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Hier knackt es, gähnt es, jault und hängt
etwas. Eine konsonantische Liaison versperrt
einem den Rachen und unaufhörlich bellt es.
Man wiehert und knattert, klemmt, krächzt,
hustet und blökt. Man surrt, summt, schleckt und
prustet-pustet. Ein ständiges Streitgespräch zweier Hals-
kranker. So klingt Deutsch. In den Ohren französischer Parti-
sanen in Tarantino-Filmen allemal. Wenn ich aber mein Ohr
ganz fest an Heines Winterreise presse, dann klingeln Schlitten-
glocken heraus und ein Wanderstab, der auf dem noch nicht
geteerten Feldweg aufsetzt. Regelmäßig, vom Schnee gedämpft,
ist das Geräusch. Schüttle ich Grass’ Liebeserklärung der Grimm-
schen Wörter, dann krach-pengt es hervor aus dem Schlagwerk
des Tourbegleiters Baby Sommer, des Jazz Drummers, der den
Grass seit dem Butt in Musik und Schall und Klang neben
dem Rauch aus des Meisters Pfeife wandeln kann wie keiner
sonst. Das Wispern von Liebesschwüren weht aus Abertausen-
den von Schriften, original und übersetzt und im Deutschen
klingt „Ich liebe dich“ genauso schön (bedrohlich) wie in jeder
anderen Sprache. Das dialektale „I mog di“ (Bayerisch) oder
das fremdsprachliche „Ich ha di gern“ (Schwiizerdütsch) aus
den Liedtexten von La Brasbanda oder des Holsturner Music
Big Band Club, den Schriften Pedro Lenz’ oder Beat Sterchis
lassen Seufzer zu. Die gehören auch ins deutsche Sound-Voka-
bular. Wir Deutschen seufzen gerne. Bei Kleist noch bis zur
Ohnmacht, heute bevor wir ansetzen und Reden schwingen.
Ofzielles passt zu unserer Sprache. Wir wissen ja, dass man
sie mit Pferden sprechen kann, während Französisch, Spanisch
und Italienisch bei Gott, Männern und den Frauen angewendet
wird. Nun sind Pferde ja durchaus geduldige Zuhörer und seit
Monty Roberts uns auch die non-verbalen Dialekte der Pferde
gelehrt hat, muss man sich nicht mehr verstecken, wenn einer
wiehert, wir wären einfach zu deutsch in Ton und Gebaren. In
Amish Country gibt es diese Kategorie nicht. Da ist zu deutsch
Brauchtumspfege und der Slogan „Mer schwetze noch die
Muddersprooch“ ist in aller (noch so zahnloser) Munde. Dass
das harte Deutsch vor allem aus dem einen Munde die Mas-
sen verführen, belügen konnte, das war die weltweit unerwar-
tete Folge abgestumpfter Akustik. Die Ohren
waren noch taub vom Lärm der ersten
Bomben. Eine ganze Sprache, um vieles
schrecklicher als das Phänomen, das aus dem
Klemperer’schen Buche wie aus dem Weltempfän-
ger schnarrt. Es ist der zarten Selma, der klugen Nelly,
der weltumspannenden Rose zu danken, dass wir das Deutsche
wieder zum Denken urbar machen konnten. Manch einer liebt
das Deutsche heute gar so sehr, dass er es unterschätzt, das
Kind bei der Hand nehmen möchte, d.h. ihm Reinheitsgebote
aufstellt, bevor es – unkenbeschworen – in den Brunnen fällt.
Die Deutschen – so viel sie schwarzmalen – lieben Brunnen,
vor allem die vor Toren und wenn ein paar Toren darum
herum zu stehen kommen … auch gut. Sitzen doch in fast
allen Zisternen verzauberte Prinzen, die das Kindlein schaukelnd
wieder ans Licht zu bringen verstehen. Das Deutsche ist elas-
tisch – gottlob! Hat uns fast verziehen nach zwei Kriegen und
ein paar Dudenausgaben. Die Reparation war lediglich der Ver-
lust besonders entfremdeter Abstrakta à la Blut, Boden, Erde,
Volk. Das Deutsche behalf sich, fand den Durchgang durch die
eigenen Antwortlosigkeiten, die Celan ihm zusprach, lässt aber
seit jeher Einfüsse zu, schwappt stets weiter, wird ein Sprach-
fuss mitreißender Qualität. Modern ist es dadurch, nützlich
und charmant-verquer, für manchen kaum erlernbar: die Rübe
und das Fräulein! Es schenkt uns irre Silben wie das Him- der
Beere und den -ling, der schmettert. Die Schönheit der Summe,
des Herzens, das Legato des aufgegangenen Mondes, das rollen-
de Rrrrr des Brotes, das Abendrot, das Spitze der spitzen Steine
des Nordens und die Schnauze der Berliner. Wir sind so herr-
lich aufgeplustert, wir deutschen Deutschsprecher. Und gackern
dabei zu selten. Deutsch klingt manchmal nach allem, was es
sein kann: Sprache und Aufbewahrungsort und Musensang.
Das sagen auch meine Eltern, und die sprechen es länger als ich.
NORA GOMRINGER.
1980 in Neunkirchen/Saar geboren, ist Lyrikerin und Poetry-
Slammerin. 2011 erhielt sie den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache, in diesem
Jahr den Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik.
WIE KLINGT
DEUTSCH?
Summen, krächzen, seufzen: In dieser Kolumne erklärt Nora Gomringer,
warum unsere Sprache so unterschiedlich klingen kann.

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