Seite 16-17 - DNB_Leseraum_FINAL

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Alles schön und gut, die Frage ist aber: Wie fnanziert
sich das alles?
Das ist tatsächlich eine wichtige Frage, die es zu klären gilt.
Neue Formen des Mäzenatentums, Sponsoring, Werbung,
Abo-Modelle, aber auch Merchandising und Licensing sind
Optionen. Auch Modelle der Verstaatlichung und Vergesell-
schaftung der Finanzierung sind im Gespräch – Stichwort
Kulturfatrate und Grundeinkommen für Kreative. Davon ab-
gesehen besteht für Publisher die Herausforderung, Medien
spielerisch zu erschließen, Inhalte multimedial neu zu denken
und dabei durchaus auch ein unternehmerisches Risiko in
Kauf zu nehmen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Stieg Lars-
sons „Verblendung“ wurde als Buch über 63 Millionen Mal
verkauft. Inzwischen gibt es auch eine sehr aufwendige und
hochwertige App. Die Herstellungskosten dürften im fünfstel-
ligen Bereich gelegen haben. Der Verkaufspreis beträgt nicht
einmal einen Dollar, trotzdem rechnet es sich – als Marke-
tingmaßnahme. Mittlerweile gibt es auch eine Modekollek-
tion nach dem Outft der Heldin von „Verblendung“. Noch
sind viele multimediale Produkte Marketingmaßnahmen. In
Zukunft aber werden sie Teil des Produktes sein und zur
Finanzierung beitragen.
Das klingt sehr nach vorne gewandt. Von außen be-
trachtet hat man das Gefühl, viele Verlage sind eher zag-
haft in der Nutzung des E-Business. Allein auf Sanktio-
nen für illegales Downloaden zu setzen, ohne zugleich
eigene attraktive, kundenorientierte Bezahlmodelle zu
entwickeln und technische Innovationen voranzutreiben,
kann aber kaum die Lösung sein.
Aus internationaler Perspektive gesehen ist die Buchbran-
che sehr wohl innovativ, der angelsächsische Raum ist dem
deutschsprachigen um drei bis fünf Jahre in der Entwicklung
voraus. Aber es gibt auch hierzulande ernst zu nehmende An-
sätze für neue Geschäftsmodelle. Schauen Sie sich einfach ein-
mal im Oktober auf der Buchmesse um: Es gibt Leihmodelle
für E-Books von Skoobe, Crowdsourcing und Self-Publishing
wie neobooks von Droemer Knaur und digitale Kinderbücher
mit Wissens-Mehrwert wie Onilo.de von Oetinger. Gerade im
Bereich Kinder- und Jugendmedien sowie Bildung zeigt sich
weltweit eine unwahrscheinliche Kreativität von Autoren und
Publishern – alle fünf Sinne werden mit den neuen multi-
medialen Produkten angesprochen. Das Thema E-Commerce
und Ofenheit technischer Systeme ist für all das die Grundla-
ge, das ist klar. Hier brauchen Publisher mehr Austausch mit
den Technologieanbietern, mit der Branche der Informations-
und Kommunikationstechnik insgesamt, denn die Frage von
Standards und Formaten ist keine, die Publisher alleine lösen
können. Ein Beispiel dafür, wie die deutsche Publishingbran-
che gemeinsam an einem ofenen System für E-Books arbeitet,
ist www.libreka.de: Das Portal soll als zentrale Plattform das
gesamte E-Book-Angebot der deutschsprachigen Verlagsszene
bündeln und ist für alle Vertriebswege ofen, sei es Amazon,
Google oder natürlich der Buchhändler um die Ecke. Mehr
als 400.000 E-Books sind hier im Angebot. Dieses Projekt
ist weltweit einmalig. Im Übrigen machen Sie einen Fehler,
wenn Sie die Verleger unterschätzen. Einerseits muss in den
Verlagshäusern die Gegenwart fnanziert werden – was mit den
alten Modellen noch recht gut funktioniert –, andererseits
müssen parallel dazu neue Modelle für die Zukunft entwi-
ckelt werden.
Wie sieht denn die Rolle der Verleger in Zukunft aus?
Die Kunst des Verlegens bestand lange darin, etwas für das
Publikum auszuwählen. Dabei bestimmte oft die Verlegerper-
sönlichkeit die Linie des ganzen Verlags. Manche Verleger –
wie Gaston Gallimard – meinten sogar, es sei ihre Aufgabe,
Bücher gegen den Willen des Publikums zu veröfentlichen.
Heute kann jeder alles veröfentlichen. Ein Meer an Informa-
tionen lässt sich aber nur durch einen guten Filter bewältigen.
Publisher haben also nicht mehr die Rolle eines Flaschenhal-
ses, durch den jeglicher Inhalt hindurchmuss, sondern die
Funktion eines Filters, den jeder anwenden kann, wenn er
will. Denn Zeit ist das kostbarste Gut des Menschen. Insofern
kann es für die Verleger nur heißen: back to the roots. Der
Verlag bzw. der Publisher muss zur Marke werden, mit der der
Verbraucher bestimmte Inhalte verbindet.
Im Moment wird viel von Chancen der Selbstvermark-
tung gesprochen. Aus diesem Blickwinkel ist ein Verleger
für einen Autor in erster Linie ein Kostenfaktor.
Der aber auch eine Leistung erbringt. Arbeitsteilung macht ja
durchaus Sinn. Amanda Hocking, eine amerikanische Schrift-
stellerin von Fantasy-Romanen, gilt mit weit über einer Mil-
lion verkaufter E-Books als weltweit erfolgreichste self-publi-
shing Autorin. Trotzdem schloss sie letztes Jahr einen Vertrag
mit einem Verlag ab und begründete es so: „I do not want to
spend 40 hours a week handling emails, formatting covers,
fnding editors, etc. I want to be a writer. I do not want to
be a publisher.”
Und wie geht es mit dem Handel weiter? Nachdem vor
einigen Jahren viele kleine Buchhandlungen vom Markt
verdrängt wurden, machen nun die ersten großen Fili-
alhäuser dicht. Ist die Buchhandlung der Zukunft eher
ein Multimedia-Shop oder mehr ein Geschenklädchen?
Es wird sicherlich einen Trend zur Spezialisierung geben, der
den kleinen, inhabergeführten Läden entgegenkommt. Die
Erweiterung des Sortiments um buchnahe Dinge wie Papete-
rie, Geschenke oder DVDs ist wichtig – aber auch der Service,
dem Kunden das Online-Angebot, also E-Books & Co., na-
hezubringen. Das Konzept der französischen Kulturkaufhaus-
kette „fnac“ gefällt mir persönlich ganz gut. Allerdings musste
die Filiale in Berlin nach relativ kurzer Zeit wegen Erfolglosig-
keit wieder schließen. Dort konnte man neben Büchern Ein-
trittskarten, Tonträger, Computersoftware und die dazugehö-
renden Geräte kaufen. Außerdem gab es Lesungen, Konzerte
und Ausstellungen. Vielleicht war einfach die Zeit dafür noch
nicht reif.
Zurück zu Ihrer Veranstaltung, der Frankfurter Buch-
messe. Wie spiegeln sich dort die beschriebenen Verän-
derungen der Branche wider?
Fast die Hälfte unserer Aussteller hatte im letzten Jahr digita-
le Produkte im Angebot. Unsere digitale Initiative Frankfurt
SPARKS ist zu einer wichtigen Kontakt- und Innovations-
plattform zwischen traditionellen Anbietern und den neuen
Akteuren der Technologie- und Entertainmentbranchen ge-
worden. Außerdem nimmt die Bedeutung der Messe als Dis-
kussions- und Fortbildungsplattform immer mehr zu. Letztes
Jahr fanden rund 3.200 Veranstaltungen statt. Dabei nahmen
Fachveranstaltungen der Frankfurt Academy – der Konferenz-
marke der Buchmesse – mit mehr als 3.000 Teilnehmern einen
breiten Raum ein. Hier bildet sich ein weltweites Netzwerk an
Inhalte-Experten.
Letzte Frage: Wie und was lesen Sie privat?
Schauen Sie, hier liegen ein Stapel Bücher, ein Tablet und
dieser Gucki, ein Diabetrachter für Kinder. Das sagt eigentlich
alles. Allerdings lese ich privat tatsächlich noch vorzugsweise
auf Papier. Inhaltlich verlasse ich mich meistens auf Empfeh-
lungen von Freunden, beschäftige mich aber immer ziemlich
intensiv mit unserem Gastland – in diesem Jahr Neuseeland,
im nächsten Brasilien.
JÜRGEN BOOS
Geboren 1961 in Lörrach, absolvierte er nach dem Abitur eine Ausbildung zum Ver-
lagsbuchhändler und studierte Betriebswirtschaftslehre. Anschließend arbeitete er
einige Jahre als Verkaufs- und Marketingleiter bei verschiedenen Verlagen, bis er 2005
von Volker Neumann die Geschäftsführung der Frankfurter Buchmesse übernahm.
FRANKFURTER BUCHMESSE
Die Frankfurter Buchmesse wurde 1949 infolge der Teilung Deutschlands als Pendant
zur Leipziger Buchmesse gegründet und fndet jährlich im Oktober statt. Erst in zwei-
ter Linie ist die Veranstaltung eine Messe für das Publikum. In erster Linie dient sie
Fachbesuchern wie Verlegern, Agenten, Buchhändlern, Bibliothekaren, Wissenschaft-
lern, Illustratoren, Übersetzern, Druckern, Autoren und Dienstleistern zur Vorstellung
ihres Angebots und zum Abschluss von Geschäften. Seit 1988 präsentiert die Buch-
messe jährlich wechselnd ein Gastland oder eine Gastregion. Besondere öffentliche
Aufmerksamkeit genießt zur Buchmesse auch die Vergabe des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandels. 2011 nahmen 7.384 Aussteller aus 106 Ländern an der
größten Buchmesse der Welt teil, die von etwa 280.000 Personen besucht wurde.
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Ein Überangebot
kann den Zugang zu
Wissen verhindern.
Die neue Währung heißt
Aufmerksamkeit.

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