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den USA wurde? Asmus erklärt es so: „Die Lebenswege dieser
Menschen sind Teil unserer Geschichte, der zwar intensiv
erforscht, aber in der öfentlichen Wahrnehmung zu wenig
präsent ist.“ Eine Analyse von Schulgeschichtsbüchern habe
kürzlich noch einmal belegt, dass das Thema Exil in der
Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Jahren
kaum vorkommt. Aus dem Land und aus dem Sinn? Ver-
deckt von den Schicksalen jener Millionen Menschen, die
sich seinerzeit nicht ins Ausland retten konnten? Vielleicht.
Darüber hinaus geht es für Asmus im Archiv um mehr als
um Erinnerung. Ihr geht es um die Bedeutung der Geschich-
te für die Gegenwart. „Es ist bekannt, dass wir in einer Welt
der Migration leben. Und ich glaube, dass wir aus den Er-
fahrungen der Emigration von 1933 bis 1945, trotz der sehr
besonderen Umstände jener Zeit, vieles für unseren heutigen
Umgang mit Migration lernen können.“
Genau diesen Tenor hatte auch der ofene Brief mit der
Überschrift „Menschen fallen aus Deutschland“, den die
Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller im vergangenen
Herbst an die Bundeskanzlerin adressiert hat und in dem
sie ein Museum des Exils forderte. Der Ruf ist gehört wor-
den. Im März hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann die
Gelder für den Aufbau eines virtuellen Museums mit dem
Titel „Künste im Exil“ bewilligt. Das Deutsche Exilarchiv
ist in enger Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv
Marbach federführend beauftragt, eine zentrale Plattform zu
erstellen, auf der an die Vertreibungsschicksale von Künstle-
rinnen und Künstlern in der Nazi-Zeit erinnert wird. Ergänzt
werden sollen Berichte über spätere Exile, um so auch für
die Situation heutiger Exilanten zu sensibilisieren. Bereits
2013 werden erste Module online gehen. Dieses verstärkte
Engagement soll ein neues, breiteres Bewusstsein für das Exil
schafen und so auch aktiv gegen Antisemitismus und Frem-
denfeindlichkeit wirken.
Fast zeitgleich hat das Deutsche Exilarchiv eine weitere Aner-
kennung seiner Arbeit erfahren. In Kürze, so der Beschluss,
wird mit der baulichen Erweiterung der Ausstellungsfächen
in der Deutschen Nationalbibliothek begonnen. Mehr Platz
für pädagogische Arbeit, mehr Raum für Ausstellungen und
Veranstaltungen – und mehr Gelegenheit, Zeugnisse des Exils
aus der Dunkelheit der Archivboxen zu holen.
AUSSTELLUNG „FREMD BIN ICH DEN MENSCHEN DORT“
30. AUGUST BIS 20. OKTOBER 2012
Ein Blick in die Sammlung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 in der Deutschen
Nationalbibliothek in Frankfurt am Main (in Kooperation mit dem Deutschen Literatur-
archiv Marbach). Eröffnung: 29. August 2012, 19 Uhr mit Schirmherrin Herta Müller.
Albert Einstein in den USA veröfentlicht haben; da sind
Gutachten Thomas Manns zum Literarischen Preisausschrei-
ben der Deutschen Akademie im Exil, da ist ein Briefwechsel
seines Sohnes Klaus Mann mit Hubertus Prinz zu Löwen-
stein, in dem sie über die Zukunft Deutschlands streiten;
da sind Dokumente, die belegen, dass Bertolt Brecht in den
USA auf Stipendien angewiesen war, und Akten, die die
mühsame Arbeit von Hilfsorganisationen dokumentieren.
Auch 67 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
wächst der Bestand weiter. Mal bietet ein Antiquariatsbuch-
händler ein Werk an, mal ersteigert das Archiv auf einer Auk-
tion gezielt einen Nachlass. Viele Neuerwerbungen stammen
aus Privatbesitz. Um an solche Dokumente heranzukom-
men, erfordert es einen langen Atem. Viele Jahre etwa war
in den USA ein emeritierter Professor für das Frankfurter
Archiv damit beschäftigt, Exil-Material ausfndig zu machen.
Oft braucht es einfach auch Glück. Wer weiß schon, wo
in den USA, den Niederlanden, der Türkei, Israel, Brasilien,
Kenia oder China irgendwo auf einem Dachboden in einer
verstaubten Truhe Briefe lagern, die ein Emigrant vor mehr
als siebzig Jahren verfasst hat? Klar ist nur, dass viele Schätze
noch nicht gehoben sind und es wohl auch nie werden.
Manche litten im neuen Zuhause,
andere wurden schnell heimisch
Über seinen eigentlichen Auftrag hinaus engagiert sich das
Exilarchiv dafür, die kostbaren Erinnerungen nicht nur der
Forschung zur Verfügung zu stellen, sondern auch einer brei-
ten Öfentlichkeit bekannt zu machen. Regelmäßig bringt es
Publikationen heraus, organisiert Veranstaltungen und be-
spielt die Ausstellungsfäche im Eingangsbereich der Natio-
nalbibliothek in Frankfurt am Main. Am 29. August ist es
wieder soweit – mit einer besonderen Präsentation. Im Rah-
men des Programms des Jubiläumsjahres der Deutschen Nati-
onalbibliothek und in Kooperation mit dem Deutschen Lite-
raturarchiv Marbach werden unter dem Titel „Fremd bin ich
den Menschen dort“ knapp zwanzig Biografen überwiegend
unbekannter Emigranteninnen und Emigranten ausgestellt.
Ihre Lebenswege sollen deutlich machen, wie unterschiedlich
die Erfahrung des Exils gewesen ist: Manche litten im neu-
en Zuhause unter Fremdheit und sehnten sich zurück nach
Deutschland, andere wurden am neuen Ort heimisch; eini-
ge erlebten einen sozialen Abstieg, andere machten Karriere.
Viele brachen ihre Zelte so bald als möglich ab und kehrten
zurück, andere wurden sesshaft und haben Deutschland nie
wieder betreten. Deutlich wird auch, dass ihre Präsenz, so wie
ihr Fortgang hierzulande Lücken gerissen hat, die Aufnahme-
länder verändert und oftmals bereichert hat.
Ist all das heute überhaupt noch wichtig und interessant?
Warum sich ein Krefelder Jugendlicher 1936 in Palästina ein-
sam fühlte oder wie glücklich eine Wiener Rechtsanwältin in
Oben:
Zum Nachlass von Eric Schaal, der im
Exil in den USA zu einem erfolgreichen Kunst-
und Künstlerfotografen wurde, gehören
auch Tage- und Adressbücher.
Rechts:
In ihrer Arbeit haben die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter des Archivs – hier Leiterin
Dr. Sylvia Asmus – nicht nur mit Werken zu tun.
Bei der Erschließung der Nachlässe sind sie
unmittelbar mit Menschen und ihren Schicksa-
len konfrontiert.
Unter den Emigranten waren auch viele ange-
sehene Künstler und Wissenschaftler. So
umfasst der Bestand Veröffentlichungen von
Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Sigmund
Freud, Thomas Mann, Anna Seghers und
Stefan Zweig.

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