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Bibliotheksdienst Heft 3, 1996

Sorry, no Free Reading!
Zur aktuellen Lesekultur in Zimbabwe
Irene Staunton
übersetzt und überarbeitet von Susanne Krüger

Erst 1980, nach 15jährigem Bürgerkrieg, konnte sich Zimbabwe vom weißen Siedlerregime befreien. Die vordringlichste Aufgabe des Bildungsministeriums war danach, die im Apartheidstaat äußerst ungerechte Chancenverteilung in Bezug auf Schulbildung auszugleichen. Der kostenlose Grundschulbesuch ("primary education") wurde eingeführt, und die Zahl der Schulanfänger verdoppelte sich auf 2,3 Millionen in den ersten Jahren. Die Zahl der Grundschulen wuchs von 2.401 in 1979 auf 4.234 in 1985. Auch wurden viele weiterführende Schulen (secondary schools) eingerichtet (Von 177 Schulen mit 66.215 Schülern in 1979 auf 1.517 Schulen mit 687.742 Schülern in 1992). Es gab angesichts dieses Wachstums ungeheure logistische Probleme zu lösen: Gebäude mußten errichtet, Lehrer ausgebildet, neue Schulbücher geschrieben werden. Die Schulbuchverlage in Zimbabwe (Longman, College Press, Zimbabwe Publishing House und Academic Books) profitierten von diesen Bedürfnissen, wobei sie ihre Bücher von der ministeriellen Prüfstelle ("Curriculum Development Unit" (CDU) anerkennen lassen mussten, was zu großen Verzögerungen führte. Auch die immensen Kosten dieser Neueinrichtungen bedeuteten, daß viele neue Schulen im ländlichen Gebiet sich kaum Lehrmittel leisten konnten.

Trotz aller Anstrengungen des Erziehungsministeriums und der Verleger und der finanziellen Zuwendungen von Entwicklungshilfe konnte der Bedarf an Schulbüchern nie gedeckt werden. Heute, trotz wiedereingeführter Schulgebühren und einer Art Schulsteuer, trotz erheblicher Entwicklungshilfe der schwedischen SIDA und der europäischen Gemeinschaft ist die Situation unerfreulich. Obwohl das Budget des Bildungsministeriums das größte von allen Ministerien ist, ist die jährliche pro Kopf Ausgabe für Bücher und Lehrmittel immer noch auf dem 1980 erreichten Stand von Z$ 23 (1 Z$ ca 5 DM) und damit die geringste in der Region: in Namibia wird Z$ 87 ausgegeben, in SwaziIand Z$ 403, in Südafrika Z$ 126 und in Botswana Z$ 550! Zur gleichen Zeit sind die Papierpreise (im letzten Jahr um 130 %) und die Produktionskosten ungeheuer gestiegen und der Zimbabwer Dollar ist im Wert erheblich gesunken. Dazu kommen die wirtschaftlichen Probleme auf Grund der Dürreperioden, die Zimbabwe in den letzten Jahren verschärft erleiden mußte. 1993 sind 78 % aller Schulabgänger der Grundstufe (also nach 7 Jahren Schule) durch die Abschlußprüfungen gefallen und nur 5 % der Kinder aus ländlichen Gebieten bestanden die Prüfung im Fach Englisch. (Englisch als die Verkehrssprache wird von Schulbeginn an gelehrt, oft findet der Schulunterricht ausschließlich in Englisch statt!) Die Gründe dafür sind nicht nur im Mangel von Büchern zu sehen, doch ist dies sicher ein wesentlicher Faktor.

Obwohl viele Schüler ihre Examen wiederholen können, werden die meisten ihr Arbeitsleben mit einem Gefühl von Demoralisierung beginnen. Der Unterricht ist sehr formell auf das Lernen von Zahlen und Fakten für die Prüfungen ausgerichtet und geht meist streng nach Schulbuch vor. Liberalere Bildungskonzepte, die auf die Entwicklung von Kreativität setzen, problemlösungsorientiertes Lehren und Lernen sind unterentwickelt.

Auf diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, daß die Erfahrung der meisten Schüler mit Büchern nicht positiv ist.

Schulbücher müssen oft zwischen drei und mehreren Studenten geteilt werden, wenn die Bücher verloren oder beschädigt sind, werden die Kinder bestraft. Viele ältere Lehrer sind selbst durch ein autoritäres, lehrerzentriertes System gegangen und kennen nichts anderes als Frontalunterricht. Solange mehrere Schüler ein Buch teilen müssen bzw. der Lehrer das einzige Exemplar in den Händen hält, ist es auch schwer, von repetierenden Methoden abzukommen. Viele Lehrer sowie Eltern hatten als Kinder selbst kaum Zugang zu Büchern und wissen nicht, welches geistige Potential und welche kreativen Möglichkeiten in ihnen liegen.

Die dauernde KIage, daß Bücher zu teuer sind, kann ebenfalls ihren geringen Stellenwert demonstrieren. Für die lokal produzierten Bücher stimmt diese Klage nicht, sagt eher etwas über die Prioritäten von Konsumenten aus. So werden z. B. nur 5 % aller verkauften Bücher von privaten Konsumenten gekauft, wobei ein in Zimbabwe verlegtes Buch etwa 35 Z$ kostet, während annähernd 100 % aller Musikkassetten privat gekauft werden, obwohl eine Kassette im Schnitt 60 Z$ kostet!

Die geringen Verkaufszahlen sind der Grund, weshalb wenige Verleger es wagen, Belletristik und Kinderliteratur zu produzieren, dazu kommt, daß die Büchereietats im Lande sehr niedrig sind.

Es gibt sehr wenige Buchhandlungen in den "highdensity suburbs" (dichtbesiedelte Vororte oder townships, in denen vor allem die schwarze Bevölkerung lebt) und auf dem Land. Die meisten davon beliefern die Schulen mit Schulbüchern und haben keine Auswahl. Buchhändler verstehen ihren Beruf nicht so, daß sie das Produkt, das sie verkaufen, auch kennen, geschweige denn lesen sollten. Das Stöbern in Buchhandlungen ist oft untersagt: "Sorry, no Free Reading".

Die meisten Zimbabwer mußten aus unterschiedlichen historischen, politischen und sozialen Gründen Bücher und den intellektuellen Diskurs entbehren. Die Minorität, die während der 50er, 60er und 70er Jahre las, importierte persönlich die Bücher, die sie brauchte. Die weiße bürgerliche Schicht pflegte mehr Wert auf sportliche Betätigung als auf das Lesen zu legen, lebte eher in einer geschlossenen als in einer offenen Gesellschaft, war mehr auf Wettbewerb aus, als daß sie ausgleichend gewirkt hätte und suchte Ablenkung, anstatt nachzudenken. Noch heute, wo Buchhandlungen es sich leisten können, mehr als Schulbücher anzubieten, bevorzugen diese Bürgerlichen Hochglanzprodukte, importierte Restauflagen von Titeln wie "Kuchendekorationen für die stolze Hausfrau", oder Bücher für den Touristenmarkt wie z. B. "Der Zambezi". Die Vorstellung, daß sich ernsthafte Belletristik und Sachbücher nicht verkaufen, wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

Der Staat hat noch nicht begriffen, wie wichtig Bibliotheken für die Entwicklung eines Landes sind. Die ländliche und arbeitende Bevölkerung kann sich im allgemeinen Bücher nicht leisten, und deshalb sind Bibliotheken wichtig, um die Kenntnisse, die in der Schule erworben wurden, zu erhalten und aufzubauen. Dennoch bekommt die Nationalbibliothek einen jährlichen Etat von nicht mehr als Z$ 66.000 für die 22 Bezirksbibliotheken und öffentliche Bibliotheken, die ihr unterstellt sind, die kleineren Bibliotheken erhalten ungefähr Z$ 1.500 jährlich, die größeren Bibliotheken wie Harare City erhält jährlich Z$ 7.000.

Zimbabwe hat 46 ländliche Bibliotheken, Malawi und Zambia haben im Vergleich dazu 400 bzw. 800 Bibliotheken, wobei die Gründung mehr aus einer Privat- als aus staatlicher Initiative hervorgeht.

Seit 1980 haben eine Anzahl von Spendern Bücher für (Schul)-Bibliotheken gespendet, British Council und die kanadische Organisation CODE haben sich dabei am stärksten bemüht, auch relevante Literatur zu spenden. Nicht alle Spender sind so weitsichtig, zu erkennen, daß z. B. "Kochen mit dem Mikrowellenherd" in einer ländlichen Gegend nicht gerade nützlich ist, wo das jährliche Durchschnittseinkommen bei Z$ 500 liegt. Die importierten Bücher sind auf teurem Papier gedruckt und gebunden, lassen die einheimische Produktion daneben vergleichsweise schäbig aussehen. Doch egal, wie gut der Inhalt sein mag, wenn die beschriebene Realität nichts mit der der Lesenden zu tun hat, wird deren Sinn für das Potential von Literatur unterentwickelt bleiben.

Es gibt jedoch in den letzten Jahren einige ermutigende Ansätze, die in der Zukunft vielleicht noch mehr Früchte tragen werden.

Obwohl es immer noch wenig Schulbibliotheken außerhalb der früheren weißen Schulen gibt, haben British Council und der Ranfurly Library Trust viel getan, um die Entwicklung von Schulbibliotheken in Zimbabwe zu fördern. Die europäische Union hat kürzlich Z$ 15 Millionen über den Zeitraum von 2 Jahren (1994-1996) für Bibliotheksbücher bereitgestellt, und es wird interessant sein, inwieweit die Schulen ihren Bedarf befriedigen und über den reinen Nachschlagebestand Bücher anschaffen. Es ist vielleicht an der Zeit zu fragen, ob es reicht, Gelder für die Beschaffung bereitzustellen oder ob es nicht auch sinnvoll ist, in Aktivitäten zu investieren, die den Umgang mit dem Buch vermitteln.

So könnten z. B. Vorschul- und Grundschullehrer geschult werden, regelmäßig vorzulesen und Geschichten dramatisch umzusetzen, sie sollten angeleitet werden, wie eine Klassenbücherei aufgebaut wird und müßten dazu mit einem regelmäßigen Etat rechnen können. Damit wären viele Vorteile verbunden: die Schüler würden über die Schulbücher hinaus Geschichten kennenlernen, die Lust am Lesen würde gefördert, Autoren und Publizisten könnten mit einer größeren finanziellen Sicherheit rechnen und die breite Öffentlichkeit hätte mehr Möglichkeiten ihre Informationsbedürfnisse zu befriedigen. Es geht immer darum, den Zugang zur Literatur zu ermöglichen und zu zeigen, wozu Bücher gut sein können. Einige Initiativen mit diesen Zielen wurden in den letzten Jahren gestartet und sind erfolgreich:

Es ist trotz dieser Fortschritte wichtig, sich vor Augen zu halten, daß es nach wie vor viele Gründe gibt, warum Zimbabwe irnmer noch keine Lesekultur entwickelt hat. Die meisten Menschen leben immer noch auf dem Land. Das heißt, daß sie von 5 Uhr morgens bis 6 Uhr abends arbeiten. Sie haben keine Elektrizität, also kein Licht, um abends zu lesen - selbst Kerzen sind vergleichsweise teuer, und es gehört zur Tradition, mit anderen um ein Feuer zu sitzen und mündlich seine Erfahrungen auszutauschen. Ein Buch ist also nicht nur schwer zu bekommen und zu teuer, sondern auch etwas, was der traditionellen Kultur fremd ist.

Wenn eine Familie in einem der dichtbesiedelten Viertel in der Stadt lebt, wo ein Raurn von 3 bis 5 Personen geteilt wird, ist es kaum vorstellbar, daß ein zurückgezogenes und konzentriertes Lesen möglich ist. Es fällt ja auch auf, daß viele Schüler Bibliotheken mehr als Orte nutzen, in denen sie ihre Hausaufgaben machen können, denn als Orte, in denen man sich Bücher ansieht und ausleiht.

Ein Wertewechsel, der Büchern und dem vergnüglichen Lesen einen höheren Stellenwert verschafft, kann nicht über Nacht passieren. 75 % der Bevölkerung lebt auf dem Land, wo es keine Elektrizität, Büchereien oder Buchhandlungen gibt. Die Mehrheit der Erwachsenen auf dem Land hat nur eine Grundschulausbildung, und es wird gesagt, daß es dort mehrere Generationen dauern wird, bis Kinder in Familien geboren werden, wo Bücher vorhanden sind. Die Mittel des Staates sind sehr begrenzt, und die Entwicklung vieler Bibliotheken hängt mehr von der Kreativität einzelner Individuen und Spenden ab.

Es wurde schon oft gesagt, daß Fernsehen und Video näher an einer oralen Kultur sind, und auch die soziale Erfahrung der Menschen, die eben keine privaten und exklusiven Lesebedürfnisse entwickelt haben, sie eher an die audiovisuellen Medien heranführt. Wir müssen uns deshalb einerseits fragen, was Lesen und Bücher attraktiv macht und was andere Medien so nicht bieten können. Aber werden denn viele Leute Zugang zu filmischen Medien haben, werden viele Menschen reisen können? Die meisten Menschen überschreiten nie die Grenzen ihres Landes. Die meisten haben keinen Fernseher und wenige ein Radio. Wie sollen sie dann neue Welten erschließen und mit neuen Vorstellungen und Informationen bekannt werden? Die Antwort in einem Entwicklungsland kann nur lauten: über einen leichteren Zugang zu Büchern.

1) Zimbabwe Book development council, Book House, 78 Kaguvi Street, P.O.Box CY 1179 Causeway, Harare, Zimbabwe, Tel.: (00 26 34) 75 02 82, Fax: (00 26 34) 75 12 02, E-mail: ZBDC@mango.apc.org


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