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WIE ERNTET MAN
DAS INTERNET?
Das Internet hat sich zu einem bedeutenden Publikationsmedium
entwickelt. Folgerichtig wurde der Sammelauftrag der Deutschen
Nationalbibliothek um die Archivierung von deutschen Netzpublikationen
erweitert. Eine gewaltige Herausforderung, die viele Fragen aufwirft.
TEXT: ULRICH ERLER COLLAGE: FELIX SCHEU
Das Internet vergisst nichts, klagen Datenschützer und war-
nen vor unbedachter Ofenheit im Umgang mit persönlichen
Daten. Sind intime Informationen oder Fotos an Orten im
Internet erst einmal zugänglich, lassen sie sich häufg nur noch
mit viel Aufwand entfernen und drohen sich viral weiter zu
verbreiten. Andererseits ist die digitale Welt aber deutlich
vergänglicher als der Druckkosmos klassischer Medienwerke:
Während Aufzeichnungen auf Papier, Pergament oder Ton
hunderte und tausende Jahre erhalten bleiben, können Web-
sites jederzeit verändert oder deaktiviert werden. Noch dra-
matischer verhält es sich mit persönlichen Nachrichten: Brief-
wechsel zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich
Schiller oder zwischen Otto von Bismarck und Ferdinand
Lassalle stehen der Forschung noch heute zur Verfügung und
helfen, das Zeitgeschehen besser zu verstehen. Kurznach-
richten als E-Mails oder SMS von Bundeskanzlerin Angela
Merkel an den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy
werden der Nachwelt auf ewig verloren sein.
Zum Problem wird die „Vergesslichkeit“ des Internets vor allem
angesichts der Tatsache, dass es sich von einem ergänzenden
Sekundärmedium zu einem eigenständigen Veröfentlichungs-
kanal entwickelt hat. Viele Inhalte sind teilweise nur noch in
elektronischer Form verfügbar und fnden gar nicht mehr den
Weg in ein gedrucktes Medienwerk. Das aber kollidiert mit
der Flüchtigkeit des World Wide Web. Innerhalb kürzester
Zeit können wertvolle Informationen nicht mehr über eine
angegebene Internetadresse (URL) bezogen werden, wenn sie
vom Anbieter verändert oder gelöscht wurden. Das Internet
ist originär als Kommunikationsraum, nicht als Archivraum
konzipiert. Dabei ist die Bandbreite an archivierungswürdigen
Webdaten groß, von wissenschaftlichen Forschungsergebnis-
sen über Wissensportale, Informationen zu Bürgerinitiativen
und elektronische Kunst bis hin zu Blogs, Diskussionsforen
und sozialen Netzwerken. All dies stellt einen wertvollen
Datenbestand dar, dessen Bedeutung unter Umständen erst in
der Rückschau deutlich wird – sofern er dann noch verfügbar
ist. Mahner sprechen schon von einer drohenden „digitalen
Amnesie“. Doch das Problem ist erkannt und an einer Lösung
wird gearbeitet: Die Nationalbibliotheken sind weltweit aufge-
rufen, das digitale kulturelle Erbe der Menschheit zu bewahren
und verfügbar zu halten. Dazu wurde 2006 der Sammelauftrag
der Deutschen Nationalbibliothek um deutsche Netzpublika-
tionen erweitert: Es sollen auch „unkörperliche Medienwer-
ke“ gesammelt, erschlossen, verzeichnet und archiviert wer-
den. Ausgenommen sind Veröfentlichungen, die nicht von
öfentlichem Interesse sind und lediglich privaten oder gewerb-
lichen Zwecken dienen. Ebenfalls nicht sammelpfichtig
g