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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Jürgen Zander/Ralf Michael Thilo/Klaus Graf/Jürgen-Christoph Gödan
Rechtsprobleme bei der Benutzung von Handschriftenbibliotheken
Weitergeführte Überlegungen zur rechtlichen Zulässigkeit besonderer Benutzungsbedingungen

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 29. (1995), S. 296.

II. Ralf Michael Thilo

Gödan hat sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob gewisse Bestimmungen für die Benutzung von Handschriftenbibliotheken rechtmäßig seien1), nämlich

  1. für jede Veröffentlichung die Genehmigung der Bibliothek einzuholen,
  2. ein unentgeltliches Belegexemplar (Freiexemplar) abzugeben.
Seinem Ergebnis, die Forderung eines Freiexemplars sei unzulässig, ist zuzustimmen, wenn auch mit etwas anderer Begründung2).

Nicht bedenkenfrei ist jedoch seine Ansicht, unzulässig sei auch die Bestimmung, zu einer Veröffentlichung die Genehmigung der Bibliothek einzuholen. Dem ist jedenfalls dann zu widersprechen, wenn eine solche Regelung in der Benutzungsordnung einer Selbstverwaltungskörperschaft steht, z.B. in der als Satzung erlassenen Benutzungsordnung einer Universitätsbibliothek. Hierauf geht Gödan bei seiner Untersuchung des ersten Punktes gar nicht ein, lediglich bei dem zweiten Punkt (Freiexemplar) findet sich als Fußnote der knappe, wohl pauschal aufzufassende Hinweis, eine Benutzungsordnung in Satzungsform reiche als Rechtsgrundlage nicht aus3).

Dies trifft so nicht zu und wird auch von der zitierten Stelle nicht getragen.

Vielmehr vertritt Ossenbühl dort die Ansicht, daß die Frage umstritten sei, ob und wie weit Satzungen in Grundrechte eingreifen können und daß die Antwort nur differenzierend ausfallen könne. Keinesfalls aber seien Grundrechte "autonomiefest", d.h. könnten durch selbstverwaltungskörperschaftliche Satzungen nicht eingeschränkt werden.

Die als Satzung erlassene Benutzungsordnung einer Selbstverwaltungskörperschaft ist Gesetz im materiellen Sinne und deshalb als Rechtsgrundlage zunächst einmal allein völlig ausreichend, es sei denn, sie wäre verfassungswidrig und damit ipso iure nichtig4).

Hierzu wäre für das vorliegende Problem zweierlei zu prüfen:

  1. Bleibt die Bestimmung, nach der Veröffentlichungen von Handschriften nur mit Genehmigung der besitzenden Bibliothek erfolgen dürfen, im Rahmen der Normsetzungskompetenz?
  2. Verstößt diese Bestimmung gegen Verfassungsrecht?
Die Normsetzungskompetenz für eine Satzung wird nur durch den Zweck und den Aufgabenkreis der Selbstverwaltung begrenzt (BVerfGE 6, 247).

In entsprechender Anwendung der "Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage des Übermaßverbotes sind dem Satzungsgeber solche Regelungen verwehrt und allein dem Gesetzgeber vorbehalten, die nach außen wirken oder in den statusbildenden Bestand eines Grundrechts eingreifen5).

Die Benutzungsordnungen von Universitätsbibliotheken gelten nur im Verhältnis Bibliothek - Benutzer. Sie haben keine Rechtswirkung nach außen. Die Benutzer sind in erster Linie Mitglieder und Angehörige der Körperschaft, die in einem förmlichen Verfahren die Benutzungsordnung erlassen hat. Soweit nicht der Universität angehörige Personen zur Benutzung zugelassen sind, so haben sie in der Regel ("andere ... können zugelassen werden") kein subjektiv-öffentliches Recht zur Benutzung, sondern ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung, ob sie zur Benutzung zugelassen werden6). Sind sie zugelassen, so unterliegen sie denselben Beschränkungen durch die Benutzungsordnung, wie die Angehörigen und Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft.

Wenn eine mit autonomer Rechtssetzungsbefugnis ausgestattete Körperschaft des öffentlichen Rechts im Innenverhältnis Regelungen darüber trifft, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen das von ihr zugänglich gemachte öffentliche Eigentum im Einzelfall genutzt und verwertet werden kann, so liegt dies im Rahmen ihrer Normsetzungskompetenz.

Gleichwohl könnten derartige Regelungen aber gegen Grundrechte verstoßen. Hier ist in erster Linie Art 5 GG zu prüfen:
(1) Jeder hat das Recht , seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten ... Die Pressefreiheit ... [wird] gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze ...
(3) Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei ...
Ob die Edition einer Handschrift unter den Schutzbereich des Art 5 Abs. 1 S. 1 (Meinungsäußerungsfreiheit) fällt, kann hier dahingestellt bleiben7), denn jedenfalls könnte die in Art 5 Abs. 1 S. 2 gewährleistete Pressefreiheit oder die in Art. 5 Abs. 3 gewährleistete Wissenschaftsfreiheit verletzt sein.

Zwischen Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 besteht zwar Gesetzeskonkurrenz8) mit Vorrang des Abs. 3, d.h. in den Fällen, in denen ein wissenschaftliches Werk über das "Medium Presse" verbreitet wird, ist nur Abs. 3 als lex specialis zu prüfen, dies gilt aber nur für die Person des Wissenschaftlers als Autor; der Verleger des Werkes wird weiterhin durch Abs. 1 geschützt, so daß hier trotzdem beide Möglichkeiten zu prüfen sind.

Zunächst also Art. 5 Abs. 1 S. 2 (Pressefreiheit):

Der Begriff "Presse" ist hier weit gefaßt. Es fallen nicht nur Periodika darunter, sondern alle zur Verbreitung geeigneten Druckerzeugnisse9). Presse im Sinne des Art. 5 ist kurz gesagt das, was in den Pressegesetzen der Länder geregelt ist.

Die Pressefreiheit ist jedoch nach Art. 5 Abs. 2 durch die "Vorschriften der allgemeinen Gesetze" eingeschränkt. Allgemeine Gesetze sind Normen, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten10), und zwar auch Gesetze im materiellen Sinne11), wie z.B. die als Satzung erlassene Benutzungsordnung einer Universitätsbibliothek.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind nun aber die allgemeinen Gesetze ihrerseits wieder unter Berücksichtigung des Wertgehaltes der Grundrechte auszulegen12). Erst wenn keine grundrechtskonforme Interpretation möglich ist, dann ist die betreffende Bestimmung verfassungswidrig und damit nichtig. Es ist für die Bestimmung "Edition nur mit Genehmigung der Bibliothek" deshalb eine Auslegung zu finden, die den Wertgehalt des Grundrechts der Pressefreiheit berücksichtigt.

Unter diesem Aspekt kann die Bestimmung nur so verstanden werden, daß sie lediglich klarstellt, niemand habe ein subjektiv-öffentliches Recht, jede Handschrift seiner Wahl aus dem Besitz der Bibliothek wann, wo und wie auch immer ohne weiteres zu veröffentlichen, sondern daß vielmehr die Bibliothek sich vorher zu einem derartigen Vorhaben äußern muß. Allein hierauf hat der Benutzer ein subjektiv-öffentliches Recht, und zwar nach den Kriterien einer rechtmäßigen Ermessensentscheidung13).

Der Bibliothek steht also in gewissem Umfang ein Prüfungsrecht zu, das jedoch nicht etwa zu einer inhaltlichen Kontrolle in Form einer Vorzensur werden darf. Dies, aber auch nur dies, verstieße in der Tat gegen die apodiktische Feststellung in Art. 5 Abs. 3: "Eine Zensur findet nicht statt"14).

Das Prüfungsrecht der Bibliothek ist rein formaler Natur und leitet sich aus ihrer Pflicht ab, vor einer Edition zu prüfen, ob dadurch vielleicht schutzwürdige Belange Dritter aus dem Besitzverhältnis berührt würden, z.B. in Zusammenhang mit einem Nachlaß15), ob die Edition zu einem Verstoß gegen § 1 UWG führen würde16), oder ob ein Fall des Art. 5 Abs. 3 gegeben ist (dazu sogleich).

Die Bibliothek prüft nur, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Edition vorliegen. Ist das der Fall, hat die Genehmigung zu erfolgen. Es handelt sich bei der Bestimmung "Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Bibliothek" um eine gebundene Ermessensentscheidung, die im Regelfall sogar "auf Null schrumpfen" wird17).

Die Frage der Rechtmäßigkeit stellt sich somit erst auf einer niederen Ebene, nämlich im Einzelfall bei der Prüfung des Verwaltungsaktes, d.h. wurde eine Genehmigung zu Recht verweigert oder nicht.

Stets zu Unrecht würde die Genehmigung dann verweigert, wenn die Veröffentlichung durch einen Wissenschaftler18) erfolgt und keine Rechte Dritter aus dem Besitzverhältnis entgegenstehen, denn die in Art. 5 Abs. 3 geschützte Wissenschaftsfreiheit steht im Gegensatz zu den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 nicht unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gem. Art. 5 Abs. 219), sie ist, von den grundrechtsimmanenten Schranken abgesehen, "schrankenlos". Sie kann deshalb auch nicht durch eine als Satzung erlassene Benutzungsordnung eingeschränkt werden. Es wird dadurch aber nicht etwa die entsprechende Bestimmung verfassungswidrig, denn erst sie ermöglicht der Bibliothek, im Einzelfall zu entscheiden, ob die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Es folgt jedoch daraus, daß sie die Genehmigung erteilen muß, wenn die Veröffentlichung durch einen Wissenschaftler erfolgt und die Bibliothek nicht durch Verpflichtungen Dritten gegenüber (z.B. bei Nachlässen) gebunden ist.

Als Ergebnis bleibt festzuhalten:

Anmerkungen:

1) Bibliotheksdienst 28 (1994), S. 1638 ff

2) Die unentgeltliche Abgabe eines Belegexemplars wird eher als Verstoß gegen Art. 14 Abs 3 GG (Enteignung nur auf Grund eines Gesetzes) denn als Verstoß gegen Art. 5 GG (Recht auf freie Meinungsäußerung) zu werten sein.
Vgl. hierzu auch die Genese von § 6 LArchG BW bei H. Bannasch in: Archivgesetzgebung in Deutschland. Hrsg. von R. Polley. 1991, S. 216 ff.

3) Gödan, a.a.0 (o. Anm. 1), S. 1644, Anm. 26 mit dem Hinweis auf Erichsen/Martens, Allgem. Verwaltungsrecht, 9. Aufl., 1992, S. 150.

4) h.M. Sind nur einzelne Bestimmungen verfassungswidrig, so sind nur diese nichtig, im übrigen bleibt die Rechtskraft der Satzung bestehen. Hierzu und zum Verfahren s. z.B. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Aufl., 1992, § 47 passim u. Rn 63 ff. Vgl. auch Schilling, Theodor: Rang u. Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, Berlin 1994, S. 376 ff, 605 f.

5) Zur Stufentheorie s. BVerfGE 7, 377; BVerfGE 33, 157 ff. Vgl. auch Starck, AÖR 92 (1967), S. 477.

6) Hierzu z.B. Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 19 IV, Rn. 135

7) Zur Problematik des Meinungsbegriffs s. v.Münch/Kunig: Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl., Bd. 1. , 1992, S. 354 ff .
Das, was im folgenden zur Pressefreiheit gesagt wird, gilt entsprechend auch für die Meinungsäußerungsfreiheit .

8) Hierzu Scholz in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 5 Ill, Rn. 13 f.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch dem Buchverleger die Grundrechtsträgerschaft aus Art. 5 Abs. 3 zuerkannt. Die herrschende Lehre lehnt dies ab. Problematisch wird es für die h.L., wenn bei der Verlagspublikation einer Handschrift durch einen Wissenschaftler als Herausgeber zwei verschiedene Grundrechtsträger betroffen sind: der Verleger, dessen Pressefreiheit durch allgemeine Gesetze nach Art. 5 Abs. 2 eingeschränkt werden kann, und der Wissenschaftler, dessen eigentlich "schrankenloses" Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit nun mittelbar doch tangiert wird - ein Fall der sog. Grundrechtskollision, der nur im konkreten Einzelfall nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu lösen wäre, s. Scholz a.a.0. Rn. 14.

9) Herzog in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG. Art., 5 Abs. I,ll, Rn 131.

10) Schmidt-Bleibtreu/Klein, Komm. z. GG, 7. Aufl., 1990, Art. 5 Rn. 13.

11) Ders. a.a.0. mit Hinweis auf OVG Münster, DVBI 1969, S. 5017.

12) BVerfGE 7, 207 f u. öfter. Im einzelnen ist hier noch manches umstritten. Vgl. hierzu Herzog a.a.0. (o. Anm. 9), Rn. 249 ff.

13) Zu den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Ermessensentscheidung s. z.B. Erichsen in: Erichsen/Martens, Allgem. Verwaltungsrecht, 9. Aufl., 1992, § 10 Rn. 13 ff.

14) Zum Zensurbegriff s. v.Münch/Kunig (a.a.0.. o. A. 7), Art. 5 RdNr. 63 und Löffler, NJW 1969, S. 2225.

15) Hierzu Müller, Harald: Rechtsprobleme bei Nachlässen in Bibliotheken u. Archiven, 1983, S. 165 ff.

16) So Gödan selbst a.a.0. (o. A. 1), S. 1642f, der zutreffend bemerkt, daß die rein gewerbliche Nutzung von der Genehmigung der Bibliothek abhängen kann. Dafür aber braucht sie eine Rechtsgrundlage und eben diese gibt ihr die entsprechende Bestimmung in der Benutzungsordnung.

17) Zur Ermessensreduzierung auf Null s. Erichsen a.a.0. (o. Anm. 13), Rn. 22.

18) Zum Wissenschaftsbegriff in Art. 5 Abs 3 GG s. Scholz a.a.0. (o. Anm. 8), Rn. 101.

19) So die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung in der Literatur, s. dazu Scholz a.a.0 (o. A. 8), Rn. 11.


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