Seite 36-37 - DNB_Leseraum_FINAL

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LUDWIG FELS
DER HIMMEL WAR EINE
GROSSE GEGENWART
Der autobiografsche Roman erzählt
von dem langen Sterben seiner (Ludwig
Fels’ ) krebskranken Mutter. Es ist ihre
und seine Lebensgeschichte. Ihr hartes
Leben als ehemalige Bauernmagd und
sein Unvermögen, ihre Einsamkeit zu
mildern. Es wechselt zwischen Anteil-
nahme, Ekel, Hofen und Abrechnen.
Ludwig Fels schreibt eine sehr realis-
tische, klare Alltagssprache, oft aggres-
siv. Ich mag diese Sprache, ich mag
seine Angst, seine Wut und Ohnmacht.
Sie tut weh, weil sie so wahr ist.
IRIS BERBEN
SCHAUSPIELERIN
INGER CHRISTENSEN
ALFABET/ALPHABET
Dieses Gedicht ist alfabeten klar komponiert, es wächst mit
Fibonacci gegen unendlich. Folglich blendend bewegt von
der Barentssee, registriert es, was existiert. Kein Ende zu
fnden mithin. Die Aprikosenbäume sind seither nicht mehr
dieselben. Ein Grundbuch. Kunst.
DANIELA SEEL
AUTORIN UND VERLEGERIN
FRIEDRICH DÜRRENMATT
DIE PHYSIKER
Warum immer nur dicke Romane lesen? Wer ein Theater-
stück liest, inszeniert es im Kopf. Ein ganz besonderes
Vergnügen. Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ zeigt das
größte moralische Dilemma der Moderne. Die Freiheit des
Forschens und Denkens kollidiert mit der Verantwortung für
den Missbrauch der Technik. Dürrenmatts Komik ist eine
Komik der Verzweifung. Die Welt ein Irrenhaus. Was einmal
gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.
WOLFGANG HERLES
JOURNALIST UND AUTOR
FRANZ KAFKA
TAGEBÜCHER
Die meisten Romane lesen wir nor-
malen Sterblichen nur ein einziges Mal:
die „Geschwister Tanner“, den „Mann
ohne Eigenschaften“, den „Zauber-
berg“. Die kurze Lebenszeit lässt nur
diese Selbstbeschränkung zu. Kafkas
Tagebücher dagegen kann man täglich
konsultieren: Man muss verstockt sein,
wenn man nicht auf jeder Seite, zufällig
aufgeschlagen, auf eine Bemerkung
stößt, die einem die Augen aufreißt,
dem Verstand auf die Sprünge hilft,
Trost bietet. Kaum einer hat so viel
vom „Leben“ verstanden wie Kafka, der
selbst nicht lange am Leben war. Seine
Tagebücher sind auch für solche Leser
Pfichtlektüre, die von Literatur nicht
viel erwarten. Sie sind in der Nacht
entstanden, wenn der Druck des Tages
nachlässt und die Wahrnehmung, wenn
man sie nur zulässt, sich schärft.
MICHAEL KRÜGER
AUTOR UND VERLEGER
HEINRICH MANN
DIE JUGEND DES KÖNIGS
HENRI QUATRE
Mehrmals habe ich schon Heinrich
Manns „Die Jugend des Königs Henri
Quatre“ und „Die Vollendung des
Königs Henri Quatre“ gelesen, es sind
zwar zwei Bände, aber für mich ein
Buch. Heinrich Mann hat mit diesem
1936 im französischen Exil geschrie-
benen Roman über Henri Quatre ein
großartiges Porträt eines der wichtigsten
französischen Könige gezeichnet. Aber
mehr als das: Heinrich Mann schildert
anhand einer faszinierenden Person, die
dem Leben äußerst zugewandt ist, den
Krieg zwischen dem erzreaktionären
Adel, der sich hinter der Katholischen
Liga versteckt, und den Hugenotten
mit Anlehnungen an Personen aus dem
Dritten Reich. Mit der Schilderung
der Bartholomäus-Nacht nimmt er die
Gräuel des Nazi-Regimes vorweg.
ULRICH WICKERT
JOURNALIST UND AUTOR
BERTELSMANN LEXIKON
ICH SAG
DIR ALLES
Endlich ein Buch, das hält, was sein
Titel verspricht. Es ist das Vademe-
cum einer vergangenen Schwarmintel-
ligenz, das auch für das Wikipedia-
Zeitalter famoses Wissen bereithält:
zum Beispiel die Sexualproportionen
des Menschen und das Höchstalter
diverser Tiere, deutsche Gestüte und
bewegliche Feste, tätige Vulkane und
bekannte Operetten, japanische
Kaiser und katholische Orden, Buch-
stabiertafeln und Winkeralphabet, die
wichtigsten Attentate der Neuzeit
und die 20 scheinbar hellsten Sterne.
Ich liebe es.
JUDITH SCHALANSKY
AUTORIN UND
BUCHGESTALTERIN

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