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Wer in Deutschland in einem Bibliothekskatalog zu einem
bestimmten Thema recherchiert, weiß, was zu tun ist: man gibt
Schlagwörter ein. Damit das funktioniert, müssen die Werke mit
entsprechenden Sachbegrifen gekennzeichnet sein. In der Deut-
schen Nationalbibliothek sorgen dafür die Mitarbeiterinneren
und Mitarbeiter aus der Inhaltserschließung, Menschen wie Dr.
Heidrun Alex. „Wir versuchen zügig herauszufnden, worum es
in dem Werk geht“, erklärt sie und demonstriert, was zügig be-
deutet. Sie nimmt ein Buch und lässt den Blick über das Cover,
den Text auf der Buchrückseite und über das Inhaltsverzeichnis
streifen. Drei, vier Minuten dauert das in den meisten Fällen,
dann gibt sie einige Wörter in die Maske auf ihrem Bildschirm
ein. Schon ist das Buch „beschlagwortet“. Das nächste, bitte.
Inhaltserschließung bedeutet radikale Komprimierung. Die
Geschwindigkeit, mit der routinierte Kräfte wie Dr. Alex arbei-
ten, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie komplex
und intellektuell anspruchsvoll die Aufgabe ist. Schließlich
ist nicht immer ofensichtlich, in welche Schubladen sich ein
Buch am besten stecken lässt. Auch darf die „Ansetzung“ der
Schlagwörter nicht willkürlich erfolgen. Bombay oder Mum-
bai? Geschichtsschreibung oder Historiographie bzw. Historio-
grafe? Ort vor Zeit oder umgekehrt oder egal? Schreibweisen,
Begrifichkeiten, Reihenfolgen – für all das hat die Deutsche
Nationalbibliothek in Zusammenarbeit mit anderen Biblio-
theken Regeln formuliert und eine Normdatei erstellt. „Damit
nicht jeder macht, was er will“, sagt Dr. Alex lachend.
Einst hat sie in Marburg Germanistik studiert und über mittel-
alterliche deutsche Literatur promoviert. Nach der Geburt ihrer
Tochter beschloss sie, sich für den höheren Bibliotheksdienst zu
qualifzieren, und fand vor zehn Jahren eine Anstellung in der
Deutschen Nationalbibliothek. In der Abteilung Inhaltserschlie-
ßung leitet sie inzwischen das Referat Geisteswissenschaften
und damit ein zehnköpfges Team. Das eigentliche Erschließen
macht nur noch einen kleinen Teil ihrer Arbeit aus. Das liegt
auch daran, dass sie die DDC-Expertin des Hauses ist. DDC?
Die Abkürzung steht für Dewey-Dezimalklassifkation, die
international am weitesten verbreitete Universalklassifkation,
die völlig anders funktioniert als die Verbalerschließung. Die-
se hat nämlich den großen Nachteil, dass sie sprachabhängig
ist. Wer nicht Deutsch spricht, kann mit all den schönen
Schlagwörtern nichts anfangen. Bei der DDC hingegen wird
der Inhalt eines Werks nach einem strengen Schema in eine
hierarchisch gegliederte Zifernfolge übersetzt. Die erste Zifer
ordnet das Werk allgemein einem Bereich zu, jede weitere Zifer
konkretisiert diese Zuordnung. Am Ende ist ein Titel nicht mit
Schlagwörtern, sondern mit einer Notation wie 943.085 klassi-
fziert, die es ermöglicht, international Werke zur Geschichte
Deutschlands in der Weimarer Republik zu fnden.
Wer Schlagwörter gewohnt ist, mag das absurd fnden. Es ist
aber äußerst stringent – und sehr alltagstauglich. In den USA
ordnen Bibliotheken ihre Bücher nach dieser Systematik und
werden die Grundzüge der DDC bereits im Kindergarten ge-
lehrt. Nicht zuletzt durch die Initiative der Deutschen Natio-
nalbibliothek liegt die DDC seit 2005 erstmalig auf Deutsch
vor. Seitdem ist schon häufger die Frage gestellt worden: Soll
die Nationalbibliothek in einer globalisierten Welt weiterhin
auf deutsche Schlagwörter setzen oder auf die DDC umstel-
len? Die Lösung: Sie wendet beide Verfahren an, denn diese
ergänzen sich. Und Dr. Alex kümmert sich in internationalen
Kooperationen darum, die Nutzerfreundlichkeit in der Anwen-
dung der DDC zu steigern. Denn: „Die präziseste Systematik
bringt nichts, wenn sie nicht angenommen wird.“
SCHLAGWÖRTER ODER
ZIFFERNFOLGEN
Gesichter der Nationalbibliothek, Frankfurt am Main: Dr. Heidrun
Alex ist für die inhaltliche Erschließung geisteswissenschaftlicher
Neuerwerbungen zuständig. Als Referatsleiterin ist sie dabei
auch mit Strategiefragen befasst.
PORTRÄT: CHRISTIAN SÄLZER FOTO: STEPHAN JOCKEL

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