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Bibliotheksdienst Heft 6, 1996

Elektronische Bibliotheken - ein Programm und einige Projekte

Bruce Royan

Rationale: Seit der letzten Dekade befinden sich die wissenschaftlichen Bibliotheken in Großbritannien in Schwierigkeiten. Bei dem ständigen Anwachsen der titles in print, haben die Kosten pro Titel bereits die Inflationsrate überholt, und dies in einer Zeit, in der die Bibliotheksbudgets immer kleiner werden. Am Ende einer Dekade, in der das "Nicht-Investieren" in den Ausbau von Bibliotheken zu einer wahren Überflutung der Bibliotheken mit Büchern geführt hat, ist der Druck auf die Kapazitäten der Lesesäle, ausgelöst durch den akademischen Boom, sehr groß. Genau in dieser Situation scheint das Aufkommen der Neuen Technologien einen Ausweg aus diesem Labyrinth zu bieten.

Das Elektronische Bibliotheksprogramm: Im Jahre 1992 beauftragten die UK Higher Education Funding Councils Professor Sir Brian Follett, Vize-Kanzler der Universität Warwick, einen Bericht über die finanziellen Mittel der wissenschaftlichen Bibliotheken zu geben.

Der Follett Report (http://ukoln.bath.ac.uk./follett/follett_report.html) wurde 1993 veröffentlicht und zeigt Wege auf, wie die neuen Informationstechnologien den Bibliotheken dabei helfen können, den steigenden Anforderungen an ihren Service gerecht zu werden. Diese Studie hat das Funding Councils' Joint Information Systems Committee (JISC) veranlaßt, das Electronic Libraries Programme (eLib) einzuführen, das mit einem Budget von 15 Millionen Pfund über 3 Jahre finanziert wird und folgende Ziele hat:

Entsprechend wurde 1994 die Follett Implementation Group for Information Technology (FIGIT) gegründet, die Geldmittel für folgende sieben Aktionsbereiche bereitstellt:
In diesem Vortrag werde ich jeden dieser Bereiche kurz vorstellen und auf drei Bereiche auch näher eingehen, mit denen ich persönlich befaßt bin.

Elektronische Zeitschriften: Die elektronische Zeitschrift bietet einen Ausweg aus der Zeitschriften-Preisspirale, aber darüber hinaus bietet sie auch Möglichkeiten, die weit über die einer gedruckten Zeitschrift hinausgehen. Beispielsweise kann eine elektronische Zeitschrift, die die Manipulation eines drei-dimensionalen Molekularmodells erlaubt, unter http://www.ch.ic.ac.uk/clic/ gefunden werden.

Digitalisierung: Theoretisch könnte viel Bibliotheksraum gespart werden, wenn man die weit zurückgehenden alten Jahrgänge von Zeitschriften in digitalisierter Form archiviert. Neuere Ausgaben, nach denen eine starke Nachfrage besteht, wären ebenfalls Kandidaten für eine Digitalisierung. Ein Beispiel dieser Art ist die Internet Library of Early Journals, die weite Jahrgänge in digitaler Form von Zeitschriften wie Philosophical Transactions of the Royal Society und Gentleman's Magazine enthält.

Training und Wissenserweiterung: Es ist ganz entscheidend, daß die Bibliotheksangestellten, die eng mit den "vernetzten Informationen" arbeiten, auch gut ausgebildet und sich neuer Entwicklungen auf diesem Gebiet bewußt sind. Ein gutes Beispiel für Projekte dieser Art ist das auf dem Web basierende Current Awareness bulletin ARIADNE: http://ukoln.bath.ac.uk/ariadne/

Zugang zu vernetzten Ressourcen: Sogenannte Netzwerkressourcebanken sind für spezielle Fachgebiete entwickelt worden, um die Fähigkeiten und den Nutzen einer solchen großangelegten Dienstleistung zu erforschen. Ein Beispiel ist der Social Science Information Gateway, SOSIG: http://sosig.ac.uk/

Elektronische Dokumentenlieferung: Der elektronische Zugriff erfolgt häufig auf "Surrogate" von Dokumenten (typischerweise sind dies bibliographische Beschreibungen oder Abstrakte), weniger auf die Dokumente selbst. Projekte in diesem Bereich testen die verschiedenen Liefermöglichkeiten dieser Dokumente über das Netz.

Die Universität Stirling arbeitet zusammen mit der Universität East Anglia (Norwich), den Universitäten von Lancaster und dem Bath Information and Data Service (BIDS) in dem EDDIS (Electronic Document Delivery: The Integrated Solution) Projekt. EDDIS zielt darauf ab, einen integrierten, endnutzergesteuerten (Identifikation, Bestand, Sichtbarmachung und Bestellung) elektronischen Dokumentenlieferdienst für Dokumente, die nicht zurückgegeben werden müssen (wie normalerweise Zeitschriftenartikel) anzubieten. Der Anfragemechanismus wird aber auch in der Lage sein, Dokumente, die zurückgegeben werden müssen (so wie normalerweise Bücher), zu bestellen, und alle Arten von Dokumenten sowohl auf traditionelle als auch elektronische Weise zu beschaffen. Die Quellen der Dokumentenbeschaffung dieses Projektes umfassen unter anderem BLDSC, SALSER (Scottish Academic Libraries Serials holdings discovery service), JASON (einen ähnlichen Service von der Universität Bielefeld) und die Cambridge University Press. EDDIS arbeitet im Bereich der Entwicklung elektronischer Lieferungssoftware mit JEDDS zusammen, einem Konsortium, dem die US Research Libraries Group (RLG) und einflußreiche Institutionen in Australien und Asien angehören.

Publizieren on demand: In einigen Fachbereichen entsteht durch die große Zahl von Studenten ein enormer Druck auf die Bibliotheken, denn einige bestimmte Bücher werden von allen Studenten zur gleichen Zeit gebraucht. Mit Hilfe des Publizierens on demand soll dieses Problem verringert werden.

Die Scottish Collaborative On-demand Publishing Entreprise (SCOPE) hat ihren Sitz in Stirling, erhält aber technische Unterstützung von der Napier Universität, Edinburg, und bedient etwa 13 akademische Institutionen in Schottland. Dokumente sind hier in elektronischer Form gespeichert, um sie auf Kundenanfrage veröffentlichen zu können. Digitalisierte Anthologien von Texten werden von Lektoren aus einer Vielzahl von verschiedenen Quellen zuerst nach zwei Hauptthemen geordnet, dann entsprechend der Anfragen der Studenten ausgedruckt und zu einem geringen Preis verkauft. Im zweiten Jahr soll die Ressourcenbank auch um Texte, die von den akademischen Mitarbeitern der Universität geschrieben wurden, erweitert werden, um so die üblichen Publikationen zu umgehen. Ab dem dritten Jahr wird es für die Studenten möglich sein, Suchen in SCOPE durch das Netz zu machen, vom Bildschirmtext über downloading bis zum Ausdruck. Für weitere Informationen sehen Sie bitte nach unter: http://www.stir.ac/infoserv/scope

Unterstützende Studien: Eine Menge von Studien und Projekten werden zur Zeit unternommen, um das eLib-Programm genauer zu definieren, Parameter für andere Arbeiten zu setzen und die restlichen sechs Aktionsbereiche zu unterstützen. Gebiete, die hierbei von Interesse sind, umfassen das Urheberrecht, das Arbeiten mit Bildern und die Netzwerkentwicklung.

Stirling ist auch Hauptsitz einer unterstützenden Studie, die MA/HEM (Methodologies for Access/Holdings Economic Modelling) genannt wird. Sie entwickelt ein wirtschaftliches Entscheidungsinstrument, um zwischen den unterschiedlichen Formen der Informationsbeschaffung zu wählen. Dieses Instrument, auf einem Excel Formblatt basierend, ist von der Standing Conference of National and University Libraries (SCONUL) verbreitet und bei den Erwerbungsbibliothekaren und anderen Entscheidungsträgern positiv aufgenommen worden.

Die Zukunft: 40 e-Lib-Projekte laufen momentan, und FIGIT entscheidet gerade über die finanzielle Unterstützung von Projekten zu elektronischen Reservesammlungen, pre-print Archiven und Qualitätssicherung (einschließlich der wissenschaftlichen Beurteilung). Darüber hinaus sind staatliche Gelder für den Ausbau des Programms beantragt. Was auch immer geschehen wird, das Elektronische Bibliotheksprogramm hat bereits einen Schrittwechsel innerhalb der Dienstleistungen der wissenschaftlichen Bibliotheken Großbritanniens bewirkt.