "Wissenschaftlich-Innovative Zentrum" Bibliomarket muß sein Geld mit Dienstleistungen verschiedenster Art verdienen: Schulungen, Publikationen, vielfältiger bibliothekarischer und Informationservice (vgl. J. Jastrebowa: Bibliomarket in Rußland. In: Bibliotheksdienst 27. 1993, S. 899). Geleitet wird die "Firma" von einem Triumvirat: Irina Mikhanova, Galina Tsesarskay und Alexander Purnik. Frau Mikhanova und Frau Tsersarska kommen aus der staatlichen Jugendbibliothek (Frau Tsesarskay ist Journalistin), Herr Purnik ist Systementwickler und ist für die Bibliomarket-Datenbanken verantwortlich. Neben diesem Direktorat verfügt Bibliomarket über weitgehende berufliche Kontakte und ein ausgezeichnetes persönliches Netzwerk von Fachleuten, die ihr Können, Wissen und ihren Fleiß in die Entwicklung von Bibliomarket investieren. Dabei ist sehr hilfreich, daß Frau Mikhanova zugleich Leiterin mehrerer städtischer Bibliotheken ist, die nun nach diesen Vorstellungen umorganisiert werden.

Wenn auch das Gehalt der russischen Bibliothekare niedrig ist und die Bibliotheken nur geringe Mittel erhalten, so ist die Stadt Moskau doch an ihren städtischen Bibliotheken interessiert, zumal wenn eine von ihnen eine Galerie moderner Kunst enthält, in der die Empfänge der lokalen Administration stattfinden.

Alle Mitarbeiter von Bibliomarket sind hochmotiviert, arbeitsversessen und auf sich gestellt. Die Organisation und das Fachprogramm des Seminars zeigten das hohe fachliche und organisatorische Niveau, das Bibliomarket für seine Serviceleistungen beansprucht.Die letzte Publikation der Institution beschäftigt sich mit "Leitsystemen, Plakaten und der Herstellung von Visitenkarten" - es wird gerade die 5. Auflage verkauft. Hier fanden sich manche Erfahrungen wieder, die in Deutschland auf einem internationalen Seminar der Bibliothekarischen Auslandsstelle erworben wurden.

Die Institution hat deutlich erkannt, daß es sich mehr dem internationalen Markt als Informationsbeschaffer anbieten muß. Über 60% des Umsatzes in Moskau wird von internationalen Firmen gemacht. Als Wirtschafts-Informationszentrum für einheimische und ausländische Firmen haben sich Bibliomarket und seine Partner mit Phantasie, Energie und Innovation einen guten Markt geschaffen. Bleibt nur zu hoffen, daß die politischen Rahmenbedingungen, das Überleben dieser guten Informationsarbeit und ihre Entwicklung erlauben.


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