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WAS SUCHEN
SIE DENN HIER?
Täglich kommen knapp 800 Menschen in die Deutsche
Nationalbibliothek, um sich Medienwerke auszuleihen und in
den Lesesälen zu arbeiten. In dieser Reihe stellen wir jeweils
sechs von ihnen vor: Woran sind sie interessiert? Und warum?
TEXTE: CHRISTIAN SÄLZER / ULRICH ERLER FOTOS: STEPHAN JOCKEL
Wer kommt
warum nach oben?
Kebrom Teklemikael.
Was führt Men-
schen wie René Obermann oder Josef
Ackermann an die Spitze großer Unter-
nehmen? Welche Faktoren prägen solch
steile Aufstiege? Das will der Soziologie-
student genauer wissen: Inwieweit sind
Fleiß und Kompetenz ausschlaggebend?
Welche Rolle spielt die soziale Herkunft?
Diese Frage – Leistung oder Habitus –
hat der 27-Jährige in seiner Magisterarbeit
anhand der Theorien der soziologischen
Klassiker Max Weber und Pierre Bourdi-
eu Monate lang nahezu täglich im Lese-
saal der Deutschen Nationalbibliothek in
Frankfurt am Main gewälzt. Denn anders
als in der Universitäts- oder der Fachbe-
reichsbibliothek sind die Werke, die er
für seine Arbeit benötigt, nie langfristig
verliehen. Mögen Topmanager häufg
Posten und Positionen wechseln – Weber
und Bourdieu stehen in der Nationalbib-
liothek allzeit bereit.
Wie es der
Zufall will
Jana Engel.
Wenn man bei der Recher-
che fndet, wonach man sucht, ist das
schön. Noch schöner ist es, wenn man
fndet, wovon man gar nichts gesucht
hat. Das erlebte die gebürtige Hanno-
veranerin und heutige Meisterschülerin
der Leipziger Hochschule für Grafk und
Buchkunst in der Nationalbibliothek. In
ihrer künstlerischen Auseinandersetzung
mit dem Thema Heimat suchte sie nach
dem Buch „Harzheimat“ von 1924 –
und stieß auf eine im Deutschen Musik-
archiv lagernde Schellackplatte gleichen
Titels des Komponisten Leon Jessel.
Dieser, obgleich Jude, identifzierte sich
mit dem Nationalsozialismus, bis auch
er von den Nationalsozialisten ermordet
wurde. Per Zufall auf dieses Schicksal
gestoßen, will Engel sich ihm in ihrer
Meisterarbeit widmen. Wie genau, ist
noch ofen. Man weiß ja nie, wohin die
Recherche noch führt.
Vom Kindheitstraum
zum Alltag
Lars Bräutigam.
Das erste Mal? Dar-
an erinnert sich der 35-Jährige noch ge-
nau. Ein Schulausfug führte ihn einst
aus der Kleinstadt Zeitz in die Deutsche
Bücherei. Von der Empore aus blickte
er auf die grünen Lampen, das dunkle
Holz und die lesenden Menschen in
der Deutschen Bücherei – und war faszi-
niert. Hier will er auch einmal sitzen, so
der Beschluss. Als junger Student war es
so weit. In den zwölf Jahren, die seitdem
vergangenen sind, hat Bräutigam die Bi-
bliothek fast täglich genutzt. Hier hat er
sein Studium absolviert und als Freibe-
rufer Studien erstellt, hier wird er bald
seine wirtschaftswissenschaftliche Disser-
tation über die „Theorie des Geldes“ fer-
tigstellen. Nur sonntags, wenn das Haus
geschlossen ist, weicht er nach Dresden
und Halle aus. „Andere Leute gehen ger-
ne in Restaurants. Ich gehe eben gerne
in Bibliotheken.“
Und wo geht´s
hier zur Cloud?
Wolfgang Schleicher.
Noch vor einem
Jahr hätte man sich unter einer Master-
arbeit über Cloud-Computing entweder
überhaupt nichts vorstellen können oder
man hätte an eine virtuelle Wolke voller
Bits und Bytes gedacht. Inzwischen ist
klar, dass es darum geht Speicherplatz aus-
zulagern. Dass der Diplom-Wirtschaftsin-
formatiker seine Recherche hauptsächlich
anhand von Büchern in der Frankfurter
Deutschen Nationalbibliothek betreibt,
hat einen handfesten Grund. Im Internet
gibt es zwar eine Vielzahl von White Pa-
pers, die aber alle von Software-Firmen er-
stellt wurden und deshalb die notwendige
Objektivität vermissen lassen. In erster
Linie geht der Computer-Fachmann der
Frage nach, wie speziell kleinere Firmen
durch eine private Cloud Datenspeicher
oder Software über ein externes Netzwerk
nutzen können.
60 Jahre lang
gut bedient
Hero Wolf.
Jetzt geht es rund: Vor 100
Jahren wurde die Deutsche Bücherei ge-
gründet. Vor 80 Jahren wurde Hero Wolf
geboren. Und seit 60 Jahren nutzt sie die
Bibliothek – rekordverdächtig lange. In
der noch jungen DDR kam sie als Stu-
dentin hierher, dann ein ganzes Arbeits-
leben als Expertin für Hirnforschung
„zwischen der Uni Leipzig und der Aka-
demie der Wissenschaften der UdSSR“.
Mit dem Ende der DDR begann ihre
Rente. Doch der Bibliothek ist sie treu
geblieben. Texte zur Humangenetik, die
Dissertation Albert Schweitzers, Bücher
über die Wendezeit, noch heute bestellt
sie eifrig bzw. bittet Mitarbeiterinnen,
die Bestellung für sie zu tätigen. Denn
mit dem Online-Katalog hat sie sich
nicht mehr angefreundet. Ihr Fazit der
sechs Jahrzehnte? „Nirgendwo wurde
und werde ich so gut bedient wie hier.“
Goethe auf
der Spur
Eva Martin.
Wer war Goethe wirklich
– und wenn ja, wie viele? Dieser Frage
geht die Romanistin und Politologin in
der Frankfurter Deutschen Nationalbib-
liothek nach. Etwa zwei Mal in der Wo-
che durchforstet sie Sekundärliteratur.
Anfangs sollte es ein Aufsatz werden, in-
zwischen gibt es konkrete Planungen für
ein Buch. So umfangreich und vor allem
erstaunlich sind die Rechercheergebnis-
se der Mutter in Elternzeit. Man fühlt
sich fast schon an einen historischen
Kriminalfall erinnert. Von einem inzes-
tuösen Verhältnis zu seiner Schwester
Cornelia ist da die Rede, und auch mit
seiner Schwiegertochter Ottilie soll so
einiges gelaufen sein. Doch damit nicht
genug: Das Frühwerk des Dichterfürsten
sei eigentlich ganz anderen zuzuordnen.
Kann das denn möglich sein? Eva Mar-
tin will noch nicht zu viel verraten.

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