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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Jürgen Zander/Ralf Michael Thilo/Klaus Graf/Jürgen-Christoph Gödan
Rechtsprobleme bei der Benutzung von Handschriftenbibliotheken
Weitergeführte Überlegungen zur rechtlichen Zulässigkeit besonderer Benutzungsbedingungen

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 29. (1995), S. 296.

III. Klaus Graf

Gödan und die Rechtskommission des DBI kommen zu dem Ergebnis, daß die üblichen Vorschriften der Benutzungsordnungen von Handschriftenbibliotheken, die einen Genehmigungsvorbehalt bei der Edition handschriftlicher Materialien vorsehen und die unentgeltliche Ablieferung eines Belegexemplars fordern, in der Regel unzulässig sind. Ich teile diese Auffassung voll und ganz. Gleichwohl möchte ich einige Ergänzungen und Einwände zur Diskussion stellen.

1. Zu den §§ 70 und 71 UrhG

Die Benutzungsordnung der Rheinischen Landesbibliothek Koblenz vom 23.12.1992 (Staatsanz. 1993, S. 6) bestimmt in § 14 Abs. 3: "Handschriften, Autographen und seltene Drucke dürfen ganz oder auszugsweise nur mit Zustimmung der Bibliothek veröffentlicht, verbreitet oder vervielfältigt werden. Die Zustimmung schließt das Recht der Bibliothek, Texte und Bilder selber zu veröffentlichen oder Dritten die Veröffentlichung zu gestatten, nicht aus. Die §§ 70 und 71 des Urheberrechtsgesetzes vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273) in der jeweils geltenden Fassung bleiben im übrigen unberührt." Ähnlich formulierten schon niedersächsische Benutzungsordnungen wissenschaftlicher Bibliotheken von 1975 und 1978 (Lansky 3. Aufl. Nr. 1365f.).

Der zweite Satz zielt ersichtlich auf Exklusivvereinbarungen, wobei ausgeschlossen werden soll, daß mit der Zustimmung automatisch ein ausschließliches Nutzungsrecht etwa im Sinne des § 31 Abs. 3 UrhG eingeräumt wird. Er hat insofern lediglich deklaratorischen Charakter. Da ein "Veröffentlichungsrecht", über das die Koblenzer Bibliothek verfügen könnte, außerhalb des Urheberrechts in Ermangelung einer gesetzlichen Ermächtigung nicht existiert, stellt sich allenfalls die Frage, ob die Bibliothek als Inhaberin urheberrechtlicher Nutzungsrechte Exklusivverträge abschließen dürfte. Dies dürfte in der Regel zu verneinen sein, da auch bei einer solchen "Sonder-benutzung" auf die Grundrechte, insbesondere den Gleichheitssatz, und öffentliche Aufgaben Rücksicht genommen werden müßte (vgl. BVerwGE 91, 135 = NJW 1993, S. 609 mit Anm. Schlink).

Der Hinweis auf die §§ 70 und 71 UrhG, also auf den Schutz von wissenschaftlichen Ausgaben urheberrechtlich nicht geschützter Werke oder Texte (§ 70 UrhG) und von Ausgaben nachgelassener Werke, ist wesentlich interessanter. Aus § 71 UrhG geht hervor, daß der Veranstalter der editio princeps eines schutzfähigen, bislang gemeinfreien Werkes 25 Jahre lang nach Erscheinen seiner Ausgabe das ausschließliche Recht hat, das Werk (nicht wie in § 70 die Ausgabe!) zu vervielfältigen und zu verbreiten. Er kann also auch der Bibliothek selbst untersagen, das von ihm erstmals aus einer Handschrift veröffentlichte Werk ohne seine Zustimmung in einer Bibliothekspublikation aus der Handschrift nachzudrucken! Bei der Abgabe von Reproduktionen der handschriftlichen Vorlage an andere Benutzer wäre § 53 UrhG von der Bibliothek zu beachten. Der Kommentar von Fromm/Nordemann (8. Aufl., 1994, § 71 UrhG Rdnr. 11) benennt eine weitere befremdliche Konsequenz: Kommt einem Wissenschaftler, der bereits eine Ausgabe nach § 70 UrhG fertiggestellt hat, ein Dritter mit der editio princeps zuvor, so bedarf die wissenschaftliche Ausgabe der Zustimmung des Dritten als Inhaber des Rechts nach § 71 UrhG. Glücklicherweise dürfte die praktische Relevanz der beiden Paragraphen für die Handschriftenbibliotheken jedoch eher gering zu veranschlagen sein.

Das Problem "Bibliothek und editio priceps" stand im Mittelpunkt eines Aufsatzes von Max Stois in der Festschrift Georg Leidinger, 1930, S. 283-288, der auch heute noch lesenswert ist. Es besteht, so Stois, nur eine Anstandspflicht, nicht aber eine Rechtspflicht, eine öffentliche Bibliothek um Erlaubnis zur Erstveröffentlichung einer Handschrift zu fragen. Erfolgt die Veröffentlichung gegen den erklärten Willen der Bibliothek, könne diese sie trotzdem nicht verbieten: "Denn bei der Frage des 'Veröffentlichungsrechts' handelt es sich um das Recht, über das in der Sache verkörperte Geisteswerk zu verfügen, das zwar in dem Urheberrecht, nicht aber in dem Eigentum als solchem enthalten ist. Nur das letztere steht der Bibliothek an der Handschrift zu, gibt ihr aber als solches noch keine Möglichkeit, dem Benützer die Herausgabe des Indeditum zu untersagen (Vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 781)" (a.a.O., S. 286).

Zu dem Gesichtspunkt, daß der Besitz einer Handschrift durch eine Veröffentlichung entwertet werden könnte, zitiert Stois die Entscheidung der Wiener Hofbibliothek 1713, Leibniz die Benützung von Handschriften zu untersagen. Man befürchtete, der Gelehrte würde die unveröffentlichten Inhalte drucken lassen, was der "Kayl. Bibliothec zu nit geringen Abbruch ihres Werths und Ruhms gereichen derffte" (a.a.O., S. 286). Auf die heutigen Gründe, den Genehmigungsvorbehalt in die Benutzungsordnungen zu schreiben, geht Gödan nicht ein. In der ehemaligen DDR wurde mir von einer Handschriftenbibliothek eine Veröffentlichungserlaubnis verweigert, weil ich noch keinen konkreten Publikationsort angeben konnte. Aus devisentechnischen Gründen hatte die Veröffentlichung bevorzugt in einem DDR-Verlag zu erfolgen, und DDR-Wissenschaftler besaßen natürlich Vorrang.

Selbstverständlich kann es in einem pluralistisch verfaßten Staat nicht die Aufgabe einer öffentlichen Bibliothek sein, als Entscheidungsinstanz des wissenschaftlichen und publizistischen Veröffentlichungswesens zu fungieren. Über die Dignität von Editionsvorhaben hat sie nicht zu befinden. Oder mit den Worten von Hildebert Kirchner: "Was die Bibliothek verwahrt, ist als Erbe der Menschheit Gemeingut. Jeder Gelehrte nimmt die Fackel auf, die ein anderer entzündet hat, und gibt sie weiter. Auch fehlerhafte Editionen kann und darf die Bibliothek nicht verhindern, das ist nicht ihr 'Geschäft'. Jedwede Reglementierung ist der Bibliothek verwehrt. Sie darf daher auch niemandem Exklusivrechte einräumen. Sie muß vielmehr jedwedem die gleichen Zugangschancen geben"1).

Die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III GG) verbietet nicht nur Genehmigungsvorbehalte bei der Edition von Bibliotheksgut, sondern natürlich auch das Sperren von Unterlagen, weil ein bestimmter Benützer eine Edition vorbereitet und andere von der Kenntnis ausschließen will oder weil die Bibliothek sich selbst die Veröffentlichung reservieren möchte2). Zu beachten wäre bei einem Veröffentlichungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt wohl auch das absolute Zensurverbot des Grundgesetzes (Art. 5 I GG), da die behördliche Vorprüfung einer Meinungsäußerung vorliegen würde3). Im übrigen gilt: Wenn die Bibliothek Editionsvorhaben aus Handschriften dokumentiert und gegebenfalls koordiniert, so wird jeder Benutzer dies nur begrüßen können - sofern die entsprechende Datenerhebung auf freiwilliger Basis erfolgt. Solange die Veröffentlichung jedoch noch nicht erschienen ist, kann es - nicht zuletzt mit Blick auf die §§ 70 und 71 UrhG - das legitime Interesse des Forschers sein, seine Pläne für sich zu behalten.

2. Die gewerbliche Nutzung bildlicher Wiedergaben von Bibliothekshandschriften und anderem Bibliotheksgut

Das Gutachten von Gödan trennt nicht deutlich genug zwischen der Textedition und der bildlichen Wiedergabe aus Bibliothekshandschriften. Vor allem der Abschnitt "Schutz durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften" ist wenig überzeugend geraten. Wird die Wiedergabe eines gemeinfreien Textes aufgrund einer vom Benutzer genommenen Abschrift vorgenommen, so mag seine Absicht, Gewinn zu erzielen, oder das überteuerte Anbieten seiner Ausgabe dem Bibliothekar moralisch noch so verwerflich erscheinen - eine unmittelbare Leistungsübernahme nach § 1 UWG scheidet aus.

Der von Gödan angenommene Grenzfall "ausbeuterischer Nutzung" nach § 1 UWG hat mit einem öffentlich-rechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnis und damit auch mit einem in einer öffentlich-rechtlichen Benutzungsordung fixierten Genehmigungsvorbehalt nichts zu tun. Um unlauteren Wettbewerb untersagen zu können, muß die Bibliothek zu dem Benutzer in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, mit ihm also hinsichtlich der Veröffentlichung und Verbreitung von bildlichen Wiedergaben von Handschriften konkurrieren. Für Handschriftensammlungen und vergleichbare Institute, die "ihrer ganzen Zweckbestimmung nach jedermanns uneigennützige Diener und damit wettbewerblich neutral" sind, wollte H.-H. Schmieder (NJW 1966, S. 1447) den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz in der Regel verneinen.

Doch selbst wenn eine Firma die von einer Bibliothek vertriebene Mikroficheedition eines Handschriftenbestands4) durch bloßes Duplizieren gewinnbringend weitervertreiben würde, wäre die Annahme unlauteren Wettbewerbs nicht ohne weiteres zwingend. Da die Bibliothek sich in der Regel die Verfilmung ihrer Bestände aus konservatorischen Rücksichten vorbehält, wäre es umgekehrt unlauter und mißbräuchlich, die durch die öffentliche Aufgabe der Bestandserhaltung erwachsende Möglichkeit exklusiven Zugangs gegen den Mitbewerber auszuspielen. Ist es der Firma verwehrt, selbständig Kopien der gemeinfreien Vorlage anzufertigen, so ist bei dem Wunsch nach originalgetreuer Faksimilewiedergabe die identische Leistungsübernahme unumgänglich - und diese daher auch nicht ohne weiteres wettbewerbswidrig5). Die durch § 1 UWG geschützte Leistung ist wohlgemerkt nicht die der mittelalterlichen Buchmaler, die die Handschrift illuminiert haben, sondern allenfalls die der Fotostelle der Bibliothek.

Muß demnach der wettbewerbliche Leistungsschutz ganz aus dem Spiel bleiben, so stellt sich im Zusammenhang mit der gewerblichen Nutzung der bildlichen Wiedergabe von Bibliotheksgut gleichwohl ein schwieriges Problem, dem Gödan leider ausgewichen ist. Natürlich kann seine Argumentation ohne weiteres von Handschriften auch auf anderes Bibliotheksgut wie z.B. historische Fotografien übertragen werden. Diese aber werden von Bildarchiven und Bildagenturen vermarktet, die hinsichtlich gemeinfreier Fotografien im Grunde genommen genau das machen, was Gödan als "mit den Grundsätzen des Privat- und Urheberrechts unvereinbar" und "nicht zulässig" erklärt: "sich für einen unbegrenzten Zeitraum Rechte an Werken durch Beschränkung der Kopiermöglichkeiten durch eine vertragliche Abmachung zu sichern" (S. 1643). Wer beispielsweise eine Reproduktion aus einer Handschrift der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in einer gewerblichen Veröffentlichung nutzen will, muß die Tarife des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz (bpk) akzeptieren. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des bpk gehen sogar soweit, auch Bilder, die "über Dritte (z.B. bei Verlagsübernahmen etc.) oder aus anderen Quellen (z.B. aus Druckwerken) in den Besitz des Bestellers gekommen sind" den Vertragsbedingungen unterwerfen zu wollen. Obwohl das von der Stiftung verwaltete ältere Kulturgut gemeinfrei ist, sichert sie sich über die nach dem Muster urheberrechtlicher Vergütungen gestaffelten Bildhonorare ein unbefristetes Ausschließlichkeitsrecht, d.h. ein Verwertungsmonopol, an den von ihr verwalteten Werken.

Ich habe mich in einem Aufsatz "Reproduktionen historischer Fotos - Kulturgut, keine Ware!" (Rundbrief Fotografie N.F. 2, 1994, S. 17-21), auf dessen Nachweise ich ergänzend verweisen darf, dezidiert gegen eine Kommerzialisierung ausgesprochen - und wütende Reaktionen geerntet (a.a.O., N.F. 3 und 4). Andererseits hat H. Kirchner in einer mir freundlicherweise zugeleiteten Stellungnahme einen aus der Informationsfreiheit (Art. 5 I GG) ableitbaren Anspruch des Benutzers auf Anfertigung der Kopie eines historischen Fotos gegen Kostenersatz bejaht. Eine Kommerzialisierung öffentlicher Sammlungen dürfe es nicht geben, weil sie die Informationsfreiheit einschränke.

Anders als Gödan betrachte ich die Abgabe von Reproduktionen durch die Bibliothek, wenn dem Benutzer die Selbstkopie oder das eigene Fotografieren verwehrt ist, nicht als Sonderbenutzung. Gödan verwendet den vor allem im Straßenrecht gängigen Begriff der Sondernutzung, der aber für die Anstaltsnutzung in die Irre führt. Bei der Anfertigung einer Reproduktion durch die Bibliothek ist anders als bei der Sondernutzung von Straßen keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs gegeben, die durch eine - nicht an das Kostendeckungsprinzip gebundene - Sondernutzungsgebühr ausgeglichen werden müßte. Mit anderen Worten: Zugangsbeschränkungen aus konservatorischen Gründen dürfen nicht fiskalisch etwa in Art einer "Verleihungsgebühr"6), die dem Benutzer das subjektive Recht zur Veröffentlichung aus Bibliotheksbeständen einräumen würde, ausgenutzt werden. Nicht übersehen sollte man, daß der Handschriftenbenutzer in der Regel nicht auf andere Anbieter ausweichen kann. Aus diesem "Benutzungszwang" folgert m.E. zwingend zumindest das Kostenüberdeckungsverbot für Gebühren. Überdies darf ein Fotografieren des Benutzers, das die Vorlage nur in dem Ausmaß in Anspruch nimmt, wie die normale Benutzung auch, nicht untersagt werden.

In Bayern hat man solche Skrupel nicht, wie ein Blick in die als Rechtsverordnung erlassene Allgemeine Benützungsordnung der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken (ABOB) vom 18.8.1993 (Bayerisches GVBl. S. 635) zeigt. Wenn § 25 Abs. 1 bestimmt, daß die Veröffentlichung von Handschriften und anderen Sonderbeständen oder von Teilen daraus "nur mit vorheriger Zustimmung der Bibliothek zulässig" ist, "sofern eine bildliche Wiedergabe erfolgen soll", so dürfte dies nichtig sein. Zum einen fehlt eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen von Art. 80 GG genügen würde7), zum anderen verstößt die Vorschrift gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat immer wieder betont: Wird bei der Ausübung grundrechtlicher Befugnisse durch Gesetz ein Genehmigungsverfahren vorgeschaltet, so muß sich aus der Rechtsvorschrift selbst ergeben, welche Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung gegeben sein müssen oder aus welchen Gründen diese versagt werden darf8).

Während man in § 25 ABOB nur rätseln kann, aus welchen Gründen die bildliche Wiedergabe genehmigungspflichtig sein soll, gibt es in § 9 deutliche Hinweise auf fiskalische Motive. Es geht in Abs. 2 um Vervielfältigungen u.a. aus Handschriften und schonungsbedürftigen Vorlagen, die nur von der Bibliothek oder mit ihrer Einwilligung angefertigt werden dürfen. Abs. 4 lautet: "Eine Vervielfältigung für gewerbliche Zwecke (z.B. Reprint, Faksimile-Ausgaben, Postkarten) oder in größerem Umfang bedarf einer besonderen Vereinbarung, die auch die Gegenleistung bestimmt. Das Vervielfältigungs- und Nutzungsrecht darf ohne Genehmigung der Bibliothek nicht auf Dritte übertragen werden." Hier ist in der Tat eine Art "Verleihungsgebühr" gegeben, denn das entsprechende Kostenverzeichnis zur ABOB (GVBl. 1993 S. 651) sieht für die Einwilligung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 bzw. die Erteilung einer Genehmigung nach § 9 Abs. 4 Satz 2 Rahmengebühren von 15 bis 500 DM vor. Während § 9 Abs. 3 dafür sorgt, daß bei Vervielfältigung durch die Bibliothek ihr die "daraus erwachsenden Rechte" verbleiben und die Originalaufnahmen in ihrem Eigentum bleiben, bieten die Absätze 2 und 4 die Möglichkeit, auch dann abzukassieren, wenn sie bei der Herstellung und Verbreitung der Vervielfältigung nicht tätig wird. De facto wird dadurch ein unbefristet gültiger Sonderschutz für die bildliche Wiedergabe von wertvollem Bibliotheksgut angestrebt. Da bei der originalgetreuen Reproduktion von zweidimensionalen Vorlagen jedoch kein Leistungsschutzrecht nach § 72 UrhG entsteht9), kann die Rechnung der Bayerischen Staatsregierung nicht aufgehen.

Ohne daß die schwierige Gemengelage von Privatrecht und öffentlichem Recht bei der Abgabe von Reproduktionen durch öffentliche Sammlungen hier ausgeleuchtet werden könnte, darf doch festgestellt werden, daß Handschriftenbibliotheken sich nicht einfach den von Gödan dargestellten öffentlich-rechtlichen Bindungen dadurch entziehen können, daß sie eine privatrechtliche Gestaltungsform des Benutzungsverhältnisses wählen. Dies gilt, wie ich meine, auch für die Ausgliederung der gewerblichen Nutzung, die man gern als unerwünschtes Stiefkind behandelt und für die man die Informationsfreiheit und die durch § 64 UrhG gewährleistete Gemeinfreiheit kaum gelten lassen will.

Der oben zitierten Einschätzung Gödans hinsichtlich der Unzulässigkeit vertraglicher Vereinbarungen, die auf eine Verpflichtung zur Genehmigung der inhaltlichen Wiedergabe nach Ablauf der Schutzfrist abzielen, pflichte ich bei, auch wenn die von ihm (Anm. 22) zitierte Stelle der fundamentalen BGH-Entscheidung "Apfel-Madonna" seine Aussage leider nicht trägt10).

Zu Gödans Ausführungen über Belegexemplare möchte ich hier nur anmerken, daß ich die Übertragung der an die Verleger adressierten Pflichtexemplargesetze auf das Benutzungsverhältnis der Archive in der Archivgesetzgebung für einen ausgesprochenen Mißgriff der Landesgesetzgeber halte.

Zu den beiden von Gödan erörterten Bedingungen käme noch die Bestimmung hinzu, Reproduktionen aus Handschriften nicht an Dritte weiterzugeben. Daß auch hierfür keine hinreichende Rechtsgrundlage auszumachen ist, steht für mich fest. Weder der Wunsch nach Einführung einer Art "Benutzungszwang" zugunsten der Handschriftenbibliothek noch die Befürchtung, bei ungenehmigter Veröffentlichung auf Entgelte verzichten zu müssen, sind triftige Gründe, die den Grundrechtseingriff rechtfertigen könnten.

Zusammenfassend möchte ich nochmals betonen: Ein "Veröffentlichungsrecht" außerhalb des Urheberrechts, das den Bibliothekaren - gleichsam als Zwingherren über die ihnen anvertrauten Kulturgüter - die Befugnis verleihen könnte, Editionen zu kontrollieren oder bildliche Wiedergaben kommerziell nach dem Muster privater Eigentümer mit Lizenzgebühren zu belegen, ist in unserer Rechtsordnung nicht vorgesehen. Und das ist gut so.

Anmerkungen:

1) Unveröffentlichte Stellungnahme (Okt. 1991) zu einer von mir im März 1991 verfaßten unveröffentlichten Ausarbeitung "Sonderschutz für Bibliothekshandschriften?". Für seine Unterstützung habe ich Herrn. Dr. Kirchner auch hier herzlich zu danken.

2) So auch T. Brandis, in: Zur Praxis des Handschriftenbibliothekars, 1980, S. 14f.; H. Müller, Rechtsprobleme bei Nachlässen in Bibliotheken und Archiven, 1983, S. 163, 168. Zur Unzulässigkeit eines Forschungsmonopols bzw. Forschungsvorrangs des Staats vgl. auch J. Brügge, Bodendenkmalrecht unter besonderer Berücksichtigung der Paläontologie, 1993, S. 162 m. w. N.

3) Vgl. BVerfGE 33, 52 (72). Vom Schutz des Grundrechts der Meinungsfreiheit wird auch die Veröffentlichung eines Briefes umfaßt, BVerfG NJW 1991, S. 2339.

4) Zur vergleichbaren Problematik im Archivwesen vgl. R. Heydenreuter, Massenverfilmung von staatlichen und kommunalen Archivbänden durch oder für Dritte, Der Archivar 35 (1982), Sp. 257ff. (ohne Erörterung von § 1 UWG).

5) Zum vorstehenden vgl. BGHZ 44, 288 (296); R. Sack, Das Kopieren von Noten gemeinfreier Werke, in: Mélanges Joseph Voyames, Lausanne 1989, S. 225 ff. (232); F. Traub, in: FS. für Karlheinz Quack, 1991, S. 119 ff. (124).

6) Zu diesem umstrittenen Gebührentyp vgl. z. B. F. Kirchhof, DÖV 1992, S. 238 m. w. N.

7) Zur Kritik an der ABOB vgl. auch K. Peters, ZfBB 41 (1994), S. 192.

8) Vgl. etwa BVerfGE 20, 150; BVerfG NVwZ 1992, S. 53; vgl. F. Hammer, NVwZ 1994, S. 968 Fn. 72 m. w. N.

9) So Gödan, S. 1641f.; vgl. aber auch I. Schneider, Das Recht des Kunstverlags, 1991, S. 336; BGH "Bibelreproduktion" LM § 3 UrhG Nr. 4.

10) BGHZ 44, 288 (294f.) ist nur von einem dinglich wirkenden Ausschließlichkeitsrecht die Rede, nicht von der Unzulässigkeit entsprechender schuldrechtlicher Vereinbarungen. Solche Verträge können jedoch als AGB am gesetzlichen Leitbild des § 64 UrhG überprüft oder aber für nichtig bzw. teilnichtig betrachtet werden, wenn man mit den wichtigen und überzeugenden Ausführungen von M. Rehbinder, "Ewiges Copyright" für Aufführungsmaterial?, FS. für Roeber, 1982, S. 321ff. (326f.) eine sittenwidrige Umgehung des Gesetzes nach § 138 Abs. 1 BGB in Betracht ziehen will.


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