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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Kanada

"Wir haben geforscht, was nun?"
Über das Verfassen multimedialer Berichte
Michelle Larose-Kuzenko

Die neuen Technologien führen nach Aussagen der Fachliteratur und Forschung zu ähnlichen bzw. besseren Lernergebnissen als konventionelle Unterrichtsmethoden, weil die Technik eine positive Auswirkung auf die Einstellung der Schüler hat und weil sie den Schülern mehr Kontrolle über ihr Lernen gibt.
In der Sun Valley Elementary School (Manitoba, Kanada) helfen die Lehrer-Bibliothekare als Informations- und Technikspezialisten den Schülern, die Informationen, die sie aus allen verfügbaren - auch elektronischen - Quellen ermitteln, zu sammeln und zu verstehen. Die Nutzung von Multimedia auch für die Darstellung von Lernergebnissen, z. B. als Bericht, ergiebt sich daraus zwingend.

Die Auswirkung der neuen Technologie auf die Bildung

In der Fachwelt sind die Erwartungen an den Nutzen der neuen Technologie für das Lernen hoch. So meinen Rose und Meyer (1994), daß sich durch die neuen Technologien unsere Fähigkeiten, effektiv zu kommunizieren, erweitern werden. Wenn die Technik sich jedoch auswirken soll, muß sie ein integraler Teil des Lehrplans werden (Eisenberg und Johnson, 1996). Wenn die technischen Fähigkeiten lediglich isoliert unterrichtet werden, ist nicht zu erwarten, daß sie das Lernen der Schüler wesentlich verbessern. Die Technik müsse bei jedem Unterrichtsthema eingebaut werden und müsse ein Hilfsmittel werden, durch das die Schüler lernen. Sie darf nicht nur ein Unterrichtsthema sein.

Die kanadische Sun Valley Elementary School ist ein Beispiel für eine Schule, die die neuen Technologien anwendet und sie mit ausgezeichneten Resultaten in ihren Lehrplan verankert. Seit fünf Jahren wird hier ein Schwerpunkt auf die Nutzung der Technologien für die Entwicklung der literacy skills gelegt:

Die Realisierung dieser Zielsetzungen wurde 1994 in einer Untersuchung von Dr. Bev Zakaluk (Universität Manitoba) hinsichtlich der folgenden Fragestellung überprüft: Verbessern sich die Lesefertigkeiten der Grundschüler durch die Nutzung von Multimedia und Internet? Sie testete dazu Schüler der zweiten und fünften Klassen und ließ sie mit zwei Kontrollgruppen anderer Schulen vergleichen. Nach ihrer fünfjährigen Untersuchung fand sie eine dramatische Leistungssteigerung. Zum Beispiel wiesen nur zwei der hundert Fünftkläßler ein normales Schreibniveau oder niedriger auf, dagegen erreichten andere sogar das Gymnasialniveau!

Diese Ergebnisse konnten nur erzielt werden, weil sich alle Lehrer, gemeinsam mit dem Lehrer-Bibliothekar auf die angestrebte Entwicklung der literacy skills konzentrierten. Besonders in den unteren Klassen wird ein Schwerpunkt auf die Nutzung von Computern und CD-ROMs beim Lesen und Schreiben gelegt, um sie hierdurch zu motivieren und zu unterstützen. Kommerzielle und selbstgemachte "Talking Books" (Hörbücher) unterstützen u.a. das Lehren des Lesens. Alle Klassenzimmer unserer Grundschule sind mit einem Computer und einem CD-ROM-Gerät ausgestattet.

In den höheren Klassenstufen wird der Umgang mit Computern nicht als Thema gelehrt, sie lernen aber keyboarding und einfache Textverarbeitung. Später werden höhere Fähigkeiten im Rahmen des unterrichteten Themas gelehrt, bzw. innerhalb der Sacharbeit der Schüler, aber nur, wenn diese es wünschen. Es wird aber von den Schülern erwartet, daß sie diese Fähigkeiten lernen. Die Schüler schreiben u.a. Erzählungen, formale Berichte, Biographien und Sachberichte (reports).

Warum Multimedia nutzen?

Bei den älteren Grundschülern wird Multimedia für die Darstellung von Unterrichtsergebnissen benutzt, um die Schreibleistungen der Schüler zu erhöhen. Die an der Sun Valley Elementary School beobachteten Ergebnisse werden von Heidman, Waldman und Morette gestützt: "Die Multimediatechnologie bietet Lernarrangements, in denen konstruktivisches Lernen stattfinden kann." (1996, S.301)

Das methodische Verfahren, Multimedia für die Anfertigung von Sachberichten einzusetzen, gibt den Schülern die Möglichkeit, schwierige Ideen bzw. Konzepte unterschiedlich zu illustrieren bzw. zu erklären, denn das Medium ist ausreichend flexibel und gibt ihnen die Freiheit, sich gemäß ihres eigenen Lernstils, ihrer Interessen und ihrer Persönlichkeit auszudrücken.

Wenn man das Abfassen multimediagestützter Berichte fördern will, führt es vom bloßen Training der computerfähigkeiten zu Aktivitäten eines Denkens auf höherer Ebene, bei dem es um Strategien und Verfahrensweisen geht. Die in Multimedia steckenden technischen Aspekte werden als unwichtig angesehen, gegenüber der Botschaft, die der Multimedia-Autor vermittelt und der Problemlösung.

Es ist nicht so wichtig zu lernen wie z. B. ein QuickTimeVideo gemacht wird, als vielmehr wie das Video so effektiv gemacht werden kann, daß die Mitschüler die Aussagen des Media-Verfassers verstehen. Ein unbestreitbarer Vorteil, Schüler als Media-Autoren arbeiten zu lassen ist, daß sie die gleiche Sprache wie ihre Mitschüler sprechen und mit ihnen auf einem gleichen Niveau reden können.

Eine weitere Herausforderung liegt darin, die Präsentation so interessant zu machen, daß die Schüler sie erneut aufrufen, um mehr Informationen daraus zu entnehmen. Der Text muß auch die geeignete Anspruchsebene der Mitschüler treffen. Schließlich soll die Medienpräsentation eine gleichgewichtige Mischung aus Informationen und visuellen Aspekten sein. Der Leser sollte sie wegen des Inhalts und nicht wegen visueller Besonderheiten aufrufen.

Das Erstellen eines multimedialen Berichts ist nur e i n e Nutzungsmöglichkeit der Technologien. Der interessierte Lehrer wird weitere Möglichkeiten erfahren, wenn er sich beispielsweise unter Anleitung des Lehrer-Bibliothekars mit ihnen vertraut macht.

Lehrer-Bibliothekare und die Technologie

Die Bibliothek ist das schulische Informationszentrum und der Lehrer-Bibliothekar ihr Informationsspezialist. Er ist Informationsvermittler, Forschungsförderer, Ideengeber, Ressourcenlieferer und Anreger bei der Informationssuche. Von hier ist es nur ein kleiner Schritt, um auch der Planer und Leiter für den Aufbau multimedialer Informationsressourcen zu werden. Leider wird in der kanadischen Rechtsprechung die unterrichtliche Vermittlung der neuen Technologien oft einem Technologiespezialisten zugewiesen. Das ist aber unnötig. Es wird kein Spezialist gebraucht, wenn die Computer lediglich für Übungszwecke (z. B. für Mathematik oder Spiele für Buchstabierübungen) benutzt werden. Denn diese unterscheiden sich kaum von den entsprechenden lehrbuchabhängigen Aktivitäten. Daher kann der Klassenlehrer sie selbst vermitteln, während ein Computertechniker im Fall eines Computerabsturzes gebraucht wird.

Aber die Nutzung der Technologie für kreatives Arbeiten wie Informationsrecherchen, Entwickeln von Multimedia-Anwendungen setzen hochgradige Denkfähigkeiten voraus, die jemanden wie den Lehrer-Bibliothekar benötigen.

In seiner umfassenden Rolle als Informationsspezialist spielt der Lehrer-Bibliothekar eine essentielle Rolle; er unterstützt die Schüler, bei ihrer Suche, Analyse und Organisation von Daten.

Das Erstellen von Multimedia vervollständigt den Lernkreis: Die Schüler nutzen die Computer bei der Suche nach Informationen, dann lernen sie wie Multimediapräsentationen erstellt werden, um ihre Lernergebnisse und -berichte zu vermitteln, die dann wiederum zu Informationsquellen anderer Schüler werden.

Aufbau eines multimediagestützten Reports

Im November 1996 preßte die Lehrer-Bibliothekarin der Sun Valley Elementary School eine CD-ROM zur hausinternen Nutzung. Diese enthielt zehn von Schülern und Lehrern in den letzten drei Jahren produzierte Multimediadarstellungen. Jedes dieser Projekte besteht aus schülerverfaßten Texten, Zeichnungen sowie Pop-up Informationsfenstern, Fotos, Sound und QuickTimeVideos. Wie gingen wir vor?

Thema auswählen.

Mit etwas Phantasie kann jedes Thema zu einer Multimedia-Anwendung führen. Die Lehrer suchen oft eine aktuelle Unterrichtslektion aus und nutzen Multimedia für die Reportdarstellung. Beispielsweise war "The Metis" eine interessante visuelle Darstellung des Lebens in Manitoba am Ende des 18. Jahrhunderts. Beim Thema "Our Solar System" gab es einen Überblick über die Planeten und andere Sterne. Bei einem anderen Vorhaben entwickelte eine 6. Klasse sog. elektronische Biographiekarten mit Informationen und Fotos aus dem Internet als Ergänzung der gedruckten Materialien für eine Arbeit über berühmte Kanadier in den der 50er, 60er und 70er Jahren.

Organisation

An der Sun Valley Elementary School machen alle Schüler der 6. Klassen Erfahrungen mit Multimedia. Dies wurde durch die große Zahl der zur Verfügung stehenden Computer in der Schule erleichtert. Es ist aber auch möglich, daß ein phantasievoller, flexibler Lehrer ein Projekt mit nur einem Computer durchführt. Die beste Lösung ist, das Klassenzimmer in Lernzentren aufzuteilen, worin der Computer zu einer Aktivitätsstation wird. Hier einige Projektmöglichkeiten mit e i n e m Computer und 28 Schülern:

Planen mit der ganzen Klasse

Multimediaprojekte, an denen kooperativ zusammenarbeitende Schüler beteiligt sind und ein Produkt schaffen wollen, setzen umfangreiche Planungen voraus, damit ein Erfolg sichergestellt werden kann. Die Schüler müssen hierbei über ihre Arbeitsstrategie diskutieren und sie festlegen.

Beispielsweise sind einfache Themenbücher für die Grundschüler leichter zu planen, umzusetzen und schneller herzustellen. Eine Sechstkläßlergruppe von 24 Schülern, die in Paaren arbeiteten, plante ein zwölfseitiges Buch über "L'hiver" (der Winter) als ein "Basic French" - Bericht (französischer Grundwortschatz):

Die Herstellung von Talking Books ist bezüglich Zeitaufwand und Mühe viel aufwendiger. Eine Gruppe von fünf Sechstkläßlern nutzte hierfür die für ein sozialwissenschaftliches Projekt gesammelten Informationen und bauten diese in eine fiktive Erzählung mit digitalisierten Fotos sowie gezeichneten Bildern ein. Dadurch entstand ein 50seitiges Multimediaprojekt mit dem Titel "A Week to Remember: a Travelogue": Was die Planung betrifft, liegt ein Sachbericht zwischen einem Handlungsbuch und einem einfachen Ein-Themen-Buch. Manche Themen eignen sich für das Schreiben von unabhängigen Informationsseiten, z. B. über das Sonnensystem oder über kanadische Säugetiere. Andere Themen können eine chronologische Entwicklung darstellen, z. B. der Lebenszyklus eines Frosches oder die Seereisen des Kolumbus. Aber in jedem Fall sollen Hilfsmittel für die Suche wie Inhaltsverzeichnisse oder Indizes eingebaut werden, um Informationen, die der Bericht enthält, leichter zu finden.

Bei einem anderen Projekt benutzte eine Schülergruppe die Storyboard-Planungstechnik. Hier ging es um eine interaktive, selbstausgewählte Abenteuergeschichte mit 16 möglichen Handlungslinien (s. Abb. nächste Seite). Die Schüler und der Lehrer planten hier einzelne Elemente für jede Seite des Buches unter Zuhilfenahme eines netzähnlichen Diagramms, in das sie auch Pfeile zeichneten, damit die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen deutlich wurden. Die Pfeile ermöglichten zudem später die Einfügung von Links oder "hot buttons", die als Seitenwender funktionieren sollten.

Herstellung des Endprodukts

Die Titelseite der produzierten multimedialen Darstellung soll ähnliche Informationen enthalten wie bei den Printmedien, u.a. Titel, Name(n) der Schüler, Name des Lehrers, Name des Projektlehrers, Klassenstufe der Schüler, das Copyrightdatum und andere sachdienliche Informationen.

Bei Rechercheprojekten soll ein Inhaltsverzeichnis oder ein Index eingebaut werden, der alphabetisch geordnet, die abgehandelten Themen auflistet und dem Nutzer ermöglicht, spezifische Themen via Links zu finden.

Die Benutzung des Enddprodukts wird durch den Einbau zusätzlicher Steuer- bzw. Kontrollfunktionen erleichtert.

Tonaufnahmen

Wenn die Textseiten fertig sind, kann der Ton dazu aufgenommen und die Links zu den Seiten gelegt werden. Vor der Tonaufnahme sollen die Schüler den Text ein paar Mal durchlesen, damit die Intonation, Artikulation und der Rhythmus richtig stimmen. In dieser Gesprächssituation finden die Schüler manchmal, daß der Text sich nicht fließend vorlesen läßt. So redigieren sie ihn, bis er natürlicher klingt. Texte die als Talking Books für die

ersten Klassen gedacht sind, sollen bedächtig und langsam gelesen werden. Solche Aufnahmen sollen nicht mehr als 20 Sekunden dauern. Wenn der Text länger ist, soll durch eine zweite Aufnahme der Rest aufgezeichnet werden. Es ist leichter Kurzaufnahmen zuzuhören, insbesondere wenn der Text als Leseübung für junge Leser vorgesehen ist.

Obwohl ein ruhiger Raum für die Tonaufnahme ideal ist, haben manche Gruppen den Ton mit Erfolg auch im Klassenraum selbst aufgenommen, z. B. während einer Lese- oder Zeichenphase der übrigen Schüler. Man kann die Klasse auch bitten, während der paar Sekunden, die für die Aufnahme nötig sind, leise zu sein.

Besondere Herausforderungen

Manche Multimediaprojekte fordern die Schüler zu besonderen Leistungen heraus - z. B. bei der Präsentation von Themen, an die sie vorher nicht gedacht hatten. Wenn sie eine selbstillustrierte Geschichte schreiben, müssen sie aufpassen, daß die Illustration zum Text paßt, d.h. auf einer Seite, wo eine spezielle Figur auftaucht, muß sie die gleiche Bekleidung bzw. die gleiche Frisur tragen.

Beim Seitendesign muß der Schüler sicherstellen, daß es genügend Platz gibt, um den Text einzufügen. D.h. er muß den Text und die Illustrationen im Gleichgewicht halten. Hierbei ist in der Planungsphase ein Storyboard sehr hilfreich.

Natürlich muß die vermittelte Information stimmen. Eine Schülergruppe könnte benannt werden, die die Informationen in Nachschlagewerken überprüfen. Ein Experte wäre für das Aufzeigen von Ungenauigkeiten zuständig. Beim Projekt "The Metis" wies beispielsweise ein Experte daraufhin, welche Farben am Ende des 19. Jahrhunderts bei der Kleiderfärbung benutzt wurden. Die Schüler redigierten daraufhin ihren Text und ihre Illustrationen.

Zusammenfassung

Das Verfassen eines multimediagestützten Berichts erweitert die Lese-, Schreib- und Problemlösungsfähigkeiten der Schüler über die im Lehrplan angegebenen Grundfähigkeiten hinaus, und es macht ihnen Spaß. Solche Projekte verschaffen eine aktive, qualitätsvolle Beschäftigung mit der Technik und lassen wertvolle Begabungen der Schüler erkennen. Schließlich bringen sie den Schülern ein positives Gefühl ihrer Talente.

Während die Schüler bereitwillig die neue Technologie nutzen, werden die Lehrer ihre eigenen Fähigkeiten verbessern müssen, um die neuen Technologien in ihrem Lehrangebot effektiv einzusetzen.

Lehrer-Bibliothekare sollten die Gelegenheit ergreifen, eine wichtige Rolle bei der schulischen Einführung der neuen Technologien zu spielen, sie sollten sich durch Teilen ihrer erworbenen Fähigkeiten unersetzbar machen.

Spezielle Projekterfahrungen aus der Sun Valley Elementary School

Die Schüler fühlen sich bei der Arbeit sehr wohl. Sie schaffen etwas, worüber die Schule redet, und ihre Arbeitsergebnisse werden von Schülern ihrer, bzw. anderer Klassen genutzt. Sie werden von Schülern, die sie kennen, respektiert, und diese wissen, daß sie selbst solche Multimediaprojekte machen werden, wenn sie in diese Klassenstufe kommen.

Literaturangaben

- Eisenberg, M. B. & Johnson, D. (1996) Computer skills for information problem-solving: Learning and teaching technology in context [Online]. Available: http://www.ed.gov/databases/ERIC_Digests/ed392463.html. (ED392463).

- Heidmann, W. & Waldmann, W. D. with Moretti, F. A. (1996). Using Multimedia in the Classroom: New York; Dalton School [Online]. Available: http://www.nltl.columbia.edu/faculty/wolfgang/pages/ICTEMultimedia.html.

- Rose, D. H. & Meyer, A. (1994). The role of technology in language arts instruction. Language Arts, 71 (April), 290 - 294.

- Zakaluk, B. (1995). The school-wide literacy project. Winnipeg, MB: University of Manitoba. (Michelle Larose-Kuzenko, Teacher-librarian and Technology coordinator, Sun Valley Elementary School, 125, Sun Valley Drive, Winnipeg, MB R2G 2W4. E-Mail: mlarose@minet.gov.mb.ca, http://204.112.18.6/schools/sun.valley/Index.html)

(Übers. Roy Hirsh)

(Gekürzte Wiedergabe eines Berichts auf der IASL-Jahrestagung 1997 in Vancouver, Kanada)