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VI. Planungsauftrag und Koordination

VI.1. Das Wettbewerbsverfahren

Architektenwettbewerbe / Direkte Vergabe / Auslobung / Wettbewerbsart / Beurteilungsgremien / Preisgericht / Bauzeichnung / Preisvergabe / Auftragsvergabe / Planungsstab / Literatur

Für Bauvorhaben von besonderer Bedeutung, die auch dadurch gekennzeichnet sind, daß sie mit öffentlichen Geldern finanziert werden, ist es üblich, Architektenwettbewerbe auszuloben. So besteht in der Regel kaum ein Zweifel, daß bei der Vorbereitung von Neu- oder Erweiterungsbauten für große Öffentliche Bibliotheken ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben wird. Zum einen ermöglicht dieses Verfahren durch Gegenüberstellung und Vergleich von alternativen Entwurfsansätzen die Auswahl einer optimalen Lösung, zum anderen eröffnen sich dem Bauherrn und Nutzer - in unserem Fall der Bibliothek - eher und mehr Möglichkeiten der Einflußnahme als bei direkten Vergabearten, und im übrigen entspricht ein Wettbewerbsverfahren in klassischer Art und Weise den Grundsätzen des freien Berufs. Die Vorteile überwiegen also die ebenfalls nicht zu unterschätzenden Nachteile, wie erheblicher Aufwand, Zeitverlust und Kosten, da eine große Anzahl von Bau- und Planungsbeteiligten zur gemeinsamen Meinungsbildung zusammengeführt werden und zu einem im wesentlichen übereinstimmenden Ergebnis finden muß. Bevor der Ablauf und die Bedingungen eines Architektenwettbewerbs detailliert erläutert werden, sollen in Kürze weitere Möglichkeiten der Auftragsvergabe angesprochen werden.
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Denkbar ist entweder eine Abwicklung des Bauvorhabens durch das zuständige kommunale oder Staatshochbauamt oder die Auftragsvergabe an einen renommierten, mit vergleichbaren Bauaufgaben vertrauten freiberuflich tätigen Architekten. Beide Vorgehensweisen sind von einer bestimmten Größenordnung und Bedeutung des Projekts an schwer durchsetzbar, ist doch der öffentliche Auftraggeber gehalten, in solchen Fällen leistungsbereiten und qualifizierten Fachleuten Gelegenheit zum Nachweis ihrer Fähigkeiten zu geben. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß bei der direkten Vergabe der Bibliothek möglicherweise ein mit der Aufgabe "Bibliotheksbau" vertrauter Partner gegenüberstehen würde: Einige wenige freie Architekten sind mehrfach im Laufe ihrer Berufspraxis in diesem Bereich tätig gewesen, und das gleiche gilt für Mitglieder der kommunalen und staatlichen Bauverwaltung. Wobei festzuhalten ist, daß die zuständigen Stellen der Stadt- oder Staatshochbauverwaltung häufig die Ausführungsplanung und Bauleitung für den durch einen Architektenwettbewerb ermittelten Entwurf eines freien Architekten übernehmen; dann liegt also eine Mischform vor.

Kommen wir zurück zum Wettbewerbsverfahren, so sind für den Bibliothekar zwei Fragen von entscheidender Bedeutung:

  1. Was kann und darf ich vom Resultat eines Wettbewerbs erwarten?
  2. Wann und in welcher Form kann die Bibliothek, kann mein bibliothekarisches Fachwissen und meine Stellungnahme in das Verfahren miteinbezogen werden?
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Zur Beantwortung der ersten Frage ist es zunächst wichtig zu wissen, was von den Teilnehmern verlangt und vorgelegt wird und was folglich vom Resultat eines Wettbewerbs überhaupt erwartet werden darf und kann. Dies ist erläutert in der Wettbewerbsauslobung, die in einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht wird. Hier finden sich Angaben zu Anlaß und Zweck eines Wettbewerbs, zum Auslober, zur Wettbewerbsart, zu den Wettbewerbsunterlagen und -leistungen, zu Terminfragen, zum Beurteilungsgremium (Preisgericht, Vorprüfer), zum Bearbeitungshonorar (gilt nur für zum Wettbewerb eingeladene Architekten) beziehungsweise zu den Preisgeldern.

Die Wettbewerbsart hat direkten Einfluß auf die konkrete Absicht, einen Bau in Angriff zu nehmen; das heißt, nur ein Realisierungswettbewerb läßt auch auf eine baldige Realisierung hoffen. Ein Ideenwettbewerb oder ein städtebaulicher Wettbewerb soll im Vorfeld Rahmenbedingungen klären beziehungsweise, wie der Name sagt, zunächst Ideen sammeln und den weiteren Entscheidungsvorbereitungen dienen. Ein Realisierungswettbewerb kann entweder beschränkt - das heißt, einzelne Büros werden direkt zur Teilnahme aufgefordert - oder offen mit unterschiedlich großem Geltungsbereich (z.B. eine Stadt, ein Bundesland oder bundesweit offen) ausgeschrieben werden. Denkbar ist auch eine offene Ausschreibung verbunden mit einer oder mehreren Einladungen an entsprechend versierte Architekturbüros. Die von den Teilnehmern zu erbringenden Leistungen umfassen - auf der Basis des Raumprogramms, der technischen Vorgaben und einer städtebaulichen Rahmenplanung - Vorentwürfe im Maßstab 1:200 und ein sogenanntes Massenmodell (M. 1:500). Dabei kann es nicht um die Lösung jedes baulichen, technischen oder organisatorischen Details gehen, sondern um einen prinzipiellen Lösungsansatz, der die Kriterien der stadträumlichen Einbindung, der angemessenen Zweckbestimmung und der technischen Machbarkeit in sinnvoller Art und Weise berücksichtigt und dem es gelingt, aus dieser Vielzahl von Einzelwerten ein Ganzes entstehen zu lassen.
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Die zweite oben genannte Frage zielt in Richtung Präsenz der bibliothekarischen Vertreter in den Beurteilungsgremien. Dabei wäre zunächst die baufachliche Vorprüfung von Bedeutung, die die eingereichten Arbeiten formal unter Gesichtspunkten wie Programmerfüllung, Bauordnungsrecht, Städtebau und Funktionserfüllung betrachtet und darüber einen Vorprüfbericht anfertigt, der eine wesentliche Voraussetzung für die Arbeit des Preisgerichts darstellt. Hier sollten Vertreter des späteren Nutzers ihre Sicht der Dinge im Rahmen der Prüfung der organisationsinternen Funktionserfüllung unbedingt einbringen können, es muß also gelingen, einen Mitarbeiter der Bibliothek (beispielsweise den Baubeauftragten) in dieses Gremium zu entsenden. Genauso wichtig ist natürlich, daß die Bibliotheksleitung im Kreis der Sachpreisrichter vertreten ist und so die Möglichkeit erhält, in der Preisgerichtssitzung in einem gewissen Maß Einfluß zu nehmen.

Ein Preisgericht setzt sich aus Fach- und aus Sachpreisrichtern zusammen; daneben werden meist sachverständige Berater hinzugezogen, die über spezifische Kenntnisse, die für die jeweilige Bauaufgabe bedeutsam sind, verfügen. Das trifft häufig auf die Belange des Denkmal- und Umgebungsschutzes zu; in unserem Fall wäre es zweifellos von Vorteil, einen Experten auf dem Gebiet des Bibliotheksbaus einzuladen. Normalerweise ist selbstverständlich davon auszugehen, daß die Fachpreisrichter die Diskussion dominieren, es ist jedoch durchaus vorstellbar und realistisch, daß bei großen Problemen in der Meinungsbildung auch einmal das Votum des späteren Nutzers den Ausschlag gibt.
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In beiden Situationen werden die Bibliothekare lernen müssen, das für sie ungewohnte Darstellungs- und Ausdrucksmittel der Architekten, die Bauzeichnung (also: Grundrisse, Schnitte, Ansichten, Lagepläne), zumindest im Grundsatz zu verstehen, d.h. sie müssen fähig sein, Pläne zu lesen, um so die Entwurfslösungen beurteilen zu können. Im günstigsten Fall sind diesbezügliche Kenntnisse während der Ausbildung im Fach Bibliotheksbau vermittelt worden. Wenn nicht, hilft der Blick in die Architekturdarstellungs- oder Entwurfslehrenliteratur (s. Literaturhinweise). Ohne Frage sind entsprechende Kenntnisse auch im weiteren Verlauf des Planungsprozesses für den Dialog mit den Architekten sinnvoll und notwendig. Nichtsdestotrotz ist die auf Bauherrn- oder Nutzerseite - aus verständlichen Gründen - beliebteste Darstellungsart immer das Gebäudemodell, gefolgt von der ebenfalls anschaulichen Perspektivzeichnung.

Als Ergebnis der Preisgerichtssitzung - die je nach Bedeutung und Schwierigkeit der Aufgabe auch einmal mehrere Tage in Anspruch nehmen kann - muß eine Rangfolge der mit Preisen auszuzeichnenden Arbeiten festgelegt und präsentiert werden. Neben der Preisvergabe werden dabei auch sogenannte Ankäufe eines oder mehrerer Entwürfe getätigt. Das Ergebnis des Wettbewerbs muß anschließend in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die das Verfahren für Außenstehende nachvollziehbar macht.
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Überraschend und irritierend für Bibliothekare, denen die Welt der Architekten und des Baugeschehens ja in der Regel fremd ist, sind Entwicklungen, die nach Abschluß des Wettbewerbs einsetzen und dazu führen, daß nicht der erste Preisträger sondern ein weiter hinten plazierter Bewerber den Auftrag zum Bauen erhält und somit der Empfehlung des Preisgerichts nicht gefolgt wird. Dies kommt (leider) immer wieder vor und die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen ist es nicht das Preisgericht, das den Bauauftrag erteilt, weitere zuständige Gremien sind zu beteiligen, und schließlich können auch Beziehungen und politische Konstellationen eine Rolle spielen. Ein bekanntes Beispiel für derartige Auseinandersetzungen war das Gerangel um den Neubau für die Deutsche Bibliothek, wo ein einstimmiges Urteil im Architektenwettbewerb nicht akzeptiert und in einem zweiten Verfahren die ursprünglichen Preisträger zur Überarbeitung aufgefordert wurden. Es ist nicht auszuschließen, daß eine solche Vorgehensweise auch einmal der Sache dienlich sein kann, ein beträchtlicher Zeitverlust ist dann jedoch einzukalkulieren.

Probleme dieser Art können bei der direkten Vergabe an das Bauamt oder - was wie gesagt sehr selten vorkommt - an einen ausgewählten Architekten nicht auftreten. Es bleibt indessen zu wiederholen und zu betonen, daß nur der Wettbewerb zu einer abgewogenen, differenzierten und - im Bereich der Möglichkeiten dieser ersten Bearbeitungsphase - ausgereiften Entwurfslösung führen kann. In einer Zeit, die Bibliotheksbauten zunehmend auch an Kriterien wie Gestaltung und Raumqualität mißt, ist dies von entscheidender Bedeutung.

Wie begleitet und beeinflußt die Bibliothek nun - der Auftrag ist vergeben und damit der Planungspartner für die Bibliothek gefunden und bestimmt - den weiteren Weg des Planungs- und Bauprozesses?
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Wenn bis hierhin noch nicht geschehen, so ist es jetzt zwingend notwendig, in der Bibliothek einen Planungsstab zu bilden, der regelmäßig zusammentritt, beratend, aber auch konzeptionell tätig wird. Dieses Gremium wäre so zusammenzusetzen, daß die Mitglieder mit ihrem jeweiligen Fachwissen für bestimmte Aspekte und Funktionen (EDV, Bestandspräsentation, Verwaltungsorganisation) die Entwurfszeichnungen prüfen und - soweit möglich und nötig - Ergänzungen oder Verbesserungen erarbeiten, die dann gut koordiniert in die allgemeine Planung einfließen. Rezepte für eine gelungene Koordination des Bauvorhabens und eine erfolgreiche Kooperation mit den Planungspartnern gibt es allerdings nicht: All die, die sich bereits mit der Aufgabe, einen Bibliotheksbau vorzubereiten und zu realisieren, konfrontiert gesehen haben, werden dies bestätigen, und sie wissen, daß das Gelingen hier, wie in vielen anderen Bereichen des Lebens auch, stark von persönlichen Konstellationen beeinflußt wird. Generell läßt sich jedoch sagen, daß für die spätere Akzeptanz des Gebäudes durch die Mitarbeiter der Bibliothek kontinuierliche Information (z.B. in Arbeitsbesprechungen) über wichtige Zwischenschritte der Planung unerläßlich ist. Voraussetzung hierfür ist natürlich, daß die Bibliotheksleitung und/oder der Planungsbeauftragte der Bibliothek selbst in entsprechendem Maße informiert wird, sei es von den zuständigen Behörden, sei es vom beauftragten Architekten. Ganz ohne Eigeninitiative von seiten der Bibliothekare ist das sicher nicht zu erreichen, wobei ein wirklich verantwortungsbewußter Architekt die Wünsche und Bedürfnisse des späteren Nutzers immer soweit im Auge haben sollte, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewährleistet ist und bleibt.

Barbara Schneider-Eßlinger zurück zum Seitenanfang

Literatur

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