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Bibliotheksdienst Heft 2, 1996

Telematik für die Bibliotheken Europas

Das "Bibliotheksprogramm" der Europäischen Kommission -
eine aktuelle Bestandsaufnahme
Hans-Georg Stork

Vorbemerkungen

Innerhalb des 4. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung der Europäischen Union ist das Telematik-Anwendungsprogramm (TAP) eines der großen Teilprogramme. Es begann 1994 und wird sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstrecken. Der erklärte Zweck dieses Programms ist es, den Einsatz moderner Telematik auf verschiedenen Gebieten zu fördern, welche für das Wachstum, die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung in Europa von zentraler Bedeutung sind. Das Wort "Wissen" charakterisiert ein solches Gebiet, und drei Sektoren des Programms sind ihm zugeordnet: Telematik für die Forschung, Telematik für Bildung und Ausbildung und Telematik für Bibliotheken. Die wichtige Rolle von Bibliotheken (aller Art und aller Ebenen) für die Entwicklung der Infrastruktur einer im Entstehen begriffenen Informationsgesellschaft erfährt damit weitere Anerkennung. Tatsächlich ist ihnen seit den ersten europäischen Bibliotheks-Initiativen und seit dem ersten, im Telematik-Teil des 3. Rahmenprogramms (1990 - 1994) untergebrachten "Bibliotheksprogramm", stetig wachsende Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sicher ist dies auch der um sich greifenden Einsicht zu verdanken, daß Bibliotheken und die in ihnen arbeitenden Menschen wertvolle Beiträge leisten können zur Schaffung neuer und nützlicher Dienste für den Zugang zu großen Informationsmengen unter Verwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie. Im Europa unserer Tage, mit seinem einheitlichen Markt (auch Informationsmarkt!), ist dies offenbar eine Angelegenheit von europäischer Dimension und von europäischem Interesse. Es ist aber ebenso klar, daß nicht zuletzt aufgrund ihrer traditionellen Funktionen (und manchmal eher konservativen Einstellungen) viele Bibliotheken (und Bibliothekare) ein wenig Ermutigung und (zumindest anfängliche) Unterstützung benötigen, um in einem sich beschleunigenden Umwandlungsprozeß erfolgreich bestehen zu können.

In diesem Beitrag wollen wir

(1) kurz den Hintergrund schildern, vor dem die derzeitige Unterstützung der europäischen Bibliotheken durch die Generaldirektion XIII der Europäischen Kommission zu sehen ist;

(2) einen Überblick über einige der Ergebnisse unserer bisherigen Tätigkeit geben;

(3) über das Resultat unseres jüngsten Aufrufs zur Einreichung von Projektvorschlägen (dem ersten unter dem 4. Rahmenprogramm) berichten und es aus dem Blickwinkel laufender und möglicher zukünftiger Entwicklungen beleuchten.

Zu guter Letzt seien (ganz im Sinne der Bemerkung am Ende des obigen Absatzes) denjenigen einige Worte des Rats und der Ermutigung gegeben, die mit dem Gedanken spielen, auf unseren Zug aufzuspringen. Es ist gar nicht so schwer, wie es manchem scheinen mag.

Ein wenig "Geschichte"

Mit etwas Phantasie kann man sagen, daß sich das europäische "Bibliotheksprogramm" in Phasen entwickelt hat, und es gibt gute Gründe für die Behauptung, daß es das Europäische Parlament war, welches die Sache 1984 (mit der sogenannten Schwencke-Resolution) ins Rollen brachte. Mag dies so sein oder nicht, erst nachdem im Jahr 1985 eine Resolution des Ministerrats erwirkt worden war, wurde es möglich, systematische Aktivitäten zu entfalten. Der Rat rief die Kommission auf, bei der Schaffung einer modernen Bibliotheksinfrastruktur für Europa behilflich zu sein, um so das kulturelle, soziale und wirtschaftliche Leben der Bürger zu bereichern. In Anbetracht einer heterogenen und reichlich zerstückelten europäischen Bibliothekslandschaft (mit ihren jeweiligen nationalen Besonderheiten) war dies gewiß keine leichte Aufgabe, und es bedurfte beträchtlicher Anstrengungen, um einen Aktionsplan zu entwerfen, der in die vom Rat gewünschte Richtung wies. Schließlich hatte die "digitale Revolution", gekennzeichnet durch neue und aufregende technologische Entwicklungen, schon viele, eher profitorientierte, Bereiche der Wirtschaft fest im Griff, und die Bibliotheken Europas drohten bei der Nutzung dieser Technologien hintanzustehen. Schlimmer noch: Sie liefen Gefahr, ihre wertvollen und umfangreichen Bestände nicht so zugänglich machen zu können, wie es technisch möglich wurde, und folglich Boden zu verlieren an andere, wendigere Akteure auf dem Informationsmarkt. (Ob diese Gefahr inzwischen gebannt ist, sei dahingestellt.)

Der Aktionsplan, der sich nach einer ersten "Erkundungsphase" (etwa 1985 - 1988) herausbildete, nahm diese Herausforderung an. Er beruhte auf einer Reihe von Grundlagenstudien, wie z. B. über Bibliothekswirtschaft, Probleme der Bestandserhaltung, den Stand der Bibliotheksautomatisierung in allen Mitgliedsländern der Union, Bibliotheksvernetzung und andere Themen. Und er enthielt vier sogenannte Aktionslinien:

I Entwicklung rechnergestützter Bibliographien
II Vernetzung von Bibliothekssystemen
III Neue Bibliotheksdienste unter Verwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie
V Informationstechnische Produkte, Dienste und Werkzeuge für die Aktionslinien I-III

Sie waren als Leitlinien eines Programms zur Förderung bibliothekarischer Forschung und Entwicklung gedacht, ganz ähnlich - wenn auch in einem wesentlich kleineren Maßstab - den großen gemeinschaftlichen F&E Programmen, wie die damals so genannten ESPRIT und RACE. Offenbar waren die ersten beiden dieser Aktionslinien von besonderer Dringlichkeit. Sie betrafen unter anderem die Definition, die Akzeptanz und - vor allem - die Implementierung einschlägiger Standards. Bevor noch ein Förderprogramm formal verabschiedet werden konnte, wurden daher eine Reihe von Pilotprojekten gestartet, welche sich dieser Materie annahmen: CD-BIB (Austausch bibliographischer Daten mittels CD-ROM), ION (OSI Verbindungen zwischen Bibliotheksnetzen zur Abwicklung des Fernleihverkehrs), EDILIBE (Elektronischer Datenaustausch zwischen Bibliotheken und Buchhandel) und EROMM (Europäisches Register von Mikroform Mastern). Diese Projekte, weitere Studien und zahlreiche Seminare zu ausgewählten Themen markieren, was man die "Vorbereitungsphase" (1988 - 1990) des europäischen Bibliotheksprogramms nennen könnte.

Im Jahre 1990 gerieten unsere Aktivitäten dann unter den Schirm des 3. Rahmenprogramms (RP3), welches damals begann. Genauer: "Bibliotheken" wurden Gebiet 5 des ersten Telematik-Programms, das den ziemlich umständlichen Namen trug "Programm für Forschung und technologische Entwicklung betreffend Telematik-Systeme in Gebieten von allgemeinem Interesse". Das dem neuen Gebiet zugewiesene Budget war recht bescheiden; es betrug ganze 24 Millionen Ecu. Es war daher notwendig, dieses Geld sehr zielgerichtet einzusetzen, um so seine Wirkung auf die inner-europäische Bibliothekskooperation, die Erneuerung von Bibliotheksdiensten und auf einen europäischen Markt für bibliotheksspezifische Produkte und Dienstleistungen zu optimieren. Unser Aktionsplan wurde folglich zu einem detaillierten Arbeitsprogramm verfeinert. Jeder Aktionslinie wurden eine Anzahl Themen untergeordnet, auf welche dann - bei Aufrufen zur Einreichung von Projektvorschlägen - besonderes Gewicht gelegt werden konnte.

Drei solcher Aufrufe (1991, 1992 und 1993) ergingen während der Laufzeit des 3. Rahmenprogramms, und insgesamt 333 Vorschläge, an denen 1036 verschiedene Organisationen (Institutionen, Firmen, etc.) beteiligt waren, wurden eingereicht. 51 der vorgeschlagenen Projekte (mit mehr als 200 Organisationen) konnten finanziert werden (einige davon sind bereits abgeschlossen). Tabelle 1zeigt ihre Aufteilung auf die Aktionslinien (die Namen der schon beendeten Projekte sind darin in Kursivschrift wiedergegeben). Die relativ große Zahl der 1993 unter der Aktionslinie IV (die - s.o. - den Markt für bibliotheksspezifische Produkte und Dienstleistungen anregen sollte) geförderten Projekte ist wohl einer besonderen Initiative zu verdanken, welche den Aufruf in jenem Jahr begleitete und die auf große Resonanz stieß. Sie betraf die finanzielle Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen bei der Vorbereitung eines vollständigen Projektvorschlags. Es verdient ferner Beachtung, daß nur drei Projekte der ersten Aktionslinie zugeordnet werden konnten. (Mehr darüber im nächsten Abschnitt.) Weitere "statistische Analysen" (auf die wir in diesem Beitrag verzichten) der Ergebnisse unserer drei Aufrufe unter dem dritten Rahmenprogramm würden sicherlich noch manche interessanten Tatsachen zutage fördern: Über die "geographische Verteilung" der Projekte, über die beteiligten (Typen von) Bibliotheken und einiges mehr.

Tabelle 1: Projekte und Aktionslinien

Laufende Projekte und sonstige Aktivitäten

Es ist vielleicht aufschlußreicher, unsere RP3-Projekte unter ganz anderen Perspektiven zu analysieren: Mit Fragen etwa nach den zum Zuge kommenden Technologien und Standards, nach neuen Diensten und nach speziellen Anwendungsbereichen. Ein mögliches Ergebnis einer solchen Analyse ist in den Tabellen 2 und 3zusammengefaßt. In der Tat: Die Bibliothekswelt unterliegt Einflüssen aus zahlreichen anderen technischen und nicht-technischen Disziplinen, und umgekehrt mag auch sie manchen Einfluß auf andere Felder wissenschaftlicher und praktischer Betätigung haben (unabhängig von ihrer Funktion als Informationslieferant, versteht sich). Wir sollten freilich nicht zu anspruchsvoll sein. Das "Bibliotheksprogramm" wurde nicht in die Welt gesetzt, um originäre Forschung zu fördern (und das gilt im übrigen auch für das Telematik-Programm insgesamt). Vielmehr wird der Kern unserer Projekte wohl am besten durch "innovative Anwendung" charakterisiert. Und "Innovation" ist so relativ wie Zeit und Raum: Was im Bibliotheksbereich als neu erachtet wird, kann irgendwo anders bereits ein "alter Hut" sein. Doch sollte dies unsere Bemühungen nicht in den Schatten stellen, im Gegenteil: Die kreative Anpassung bewährter Methoden und Techniken an neue Aufgabenstellungen stellt oft keine geringere intellektuelle Herausforderung dar, als ihre erstmalige Entwicklung. Es ist klar: Diese Bemerkungen betreffen manche Zeile in unseren Tabellen mehr als andere.

Die meisten unserer RP3-Projekte sind noch nicht beendet. Es wäre daher etwas verfrüht, hier über ihre Ergebnisse zu referieren. Einige Tendenzen und Folgerungen können jedoch durchaus bereits aus dem Inhalt der Tabellen 2 und 3erschlossen werden. Ganz allgemein ist zu bemerken, daß die europäischen Bibliotheken beträchtliche Anstrengungen unternehmen, um mit laufenden Entwicklungen mitzuhalten oder diese einzuholen, etwa im Zusammenhang mit der Anwendung relevanter Standards für Datenformate und Kommunikationsprotokolle. Sie bereiten sich auf das "digitale Zeitalter" vor und darauf, im "Cyberspace" zugängliche Räume zu werden. Sie wollen ihre alltägliche Arbeit effizienter gestalten und sie halten Ausschau nach neuen Chancen auf Gebieten (wie etwa Bildung, Ausbildung und Weiterbildung), in denen sie schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben.

Tabelle 2: Technische Komponenten in europäischen Bibliotheksprojekten

Einige etwas ausführlichere Kommentare zu Standards, Digitalisierung und neuen Diensten sind angebracht. Was Vernetzungsstandards angeht, so ist festzustellen, daß die OSI-Internet-Kontroverse offenbar andauert, daß aber andererseits der Kontrahent "Internet" immer mehr an Boden gewinnt. Europäische Bibliotheksvernetzung scheint noch immer eine OSI-Hochburg zu sein, wohingegen das Internet unweigerlich dann ins Spiel kommt, wenn es um Verbindungen zur sonstigen großen weiten Welt geht. (WWW ist der Name eines seltsamen Attraktors.) Die Konvergenz von SR und Z39.50 (oder ist es die Übernahme des ersteren durch das letztere?) mag schließlich zu einer Beilegung des "Streits" führen, zumindest an der "Inter-Bibliotheksfront". Einige unserer Projekte leisten auch bedeutende Beiträge bei der Anwendung und Weiterentwicklung von Standards im Bereich der Datenformate und Datenaustauschformate. Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Konversion bibliographischer Formate (z. B. Projekt UseMARCON), mit der Erzeugung bibliographischer Datensätze (z. B. MORE), und mit Anwendungen von SGML und seiner Derivate (wie HTML) auf die verbesserte Gestaltung von Bibliothekskatalogen, Bibliographien und elektronischen Dokumenten ganz allgemein (z. B. HyperLib, ELSA, SESAM, BIBLIOTECA und andere). Zu bemerken ist freilich, daß sich zu wenige unserer Projekte der Unterstützung internationaler bibliographischer Standards annehmen. Darüber wird im weiteren Verlauf noch ein Wort zu verlieren sein.

Tabelle 3: Standards, Dienste und spezielle Anwendungsbereiche in europäischen Bibliotheksprojekten

"Elektronische Dokumente" ist das Stichwort, welches zum nächsten Thema überleitet, der "digitalen Bibliothek". (Wie die "Infobahn" ist dies ein Begriff, der seine Popularität in den USA gewonnen hat. In Europa zieht man es gelegentlich vor, von "elektronischen Bibliotheken" zu sprechen. Und weltweit ist gar die "virtuelle Bibliothek" in Sicht, nach Meinung mancher Zeitgenossen ein durchaus fragwürdiges Sprachkonstrukt.) Wir wollen uns hier nicht an eine Definiton der "digitalen (oder elektronischen) Bibliothek" wagen, sondern lediglich darauf hinweisen, daß viele unserer Projekte sich mit ohne Zweifel für diese "Institution" unverzichtbaren Aspekten, Attributen und "Einrichtungsgegenständen" befassen. Da geht es zuerst einmal um die Digitalisierung bibliothekarischen Materials, mittels Scanning und OCR ( Optical Character Recognition) zum Beispiel (z. B. MORE). Bildbe- und -verarbeitungstechniken kommen in einer recht stattlichen Zahl von Projekten zum Einsatz (vgl. Tabelle 2), mit dem erklärten Ziel, Dokumente (auch alte und gefährdete) für Spezialisten und ein größeres Publikum gleichermaßen besser zugänglich zu machen. Und oft werden diese Techniken in einem weiteren Rahmen eingesetzt, zusammen mit anderen, für die "digitale Bibliothek" relevanten Techniken, wie elektronisches Dokumentenmanagement und automatisierte Dokumentenlieferung. Dabei sind Dokumente keineswegs mehr beschränkt auf linearen Text, sondern können Objekte enthalten, welche üblicherweise durch ganz unterschiedliche Medien dargestellt werden. Und sie können mittels Referenzen zwischen ihren Bestandteilen vielfältig strukturiert sein. ("Multimedia" und - falls ein Netzwerk im Spiel ist - "Hypermedia" sind die termini technici, welche diesen erweiterten Dokumentenbegriff bezeichnen.) Es sieht ganz so aus, als ob man sich in den Bibliotheken der (mannigfachen) Probleme des neuen "elektronischen Publizierens" bewußt ist, und man sehr wohl einen guten Platz in neuen Publikationsketten anstrebt.

Meine dritte Bemerkung betrifft neue Dienste (bzw. alte in neuen - aber sichtbaren - Kleidern). Es sind zum einen jene, welche durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie geprägt sind (wie z. B. die oben erwähnte automatisierte Dokumentenlieferung), und zum anderen solche, die darauf abzielen, die Klientel der Bibliotheken für die ihren Bedürfnissen entsprechende Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie zu motivieren und zu schulen. Es ist erfreulich zu beobachten, daß öffentliche Bibliotheken besondere Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen. Vier Projekte, SPRINTEL, REACTIVE TELECOM, MOBILE und PLAIL verdienen an dieser Stelle lobende Erwähnung: SPRINTEL und REACTIVE TELECOM für die Kombination wohletablierter Technologien wie Telephon und Kabelfernsehen mit modernen Werkzeugen zur Spracherkennung und -synthese, um so allen Bürgern am Ort Zugang zu den Diensten ihrer Bibliothek gewissermaßen vom Lehnsessel aus zu gewähren; MOBILE für die Ausstattung mobiler Bibliotheken mit Informations- und Kommunikationstechnik, so daß auch Bewohner entlegener und ländlicher Gegenden mit entsprechenden Diensten versorgt werden können. Und das Projekt PLAIL, an dessen Konsortium unter anderen drei öffentliche Bibliotheken (in Wales, Portugal und Spanien) beteiligt sind, will Bibliothekare durch geeignete Trainingsmaßnahmen darauf vorbereiten, Erwachsenen, die sich beruflich weiterbilden möchten, mit Rat und Tat besser zur Seite stehen zu können.

Bibliotheken hatten schon immer eine Schlüsselrolle im Bildungswesen (als "Lernmittelzentren" gewissermaßen), und so ist es keineswegs überraschend, daß wir eine Reihe von Projekten fördern, an denen Universitätsbibliotheken beteiligt sind, und die auf eine weitere Stärkung dieser Rolle abzielen. EDUCATE (mit Universitäten in Schweden, Frankreich, Großbritannien und Spanien) zum Beispiel wird "elektronische Kurse" im WorldWideWeb (WWW) anbieten, um so Studenten über die fachgerechte Nutzung von Informationsquellen für die Fächer Physik, Elektrotechnik und Elektronik zu unterrichten. SESAM wird für verbesserten Zugang zu Lehrmaterial über ein lokales Universitätsnetz sorgen, und MURIEL beabsichtigt die gemeinschaftliche und verteilte Erstellung von Lehrmaterial für Studenten des Bibliothekswesens sowie dessen Gebrauch, alles auf der Grundlage des Euro-ISDN Netzes.

Selbst aus diesen knappen Beschreibungen wird klar, daß es keineswegs fair wäre, einem bestimmten Projekt nur ein bestimmtes Etikett (für eine bestimmte Technologie, einen bestimmten Service, usw.) anzuhängen. Tatsächlich haben die meisten Projekte viele Dimensionen und können sehr wohl als multidisziplinär bezeichnet werden. Aber dies macht gerade den besonderen Reiz aus, wenn es darum geht, mit Hilfe moderner Technologie neue Bibliotheksdienste zu kreieren und traditionelle Dienste zu verbessern.

Wir erwähnten die mannigfachen Probleme, mit denen Bibliotheken durch das "elektronische Publizieren" konfrontiert sind. Nicht alle dieser Probleme sind technischer Natur, und die technischen sind wahrscheinlich die noch am leichtesten lösbaren. Copyright-Fragen und Fragen des Urheberschutzes sind wohl um einiges gewichtiger. Viele unserer Projekte (insbesondere jene, die in irgendeiner Weise mit Dokumentenlieferung zu tun haben) werden von ihnen berührt. Und es liegt sicher nahe, hier technische Lösungen vorzuschlagen und zu erproben. Mindestens zwei der laufenden Projekte, COPINET und DECOMATE, die sich beide mit "elektronischer Lieferung" urheberrechtlich geschützten Materials befassen, wollen genau dies tun.

An dieser Stelle scheint es geboten zu erwähnen, daß diejenigen Abteilungen der Kommission, welche Programme wie das hier zur Debatte stehende verwalten, ihre Rolle keineswegs nur als die eines reinen Geldgebers verstehen. Unser Auftrag und unser Ehrgeiz verlangen mehr. Wir sollen und wollen auf unseren jeweiligen Gebieten Förderer auch in einem umfassenderen Sinne sein, die Zusammenarbeit zwischen den relevanten (Gruppen von) Akteuren anregen und Unterstützung bei der Lösung allgemein interessierender Probleme geben. "Begleitende Maßnahmen" ist die (vielleicht etwas bürokratisch anmutende) Bezeichnung für entsprechende Aktivitäten. Jeder Sektor des Telematik-Programms und auch das Programm als Ganzes haben einen Teil ihres Budgets dafür reserviert. So lassen sich zum Beispiel Studien, Seminare und Workshops finanzieren. Und nach den im RP3 gültigen Regeln war es auch möglich, unabhängig von Aufrufen (zur Einreichung von Projektvorschlägen) sogenannte "Foren" einzurichten, um Fragen zu behandeln, welche sonst (d. h. in einzelnen Projekten) zu kurz gekommen wären. Drei solcher Foren hat die "Bibliotheks-Gruppe" der DG XIII angeregt: ECUP (European Copyright User Platform), CoBRA (Computerised Bibliographic Records Action) und EFILA (European Forum for Implementors of Library Automation).

Es versteht sich, daß diese drei Foren nicht "ins Blaue" hinein organisiert wurden. Jedem liegt ein erkennbarer Klärungs- und/oder Handlungsbedarf zugrunde. Im Falle von ECUP ist dies - wie oben schon bemerkt - ganz offensichtlich. (Die Bibliotheksverbände aller EU-Mitgliedsländer und anderer am Telematik-Programm beteiligter Staaten sind dort vertreten.) CoBRA wurde in Zusamenarbeit mit der CENL (Conference of European National Librarians) ins Leben gerufen, als Reaktion auf die als zu gering angesehene Resonanz auf unsere Aktionslinie I (s.o.). Es bestand der Eindruck, daß - aus welchem Grunde auch immer - die Nationalbibliotheken in den unter Aktionslinie I eingereichten Vorschlägen nicht hinreichend involviert waren, obwohl die Beteiligung gerade dieser Institutionen bei der Harmonisierung bibliographischer Daten besonders erwünscht ist. Inzwischen sind im Rahmen von CoBRA mehrere Studienaufträge vergeben worden, unter anderem über Modelle für bibliographische Dienste in Europa und über die Behandlung der Pflichtabgabe elektronischer Publikationen. EFILA, schließlich, ergab sich aus unserer Teilnahme an EWOS (dem "European Workshop on Open Systems"). Hier sind Fachleute eingeladen, ihre Erfahrungen bei der Implementierung bibliotheksrelevanter Standards auszutauschen und diese in die Arbeit von Standardisierungsgremien und Gruppen wie EWOS einfließen zu lassen.

Erste Schritte unter dem 4. Rahmenprogramm

Als die Gesamtstruktur des neuen Telematikanwendungsprogramms unter RP4 beraten wurde, bestand kein Zweifel, daß "Bibliotheken" wieder einer der Sektoren sein würde. Es war freilich ebenso klar, daß die Schwerpunkte des Bibliothekssektors einer gewissen Anpassung bedurften. Dafür gab es doppelte Rechtfertigung: Einerseits sollten die mit RP3 Projekten gewonnenen Erfahrungen Berücksichtigung finden. Andererseits war die gewachsene Aufmerksamkeit zu bedenken, welche Bibliotheken in Diskussionen zum Begriff der "Informationsgesellschaft" (mit ihren allumfassenden globalen Netzen) zuteil wird. Das neue Arbeitsprogramm unseres Sektors wurde daher von zwei Grundprinzipien bestimmt: Kontinuität und Offenheit. Kontinuität mit Hinblick auf laufende Aktivitäten und Offenheit für neuere Tendenzen und Entwicklungen auf Gebieten wie Digitalisierung, Vernetzung und Multimedia. Schließlich hatten schon einige unserer frühen RP3-Projekte (die 1991 und 1992 eingereicht worden waren) beträchtliche Anpassungen erlebt, um diese Tendenzen aufzunehmen, und viele der späteren RP3-Projekte nahmen sich ihrer ganz explizit an. Angesichts dieser Tatsache schien Kontinuität leicht erreichbar zu sein. Offenheit hat andererseits einen durchaus "operationalen" Aspekt, der in unserem neuen Arbeitsprogramm durch den Slogan " from collection-orientedness to access-orientedness" (etwa: "Mache Sammlungen leichter zugänglich") zum Ausdruck gebracht wird, einen Imperativ, dessen man sich in der Bibliothekswelt sehr wohl bewußt ist, zu dessen Umsetzung es jedoch immer noch der Ermutigung und Unterstützung bedarf. Und natürlich ist Telematik der Schlüssel zu dieser Umsetzung.

Bei der Ausarbeitung des neuen Arbeitsprogramms waren einige Randbedingungen zu beachten, die sich aus dem für das RP4-Telematikprogramm als Ganzem verabredeten Ansatz ergaben. Es war dennoch weiterhin möglich, von Aktionslinien zu sprechen, und eine Reihe von relativ breiten Themenbereichen ( Call Topics) zu beschreiben, welche, obgleich nicht obligatorisch, dennoch einen Rahmen für die Einordnung von Projektideen anbieten. Die in der allgemeinen Struktur des Telematikprogramms vorgesehenen "Aufgaben" ( Research Tasks) wurden als "Aufgabenschwerpunkte" ( Task Goals) den neuen Aktionslinien untergeordnet.

A. Netzorientierte interne Bibliothekssysteme (Aufgabenschwerpunkte: LB1.1 - Modernisierung von Bibliothekssystemen und zugehörigen Hilfsmitteln; LB1.2 - Weitere Anregung des europäischen Marktes für solche Systeme und Hilfsmittel)

B. Telematikanwendungen für verbundorientierte Bibliotheksdienste (Aufgabenschwerpunkte: LB2.1 - Telematikverbindungen zwischen den Bibliotheken Europas zur besseren Nutzung verteilter Bestände; LB2.2 - Integration internationaler Dienste für Datenaustausch, Fernleihe und Dokumentenlieferung; LB2.3 - Telematikverbindungen zwischen Bibliotheken, Verlagen und anderen Zulieferern zur Vereinfachung des Erwerbs von Materialien und der Übermittlung kommerzieller und bibliographischer Daten; LB2.4 - Entwicklung, Erprobung und Integration offener Telematikstandards in Bibliotheken)

C. Bibliotheksdienste für den Zugang zu Informationsbeständen in Netzen (Aufgabenschwerpunkte: LB3.1 - Schaffung eines organisatorischen Rahmens für die Einbindung von " resource discovery"-Technologien in bibliothekarische Dienste; LB3.2 - Durch Bibliotheken vermittelte Dienste für den Zugriff auf vernetzte Informationsbestände)

Diese Aktionslinien verlaufen gewissermaßen auf drei sukzessiven Ebenen. Cum grano salis lassen sich jene durch die Präfixe (A) "intra-", (B) "inter-" und (C) "extra-" (vor "Bibliothek", versteht sich) beschreiben. Dies wird noch klarer, wenn wir uns die jeweils vorgeschlagenen Themenbereiche anschauen:

Themenbereiche der Aktionslinie A:

1. Bibliothekssysteme in ihrem lokalen Umfeld - Schnittstellen und Integrationswerkzeuge

2. Methoden und Werkzeuge zur Erzeugung und Nutzung "elektronischer" Bibliotheksbestände

3. Entwicklung und Erprobung von Hilfsmitteln für die Gestaltung von Bibliotheksdiensten im "elektronischen Umfeld"

Themenbereiche der Aktionslinie B:

4. Einrichtung und Erprobung bibliothekarischer Verbunddienste, welche mindestens zwei verschiedene Leistungsarten integrieren

5. Endbenutzerzugriff auf Ressourcen in Bibliotheksnetzen

6. Dienste für Erwerb und Lieferung bibliothekarischen Materials

7. Entwicklung neuer Modelle und Szenarien für "verteilte Bibliotheken" und die von ihnen zu leistenden Dienste (zur Vorbereitung eventueller Implementierungsprojekte)

Themenbereiche der Aktionslinie C:

8. Dienste für " Resource Discovery and Retrieval"

9. Testumgebungen für den bibliotheksvermittelten Zugang zu vernetzten Informationsbeständen und entsprechende Dienste

10. Hilfsmittel für die Nutzung von aus Netzen beschafften Informationsbeständen

11. Benutzerorientierte Anwendungen für den einheitlichen Zugriff auf bibliothekseigene und netzbasierte Bestände

12. Bibliotheksdienste für das Fernstudium (" distance learning")

In der Tat stellte sich im Juni 1994, nachdem - auf unseren ersten Aufruf unter dem RP4 hin - die Frist für Antragstellungen abgelaufen war, daß die obigen Themenbereiche durchaus eine stattliche Zahl von Projektideen beherbergen konnten. Natürlich würde es zu weit führen, an dieser Stelle eine ausgewachsene Analyse der über 100 eingereichten Vorschläge zu versuchen. Stattdessen wollen wir hier einen knappen, an den Aktionslinien orientierten Überblick über die 14 an erster Stelle ausgewählten Projektvorschläge geben.

Angenommene Projektvorschläge unter Aktionslinie A:

Angenommene Projektvorschläge unter Aktionslinie B:

Angenommene Projektvorschläge unter Aktionslinie C:

Einige Bemerkungen mögen die Besonderheiten dieser Auswahl beleuchten. Zunächst zur Abdeckung unserer Aktionslinien und Themenbereiche: Es ist sicher nicht verwunderlich, daß die meisten der angenommenen Vorschläge nicht in genau einen Themenbereich fallen und auch nicht auf genau einer Aktionslinie liegen. Dies ist nur teilweise eine Folge der allgemeinen Spielregeln des Telematikprogramms. Sehr viel mehr spiegelt sich hier die inhärente (und wachsende) Komplexität der Bibliotheksszene wider. Es gibt in ihr eben keine klar abgesteckten Grenzen. Dennoch ist die oben vorgenommene Zuordnung zu den Aktionslinien nicht völlig willkürlich. Sie zeigt die von den Antragstellern selbst gesetzten, beziehungsweise, in einigen Fällen, die von den Gutachtern erkannten Schwerpunkte.

Von vornherein stand die Aktionslinie B nicht nur formal, sondern auch inhaltlich im Zentrum unseres Programms. Es ist daher erfreulich, daß der besonders wichtige Themenbereich 4 von einem Vorschlag direkt erfüllt und von anderen zumindest tangiert wird. Andererseits war die Resonanz auf den Themenbereich 7 weniger zufriedenstellend: Wir hofften hier auf Vorschläge für Vorarbeiten zu größeren Implementierungsprojekten auf dem Gebiet der Bibliotheksvernetzung, deren Realisierungsphasen dann erneut zum Gegenstand von Projektvorschlägen gemacht werden würden. Schließlich wurde eines der oben beschriebenen Projekte (das unter Aktionslinie B letztgenannte) zu einer Machbarkeitsstudie im Sinne von Thema 7 umgewandelt.

Die Auswahl der Projektvorschläge zeigt auch, daß der Bibliothekssektor des Telematikprogramms ausgezeichnet mit den beiden anderen Sektoren des Gebietes "Telematik und Wissen", und insbesondere mit "Telematik für Bildung und Ausbildung", harmoniert (vgl. die Vorbemerkungen). Tatsächlich enthalten die meisten der neuen Projekte eine "Trainings-Komponente", mit der Bibliotheksbesucher angeregt werden, noch effektiveren Gebrauch von Diensten und Materialien zu machen. Und in Fortsetzung eines Trends, der sich schon unter dem RP3 zeigte, wird es mehrere Projekte geben, deren erklärtes Ziel es ist, die traditionelle Rolle von Bibliotheken als Zentren selbständigen Lernens und Studierens zu stärken und auszubauen. Wie in der Vergangenheit, gilt dies auch weiterhin gleichermaßen für öffentliche und für akademische Bibliotheken. (Im übrigen liegt darin eine treffliche Rechtfertigung für unseren Themenbereich 12.)

Eine weitere Tendenz scheint sich zu verstärken: Der Ausbau von Verbindungen zwischen Verlagen und Bibliotheken, speziell in Hinblick auf neue, elektronische Formen des Publizierens. Damit wird die Rolle von Bibliotheken als "Verteilkanäle" (zumindest für manche "elektronischen" Quellen) deutlich aufgewertet. Und es gibt berechtigte Hoffnung, daß für grundlegende Probleme wie den Schutz von Urheberrechten, gangbare praktische Lösungen gefunden und erprobt werden.

Was die zur Anwendung vorgeschlagenen Technologien angeht, gibt es zwei Schlüsselwörter (oder soll man sagen "Schlagworte"?), welche sofort ins Auge stechen, wenn man unsere kurzen Projektbeschreibungen überfliegt: Das "Web" und "Multimedia". Beide sind - mehr oder weniger - auch schon in den Tabellen 2 und 3 enthalten. Eine weitere Technologie, die in diesen Tabellen nicht vorkommt, ist " Smartcards". Eines der Projekte wird sie im Bibliotheksumfeld einsetzen.

Gewiß sind auch die globalen Netze im Fokus der Aktionslinie C, und so überrascht es nicht, daß viele Vorschläge (besonders solche, die letztlich nicht erfolgreich waren) darauf abzielten, "etwas im Web anzubieten", dem inzwischen wohl populärsten und sichtbarsten Internet-Dienst. Viele dieser Ideen vernachlässigten freilich den tatsächlichen Bedarf der Bibliotheken (und ihrer Benutzer) oder die Möglichkeit, mit bibliothekarischer Expertise Werkzeuge zu schaffen, welche die Organisation von und die Navigation in vernetzten Ressourcen wesentlich erleichtern. Sie mußten daher im Begutachtungsverfahren durchfallen. Um so zuversichtlicher sind wir, daß die verbliebenen "Web"-Projekte einen substantiellen Beitrag zu einer weiteren Öffnung der Bibliothekswelt hin zu den "weltweiten Netzen" leisten werden.

Die Häufigkeit des zweiten Schlüsselwortes, "Multimedia", mag durch die allgemeine Forderung des Telematikprogramms nach "Multimedia-Telematik" statt "Daten-Telematik" bedingt sein. Man darf sicher ein wenig daran zweifeln, daß sich die mit diesem Begriff verbundenen Versprechungen noch während der Laufzeit des Programms erfüllen lassen. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir die Freuden multimedialer Datenübertragungen ebenso genießen können wie heute den Rundfunk und das Fernsehen (oder das Schmökern in einem Buch!). Jedermann wird das bestätigen, der bei Übertragungsgeschwindigkeiten von 9,6 kbit/sec oder selbst 14,4 kbit/sec auf den Aufbau einer "Web-Seite" gewartet hat, die Bilder und Töne enthält. (Ganz zu schweigen von den hoch komprimierten Videodatenströmen, die per ISDN zu recht wackligen kleinen Bildern werden.) Es bleibt also abzuwarten, ob die Bibliothekswelt schon in den kommenden Jahren (solange Strecken mit hinreichender Bandbreite nicht allgemein - und kostengünstig - verfügbar sind) großen Nutzen haben wird von all den Flötentönen, welche da über die Netze gepfiffen werden sollen.

In aller Bescheidenheit müssen wir natürlich einräumen, daß die Charakteristika der von uns betreuten Projekte keineswegs einzigartig sind. Vielmehr treffen unsere bisherigen Bemerkungen auch auf viele durch nationale, regionale und lokale Initiativen geförderten Aktivitäten zu, deren Ziel es ist, Bibliotheken zu modernisieren und ihnen einen angemessenen Platz in der "Informationsgesellschaft" zu geben. Ein weiteres Merkmal ist freilich zu erwähnen, welches bisher nicht zur Sprache kam. Es ist Teil der offiziellen Bezeichnung des Telematikprogramms: "Spezifisches Programm für Forschung und technologische Entwicklung, einschließlich Demonstration, im Bereich der Telematikanwendungen von gemeinsamem Interesse." Das Wort, auf das es ankommt, ist " Demonstration". In der Tat, alle aus dem Telematikprogramm unterstützten Projektkonsortien sind verpflichtet, den Nutzen ihrer Ergebnisse angemessen zu demonstrieren. Angemessen heißt: Nicht nur unter "Laborbedingungen", sondern - in möglichst großem Maßstab - auch in der "realen Welt". Wir sind überzeugt, daß unsere Projekte keine allzu große Mühe damit haben werden.

Dieser Bericht über unsere ersten Schritte unter dem 4. Rahmenprogramm wäre unvollständig, verlören wir nicht wenigstens einige Worte über die wichtigsten für die Zukunft geplanten begleitenden Maßnahmen. Zunächst: Für die bisher gegründeten Foren (also CoBRA, ECUP und EFILA, s.o.) wird die Unterstützung weitergehen. Darüber hinaus wird es weitere sogenannte "konzertierte Aktionen" geben, für bestimmte Gruppen und Typen von Bibliotheken (Bibliotheken mit speziellem Interesse im Bereich Musik, öffentliche Bibliotheken), und um Probleme von gemeinsamem Interesse anzugehen (Fragen des Bibliotheksmanagement, die Verwendung von EDI-Standards). Generell ist es das Ziel solcher Aktionen, Ideen zu bündeln und Zusammenarbeit anzuregen (z. B. in Hinblick auf die Vorbereitung weiterer Projektvorschläge). Die konzertierte Aktion für die Öffentlichen Bibliotheken PUBLICA scheint dabei besonders wünschenswert und vielversprechend. Diese Bibliotheken sollten eine gewichtige Rolle haben bei der Gestaltung jener "Informationsgesellschaft", in der allen Bürger, unabhängig von Alter, Geschlecht, Rasse und Einkommen, das Recht und die Möglichkeit gegeben sein sollen, die Informationen zu finden, die sie für eine sinnvolle Teilhabe am Leben ihrer Gemeinschaften benötigen.

Schlußbemerkungen

Wie eingangs versprochen, sollen hier ein paar Ratschläge für diejenigen stehen, welche daran denken, sich an einem europäischen Bibliotheksprojekt zu beteiligen. Es ist nicht viel, denn allen Unkenrufen zum Trotz ist die Bürokratie keineswegs unüberwindlich kompliziert.

Zuallererst muß man natürlich von einem "Aufruf zur Einreichung von Projektvorschlägen" (im Jargon kurz CfP genannt) erfahren. Diese CfPs ergehen in unregelmäßigen Abständen, abhängig vom noch verfügbaren Budget und den jeweiligen thematischen Zielen des Programms. Sie werden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht, doch meist spricht sich der nächste Termin schon vorher herum. Entsprechende Dokumentation ist auf Anfrage von der Kommission erhältlich. Außerdem gibt es in jedem Land der Union eine Verbindungsstelle für den Bibliothekssektor, an die man sich wenden kann.

Zweitens muß man eine gute Projektidee haben und eine oder mehrere Partnerorganisationen finden, die bei ihrer Realisierung mitarbeiten möchten. Mindestens zwei Mitgliedsländer der Union (oder ein drittes Land, welches mit dem Telematikprogramm "assoziiert" ist) müssen vertreten sein, denn sonst wäre es kein europäisches Projekt. Partner zu finden kann ein Problem sein. Die Kommission (mit einer speziellen Datenbank), die nationalen Verbindungsstellen oder andere nationale Agenturen können dabei helfen.

Drittens: Die Projektidee muß zu einem formalen Vorschlag ausgearbeitet werden, der nachvollziehbaren Kriterien gemäß begutachtet werden kann. Für manche ist dies der schwierigste Teil des ganzen Unternehmens. Mag sein. Doch "Begutachtbarkeit" ist entscheidend, und daher sind einige Formalitäten zu beachten, doch sind diese sicher nicht "strenger" als vergleichbare Prozeduren bei der Bewerbung um nationale oder private Mittel.

Aber: "Was ist eine gute Projektidee?" Und: "Welches sind die Qualitäten eines guten Projektantrages?" Antworten zu diesen Fragen findet man in der oben erwähnten, von der Kommission erhältlichen Dokumentation. Dort werden alle Kriterien und Formalia ausführlich erklärt. Dabei sind die allgemeinsten Kriterien fast selbstverständlich: Die Idee sollte auf ein (organisatorisches, technisches, etc.) Vorhaben beziehungsweise Artefakt abzielen, welches nachweisbar nützlich ist, auch benutzbar und machbar (sowohl technisch als auch unter Berücksichtigung der für jeden Sektor des Programms definierten Budgetlimits). Sie sollte die allgemeinen Ziele des Telematikprogramms und die speziellen Ziele des (in unserem Falle) Bibliothekssektors erreichen helfen, und sie sollte eine "europäische Dimension" haben: Ihre Realisierung sollte ein Beitrag sein zu sinnvoller länderübergreifender Kooperation. Und schließlich sollte - auch dies versteht sich eigentlich von selbst - die Realisierung zu einem sichtbaren Fortschritt des jeweiligen " state of the art" führen.

Ein guter Projektantrag, andererseits, wird auf einer guten Projektidee beruhen. Er wird deren Nutzen und Machbarkeit überzeugend darlegen. Er wird von Partnern gestellt, die sich der Sache verpflichtet fühlen und die die technische und organisatorische Kompetenz haben, das Projekt zu einem guten Ende zu führen. Manche glauben, daß bestimmte Zusammensetzungen von Konsortien eine notwendige Bedingung für den Erfolg eines Antrags seien. Die Erfahrung lehrt, daß dies keineswegs der Fall ist. Im Gegenteil: Es kann durchaus kontraproduktiv sein, Partner nur dieser Vermutung wegen zu präsentieren und ohne ihnen eine klare und sinnvolle Rolle im Projekt zuzuweisen.

Und ganz zum Schluß: Bei aller Länge konnte dieser Beitrag nur Schlaglichter werfen auf das europäische Bibliotheksprogramm. Doch es gibt Trost für den unbefriedigten Leser: Auch wir haben "etwas im Web anzubieten"! Der URL unserer homepage lautet: http://www.echo.lu/libraries/en/libraries.html. Von dort aus wird der interessierte Leser zu einer Fülle von Informationen über laufende Projekte (in vielen Fällen gelangt man zu den homepages unserer Projekte selbst), Studien, Workshops, etc. geführt, und auch zu für die Antragstellung relevanten Dokumenten.


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