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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 98

2.
Kommerzielle Dokumentlieferdienst-Nutzung an der Bibliothek der WU Wien


Erfahrungsbericht aus der Bibliothek der Wirtschaftsuniversität Wien

Michael Bracsevits

Die Fernleihe und die Dokumentenbeschaffung sind in Österreichs Bibliothekswelt seit jeher ein Stiefkind. Erst jetzt beginnen zögernd die ersten Veränderungen, vor drei Jahren gab es nicht mehr als ein paar Projekte, ein paar Einzelinitiativen, die eine oder andere Arbeitsgruppe, und viel Gejammer seitens der Benutzer ob der langen Lieferdauer. Jetzt, 1998, gibt es ein paar Projekte, ein paar Einzelinitiativen, die eine oder andere Arbeitsgruppe und viel Gejammer ob der langen Lieferdauer. Alle Hoffnung richtet sich derzeit in Österreich auf ein neues flächendeckendes Bibliothekssystem, das soll langfristig alle Probleme lösen, allerdings ist moderne Literaturbeschaffung mehr als nur das Anfordern von Büchern per Mausklick.

Das Fehlen der Möglichkeit schneller Dokumentlieferung war einer der Gründe, warum wir an der Bibliothek der WU nach Alternativen zu suchen begannen. Daher haben wir vor rund drei Jahren mit der Nutzung kommerzieller und öffentlicher Dokumentlieferdienste begonnen.

Grund dafür war die zunehmende Frustration unserer Benutzer über die Langsamkeit und "Begrenztheit" der traditionellen Fernleihe. Wie in vielen Bibliotheken, stehen Literatursuchenden in der WU zahllose Datenbanken auf CD-ROM zur Verfügung. Die darin durchgeführten Suchen sind zwar meist von Erfolg gekrönt, in den seltensten Fällen hat der Suchende aber nachher mehr als eine Fülle von Abstracts und Literaturzitaten; Volltexte sind rar. Und wenn vorhanden, machen Sie meistens eher Appetit auf mehr, die Suche nach den kompletten Beiträgen oder zusätzlichen Artikeln geht also weiter.

Nach einer weiteren ermüdenden Recherche kamen die Studenten oder auch Assistenten, Professoren und Institutssekretärinnen dann häufig in die Fernleihestelle der Bibliothek. Wir haben dann versucht, die gewünschte Literatur zu besorgen, scheiterten aber in vielen Fällen entweder daran, daß wir die zitierten Bücher, Working Papers oder Zeitschriftenartikel nicht fanden, oder daß die Lieferung einfach nicht in einer für den Kunden der Bibliothek vertretbaren Zeit möglich war.

Es ist für Benutzer heute nicht mehr einsehbar, wie es möglich ist, daß er einerseits in Datenbanken in wenigen Stunden hunderte Beiträge finden kann, die für seine Arbeit relevant sind, er zusätzlich im WWW in Bibliothekskatalogen weltweit recherchieren kann, die Beschaffung dieser Literatur aber entweder endlos dauert oder laut Bibliothek überhaupt unmöglich ist. Ich habe hier absichtlich die Formulierung "laut Bibliothek" gewählt, weil im Regelfall der Benutzer noch auf "seine" Universitäts-, Stadt- oder Landesbibliothek angewiesen ist, er daher nicht oder kaum überprüfen kann, ob mit einigem gutem Willen die Bestellung nicht doch durchführbar wäre.

Die Kostenfrage ist für die meisten Benutzer sekundär, natürlich hat nicht jeder Student unbegrenzte Mittel für die Beschaffung von Literatur zur Verfügung, auch die Budgets der universitären Einrichtungen sind begrenzt, aber prinzipiell ist die Bereitschaft zur Kostenübernahme bei gleichzeitiger Verbesserung der Dienstleistung sehr hoch.

Um diesbezüglich einen Fortschritt zu erzielen, schloß die Bibliothek der WU zunächst Kontrakte mit den beiden amerikanischen Anbietern UNCOVER und UMI ab. Das Problem bestand zunächst aber darin, unsere Quästur davon zu überzeugen, uns das für die Errichtung eines Accounts (also eines Kontos, auf das im voraus eine Summe eingezahlt wird) nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Einzelbestellungen sind zwar bei praktisch allen Anbietern möglich, aber aufgrund der teilweisen exorbitanten Gebühren nicht wirklich empfehlenswert.

Außerdem ist in vielen Fällen die Verwendung einer Kreditkarte verpflichtend, eine Anforderung, die wir nicht erfüllen können, da in Österreich für öffentliche Einrichtungen die Ausstellung einer Kreditkarte praktisch unmöglich ist. (Auch hier haben wir aber die Hoffnung auf eine rasche Änderung, denn man merkt immer öfter, daß eine Beschaffung von Literatur ohne Kreditkarte, vor allem aus Amerika, in vielen Fällen nicht mehr möglich ist).

Anfangs wurde dieser neue Service eher zögernd angenommen. Gründe dafür waren einerseits das Nichtwissen, auch in der Bibliothek selbst, über dieses zusätzliche Angebot und anderseits die Unsicherheit für den Benutzer über die für ihn entstehenden Kosten bzw. die Vorteile gegenüber der herkömmlichen Fernleihe.

Hier lag auch zunächst eine Keimzelle für die ersten Schwierigkeiten, man sah die neuen Dienste als Konkurrenz zur Fernleihe, die Benutzer wußten nicht so recht, an wen sie sich wenden sollten, und uns selbst fehlten einfach noch die Erfahrungen, inwieweit man mit den neuen Anbietern auch wirklich neue Wege gegangen war, da man mit Fernleihe gedanklich eher endloses Warten verband und nicht rasche, kundenfreundliche Literaturversorgung.

Die ersten Bestellungen führten aber dann sehr schnell zu einem Umdenken, wir waren gewohnt, auf einen Artikel nahezu unbegrenzt zu warten, da es ja so etwas wie eine garantierte Lieferdauer bei der traditionellen Fernleihe nicht gibt. Wer dann aber erstmals erlebt, wie ein Artikel per Fax kommt, kaum daß man letztmals die "Enter"-Taste gedrückt hat, um die Bestellung zu bestätigen, beginnt sich sehr schnell mit den neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.

Die Geschwindigkeit war das Eine, was uns beeindruckte, dazu kam aber die Kundenfreundlichkeit, man kam sich nicht mehr wie ein Bittsteller vor, sondern verstand, daß man als Kunde ernstgenommen wurde.

Die Anforderungen für die Bibliothek haben sich rasant geändert, was ziemlich gleich blieb, war das Denken in den Dienststellen. Eine Bestellung per Fernleihe wird in vielen Fällen immer noch als Zumutung empfunden, sowohl bei der bestellenden Bibliothek, die ja schließlich die Arbeit der Abwicklung hat, als auch bei der liefernden Bibliothek, die einen Benutzer bedienen soll, den sie nie zu Gesicht bekommt.

Es dauert eine Weile, bis man all die eklatanten Unterschiede zwischen traditioneller und kommerzieller Bestellung erfaß hat, am wichtigsten erscheint mir aber immer noch, daß ein Dokumentlieferdienst eine Leistung garantiert, während eine traditionelle Bestellung praktisch gewährt wird.

Frei nach Umberto Eco, der in seinem Essay "Wie man eine öffentliche Bibliothek organisiert" zur Fernleihe meint, sie sollte am Besten schlichtweg unmöglich sein oder aber auf jeden Fall Monate dauern.

Damit will ich jetzt aber nicht sagen, daß in allen Fernleihestellen nur Unmut über die einlangenden Bestellungen herrscht. In vielen Fällen ist es nur Dank des großen Einsatzes des Personals, das häufig unter sehr widrigen Umständen arbeiten muß, überhaupt möglich, daß die Versorgung und Beschaffung von Literatur noch funktioniert, und damit aber, und das wird gerne vergessen, das wissenschaftliche Arbeiten.

Die Zahlen der Fernleihebestellungen steigen praktisch europaweit rasant an, die personelle und technische Ausstattung hinkt dieser Entwicklung aber weit hinterher. Das Ansehen der Fernleihe ist also relativ gering, die Schuld des Personals aber meistens ebenso. Daher darf es einen nicht wundern, wenn die Bereitschaft zu Sonderleistungen nicht gerade die Norm ist. Den Dank für die Tausenden klaglos funktionierenden Bestellungen erhält selten die Fernleihe, im Regelfall ist es einfach eine Zahl im Jahresbericht, mit der man sich brüstet, aber gerade die Fernleihe wäre eine Möglichkeit zu punkten, neue Wege zu gehen und sich in ändernden Zeiten anders zu präsentieren.

Dazu bräuchte man aber hoch motiviertes, und ich möchte fast sagen, neugieriges Personal, neugierig auf Neuerungen, aufgeschlossen für Umbrüche und auch mit einer "amerikanischen" Einstellung, also mit der, den Benutzer und nicht die Bücher als das Wichtigste in der Bibliothek zu sehen. Änderungen, vor allem in der Ausbildung sind dringend erforderlich, eine Fernleihe im traditionellen Sinn wird es bereits in wenigen Jahren nicht mehr geben.

Interessanterweise ist aber auch das Image der Document Delivery Services, egal ob jetzt kommerzieller oder öffentlicher Ausrichtung, nicht gerade das Beste. Die Schuld liegt aber häufig daran, daß man die Qualitäten der Anbieter nicht richtig nutzt, beziehungsweise sich nicht richtig darüber informiert.

Wenn man bei UNCOVER einen Artikel bestellt, und er wurde nicht nach drei Tagen geliefert, hat es keinen Sinn darüber zu klagen, sondern man muß reklamieren, die Garantien des Anbieters einfordern.

Wenn man einen falschen oder unvollständigen Beitrag erhält, kann man bei der traditionellen Fernleihe nur zähneknirschend eine weitere Bestellung ins Kuvert stecken, bei einem Lieferdienst muß es einen Ansprechpartner geben, der die Reklamation innerhalb kürzester Zeit erledigt.

Man ist es nur gar nicht gewohnt, diese Verpflichtungen einzufordern, man will ja nicht lästig sein, aber es geht hier ja nicht um die eigene Person, sondern man handelt hier im Auftrag des Kunden der Bibliothek.

Nachdem die Zahl der Bestellungen stetig zunahm, 1997 hat die Zahl der Document Delivery Bestellungen an der WU erstmals die Zahl der traditionellen Fernleihe überschritten, und das gleich um mehr als die Hälfte, war klar, daß der neue Dienst auf eine neue Basis gestellt werden mußte.

Es wurde ein Document Delivery Service eingerichtet, das sehr eng mit der Fernleihe zusammenarbeitet. Der Benutzer weiß manchmal gar nicht, auf welche Art ihm der gewünschte Beitrag beschafft wird, es wird manchmal erst im Zuge der Recherche klar, wer die Bestellung durchführt.

Wir bestellen praktisch keinen Zeitschriftenartikel aus dem Ausland mehr auf traditionelle Art, aber auch bei Büchern nutzen wir bei jeder Gelegenheit die Möglichkeiten des Internet und der damit verbundenen Beschleunigung. Stark wird der Bereich der Bestellungen und Anfragen mit E-Mail forciert, das ist zwar personell gesehen eine Spur aufwendiger als bisherige Methoden, bringt aber von der Erledigungsdauer sehr, sehr viel.

Mit UNCOVER und UMI haben wir begonnen, mittlerweile kamen viele Anbieter dazu, die wir als Lieferanten genutzt haben. In Deutschland sind dies vorwiegend JASON und SUBITO, das Preis/Leistungsverhältnis ist bei beiden im Regelfall sehr gut, was generell im deutschsprachigen Raum noch ein Problem darstellt, ist der Umgang mit "Fehlern". Die Qualität eines Lieferdienstes zeigt sich sehr häufig erst, wenn einmal etwas nicht funktioniert. Wenn eine falsche oder unvollständige Lieferung erfolgt, und der Kunde reklamiert, so dauert die Abwicklung der Reklamation meistens länger als die ursprüngliche Zustellung. An sich müßte man bei Nichterfüllung der versprochenen Konditionen entweder von der Zahlung absehen oder aber einen Bonus einfordern, schließlich hat man ja seinem Benutzer gegenüber ebenfalls eine Verpflichtung.

Ein weiteres Manko, vor allem bei etlichen Bibliotheken, die bei SUBITO beteiligt sind, ist die mangelnde Transparenz bei Rechnungen. UNCOVER bietet zum Beispiel regelmäßige Kontoauszüge, wo man findet, bis zu welchem exakten Zeitpunkt die Bestellung aufgegeben wurde, wo man alles findet, was für die korrekte Zuordnung einer Bestellung wichtig ist.

Das Finden eines Ansprechpartners ist in vielen Bibliothek ebenfalls eine sehr mühsame Angelegenheit. Die Homepage sollte Aufschluß darüber geben, wer wofür zuständig ist, aber häufig scheitert die Kontaktaufnahme und damit das unkomplizierte und rasche Kommunizieren einfach daran, daß entweder die E-Mail-Adressen nicht (mehr) stimmen oder einfach nicht vorhanden sind.

Viele Bibliotheken nützen das Internet zur Selbstdarstellung, vergessen aber vor lauter Begeisterung über die Möglichkeiten des WWW, was einen Benutzer, egal ob er eher zufällig oder bewußt bei der betreffenden Seite gelandet ist, am meisten interessiert :

Zunächst einmal der Katalog und später, wie er dann die Literatur schnell und unkompliziert bekommen kann. Für eine spezielle Anfrage, z. B. das Reklamieren einer Rechnung, sollte eben ersichtlich sein, an wen man sich dafür wenden muß, ohne dafür stundenlang zu suchen. Wenn man Teil eines Document Delivery Services sein will, muß man gewisse Mindestanforderungen erfüllen. Auch die Homepage von SUBITO war da anfangs immer ein wenig hinterher, es gab Ansprechpartner, deren E-Mail-Adressen nicht mehr stimmten, oder falsche Preisangaben.

Der Vorteil vieler Anbieter, vor allem im angloamerikanischen Raum, besteht aber zusehends in der sofortigen Verfügbarkeit von Texten. Durch die elektronische Speicherung ist ein unmittelbarer Zugriff ohne Zeitverzögerung möglich. Daraus resultieren dann auch Erfüllungsquoten bei Bestellungen von nahezu 100 Prozent. Der Preis dafür ist aber auch nicht höher als für eine Expresslieferung im Rahmen von SUBITO.

Die Zahl der Anbieter im Bereich des Document Delivery ist schon unübersehbar geworden, wir nutzen zusehends auch die "Exoten", ein interessantes Beispiel dafür ist Northern Light, die Kombination aus Internet-Suchmaschine und Document Delivery-Dienst, ein Artikel ist dort schon ab einem Dollar abrufbar, wenn man eingetragener Kunde ist, manchmal sogar umsonst, und bei Nichtgefallen gibt es das Geld zurück.

Man wird sehen, inwieweit sich so ein Angebot halten kann, aber um konkurrenzfähig zu bleiben, wird es nötig sein, den Kunden klarzumachen, warum er jetzt einen bestimmten Anbieter regelmäßig nutzen soll.

Einrichtungen wie der Leitweg sind im Prinzip Geschichte, als nächstes wird aber die Beschaffung von Literatur und damit von Information überhaupt anders ablaufen, man kann heute in Frankfurt sitzen und einen Artikel bei der australischen Nationalbibliothek bestellen, obwohl es die betreffende Zeitschrift auch in Hamburg gibt, auch Privaten stehen diese Möglichkeiten ja zunehmend offen. Und speziell die Wirtschaft wird auch so vorgehen, dort wo Geschwindigkeit gefragt ist, wo es auf zuverlässige Erfüllung von Lieferkonditionen ankommt, werden die Anbieter übrig bleiben, die den besten und umfassendsten Service haben, es kommt zur Konkurrenz unter den Bibliotheken, und all die uns so teuren (im ideellen wie auch im materiellen Sinn) Einrichtungen, die wir mit der Bibliothek von heute verbinden, werden nur mehr finanzierbar sein, wenn man mithalten kann, sei es als Vermittler oder als Anbieter von Information.

Die Bibliotheken verlieren hier, wenn man so will, auch ihren Sonderstatus. Eine Entwicklung, die aber nicht unbedingt zu bedauern ist, warum sollte ausgerechnet dieser Bereich ausgeklammert bleiben, wie sollte man auf Dauer rechtfertigen, daß "draußen" im normalen Leben alles auf den Kopf gestellt wird, von jedem Dienstnehmer ständig ein Mehr an Produktivität gefordert wird, während den Bibliotheken nichts anders einfällt, als darüber zu jammern, daß sie nicht mehr Posten und Geld bekommen.

Neue Wege werden auch neue Benutzer erschließen, neue Geldquellen und ein neues Selbstverständnis mit sich bringen.

Wichtig wäre das Zusammenführen von Fernleihe, Document Delivery Service und Informationsbeschaffung, eine gemeinsame Abteilung sollte entstehen, die praktisch alle Bestellungen, alle Recherchen, und soweit möglich, auch alle Lieferungen an den Kunden elektronisch abwickelt.

Gerade die Nutzung der Dokumentlieferdienste bietet hier ja bereits heute, aufgrund der Flexibilität bei den Lieferarten, alles, wovon die Bibliotheksbenutzer immer träumten. Ein Professor, ein Student, vor allem aber auch Firmen, können heute Artikel beim Document Delivery Service der WU-Bibliothek bestellen, dort wird recherchiert, es erfolgt zum Beispiel eine Bestellung bei SUBITO, die Lieferung kann direkt an den PC des Bestellers geschickt werden, und er erhält einen Erlagschein für den Kostenersatz. Der Kunde hat die Bibliothek damit nie betreten und sie doch genutzt. Keine Diskussion mehr wegen zu kurzer Öffnungszeiten der Fernleihestellen, keine Klagen mehr über wochenlanges Warten.

Es wird aber auch die Suche nach Volltexten im Internet durchgeführt, man kann nicht erwarten, daß jeder Benutzer ein Internet-Experte ist, und das Finden von "Information" im Internet gehört mit Sicherheit zu den Dingen, die in der Zukunft eine sehr große Rolle spielen werden, Informationsexperten sind bereits heute gesuchte Leute.

In vielen Fällen kann durch das Zusammenspiel von Fernleihe und Document Delivery Service beiden geholfen werden, vor allem aber dem Kunden. Unvollständige oder falsche Zitate, die früher eine Fernleihebestellung oft verhindert haben, lassen sich heute durch eine Recherche im WWW oft verifizieren. Man kann elektronisch recherchieren, dann aber konventionell bestellen.

Dazu kommt, daß viele Dokumente heute sofort benötigt werden, manchmal aber gedruckt noch gar nicht (oder auch nie) vorliegen, ein Beispiel aus der Praxis war das Agreement, abgeschlossen zwischen den Bürgerkriegsparteien in Nordirland, das von einem Assistenten der Wirtschaftsuniversität Wien drei Tage nach der Vertragsunterzeichnung gebraucht wurde. Der Benutzer konnte nicht warten, bis irgendwo in einer Bibliothek dieses Dokument vorhanden sein würde, er hatte eine Studie abzuschließen, das Einbinden dieses Textes war nötig, mit einer Recherche im Internet ließ es sich in wenigen Minuten finden, und der Kunde wird bei Debatten, die es derzeit wohl an fast jeder Universität gibt, den Sinn einer Einrichtung wie der Universitätsbibliothek vermutlich anders vertreten als vorher.

Dieses, trotz aller Erfahrung doch noch recht neue Angebot an der Bibliothek der WU wird nahezu täglich vermehrt genützt, daher steigt natürlich das Problem, die einlangenden Bestellungen mit der nötigen Schnelligkeit (sonst würde eine Informationsbeschaffungsabteilung ja wieder ad absurdum geführt werden) zu bearbeiten. Da neue Posten (zu recht) praktisch in keiner öffentlichen Einrichtung derzeit in Sicht sind, wird man in vielen Fällen umstrukturieren müssen, will man den neuen Anforderungen gerecht werden. Bereiche wie Katalogisierung, Beschlagwortung, Erwerbung werden mit neuen Bibliothekssystemen, mit den neuen technischen Möglichkeiten überhaupt, weniger arbeitsintensiv und vor allem weniger gebraucht werden. Wenn man die "Lernfähigkeit" der Suchmaschinen im Internet beobachtet, sieht man auch, wie rasch die Aufarbeitung und Nutzung von Daten, ganz ohne Bibliothek, möglich ist.

Auch Document Delivery und Informationsbeschaffung muß nicht in der Bibliothek stattfinden, noch kommen die Benutzer mangels Alternativen. In den USA ist aber bereits ein starker Trend zu rein kommerziellen Anbietern zu erkennen, der sicher auch, mit den weiteren technologischen Fortschritten, zu uns kommen wird. Damit droht dann aber auch tatsächlich eine Zweiklassengesellschaft im Bereich der Forschung, je mehr Information kostet, um so weniger werden dafür bezahlen können.

Wünschenswert wäre neues Denken in den Bibliotheken und ein neuer Zugang zu diesen Bereichen. Der Student von heute ist der Kunde von morgen, wenn er später selbst einen Betrieb leitet, eine Führungsposition innehat oder in der Forschung tätig ist, wird er die Wahl haben, auch weiterhin auf die Bibliothek zurückzugreifen, wenn er "Informationen" braucht, oder er wird gar nie auf die Idee kommen, die Bibliothek aufzusuchen, die ihm schon seinerzeit während des Studiums nicht wirklich viel gebracht hat.

Die Wirtschaft wird aber die Bibliotheken von morgen bezahlen müssen, es ist keine Schande, mit dem Wissen, das hier gesammelt ist, Geld zu machen, in neuen Wegen der Zusammenarbeit mit Verlagen und Autoren. Die meisten heute kommerziellen Dokumentanbieter haben einen "nicht kommerziellen" Ursprung.

Wenn man in der modernen Informationsgesellschaft eine Rolle spielen will, und die Weichen dafür sind längst gestellt, muß man sich den neuen Möglichkeiten und auch der neuen "Unübersichtlichkeit" stellen. Beim Aufbau eines Document Delivery Service zahlt man natürlich sein Lehrgeld. Aufgrund der Fülle an Anbietern, verzettelt man sich sehr leicht und verliert den Überblick, inwieweit z. B. der Abschluß von Accounts bei einzelnen Lieferanten sinnvoll ist. Es hat keinen Sinn, 100 Accounts zu haben, bei denen man dann jeweils einmal im Jahr eine Bestellung tätigt. Auch wir haben hier einige Fehler gemacht. Man findet heute Anbieter, die sich auf jedes nur erdenkliche Fachgebiet spezialisiert haben, auch geographisch gibt es Delivery Services von Argentinien bis Zypern.

Ratsam sind außerdem auch permanente Kontrollen, ob nicht Änderungen eingetreten sind (neue Anbieter, Verlagerungen bei den Schwerpunkten der Bestellungen), die eine Umschichtung des gebundenen Kapitals erfordern.

Die Mitarbeiter eines Document Delivery Service sollten auch Zeit und Spielraum für Experimente, vor allem aber auch für Weiterbildung haben, in diesem Bereich ist Wissen innerhalb kürzester Zeit bereits wieder entwertet. Nur permanentes Arbeiten bringt einem die Routine, die für qualifiziertes "Finden" nötig ist.

Die Weiterentwicklung und Zunahme der Dokumentenbeschaffung wird auch neue Fragen bezüglich der Erwerbspolitik in den Bibliotheken aufwerfen. Im deutschsprachigen Raum gibt es darüber noch nicht sehr viel relevante Literatur, aber auch hier hat die Debatte "access versus ownership" begonnen.

Auch bei den Monographien wird sich, aufgrund sinkender Etats für den Ankauf, immer häufiger die Frage stellen, ob nicht eine rasche Leihe billiger kommt als eine Erwerbung für eine einzige Verwendung. Das erfordert dann auch wiederum neue Überlegungen, inwieweit die Beschaffung von Literatur, im Rahmen der Fernleihe oder des Document Delivery, nicht ebenfalls aus den Bibliotheksbudgets zu tragen wäre. Im Regelfall wird der Benutzer ja mehrmals dafür "gestraft", wenn er einen Literaturwunsch hat, der nicht in "seiner" Bibliothek vorhanden ist. Er kann es nicht sofort haben, er muß lange darauf warten, und er soll es anschließend auch noch bezahlen.

In vielen Fällen ist es ja außerdem noch immer so, daß aus Gründen der Kameralistik Geld auf jeden Fall ausgegeben werden muß, ein System, das gerade auch im Bereich der Literaturerwerbung sicher ausgedient hat, sinnvoller wäre sicher ein Budget für "externe" Beschaffungen, da könnte dann auch gezielt etwas für Studierende und Forschende getan werden, die nur über begrenzte Mittel verfügen. An der WU-Bibliothek haben wir derzeit einen Pauschalpreis für Artikelbestellungen eingeführt, das ist für die Besteller auch transparenter, weil sie wissen, in welcher Höhe Kosten auf sie zukommen, bei den meisten Bestellungen decken sich auch ungefähr die kassierten Beträge mit den Aufwänden, die die Bibliothek hatte. Der Pauschalpreis beträgt für WU-Angehörige 110,- ATS (rund 15,- DM).

Die Zukunft wird zeigen, inwieweit im Rahmen einer Universitätsbibliothek Bedarf für eine Einrichtung wie ein Document Delivery Service besteht, wir sind aber überzeugt davon, daß Informationsbeschaffung zu einer Bibliothek gehört, ja eine ihrer ureigensten Aufgaben ist, es wäre schade, wenn sich diese Sparte nur außerhalb von universitären, aber auch öffentlichen Bibliotheken weiterentwickeln würde. Die Sinnkrise der "traditionellen" Bibliotheken wird sonst sicher weiter zunehmen, wenn man nicht bereit ist, sich zu ändern.

Im Rahmen des Document Delivery Service an der Bibliothek der WU ist uns aber auch bewußt geworden, wie sehr die Qualität eines solchen Dienstes von der Qualität seiner Lieferanten abhängig ist, gerade aus Deutschland haben wir hunderte Bestellungen rasch und unbürokratisch erhalten. Wir wollen uns auf diesem Weg einmal bei allen, die uns geholfen haben, bedanken: Ändern Sie sich nicht, bleiben Sie wie Sie sind !


Stand: 09.12.98
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