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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 4, 98

Bibliotheksmanagement: Informationen aus dem DBI


Am 13.10.1997 fand in Göttingen der Round Table der DBI-Kommission Organisation und Betrieb zum Thema "Neue Organisationsstrukturen in Bibliotheken" statt. Die Beiträge zu dieser Veranstaltung werden in loser Folge im BIBLIOTHEKSDIENST veröffentlicht.

Dezentralisierung, Ablauforganisation und Gruppenarbeit in der Stadtbibliothek Paderborn

Dieter Kranstedt

Dieser Kurzbeitrag zum Thema "Neue Organisationsstrukturen" enthält eine Schilderung der Erfahrungen im Paderborner System mit der Reorganisation. Er beschränkt sich dabei auf wenige, dem Autor aber wichtig erscheinende Erkenntnisse/Erfahrungen.

Strukturelle Überlegungen

  1. Die Einführung des Neuen Steuerungsmodells in einer Verwaltung (oder zunächst in einem Fachamt) sollte im "Gegenstromverfahren" erfolgen, d. h. die Verwaltungsspitze muß Umstrukturierungsziele vorgeben bzw. benennen, die dann auf Ausführungsebene (in Paderborn die Fachamt-Ebene) operativ umgesetzt werden.
  2. Die Schwierigkeiten im "Paderborner Modell" lagen und liegen weiterhin im Fehlen derartiger strategischer Vorgaben zur Verwaltungsreform. Diese konzeptionelle Schwäche erweist sich aber auch als Vorteil für die Bibliothek; sie kann und konnte ihre Strukturvorstellungen, wie vor allem auch die Gestaltung der Instrumente bisher weitestgehend selbst bestimmen.
  3. Da der Auftrag an die Bibliothek als Pilotprojekt zu fungieren, bereits Mitte 1993 erfolgte, also zu einem Zeitpunkt, als lediglich die theoretischen Vorstellungen der KGSt zum Neuen Steuerungsmodell vorlagen, Praxisbeispiele in vergleichbaren Städten noch in den allerersten Ansätzen steckten (in Hamm, Heidelberg, Köln oder Göppingen), mußten neue Strukturen und neue Instrumente weitestgehend "erfunden" bzw. zunächst versuchsweise erprobt werden (z. B. Gruppenarbeit oder eine Kosten-Leistungsrechnung, ein Berichtswesen etc.)
  4. Als struktureller Mangel müssen im nachhinein weiterhin die nicht vorhandenen "Konzeptionen" genannt werden. Für tiefgreifende Organisationsveränderungen, wie sie das Neue Steuerungsmodell vorsieht, sind "Perspektivpläne" für alle Seiten unerläßlich, für die Mitarbeiter, das Management, die Administration wie für den Rat.
  5. Für das Pilotprojekt lag zunächst lediglich ein bescheidener Bibliotheksentwicklungsplan vor: Die Dezentralisierungsvorstellungen zum Sortiment, also die Filialisierung des Bestandes in sog. "Kabinette": hier die Anzahl und die Lokalitäten.
  6. Es fehlte 1993 ein Organisations- sowie ein Personal-Entwicklungsplan. Die Organisationsentwicklung, d. h. die Beschreibung der schrittweisen Implementierung des Neuen Steuerungsmodells erfolgte allerdings in jährlichen Arbeitsplänen, die mit einer Leitungsgruppe1) und der Politik abgestimmt wurden; eine Gesamtentwicklungs-Skizze aber fehlte.
  7. Ein Personalentwicklungskonzept wurde zwei Jahre nach Beginn der Projektphase - 1996 - konzipiert. Für die Motivation der Mitarbeiter wie für das Gelingen derartiger Reorganisationen sind aber - nach unserer Erfahrung - exakt definierte und mit allen Beteiligten diskutierte Entwicklungsschritte unerläßlich.
Begleitende Fortbildungsmaßnahmen

  1. Die Transformation einer zentralistisch, hierarchisch angelegten Verrichtungs-Organisation in eine dezentrale, teamorientierte Prozeßorganisation verlangt eine Begleitung mit intensiven Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Nicht nur Informationen über die sich verändernde Arbeitssituation, sondern vor allem Ermunterung und Befähigung zur mentalen Bewältigung der Umstellungen am Arbeitsplatz sind von Nöten.
  2. Trainingsprogramme mit externen Moderatoren zu sog. Schlüsselqualifikationen im Neuen Steuerungsmodell wie Sozialkompetenz für Teamarbeit, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sind unerläßlich; aber auch zur Selbstkompetenz, für die Bereitschaft von Mitarbeitern zur Übernahme von Verantwortung, zu persönlicher Flexibilität, zur zeitlichen und sachlichen Selbstorganisation usw.
  3. Bewährt haben sich in unserem Hause auch Seminare zu Marketingkonzepten für die einzelnen Kabinette (mit den entsprechenden Kabinett-Gruppen) mit Fachleuten.
Spezielle Probleme eines Pilotanwenders

  1. Eine große Problematik für Pilot-Anwender liegt in der Verwaltungsauflage, daß die neuen Strukturen wie die neuen Instrumente in einem bestimmten Umfang zu den bisherigen Verfahren und Instrumenten in der Stadtverwaltung kompatibel sein müssen (z. B. die Kostenarten im Betriebsabrechnungsbogen auch weiterhin im Haushaltsplan darstellbar sein müssen).
  2. Schwierigkeiten zeigen sich hierbei vor allem im Personalbereich bei der Gestaltung des Stellenplanes, den Stellenbeschreibungen, den Bewertungen u. ä., so ziemlich zu allen geltenden Regelungen wie Gesetzen. (Die Deckungsfähigkeit zwischen Personal- und Sachkosten im Pilotprojekt Stadtbibliothek bedarf z. B. der Zustimmung des Innenministers in NRW; die Anordnungskompetenz von Gruppenleitern einer Ausnahmeregelung zur gültigen Geschäftsordnung der Stadtverwaltung.)
  3. Die Verschiedenheit wie die teilweise Unvereinbarkeit der "Logik" einer hierarchisch geordneten Zentralverwaltung mit der andersartigen "Logik" eines dezentralen Neuen Steuerungsmodells birgt zwangsläufig Konfliktstoff in sich.
  4. Lösungen werden oftmals nur auf "übergeordneten" Ebenen (z. B. auf Dezernats-Ebene) gefunden. Das sind die Herausforderungen, aber auch die Chancen eines Pilotanwenders.
Personalpolitik

  1. Aus Sicht der Bibliotheksleitung ist sicherlich die Personalpolitik bei dem Reorganisationsprozeß die schwierigste, aber alles entscheidende Herausforderung bzw. Aufgabe. Die Besetzung der Gruppenleiter-Positionen (für die vertikale Struktur) und der Einsatz der Moderatoren für die Querschnitt-AG's (horizontale Struktur) bedarf größter Sorgfalt. Diese "Schlüsselfiguren" tragen die neue Struktur; sie sind auch die wesentlichen "Multiplikatoren" (Meinungsmacher) für die Einstellung der Belegschaft zu den Veränderungen.
  2. Dezentralisierung beinhaltet u. a. Dekonzentration. Im Rahmen einer "schlankeren" Organisation entfallen in der Stadtbibliothek Paderborn die Abteilungsleiter-Positionen
  3. Die Kompetenz-Umverteilung von oben nach unten stellt große Anforderungen an die Bibliotheksleitung wie die betroffenen Führungskräfte. Die Beschneidung von Machtbefugnissen ist schmerzlich und verlangt Persönlichkeiten, die derart tiefe Einschnitte in klassische Leitungsaufgaben "zulassen". Eine humane und allseits befriedigende Lösung dieses Problems ist in unserem Hause bisher nur teilweise gelungen; es bedarf quasi kontinuierlicher Anstrengung - auch meinerseits - den Status-Verlust zu verschmerzen und neue Rollenfunktionen anzunehmen.
  4. Motivation ist ein entscheidendes Moment im Neuen Steuerungsmodell. Ein richtiger Zuschnitt von eigenverantwortlichen Handlungsspielräumen ist deshalb bei der Gestaltung des neuen Steuerungssystems von so großer Bedeutung.
  5. Leider stehen der Gewährung monetärer Leistungsanreize z. Z. noch so ziemlich alle Verwaltungsregelungen (incl. dem BAT) entgegen. Trotzdem konnte in unserem Hause eine Gehaltsstruktur realisiert werden, in der z. B. alle Gruppenleiter eine BAT-Stufe höher eingruppiert sind als die Team-Mitglieder.
  6. Die Teilung der Aufgabenfelder in strategische wie operative Zuständigkeiten ist in der strikten Konsequenz - wie sie das Neue Steuerungsmodell vorsieht - neu für den Betrieb. Da die Grenzen beider Bereiche zwangsläufig schwimmend sind, bedarf es einer längeren Zeit der Eingewöhnung für die Akzeptanz dieser "horizontalen" Arbeitsteilung sowie einer fortlaufenden Überprüfung des eigenen Verhaltens. Das ist anstrengend; verlangt Konflikttoleranz (auf beiden Seiten) und die ständige Bereitschaft zur Konfliktlösung.
1) bestehend aus Amtsleitern der Querschnittsämter


Stand: 21.04.98
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