Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite

Bibliotheksdienst Heft 2, 1996

Präsentationssoftware 'infoThek' für elektronische Informationsmedien

Frank Daniel

Viele Bibliotheken stehen heute vor dem Problem, gleichzeitig zwei unterschiedliche Anforderungen erfüllen zu müssen, die sich scheinbar gegenseitig ausschließen. Etat- und Personaleinsparungen zwingen einerseits zur Konzentration auf das wirklich Notwendige und lassen nur wenige Neuinvestitionen zu. Will man jedoch angesichts der fortschreitenden technischen Entwicklung nicht zum Buchmuseum werden - mit der Folge sinkender Akzeptanz beim informationssuchenden Bürger -, müssen andererseits auch kleinere Einrichtungen ihr Angebot auf digitale Informationsspeicher ausweiten.

Vor allem für Auskunfts- und Archivierungszwecke sind diese den anderen Medien durch ihre vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, geringen Material- und Versandkosten, durch schnellere Aktualisierung und nicht zuletzt ihre ungeheuren Speicherkapazitäten bei weitem überlegen. Ein weiterer großer Vorteil ist die unmittelbare Verknüpfung aller Arten von Informationen in einem einzigen Medium. Die Verwendung von Ton, Video und Animationen sowie eine graphisch gestaltete und nicht-lineare Wissensvermittlung zeichnen das elektronische Buch aus. Aufgrund ihres hohen Grads an Interaktivität, der automatisierten Suche nach individuell selektierbarer Information und des nicht zu vernachlässigenden Erlebniswerts besitzen digitale Enzyklopädien und "Sachbücher auf CD-ROM" bereits in vielen Bibliotheken große Bedeutung für die tägliche Auskunftsarbeit.

Bei der Bereitstellung von "elektronischen Büchern" in der Bibliothek ergeben sich jedoch völlig neue Anforderungen an die Präsentation und Vermittlung des Bibliotheksbestands. So entsteht bei einem vermehrten Einsatz von elektronischen Produkten das Problem, die vorhandenen Informationsmöglichkeiten publikumswirksam anzubieten.

Während für Printmedien - zum Teil seit Jahrhunderten - eine Vielzahl von permanent weiterentwickelten Aufstellungs- und Erschließungssystemen existiert, fehlen benutzerfreundliche Präsentationsformen für elektronische Bücher noch weitgehend. Ein systematisch aufgestellter Bestand an Nachschlagewerken ist relativ einfach zu benutzen, die sachliche Erschließung ist durch die Regalordnung und -beschilderung auch unkundigen Benutzern ersichtlich. Dagegen ist es weitaus schwieriger, den Informationsgehalt einer CD-ROM-Sammlung anschaulich darzubieten, da er sich dem Bibliotheksbesucher nicht ohne weiteres erschließt. Außerdem kann die Verwendung technischer Hilfsmittel (Computer mit Tastatur oder Maus) für bestimmte Nutzerkreise immer noch eine Hemmschwelle bedeuten.

Angesichts sinkender Etats und der damit verbundenen Personaleinsparungen muß es jedoch das Ziel einer jeden Bibliothek sein, zeitaufwendige Einzelberatungen auf komplizierte Benutzeranfragen zu beschränken. Bei der Beantwortung von Standardfragen sollte der Ratsuchende möglichst selbständig die für seine Informationsprobleme relevanten Quellen sichten und benutzen können. Dafür ist eine übersichtliche und anschauliche Angebotspräsentation auch der digital verfügbaren Information auf direkt zugänglichen Benutzer-PCs notwendig. Dies ist aber nicht zuletzt auch ein Aufsichtsproblem. Die Zerstörung von System- und Programmdateien öffentlich aufgestellter PCs gilt vor allem bei Jugendlichen eher als sportlicher Anreiz denn als Sachbeschädigung. Beim unbeaufsichtigtem Einsatz von Software-Anwendungen auf Personalcomputern muß daher der unberechtigte Zugriff auf Festplatte bzw. Systemebene möglichst verhindert werden.

Doch nicht nur personalintensive Benutzerbetreuung und Sicherheitsaspekte sind bei der Planung des Einsatzes elektronischer Medien zu berücksichtigen. Auch die Installation und De-Installation von Programmen kann zeitaufwendig sein und erfordert zum Teil qualifiziertes Personal, das vor allem in kleineren Einrichtungen oft nicht zur Verfügung steht.

Um andere Bibliotheken bei der Lösung dieser Probleme zu unterstützen, haben die Stadtbibliotheken Köln und Bremen zusammen mit der Bremer Universität im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie durchgeführten Projekts eine spezielle Präsentationssoftware entwickelt: die'infoThek' zur Bereitstellung elektronischer Medien in Bibliotheken. Mittels einer grafisch orientierten, weitgehend einheitlichen und selbsterklärenden Bildschirmoberfläche ermöglicht das System einen menügeführten benutzerfreundlichen Zugang zu jeder Art von digital gespeicherten Bibliotheksmaterialien, die vom Bibliothekspersonal mittels eines leicht bedienbaren Installations- und Pflegeprogramms integriert werden können.

Das auf Toolbook-Basis entwickelte Informationssystem ermöglicht nicht nur die Einbindung von elektronischen Büchern bzw. CD-ROM-Anwendungen, sondern auch die Bereitstellung von Stadtinformationen, die von lokalen Wissensanbietern (z.B. öffentlichen Institutionen und Initiativen, Ämtern der Stadtverwaltung, Stadtmagazinen, ÖPNV-Träger etc.) in elektronischer Form bezogen werden. Das System führt eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen in übersichtlichen Menüs zusammen, so daß der Bibliotheksbesucher einfach und schnell einen Überblick über das vorhandene Informationsangebot erhält.

Die jeweilige Bibliothek kann das System nach eigenen Wünschen mit den erforderlichen Inhalten und Anwendungen füllen: Auf CD-ROM oder Diskette erworbene elektronische Bücher sind genauso integrierbar wie Fremdprogramme lokaler Institutionen und der bibliothekseigene Katalog (OPAC), aber auch eigene Anwendungen (z.B. eine Institutionen-Datenbank) können generiert werden.

Aufgeteilt ist das System in drei öffentlich zugängliche Module und ein umfangreiches (internes) Pflegeprogramm, mit dessen Hilfe das Personal die Benutzermodule einrichtet und aktualisiert. Eine dauernde Beaufsichtigung ist nicht notwendig: im Benutzer-Modus ist der Windows-Programm-Manager leer, der Zugriff auf die Festplatte ist nur im internen Pflege-Modus möglich.

Im Modul "Elektronische Bücher"können auch Ungeübte selbständig ihre Auswahl aus den im Terminal zur Verfügung stehenden Titeln treffen. Für jedes Programm wird eine Informationsseite erstellt, bestehend aus Titelangabe und (eingescanntem) Titelbild, Schlagwörtern und einer ausführlichen Erläuterung. Über einen optisch hervorgehobenen Start-Knopf kann der Benutzer das Programm von der Informationsseite aus aufrufen. Nach Verlassen des benutzten Fremd-Programms kommt er wieder auf diese Seite zurück.

Der Zugang zu den Informationsseiten ist möglich über eine alphabetische Liste der Programmnamen oder mittels einer sachlichen Suche (wahlweise über eine scrollbare Schlagwortliste oder über die freie Eingabe von Volltext-Suchbegriffen).

Die Programmbeschreibungen können mit Hilfe eines komfortablen Besprechungstools hergestellt werden. Die damit erstellten Rezensionen sind exportierbar und können von den Anwenderbibliotheken untereinander ausgetauscht werden. Das interne Pflegeprogramm enthält außerdem eine Installationsroutine, die die Einbindung neuer CD-ROMs unterstützt.

Findet über längere Zeit keine Benutzeraktion statt, läuft in einem Fenster der 'infoThek'-Einstiegsseite eine Slide-Show mit den Titelbildern der im System vorhandenen elektronischen Bücher, so daß auch auf diese Weise über das Informationsangebot informiert werden kann.

Das Modul "Literatursuche" ermöglicht einen gesonderten Zugang zu denjenigen Programmen, die bibliographische Informationen enthalten (z.B. VLB, Zeitschriftendienst etc.). Auch das Katalogprogramm der Bibliothek kann hier eingebunden werden, so daß der Benutzer alle in der Bibliothek per PC abrufbaren Informationen unter einer Oberfläche gebündelt vorfindet.

Das Modul "Stadtinformation"enthält die Möglichkeit, zwei verschiedene Institutionendatenbanken selbst zu erstellen (z.B. mit Eigendarstellungen von Selbsthilfegruppen, Initiativen, Behörden, anderen Bibliotheken) sowie ein Fahrplanprogramm und weitere selbstlaufende Fremdprogramme (wie z.B. Weiterbildungsdatenbank, Müllkalender) einzubinden. Das außerdem enthaltene Veranstaltungskalendermodul kann mit Daten eines örtlichen Anbieters (z.B. Stadtmagazin, Zeitung, Verkehrsamt) gefüllt werden, dessen Logo zu Werbezwecken beigefügt werden kann. Zur Unterstreichung des lokalen Charakters können zwei digital vorliegende Photos oder Bilder mit einer Ansicht oder Sehenswürdigkeit der jeweiligen Stadt eingebunden werden. Ebenfalls integrierbar ist ein eingescannter Stadtplan, der mit den Institutionendatenbanken verknüpft ist. Mittels eines Wegweiser-Editors lassen sich dort auf einfache Weise Standortmarkierungen für wichtige Einrichtungen setzen. Schließlich ermöglicht ein Kleinanzeigenmodul - passwortgeschützt - eine direkte Interaktion zwischen Inserent und Leser.

Für die Einrichtung und Pflege der einzelnen Module (Institutionen-Datenbanken, Veranstaltungskalender, Kleinanzeigen-Modul, Stadtplan) und Einbindung weiterer Programme sind entsprechende Tools in der Software enthalten. Die Stadtinformation liegt auch in einer von der Universität Bremen erstellten HyperCard-Version für MacIntosh vor.

Von der Bremer Hochschule für Gestaltung wurde für die Aufstellung des Systems ein Terminal in Form eines Piktogramms (der Buchstabe I für infoThek/ Information) geschaffen. Das Terminal bietet Platz für einen handelsüblichen PC (für die infoThek-Software empfohlen werden 1 GB Harddisk und mindestens 16 MB RAM), einen 18-fach CD-ROM-Wechsler, einen Drucker, Tastatur, Trackball, Kopfhörer und - im Kopf des Terminals - einen von außen nicht verstellbaren Monitor.

Die Software ist während des zweijährigen Projekts kontinuierlich bis zum jetzigen Stand weiterentwickelt worden und seit April 1995 in der Kölner Zentralbibliothek im Einsatz, die Stadtinformation als Macintosh-Anwendung in Bremen noch sehr viel länger. Die Erfahrungen der nicht an der Entwicklung beteiligten Testbibliothek Chemnitz boten eine gute Grundlage für die Gestaltung des Pflegeprogramms, da das Softwaresystem unter Praxisbedingungen getestet werden konnte. Ein ausführlicher Schlußbericht über die Hintergründe und die im Projekt gewonnenen Erfahrungen ist in Vorbereitung. Auch das entwickelte Terminalgehäuse wird dort dokumentiert.

Die Software selbst ist als Runtime-Version für MS-Windows auf einer CD-ROM veröffentlicht worden und kann über das Deutsche Bibliotheksinstitut bezogen werden. Das dazu erhältliche ausführliche Handbuch informiert anschaulich und detailliert über die einzelnen Programmbestandteile sowie über Erstinstallation und Handhabung des Programms (zu den Bezugsmöglichkeiten s. S. ... in diesem Heft).

Ob und wieweit das DBI Software-Support und -Weiterentwicklung leisten kann, wird derzeit noch geprüft. Es wäre jedoch wünschenswert und würde von allen Projektbeteiligten wie auch von DBI und BMBF begrüßt, wenn eine Firma das Programm übernähme und weiterentwickelte. Wie das bereits jetzt existierende Interesse in der Fachöffentlichkeit signalisiert, ist ein großer Bedarf für ein entsprechendes Produkt vorhanden. Und trotz aller Online-Euphorie ist damit zu rechnen, daß Disketten und CD-ROM auch in absehbarer Zeit noch eine wichtige Rolle im Angebotsspektrum von Bibliotheken spielen und eine ansprechende Präsentationsplattform benötigen werden.


Seitenanfang