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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Jürgen Zander/Ralf Michael Thilo/Klaus Graf/Jürgen-Christoph Gödan
Rechtsprobleme bei der Benutzung von Handschriftenbibliotheken
Weitergeführte Überlegungen zur rechtlichen Zulässigkeit besonderer Benutzungsbedingungen

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 29. (1995), S. 296.

I. Jürgen Zander

Es geht um die in Handschriftenbenutzungsordnungen geläufigen Forderungen nach einem Pflicht- oder Belegexemplar und weiterhin um die Pflicht des Benutzers, sich die Veröffentlichungen noch unpublizierter Handschriftenbestände von der Bibliothek genehmigen zu lassen. Ich darf beim letzteren beginnen, da mir scheint, daß das von Gödan dargelegte juristische Resultat ("es gibt für den Benutzer keine Pflicht, sich die Publikation genehmigen zu lassen") ziemliche Konsequenzen in der Praxis der Handschriftenbenutzung zeitigen dürfte.

  1. Bei Handschriften, auf denen noch Urheberrechtsschutz liegt, ist die Regelung bei einer eventuellen Publikation für das besitzende Institut herkömmlicherweise dadurch etwas erleichtert, daß die Sache durch den jeweiligen Urheberberechtigten zu entscheiden ist. Aber das steht meiner Erfahrung nach oft nur auf dem Papier. Häufig sind die Berechtigten schon wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Nachlassers nicht zu ermitteln - weder für die Bibliothek noch für den Benutzer. "Gemeinfreiheit" - wie Gödan schreibt - tritt aber doch erst nach 70 Jahren ein: also darf der Text eigentlich so lange nicht publiziert werden, als ein Berechtigter nicht gefunden wird, der sein Placet gibt. Schon hier ist die Rechtslage für den Interessenten nicht sonderlich günstig, selbst wenn die Bibliothek ein Recht darauf hätte, die Publikation ihrerseits zu genehmigen (als Eigentümerin der "Sache", wie Gödan schreibt). Besser lag es in dieser Hinsicht bei Texten, die noch nach 70 Jahren unveröffentlicht sind: hier hätte die besitzende Bibliothek die Genehmigung alleinverantwortlich erteilen können, wenn sie ein derartiges Recht besäße - was aber - Gödans Ausführungen zufolge - gar nicht der Fall ist. Auf den ersten Blick scheint es zwar, als ob bei diesen Texten, die keinem Urheberrecht mehr unterliegen, die Sache nun noch unkomplizierter geworden ist, da sich der Benutzer überhaupt nicht mehr um eine Genehmigung zu kümmern braucht. Ich frage mich aber, wie es dann mit der Anwendung der §§ 70f. Urheberrechtsgesetz steht. Diese deute ich so, daß jemand, der einen unveröffentlichen Text unter Aufwand eigener editorischer Mühe herausgibt, ein Quasi-Urheberrecht auf diesen Text für 25 Jahre erwirbt, wodurch er nun andere Interessierte ausschließt.

    Geben beispielsweise zwei Editoren unabhängig voneinander denselben nachgelassenen Text etwa gleichzeitig heraus - wer hat nun das ausschließende Recht? Dadurch, daß die besitzende Bibliothek die Genehmigung erteilt, kann sie die Kollision verhindern, wenn sie die Genehmigung nur einem der Interessenten gibt. Ist der Wegfall der Genehmigungspflicht in diesem Fall wirklich juristisch vertretbar?

  2. Gödans Beurteilung über die Abgabe von Pflichtexemplaren scheint mir dagegen in der praktischen Konsequenz nicht so gravierend. Gleichwohl: Sowohl hier wie im vorigen Fall fragt man sich, warum die herkömmlichen Benutzungsordnungen in diesen Forderungen übereinstimmen, wenn es dafür nicht immer schon juristische, wenigstens aber praktische Gründe gab. In Archivgesetzen (z. B. dem neuen schleswig-holsteinischen) gibt es die Forderung nach einem Pflicht-Belegexemplar, und sicher aus denselben Gründen, warum eine Handschriftenbibliothek es auch fordert: Die Arbeit an einer Quelle erweitert diese ja in gewissem Sinn, also gehört die Erweiterung dazu. Warum gibt es dann aber bei Bibliotheken nur eine ,Vorlagepflicht', während das Archiv ein Pflichtexemplar fordern kann?

    Könnte es nicht so sein, daß Gödans Untersuchung einen Mangel in der einschlägigen Gesetzgebung offenlegt, welchem abgeholfen werden sollte? Es wäre ja nicht so schlimm, wenn die Benutzungsordnungen der Handschriftenabteilungen in den genannten Punkten geändert werden müssen - nur eine Unsicherheit für die Benutzung sollte dadurch nicht eintreten.


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