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Bibliotheksdienst Heft 6, 1996

Die Britische Nationalbibliothek auf dem Weg zur elektronischen Bibliothek

Das Programm "Initiatives for Access" der British Library 1)

Petra Labriga

0. Die britische Nationalbibliothek - The British Library

Die British Library (BL) ist lange nicht so alt wie viele meinen - sie wurde erst 1972 gegründet. Die Sammlung der British Library ist jedoch viel älter - sie wurde über die letzten 250 Jahre aufgebaut -, und sie besteht aus Dokumenten aller Epochen, aus allen Kontinenten, in allen nur denkbaren Sprachen. Im Jahre 1972 nun wurden verschiedene Sammlungen Englands zur British Library zusammengefaßt, und diese British Library hat die wichtige Aufgabe übernommen, den nationalen Kulturbesitz zu erhalten, ihn zu erweitern und möglichst vielen Benutzern zugänglich zu machen. Die British Library ist eine umfangreiche Organisation, die in ihren verschiedenen Abteilungen mit sehr unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt ist. Die British Library nimmt - wie sicher jede Nationalbibliothek - eine zentrale Position im kulturellen und akademischen Leben ihres Landes ein und sie spielt auch als Partner und Initiator in der britischen, aber auch in der internationalen Bibliothekslandschaft eine Rolle. In einer immer kleiner werdenden Welt haben die Nationalbibliotheken bzw. andere große Bibliotheken schon lange bemerkt, daß niemand eine Insel ist. Viele internationale Projekte, die die BL mit anderen Partnern in Europa und anderswo durchgeführt hat und noch durchführt, beweisen das.

Die British Library ist eine Bibliothek an zwei Orten: Ein Teil der Bibliothek befindet sich in London, der andere in Yorkshire, wo das Document Supply Centre untergebracht ist. Der Benutzer im In- und Ausland merkt jedoch nicht wirklich, daß die verlangten Bücher und Kopien aus unterschiedlichen Orten kommen, und für die deutschen Benutzer ist British Library ohnehin immer gleichbedeutend mit London. Die British Library auf dem Weg zur elektronischen, zur digitalen Bibliothek - der Anfang ist sicher bereits gemacht. Mehr als die Hälfte der Benutzer der British Library sind remote users, die ich hier als entfernte Benutzer übersetzen will, also Benutzer, die nicht in den Lesesaal kommen. Online-Kataloge, elektronische Bestellung von Literatur, Lieferung von bis zu 22.000 Dokumenten pro Tag in alle Welt vom Document Supply Centre aus, fast vollelektronische Lieferung von Patenten, die elektronische Bereitstellung von alten, wertvollen Manuskripten auf dem Internet oder auf CD-ROM - es gibt viele Beispiele und Projekte, die in die Zukunft weisen. Maßgeblich verantwortlich für diese Entwicklung ist das Programm Initiatives for Access.

1.0 Das Programm "Initiatives for Access" der British Library

Es gibt immer wieder Diskussionen über die Aufgaben, die Bibliotheken zu erfüllen haben und neue Rollen, die Bibliotheken für sich finden sollten und natürlich oft die bange Frage, wie denn das zu finanzieren sei. Bei allen Visionen für die Zukunft von Bibliotheken können wir uns sicher darauf einigen, daß Bibliotheken nach wie vor folgende 3 Dinge erfüllen und erfüllen sollten:

Sie sind für den Erwerb von relevantem Material für ihre Benutzer verantwortlich, um diese mit der gewünschten Information zu versorgen.

Es ist die Aufgabe von Bibliotheken, den bereits vorhandenen Bestand zu erhalten. Dies ist besonders wichtig, wenn eine Bibliothek über Schätze des nationalen Kulturerbes zu wachen hat, wie das bei der BL der Fall ist.

Als letztes, und das ist genauso wichtig wie die beiden anderen Aufgaben, gilt es, die Sammlung dem Benutzer zugänglich zu machen. Wie wichtig dieser Punkt ist, bemerken alle Bibliotheken in letzter Zeit, da die Bereitstellung von Information zunehmend als Dienstleistung betrachtet wird und die Bibliotheken um den Benutzer zu buhlen beginnen.

Dies alles ist selbstverständlich. Aber was hat sich verändert? Hat man früher Bücher gekauft, um diese aufzubewahren und sie dem Leser in die Hand zu geben, so muß man heute verschiedene Medien in Betracht ziehen. Nicht jeder Benutzer kommt ins Haus. Benutzer wollen heute Kataloge auch von auswärts online erreichen und von außerhalb die gewünschte Information bestellen. Daß sich der Zugriff der Benutzer auf die in einer Bibliothek vorhandenen Informationen geändert hat, erlebt die BL schon seit einiger Zeit, da - wie schon erwähnt - schon heute die Hälfte ihrer Benutzer aus der Ferne die Datenbanken und Kataloge benutzen und ihre Bestellungen auf elektronischem Weg schicken.

Was den Erhalt des Bestandes angeht, so geht es heute nicht nur um Aufbewahrung und Pflege, sondern zum Teil auch um eine Überführung von einem Medium in ein anderes. Seit einiger Zeit überführen wir Papier in Mikroformen, nun verarbeiten wir Mikrofiches und Mikrofilme zu digitalen Zeichen, das heißt, wir scannen - zu neudeutsch - die vorhandenen Vorlagen. Die Möglichkeiten dieser Technik sind phantastisch und werden noch näher beleuchtet.

Um sicherzustellen, daß die BL ihren Aufgaben und Erwartungen in den nächsten 10 Jahren gerecht wird, wurde im Jahre 1993 das Programm Strategic Objectives for the Year 2000 verfaßt, ein Papier, das Initiativen für den Zugriff auf Information definiert und das in Form einzelner Projekte sowohl Kontinuität als auch Innovation in allen drei Bereichen Erwerb, Bestandserhalt und Zugriff durch den Nutzer garantiert. Dieses Strategie-Papier hat 17 Projekte nach sich gezogen, die sich Initiatives for Access nennen und auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

1.1 Portico-Information im Netz

Eine der ersten Initiativen, die sich bereits als sehr erfolgreich gezeigt hat, ist der World Wide Web-Server der British Library, Portico. Wenn Sie schon einmal die Möglichkeit hatten, die BL entweder in London oder in Boston Spa zu besuchen, dann haben Sie bestimmt erlebt, mit wieviel gedruckter Information zu den diversen Dienstleistungen man Sie versorgt hat. Jede Abteilung - und von denen gibt es schon viele - hat zumindest eine Broschüre. Portico faßt alle diese Informationen über die BL unter einem Server zusammen, und Sie können auswählen, welcher Service oder welche Abteilung Sie interessiert und zu welchem Service Sie weitere Informationen benötigen. Hier erfahren Benutzer durch Mausklick z. B. Näheres zu Öffnungszeiten der Lesesäle, zu den bibliographischen Diensten, dem Dokumentenlieferservice, über kommende Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen. Graphiken, wenn auch manchmal etwas zeitintensiver, geben Beispiele aus den Sammlungen und machen Lust auf mehr, wenn es z.B. um Exponate einer Ausstellung geht.

Der Vorteil dieses elektronischen Mediums liegt auf der Hand: Dem Benutzer stehen alle Informationen rund um die Uhr auf einen Blick zur Verfügung, und die BL kann ihre Benutzer wesentlich unmittelbarer mit neuesten Informationen versorgen und diese immer wieder relativ mühelos auf dem neuesten Stand halten.

Seit seiner Öffnung vor 2 Jahren haben weltweit mehr als 1,5 Millionen Internet-Benutzer einen Blick auf die WWW-Seiten der British Library geworfen. Der Server wurde natürlich kontinuierlich weiterentwickelt und verfügt inzwischen über Ton und Graphik und ist interaktiv. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen für ein solches interaktives Zusammenspiel von digitalem Bild und Ton: Ein nach 300 Jahren entdecktes Purcell-Manuskript für Tasteninstrumente wurde kürzlich von der British Library erworben. Am Tage der Pressemitteilung konnte man schon einen Ausschnitt des Manuskripts auf dem Web-Server ansehen, der darüberhinaus auch noch die Aufnahme eines Stückes, gespielt auf einem Originalinstrument, einem Tafelklavier, lieferte.

Portico ist, neben all den Informationen zu den Dienstleistungen der British Library, auch eine Hauptinformationsquelle zu den anderen Projekten der Initiativen für den Zugriff auf Information.

1.2 Zugriff auf bibliophile Kostbarkeiten-Der elektronische Beowulf

Das Projekt "elektronischer Beowulf" hat bereits einen Preis gewonnen: Die Mecklermedia / Library Association hat der British Library die Auszeichnung für Innovation durch Informationstechnologie verliehen. Mit modernster Technik wurde hier das Manuskript des ältesten Gedichts in einer Landessprache, nämlich Altenglisch, auf dem Internet allgemein zur Verfügung gestellt.

Es gibt nur ein einziges, erhaltenes Manuskript aus dem 11. Jahrhundert, das im Jahre 1731 an den Rändern durch Feuer zerstört wurde. Man hat kurz nach der Beschädigung Transkriptionen angefertigt, die, verglichen mit dem Manuskript im heutigen, unbearbeiteten Zustand, damals noch sichtbare Buchstaben aufweisen, besonders an den versengten Außenkanten des Manuskripts. Im 19. Jahrhundert hatte man versucht, durch Einrahmung dem steten Verfall des Manuskripts Einhalt zu gebieten. Daß eine solche Kostbarkeit von Wissenschaftlern aus aller Welt eingesehen werden möchte, ist verständlich, bringt die BL jedoch in ein Dilemma: Wenn man das Manuskript für Studienzwecke aus dem Glasbehälter herausholt, besteht ständig Gefahr, daß es weiteren Schaden nehmen könnte und die Besucher, die extra nach London kommen, um sich das Manuskript als Ausstellungstück wenigstens hinter Glas anzusehen, gehen leer aus. Die Digitalisierung bietet hier eine ideale Lösung für alle Beteiligten:

Jede Seite des Manuskripts wurde mit sehr hoher Auflösung mit einer ProgRes 3012 Kamera unter Weißlicht, Ultraviolett-Licht und mit Faseroptik photographiert (300 dpi). Man kann jetzt Buchstaben erkennen, die zuvor durch den Papierrahmen verborgen waren und Worte, die während der Niederschrift durchgestrichen wurden, können jetzt entziffert werden. Die Auflösung ist so gut, daß man sogar die Haarstruktur der Tierhaut erkennen kann, auf der Beowulf geschrieben wurde.

In Zusammenarbeit mit zwei amerikanischen Forschern wird nun ein elektronisches Faksimile produziert. Transkriptionen aus dem 18. Jahrhundert, die in der königlichen Bibliothek in Kopenhagen gehalten werden, wurden ebenfalls digitalisiert und stehen den Forschern für den vereinfachten Vergleich zur Verfügung. Die BL plant, das gesamte Manuskript auf dem Internet bzw. auf CD-ROM für Abonennten zugänglich zu machen.

Dies ist ein Beispiel für den Bestandserhalt einerseits und den Zugriff durch den Benutzer andererseits. Andere Projekte, die der BL in ihrer Kurator-Rolle erlauben, ihre Schätze gleichzeitig zu schützen und dennoch einer breiten Masse von Interessenten zur Verfügung zu stellen, sind:

die Treasures - die Schätze, wie die Sforza Hours, die Diamond Sutra (erstes gedrucktes Dokument überhaupt, 8 Jahrhundert), die Magna Carta, die Lindisfarne Gospels, das Da Vinci Skizzenbuch, die Gutenberg-Bibel

Digitalisierung von alternden Mikrofilmen, am Beispiel von Englands ältesten Zeitungen

Digitalisierung der Incunabula, also von Wiegendrucken aus dem 15. Jahrhundert, das europäische CD-ROM-Projekt Incipit, unterstützt durch die Europäische Kommission; Icunabula Short Title Catalogue (ISTC) seit 1980 entwickelt, auf Blaise-Line (BL Online Host), andere europäische Bibliotheken photographieren ihre Bücher und schicken diese zwecks Digitalisierung nach Großbritannien

National Sound Archive: über eine Million privater und kommerzieller Tonträger aus den frühesten Tagen der Aufnahmetechnik, Übertragung von analogen Tonträgern auf digitale Tonträger

Es sollte unbedingt noch erwähnt werden, daß die BL mehrere höchst lehrreiche Produkte für Schulen entwickelt hat, multimediale CD-ROMs, mit deren Hilfe sich Schüler gleich doppelt schlau machen können: Einmal in dem entsprechenden Fach (Beispiel Mittelalter oder Technik) und gleichzeitig spielerisch den Umgang mit dem Computer (Windows als Basis) lernen. Dies sind Produkte aus einem besonderen Programm, das die Sammlungen der BL für die Schulen zugänglicher machen sollen. Die beiden CD-ROM-Produkte sind übrigens schon jetzt sehr erfolgreich.

1.3 Aktuell, Schnell, Zuverlässig die BL als Dienstleistungsunternehmen

Die bis jetzt genannten Beispiele für den Einsatz von Informationstechnologie betrafen den Bestandserhalt und die Zugriffsmöglichkeit des Benutzers auf altes, sehr wertvolles Kulturerbe. In ihrem Network-OPAC-Projekt stellte die BL in den vergangenen zwei Jahren Universitäten und Forschungsinstituten den OPAC online über das Wissenschaftsnetz Großbritanniens zur Verfügung, was von der akademischen Welt begeistert aufgenommen worden ist. Die British Library steht aber nicht ausschließlich der akademischen Welt zur Verfügung. Ganz im Gegenteil: Der kommerzielle Sektor macht einen ganz erheblichen Teil der Benutzer aus. Eine ganz andere Seite der British Library wird deutlich, wenn man sich z. B. die fast industrielle Informationsversorgung im Document Supply Centre ansieht: Die schiere Masse von Bestellungen (ca. 15.000 pro Tag) erfordert so viel Automatisierung wie möglich, denn die Kunden erwarten einen prompten, zuverlässigen Service innerhalb von 48 Stunden. Ein großer Teil der Automatisierung ist schon gegeben. Wenn eine elektronische Bestellung in Boston Spa eintrifft, hilft das interne Automatch System, die Bestellung direkt in den Teil des Hauses weiterzuleiten, in dem sich der gewünschte Posten befindet. Die Bestellungen werden also im wahrsten Sinne des Wortes vor Ort ausgedruckt und sofort bearbeitet. So erreicht die BL für elektronische Bestellung schon jetzt oft eine Bearbeitungszeit von 24 Stunden für den Standardservice. Doch dies alles läßt sich noch verbessern, denn die Technik entwickelt sich ständig weiter, nicht zuletzt, weil ständig neue Bedürfnisse nach noch höherer Geschwindigkeit, mehr Unmittelbarkeit, mehr Benutzerfreundlichkeit usw. aufkommen. Lassen Sie mich Ihnen ein paar Beispiele für Projekte auf dieser Dienstleistungsebene geben, die zum Teil bereits in kommerzielle Produkte übergegangen sind:

1.3.1 Patente und Dokumente auf Knopfdruck - die "Patent Express Jukebox" und "Inside"

Die British Library verfügt bereits über die wahrscheinlich größte Sammlung von Patenten weltweit und erfüllt 98% aller Bestellungen (das sind ca. 600.000 pro Jahr), die bei Patent Express eingehen. Die Speicherung von nationalen und internationalen Patenten auf CD-ROM erlaubt es den Mitarbeitern von Patent Express in weniger als 2 Minuten die gewünschte Schrift zu finden und auszudrucken. Die dafür entwickelte Jukebox - sie besteht eigentlich aus 18 Jukeboxes und man müßte Jukebox System sagen - hält mehr als 1.8 Millionen Patente auf 5500 CD-ROMs. Im Moment wird die Nummer des Patents noch per Hand eingegeben, nachdem ein Mitarbeiter überprüft hat, ob das gewünschte Patent auf CD-ROM gespeichert ist. Suche und Ausdruck erfolgt dann automatisch, bevor die Kopie in den Versand geht oder per Fax zum Kunden geschickt wird. Die Zukunft wird einen Service rund um die Uhr bringen, der besonders für internationale Kunden interessant sein wird (USA, Australien etc): Der Plan ist, daß die Benutzer von ihrem Terminal aus online das Patent anfordern, das dann von der Jukebox aufgefunden, ausgedruckt und über einen Faxserver versandt wird. Patent Express rechnet damit, daß die technische Entwicklung Ende 96 diese Bestellvariante möglich machen wird. Im Moment werden erst 30% aller Bestellungen von der Jukebox erledigt, bis September diesen Jahres sollen es bereits 60% sein.

Eine Strategie für das Jahr 2000 besagt: Die BL macht sich zur Aufgabe, einen Current Awareness Service, verbunden mit einem individuellen Artikellieferdienst zu entwickeln. Anders als der Großteil der Dienstleistungen der BL, die sich an Bibliotheken und Informationsvermittler richten, sollen diese den Endnutzer in Forschung und Industrie bedienen. Unter den Arbeitstiteln Service 21 und DiSCovery entwickelt, wird die BL im Mai diesen Jahres in Deutschland, Frankreich und Spanien ein neues Produkt einführen, Inside genannt. Inside wertet 20.000 Zeitschriften auf Artikelebene aus und wird, bis jetzt, in zwei Produkten angeboten: Inside Science faßt die neuesten Artikel aus 13.000 STM Zeitschriften zusammen, also zu den Themen Naturwissenschaften, Technik und Medizin. Inside Social Science and Humanities deckt 7000 Zeitschriften auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Geisteswissenschaften ab. Was ab Mai zunächst als CD-ROM-Produkt auf den Markt kommt, wird dann ab September diesen Jahres als Online-Version angeboten.

Die Idee ist nicht neu, aber die Umsetzung wird verblüffend sein: Der Kunde kann sich online in den Inside-Server einwählen, der über ein sehr benutzerfreundliches Windows-Interface verfügt. Die Datenbank kann dann nach Stichwort im Artikeltitel, Autor, Zeitschriftentitel und vielem mehr abgesucht werden. Nach Auswahl der gewünschten Artikel wird die Bestellung direkt nach Boston Spa übermittelt und innerhalb von 2 Stunden per Fax geliefert. Auch die CD-ROM verfügt schon über die Knopfdruck-Bestellvariante: Sie stellt automatisch eine Verbindung zu ARTTel, dem Bestellsystem des Document Supply Centre, her. Die CD-ROM wird monatlich erscheinen, bei der Online-Version ist eine ständige Aktualisierung möglich.

Das neue System birgt viele Möglichkeiten, sowohl für den Endnutzer als auch für die British Library. Die BL unternimmt die Erschließung eines neuen Marktes und plant die weitere Spezialisierung ihrer Produkte in verschiedenen Fachgebieten.

1.3.2 Die elektronischen Zeitschriften - die Zukunft?

Bis jetzt wurde viel von elektronischer Speicherung und elektronischer Bestellung gesprochen, die elektronische Lieferung hingegen blieb unerwähnt. Das hat seinen Grund und kann in einem Wort zusammengefaßt werden: Copyright. Wir werden immer wieder gefragt, warum die BL nicht elektronisch liefern kann, denn, so heißt es, andere tun es doch auch.

Wir befinden uns hier auf unsicherem Terrain. Noch gibt es kein allgemeingültiges europäisches Urheberrecht, und die BL unterliegt dem britischen. Dieses besagt, daß eine Bestellung in Papierform zu beginnen und auch so zu enden hat, das heißt, die BL fertigt eine Kopie an und verschickt oder faxt sie. Sollten wir ein Fax an ein Modem schicken, was ja heute der Fall sein kann, darf der Benutzer sich den Text nicht am Bildschirm ansehen, sondern muß ihn sofort ausdrucken. Soweit das Gesetz und seine Interpretationen.

Eine Gruppe, die die BL - und nicht nur sie - ganz besonders kritisch betrachtet, sind natürlich die Verleger. Die British Library ist ganz besonders bemüht, eine gute Beziehung zu den Verlegern zu pflegen, denn nur so kommen Projekte und neue Entwicklungen zustande, die alle Beteiligten ein Stück weiter bringen. Ein Beispiel dafür war ein Projekt, das herausfinden sollte, wie realistisch die elektronische Lieferung von Artikeln ist. Mit dem Einverständnis von den entsprechenden Verlegern wurden 50 Zeitschriften gescannt, indexiert und gespeichert. Die nächste Stufe war dann, mit Hilfe eines Image Demonstrators die für diese Zeitschriften eingehenden Bestellungen automatisch zunächst zu diesem Image Demonstrator hinzuleiten, die gewünschten Dokumente aufzurufen und dann auszudrucken/zu faxen. Dokumente werden innerhalb von 5 Sekunden aufgefunden und ausgedruckt und das Resultat für Text und Diagramme ist sehr zufriedenstellend. Probleme bereiteten Komprimierung und Graustufen. So waren die Übertragungen von Graustufen und Farbbildern lange nicht so gut wie erhofft.

In diesem Bereich bleiben zunächst noch viele Fragen offen. Immer mehr Zeitschriften werden ohnehin in elektronischer Form erscheinen, und die Technik wird sich weiterentwickeln. So kann man sich vorstellen, daß der Prozeß des Scannens irgendwann wegfällt, der ohnehin sehr aufwendig ist. Das größte Problem für die Verleger und andere, die Rechte an Texten halten, ist die Veränderbarkeit des Textes, wenn er elektronisch übertragen wird. Sobald es dafür eine technische Lösung gibt, ist sicherlich mit einer größeren Kooperationsbereitschaft von Verlegerseite zu rechnen. Bis dahin wird es, so fürchte ich, erst einmal bei Projekten bleiben.

2.0 Schlußbemerkung

Dieser Vortrag war bemüht, einen Überblick über die Entwicklung der British Library hin zur elektronischen Bibliothek zu geben. Ich habe den Bestandserhalt angesprochen und die erleichterten Zugriffsmöglichkeiten für den Benutzer, bin auf die ältesten Stücke der Sammlung eingegangen und auf die aktuellste Fachliteratur, die die BL ihren Benutzern anbieten kann.

Damit die BL weiterhin einen größtmöglichen, vielfältigen Bestand für ihre Benutzer bereithalten kann, muß sie sicherstellen, auch weiterhin als nationales Archiv für alle Veröffentlichungen zu fungieren. Die BL ist Pflichtexemplarbibliothek für alle gedruckten Publikationen, und das wirft nun ein Problem auf: Was ist mit den elektronischen Publikationen? Die British Library hat zusammen mit anderen Pflichtexemplarbibliotheken einen Antrag darauf gestellt, daß der 1911 festgelegte Anspruch auf gedrucktes Material auch auf "non-print" Material erweitert werden soll. Das Ergebnis bleibt abzuwarten, aber jeder wird einsehen, daß sich seit 1911 einiges verändert hat.

Trotz aller Projekte und Initiativen bleibt vieles ungeklärt: Urheberrecht, technische Machbarkeit, die Rolle der Bibliotheken als Informationsvermittler - die Britische Nationalbibliothek sieht sich vielen Herausforderungen gegenübergestellt und versucht den neuen Zeiten durch Kreativität und Innovation zu begegnen.

1) Dieser und der folgende Vortrag wurden am 29. März 1996 während eines auf der Leipziger Buchmesse vom British Council organisierten Seminars Libraries and Electronic Publishing gehalten.