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Bibliotheksdienst Heft 6, 1996

Öffentliche Bibliotheken und regionale Verbundsysteme:
Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Ergebnisse und Voten eines Diskussions- und Planungsforums

Uta Kaminsky

Im Rahmen der Veranstaltung des DBI am 25. und 26.4.1996 in Göttingen trafen landesweise je ein Vertreter der Staatlichen Fachstellen als Planungs-, Beratungs- und Dienstleistungsstellen für öffentliche Bibliotheken, die Leiter der regionalen und überregionalen Verbundsysteme, Vertreter der überregionalen bibliothekarischen Dienstleistungseinrichtungen DBI, DDB und EKZ sowie Vertreter beispielhafter Projekte (Ostwestfalen-Lippe-ExpressService (LB Detmold), Internet für öffentliche Bibliotheken (StB Bremen), Infothek (StB Köln / Bremen) und Vernetzungsinitiativen (Katalogisierungsverbund Öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken, Verbund Öffentlicher Bibliotheken Berlin, Verbund Öffentlicher Bibliotheken Brandenburgs, Rechenzentrum Alb-Schwarzwald) zusammen. Folgender Sachstand wurde festgestellt:

Sachstand

Auf den politischen Ebenen Europas und Deutschlands wird der sich entwickelnden Informationsgesellschaft und ihren gesellschaftspolitischen, technologischen und wirtschaftlichen Implikationen und Konsequenzen eine hohe Priorität eingeräumt. Die neu entstehenden Informationsmedien und Netzdienste stellen die Gesellschaft vor völlig neue Probleme und Herausforderungen. Schon jetzt sind viele Informationen nur über elektronische Netze verfügbar, und diese Entwicklung wird rasant zunehmen. Gleichzeitig wird das Bildungs- und Informationsgefälle zwischen denen, die an diesen Entwicklungen teilnehmen, und denen, die nicht teilnehmen können, immer größer. Eine informationsbestimmte Gesellschaft bedarf zukunftsgerichteter Infrastrukturen und breiter Bildungspotentiale in der Bevölkerung. Zur Wahrung der Chancengleichheit ist der öffentliche Zugang zu den neuen Medien deshalb von besonderer Bedeutung.

Öffentliche Bibliotheken stehen allen Bevölkerungsteilen und -schichten zur Benutzung offen. Sie sollten als Lotse, Manager oder Administrator Hilfestellung in einem zunehmend unüberschaubaren Markt der Informationstechnologien geben und freien Zugang zu allen Bereichen der Information bieten können. Für öffentliche Bibliotheken muß von daher der Bereich der Nutzung und des Angebots von Informationstechnologie-Dienstleistungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Öffentliche Bibliotheken aller Größenordnungen verfügen aber oft nicht über ausreichende personelle, finanzielle und technologische Ressourcen, um an dem neu entstehenden Markt an Informationsdienstleistungen teilzunehmen; finden sie mit diesem Problem nicht ausreichend Beachtung, wird das Gefälle immer größer.

Im Zuge der immer stärker werdenden Nutzung der EDV sowohl für benutzerbezogene Dienste (Recherche, Leihverkehr, Ausleihe, Info-Medien) wie auch für Verwaltungsvorgänge (Erwerbung, Katalogisierung, Haushaltsführung, Statistik) ist diese Tatsache besonders nachteilig. Öffentliche Bibliotheken können das notwendige Know-How oft nicht vor Ort alleine entwickeln und sind daher auf kompetente Partner angewiesen. Kooperative Modelle zwischen öffentlichen Bibliotheken und auch zwischen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken und Einrichtungen sind in Deutschland bisher nur vereinzelt anzutreffen. Aufgrund der unterschiedlichen Trägerschaft sowohl der öffentlichen Bibliotheken - und hier besonders der Vielzahl mittelgroßer und kleinerer öffentlicher Bibliotheken - als auch der regionalen und überregionalen Verbundsysteme ist eine Flut regionaler Besonderheiten in den Formen und Inhalten der Kooperation bzw. der Nutzung von IT-Diensten vorzufinden.

Mit den regionalen und überregionalen Verbundsystemen ist in Deutschland eine Struktur abgestimmter, kooperativ organisierter "Bibliotheksrechenzentren" entwickelt worden. In der Aufbauphase dienten sie vordringlich der Rationalisierung der Katalogisierung und des Nachweises in den wissenschaftlichen Bibliotheken durch IT-Einsatz. Es ist damit ein umfassender Nachweis für Monographien und Zeitschriften wissenschaftlicher Bibliotheken entstanden. Zur Zeit wandeln sich die Verbundsysteme zunehmend zu Dienstleistungszentralen, die über ein breites Spektrum von Angeboten auf dem Markt der Informationstechnologie - von Fortbildung über Beratung bis zu IT-Diensten für Recherche und Nachweis - verfügen.

In der kooperativen Nutzung der in den regionalen und überregionalen Verbundsystemen vorhandenen Infrastruktur und ihres IT-Sachwissens sowie der regionalen Beratungskompetenz der Fachstellen liegt die Möglichkeit, öffentlichen Bibliotheken aller Größenordnungen effiziente Unterstützung zu bieten. Diese Position wird schon in der 3. Empfehlung der Kultusministerkonferenz zum öffentlichen Bibliothekswesen und auch in "Bibliotheken '93" vertreten. Dies erfordert allerdings auch eine gezielte Investition in die Leistungsfähigkeit der betreffenden Einrichtungen. Um den Problemen jeweils lokal entwickelter Einzellösungen zu begegnen, sind möglichst frühzeitig die Zugangsberechtigungen, technischen Voraussetzungen und normierte Schnittstellen zur Teilnahme an den Verbundsystemen abzustimmen.

Eine Bündelung der Kräfte durch die Nutzung überregionaler Dienstleistungsangebote, überregionale Diskussion und Abstimmung und eine gezielte Weitergabe von Planungsvorschlägen an die Ebene der Trägerschaft scheint dringend geboten. Zur Entwicklung abgestimmter Handlungsstrategien wurden folgende Voten abgegeben:

Votum 1: Zunehmend sind Informationen nur noch in elektronischen Netzen zugänglich. Nur über Kooperationen wird es möglich sein, diese den Bürgern in allen Bibliothekstypen und -sparten zugänglich zu machen.

Elektronische Informationen müssen dauerhaft verfügbar gemacht und erschlossen werden. Die Länder und der Bund haben hierfür die notwendigen Infrastrukturhilfen bereitzustellen. Fragen des Urheberrechts, der Zugangs- und Lizenzfragen sowie der Langzeitsicherung elektronischer Publikationen können nicht von den Bibliotheken oder einzelnen Bibliotheksverbünden allein gelöst werden, sondern nur durch Initiativen auf Bundesebene.

Dieses Votum greift bewußt Grundaussagen der DFG-Empfehlung "Neue Informations-Infrastrukturen für Forschung und Lehre" auf, um darauf hinzuweisen, daß alle Informationsversorger betroffen sind und über Kooperationen tätig werden sollten.

Votum 2: Allen öffentlichen Bibliotheken muß eine kostenfreie Nutzung der Angebote der regionalen und überregionalen Verbundsysteme über pauschale Finanzierungsregelungen auf Landesebene ermöglicht werden, wie dies z.B. in Niedersachsen oder Bayern schon jetzt der Fall ist.

Die strikte Abgrenzung von öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken wird für obsolet gehalten. Wie durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt, nehmen Benutzer über öffentliche Bibliotheken auch wissenschaftliche Bibliotheken in Anspruch - und dies mit besonderer Bedeutung in Städten und Gemeinden ohne universitäre oder wissenschaftliche Bibliotheken. Dies umfaßt auch die Funktionen der Leihverkehrsabwicklung. Öffentliche Bibliotheken erfüllen damit in Teilen originäre Landesaufgaben.

Votum 3: Alle öffentlichen Bibliotheken - unabhängig von ihrer Größe - müssen die Möglichkeit erhalten, ihre Bestände in den regionalen und überregionalen Verbundsystemen durch geeignete Online- oder Offline-Verfahren nachzuweisen (Meldung, Direktteilnahme, Nummerungssysteme o.ä. incl. Bestandsänderungen). Der dadurch erreichbare, möglichst flächendeckende zentrale Nachweis ist Grundvoraussetzung für eine umfassende Informationsvermittlung, kostengünstige Literaturversorgung und zügige Dokumentlieferung auch in der Region.

Es wird für dringend notwendig gehalten, die technischen Fragen des Zugangs durch Support und Fortbildung zu unterstützen:

Votum 4: Die öffentlichen Bibliotheken haben unabhängig von ihrer Größe einen hohen Bedarf an Fortbildung, Betreuung und Unterstützung in allen Fragen der EDV-Technik vor Ort. Es ist Aufgabe der Fachstellen, diesen Bedarf im Bereich der kleineren und mittleren Bibliotheken flächendeckend zu erfüllen. Die Verbundzentralen mit ihrem ausgeprägten IT-Sachwissen können hierbei Hilfe zur Selbsthilfe geben, Multiplikatoren ausbilden und zu ihren Serviceangeboten fortbilden.

Weitere Informationen zum Thema, zu dieser Veranstaltung und den weiteren Schritten sind zu beziehen