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out on the bufalo range depends upon your pay / But if
you pay good wages, transportation to and fro’ / Think I
might go with you on the hunt of the bufalo.“ Es ist die
Stimme Dylans zum Klang zweier akustischer Gitarren, die
eine melancholische, treibende Melodie forcieren, die den
Hörer packt. Dylan transzendiert Guthries Worte, als wolle
er eine Tür aufstoßen in ein fernes Jahrhundert, in ein Land,
das laut dem amerikanischen Pop-Theoretiker und Kulturhis-
toriker Greil Marcus den Namen „Invisible Republic“ trägt.
An dieses Land, so Marcus, erinnern wir uns nur deswegen,
weil Sänger wie Guthrie oder Dylan den Folksong als Bot-
schaftsmedium begrifen haben beziehungsweise begreifen,
als Oral History. Hätte es die Folksänger nicht gegeben, die
über die Schicksale der Outcasts berichtet haben als handelte
es sich um selbstverständlich festzuhaltende Exempel – wir
hätten kein Bild von Amerika vor
unseren Augen. Zumindest nicht
von jenem Amerika der Nicht-zu-
Wort-Kommenden. Die ofzielle
Geschichte Amerikas, die Zeitlinie
der „Visible Republic“– die ist zur
Genüge dokumentiert, als endlose
Folge von Jahreszahlen, wann wel-
cher Präsident vereidigt wurde und
welche Politik er vertrat.
Am 3. Juli 1988 haben die Besu-
cher des Dylan-Konzerts im Old
Orchard Beach Ballpark die Gele-
genheit, einzutauchen in den Dia-
log zwischen dem Tagelöhner und
dem Großgrundbesitzer, für den
er auf Büfeljagd gehen wird. Der
Großgrundbesitzer erwidert auf die
Fragen des Bufalo Skinners nach
dem Honorar: „Yes I will pay good
wages and transportation, too / If
you’ll agree to work for me until
the season’s through / But if you
do get homesick and try to run
away / You’ll starve to death on the prairie and also lose your
pay.“ Die Intensität des Gesangs und die von Melancholie
durchtränkte Melodie heben die Dimensionen Zeit und Raum
auf. Solche Konzertmomente bezeichnet man landläufg als
einzigartig und unwiederbringlich. Es sei denn, man sammelt
– und fndet.
Natürlich ist es dann naheliegend, die Setlists nach weiteren
Versionen von „Trail of the Bufalo“ zu scannen – auch wenn
man dafür anders als Obrist auf das Zweitmedium Internet
zurückgreifen muss. Denn dann stößt man auf Patterns, die
man nie vermutet hätte, man wird zum Geheimforscher. Eine
dieser Regelmäßigkeiten der 1988er Tournee von Bob Dylan
nämlich war, dass der Sänger Abend für Abend einen anderen,
der großen Mehrzahl der Konzertbesucher gänzlich unbekann-
ten, weil verschütteten Folksong ausgrub, um ihn einmal (und
möglicherweise nur selten wieder) aufzuführen. Die Ballade
der hartherzigen „Barbara Allen“ gehört dazu (eine herzzerrei-
ßende Romeo-und-Julia-Geschichte), wie auch die zarte Weise
„Lakes of Pontchartrain“ über ein anständiges Mädchen, das
ihrem auf dem Lake Pontchartrain zur See fahrenden Mann
die Treue versprochen hat, sind jenseits der musikalischen
Performance auch deshalb so großartige Momente, weil sie in
Kategorien des Zeitstillstands operieren.
Wenige Jahre später veröfentlichte Bob Dylan 1992 und
1993 zwei ebenso introvertierte wie herausragende Alben, in
denen er zur akustischen Gitarre ausschließlich Coverversi-
onen von Mörderballaden und Liebesliedern aus der Invisi-
ble Republic interpretierte – „Good as I Been to You“ und
„World Gone Wrong“. In den Liner
Notes zu letzterem Album schrieb
Dylan: „Technology to wipe out
truth is now available. Not every-
body can aford it but it’s available.
When the cost comes down look
out! There won’t be songs like the-
se anymore. Factually there aren’t
any now.“
Ofziell veröfentlichte Studioalben
sind, anders als ohne Genehmigung
aufgenommene Live-Mitschnitte,
allgemein käufich erwerblich – und
sie gehören natürlich ebenso zur
Sammlung. Und selbstredend kön-
nen erkenntnisreiche Entdeckungs-
reisen voller Überraschungen in
die Invisible Republic oder sonst-
wohin auch von dort aus starten.
Doch nichts schlägt die Möglich-
keit des Zugrifs und somit des von
Obrist so propagierten intuitiven
Surfens durch Kausalzusammen-
hänge. Denn eins ist sicher: Auch die
intelligente, vorgeleistete Verknüpfung von Zusammenhängen
wird demjenigen, der sich in die Gedankengänge und Oral
Histories und Archive der anderen einzuklinken bereit ist, so
manchen Umweg durch Unbekanntes, so manche Gabelung
hin zum Ungewissen bereithalten.
MAX DAX
Der Publizist, Fotograf und Grafker war Gründer des In-
terview-Magazins „Alert“ (1992 bis 2004) und bis 2010
Chefredakteur der Musik- und Kulturzeitschrift „Spex. Ma-
gazin für Popkultur“. Als bekennender Dylan-Fan ist Maxi-
milian Bauer, wie Dax mit bürgerlichem Namen heißt, Autor
bzw. Übersetzer des Buchs „Dylan - 100 Songs & Bilder“.
KLANG
RAUM
Von Schellack bis Online-Stream:
Ein Schwerpunkt zum Ort der Musik und zur Musik ohne Ort