Seite 14-15 - DNB_Leseraum_FINAL

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Herr Boos, Verlage stellen fest, dass die Aufmerksam-
keit der Menschen von immer mehr Medien beansprucht
wird, Lehrer beschweren sich über lesefaule Schüler und
Eltern lesen angeblich immer seltener vor. Hat das Lesen
noch eine Zukunft?
Gemahnt und gejammert wurde doch schon immer. Uns hat
man damals das Lesen von Comics verboten und das Fernsehen
läutete spätestens mit Einführung der Privatsender den Unter-
gang des Abendlandes ein. Ich sehe überhaupt keinen Grund für
Kulturpessimismus. Im Moment ist sehr viel in Bewegung und
es war seit Gutenberg nicht mehr so spannend. Die Grenzen
unserer Publishing-Welt werden neu vermessen. Wir überqueren
die Grenze zu anderen Kreativbranchen. Die Entwicklung geht
zu mehr Austausch von Ideen, zu direkter Kommunikation – bis
hin zur Vision eines weltweit vernetzten Denkens. Jeder ist ein
Publisher, jeder kann mit jedem in Kontakt treten.
Und die Buchbranche in ihrer bisherigen Form wird
überfüssig.
Keineswegs. Die Qualität des Denkens und die Expertise von
Menschen, die sich mit dem Erstellen, Bewerten, Kuratieren
und Vermarkten der veröfentlichten Inhalte auskennen, wer-
den weiterhin gefragt sein, vielleicht sogar mehr denn je. Denn
der Zugang zu Wissen kann auch durch ein Überangebot
verhindert werden. Die neue Währung heißt Aufmerksamkeit.
Braucht es denn in einer vernetzten Welt mit den vielen
neuen Kommunikationsmöglichkeiten noch eine Buch-
messe?
Die Gestaltung der Zukunft des Publishings gelingt am bes-
ten im Austausch der Medien-Menschen untereinander, also
zwischen Verlagen, Buchhändlern, Bibliothekaren, Informa-
tion Professionals und den neuen Playern. Denn Märkte sind
Gespräche. Kein Ort ist besser dafür geeignet als die Frank-
furter Buchmesse, die die höchste Dichte an Inhalte-Experten
aufweist.
Fakt ist aber, dass sich das Buch entmaterialisiert, auch
wenn es sich damit nur um die Aufösung der analogen
sterblichen Hülle handelt. Hat sich dann nicht eigentlich
auch der Name „Buchmesse“ überlebt?
„Inhaltemesse“ klingt halt irgendwie nicht so toll. Im Übrigen
glaube ich nicht an das Verschwinden des Buchs. Es wird wei-
ter existieren, neben neuen multimedialen Produkten. Denn
jedes Medium hat seine Eigenheiten, die mit verschiedenen
menschlichen Vorlieben und Bedürfnissen einhergehen. Das
Prinzip Buch wird überleben. Es wandelt sich aber vom ge-
schlossenen zum ofenen System. Die Inhalte werden noch
sinnlicher: Bild und Ton ergänzen die Schrift, hinzu kommt
die Interaktivität. Social Reading und kollaboratives Arbeiten
sind Visionen, die heute schon stattfnden.
g
DAS PRINZIP
BUCH
Der Digitalisierung ist nichts heilig, sie macht vor nichts halt,
auch nicht vor Büchern. Im Interview erklärt Jürgen Boos, Direktor
der Frankfurter Buchmesse, was diese Entwicklung für die
Buchbranche bedeutet und warum ihm davor gar nicht bange ist.
INTERVIEW: ULRICH ERLER FOTOS: STEPHAN JOCKEL
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