Seite 18-19 - DNB_Leseraum_FINAL

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NUR JA
NICHT LESEN!
Vom Wüstenwastel bis zu sechsstelligen Auktionserlösen für Comics:
In diesem Essay erklärt Andreas Platthaus, warum sich Comicsammler
von den Freuden der Lektüre verabschieden müssen – und warum die
Deutsche Nationalbibliothek eine Alternative bietet.
ILLUSTRATION: NIKITA PIAUTSOU-REHFELDT
Sammeln ist eine der Eigenschaften, die den Menschen vom
Tier unterscheiden, und befndet sich damit in so schöner Ge-
sellschaft wie Sprache, Liebe, Mitgefühl und Wissen um den
Tod. Alle diese Phänomene sind zudem miteinander verknüpft:
ohne Sprache kein Austausch der Sammler miteinander (und
damit auch keine Möglichkeit der Artikulation von Sammler-
stolz), ohne Liebe erst gar kein Antrieb zum Sammeln (wenn
sie sich hier auch auf Objekte statt auf Personen richtet), ohne
Mitgefühl kein Ethos des Sammelns (das einen kleinen Teil der
Welt der Vergänglichkeit entreißen will) und ohne Wissen um
den Tod schließlich auch nicht das berühmte Sammlerparadox,
dass alle Bemühungen auf lange Sicht sinnlos sind, weil wir ster-
ben und dann unsere Sammlungen in die Hände von Menschen
fallen, die nur im seltensten Fall dieselbe Sprache, dieselbe Liebe
und dasselbe Mitgefühl dafür besitzen. Doch wie unmenschlich
wäre es, sich von der Aussicht auf die Endlichkeit oder auf
die Fehlbarkeit der Mitmenschen davon abhalten zu lassen, zu
sprechen, zu lieben oder mitzufühlen. Oder eben zu sammeln.
Gegen diese Einschätzung des Sammelns als anthropologisches
Konstituens (wohlgemerkt nicht Konstante) spricht weder, dass
nicht alle Menschen sammeln, noch, dass es auch Tiere gibt,
die sammeln. Letzteres ist ein reines Begrifsproblem, weil das
zweckgerichtete Anlegen von Vorräten oder Hilfsmitteln nichts
mit dem wahren menschlichen Sammeln zu tun hat, für das
man die aus der Kantschen Ästhetik bekannte Kategorie des
„interesselosen Wohlgefallens“ heranziehen könnte, wobei
„interesselos“ im Sinne von „zweckfrei“ zu verstehen ist, also
gerade ein auf unmittelbaren Nutzen gerichtetes Sammeln aus-
schließt. Eine Sammlung behebt keinen Mangel, sondern schaft
Überfuss. Und die Tatsache, dass es Menschen gibt, die nicht
sammeln, ist für den Sammler zwar schwer verständlich, aber
es gibt ja auch Menschen, die nicht sprechen.
Unter diesen Prämissen darf die Deutsche Nationalbibliothek
mit ihrem von höherer Stelle erteilten Sammelauftrag als Voll-
endung der Menschwerdung gelten. (Das hätte sie etwa mit
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtkunst und der
UNESCO
gemein, die wir als uns vertraute Äquivalente auf dem
Feld des Sprechens und Mitfühlens nennen könnten. Wie aber
steht es um die Liebe? Wären da die Kirchen zu nennen? Aber
wohl nicht für alle Formen der Liebe.) Das segensreiche Wirken
der Nationalbibliothek wurde dem Verfasser dieser Zeilen zum
ersten Mal bewusst – und zwar schmerz- wie scherzhaft –, als er
infolge seiner Sammelleidenschaft in die Redaktion einer Zeit-
schrift eingetreten war. Ihr Name lautet „Der Donaldist“ und
sie ist das Zentralorgan einer Vereinigung namens
D.O.N.A.L.D.
(Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des
lauteren Donaldismus), die aus Menschen besteht, die erst
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