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Unterhaltungsmusik bis zu Film- und Meditationsmusik, von
Violine über Tuba bis Synthesizer, von Abba und den Fantas-
tischen Vier über Johann Sebastian Bach und Karlheinz Stock-
hausen bis zu denWildecker Herzbuben undGheorghe Zamfr.
„Wer auf der Suche nach einer bestimmten Aufnahme
nirgendwo fündig wird, sollte sich an uns wenden: Wir sind oft
die einzigen, die sie in ihrem Bestand haben“, erklärt Direktor
Fernau selbstbewusst. Neben Tonträgern umfasst das Archiv
fast 800.000 Musikalien – Partituren, Stimmen, Etüdensamm-
lungen und vieles mehr. Enorm angewachsen ist der Bestand
im Jahr 2000. Seinerzeit hat die Gesellschaft für musikalische
Auführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, besser
bekannt unter der Abkürzung GEMA, das Deutsche Musi-
karchiv zum Sammlungsort ihrer Noten bestimmt und ihm
210.000 Sätze übereignet. Hinzu kommt die Verzeichnung
und Anzeige musikalischer Auführungsmateriale im „Bonner
Katalog“, dem zentralen Web-Portal und Nachschlagewerk
für Leihmateriale. Musiker können via „Bonner Katalog“ die
Materialien für ihre Auführungen recherchieren und dann
direkt bei den Verlagen mieten.
Jenseits von Trends und Kommerz:
Das Prinzip Vollständigkeit
Als wären die knapp zwölf prall gefüllten Kilometer Regalfäche
des Magazins noch nicht genug, wächst der Bestand unauf-
hörlich weiter. Jährlich kommen rund 30.000 Tonträger hinzu.
Um zuverlässigen Nachschub kümmern sich die Mitarbeiter im
Referat Erwerbung und Erschließung unter Leitung von Wibke
Weigand. Die Abteilung sorgt dafür, dass die deutschen Musik-
verleger und Tonträgerhersteller ihrer gesetzlichen Pficht nach-
kommen und Exemplare ihrer Veröfentlichungen abliefern.
„Das klappt auch sehr gut“, berichtet Weigand. Ganz neue
Herausforderungen stellen sich allerdings seit 2006.
Seitdem umfasst der Sammelauftrag nämlich auch Musik-
Netzpublikationen. Angesichts der veränderten Vertriebs- und
Veröfentlichungswege in der digitalisierten Welt ist das ein
folgerichtiger Schritt. Doch die Archivierung von Werken, die
nicht mehr an einen physischen Träger gekoppelt sind, und die
eigenen Regeln des Internets werfen Fragen auf. Zunächst: Was
eigentlich soll und muss gesammelt werden? Ist etwa ein auf
YouTube erschienenes Musikvideo eine Veröfentlichung im
Sinne des Sammelauftrages? Die zweite Baustelle: Wie kommt
man an die Daten heran, zumal in den gewünschten Formaten
und Qualitäten und unter Wahrung der Urheberrechte? Die
dritte Frage: Wie lassen sich die Daten speichern, sodass sie
auch auf Dauer noch zugänglich sind? „Wir beschäftigen uns
intensiv mit diesen Problemen, fertige Antworten haben wir
allerdings noch nicht – wie übrigens auch sonst niemand“,
gibt Weigand zu. Immerhin, ein vorsichtiger Anfang ist
gemacht: 2011 hat das Musikarchiv die ersten Netzpublikatio-
nen von Noten in seinen Bestand aufgenommen.
Braucht es all das eigentlich noch? Stellen kommerzielle
Internet-Portale heutzutage nicht bereits gigantische Sortimente
zum Download bereit? Die Frage ist erlaubt. Doch es gibt
gravierende Unterschiede. Der vielleicht wichtigste: Während
unternehmerische Anbieter ihre Speicher nach kommerziellen
Maßgaben füllen, orientiert sich das Deutsche Musikarchiv
jenseits von Trends und Nachfrage am Ziel der Vollständig-
keit. Das zeigt sich zum Beispiel im Umgang mit historischem
Material. Zwar setzte die systematische Sammlung des Archivs
erst in den 1970er-Jahren ein, der Bestand wurde und wird
aber auch in die vorangegangenen Jahrzehnte ergänzt. So hat
es die Sammlung der Deutschen Musik-Phonothek, die von
1961 bis 1969 existierte, übernommen. Hinzu sind diverse
Schenkungen und Nachlässe gekommen. Um weitere Lücken
zu schließen, kauft das Musikarchiv Aufnahmen retrospektiv
an (mehr hierzu in HUNDERT #3). Und weil der Sammelauf-
trag es nicht gestattet, zu werten und auszusortieren, fnden
sich im Deutschen Musikarchiv Raritäten und Schätze aller
Art. Das geht so weit, dass von einem Stück jede veröfent-
lichte Einspielung aufbewahrt wird. Mitunter macht genau
das den Unterschied. Ein Beispiel: Einige Monate nachdem
2009 der Song „It’s not fair“ der Popsängerin Lilly Allen auf
den Markt gekommen war, erschien er wegen manch sexueller
Eindeutigkeit neu in nun abgemilderter Form. Will man die
verschiedenen Versionen vergleichen – im Deutschen Musik-
archiv sind sie alle vorhanden.
Wie aber kommen die Töne aus den Magazinen in die Oh-
ren der Nutzerinnen und Nutzer? Besuch bei dem Mann,
der den Bestand des Musikarchivs zum Klingen bringt: Das
Reich von Torsten Ahl umfasst zwei Studios. Geht man von
dem einen in das andere, meint man, eine Zeitreise von der
Gegenwart in die 1970er- und 1980er-Jahre zu machen. Der
erste Raum birgt ein digitales Tonstudio mit einer hoch-
modernen Ausstattung auf allerhöchstem Niveau. „Das ist
das Beste, was man sich als Tonmeister wünschen kann“,
schwärmt Ahl. Wahrhaft beneidet wird er von seiner Zunft
aber um das analoge Tonstudio in dem zweiten Raum mit ro-
busten Bandmaschinen, klobigen Mischpulten und Platten-
spielern aus guten alten Zeiten. Eine Schatzkammer, „in der
man Sachen machen kann, die in modernen Studios nicht
mehr gehen“, so Ahl.
Keine Kompromisse:
Der Wert des vollen Klangs
Diese Studios sind die Brücke, die die Töne analoger Auf-
zeichnungen auf dem Weg zu den Nutzern passieren müssen.
Wird ein Stück im Online-Katalog oder per E-Mail bestellt,
landet das betrefende analoge Medium im Tonstudio, ganz
gleich, ob es sich um eine Musikkassette oder eine Schellack-
platte handelt. Nur die bereits digital verfügbaren Titel sind
unmittelbar im Musiklesesaal zugänglich. Jede Bestellung
„historischer“ Tonträger wird im Tonstudio individuell
g
Der Musiklesesaal ist in einem
Neubau im Innenhof des Haupt-
gebäudes untergebracht. Auf zwei
Etagen bietet er alles Wünschens-
werte, um sich intensiv mit Musik
auseinandersetzen zu können
oder beim Arbeiten zu jedem
anderen Thema ungestört Werken
aus dem reichhaltigen Bestand zu
lauschen.
„Das Beste, was man sich als
Tonmeister wünschen kann.“
In einem Tonstudio digitalisiert
Torsten Ahl bestellte Werke, sei
es eine Musikkassette oder eine
Schellackplatte, und stellt sie
in bester Klangqualität für die
persönliche Benutzung bereit.

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