Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Großbritannien
Schulbibliotheken der Zukunft
Ceris Bergen
Ein Projekt in Großbritannien befaßte sich mit Fragen zur Zukunft der Schulbibliotheken unter dem Einfluß der Informationstechnologien. Welches Modell in der Praxis auch gewählt wird, in jedem Falle ändern sich die Aufgaben der Lehrer, der Bibliothekare und des technischen Personals in Schulbibliotheken.
In der Bildungs- und Erziehungslandschaft ist vieles in der Umwandlung begriffen. Die Bildungsinteressenten finden in den sozialen, technologischen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen sowohl neue Herausforderungen als auch neue Möglichkeiten. Wohl der wichtigste Bereich der Wandlung dreht sich um die zentralen Fragen des Zugangs zu Informationen und Ressourcen. Informationen werden für die Lernenden zugänglich gemacht und die Schüler werden befähigt, mit ihnen umzugehen, so für Umarbeitungen, Präsentationen und Weitergabe. Die Lernenden benötigen hochentwickelte Informations- und Kommunikationsfertigkeiten, um diese neuen Möglichkeiten nutzen zu können. Lehrer und Bibliothekare müssen sich dabei über ihre veränderte Rolle im Klaren sein, so bei der Betreuung der Lernenden bzw. bei der Regelung des Zugangs zu neuen Ressourcen.
In Großbritannien gibt es den Nationalen Rat für Technologie in Bildung und Erziehung (National Council for Education Technology - NCET) als staatlich geförderte, eingetragene Wohlfahrtsorganisation. Seine Aufgabe ist es, die Bedeutung der neuen Technologien für die Bildung und Erziehung zu ermitteln, deren Potential bei der Erhöhung der Qualität des Unterrichts und des Lernens auszuwerten, sowie die effektive Anwendung von Informationstechnologien in allen Teilbereichen der Bildung und Erziehung übergreifend zu unterstützen, zu fördern und zur Geltung zu bringen. Zusammen mit der Abteilung für Forschung und Entwicklung der British Library, der Abteilung für Bildung und Erziehung Nordirlands und fünf anderen Schul- und Bibliotheksausschüssen führte der Nationale Rat ein Pilotprojekt durch. Er untersuchte, was geschieht, wenn Informations- und Kommunikationstechnologien in Schulbibliotheken eingesetzt werden.
Projektziele
Das Projekt wollte ein realitätsgetreues Bild von den Bibliotheken der Zukunft im Bereich von Bildung und Erziehung entwickeln und setzt Schwerpunkte auf:
- die Auswirkungen der Neuen Technologien bezüglich des Zugangs zu Informationen sowie Ressourcen,
- davon abhängige Veränderungen in den verschiedenen Lernprozessen,
- die veränderlichen Rollen derjenigen, die an der Förderung des Lernprozesses beteiligt sind,
- die Fertigkeiten der Schüler, die sie benötigen, um die Möglichkeiten der Neuen Technologien im vollen Umfang nutzen zu können.
In der 1. Phase (Mai 1994 - April 1995) wurden die Folgen der Zugänglichkeit von Multimedia- bzw. Kommunikationstechnologien in Schul- und Hochschulbibliotheken untersucht.
In der 2. Phase (Mai 1995 bis April 1996) war das Ziel, Rahmen, Modelle und Materialien als Hilfsmittel für Lehrer, Bibliothekare und Bibliotheksassistenten zu entwickeln in Bezug auf:
- die Verwaltung von Lehrmaterialien sowie Maßnahmen der Lehrer und Bibliothekare für die Lernförderung,
- die Aneignung von Fertigkeiten der Lernenden bei der Anwendung von Multimedia- und Kommunikationstechnologien.
Methodisches Vorgehen
Das Projekt wurde in sechs Testeinrichtungen in England und fünf in Nordirland durchgeführt. Unter diesen waren drei Grundschulen, sieben Oberschulen und ein sixth form college. Jede Institution erhielt die Hard- und Software für Multimedia- und Kommunikationsanwendungen, einen Internetanschluß sowie Schulung, Service und Unterstützung durch Reuters Business Briefing. Zur Begleitung des Projekts wurde eine beratende Arbeitsgruppe eingesetzt, die zur Untersuchung und Entwicklung von möglichen Zukunftsbildern für Bibliotheken bedeutende Experten zusammenbrachte. Auch eine Literaturbesprechung wurde durchgeführt.
Während des Projektverlaufs arbeitete das Projektteam eng mit den Testeinrichtungen zusammen. Für eine detaillierte Übersicht der Verfahrensweisen und Ergebnisse wurden Protokolle, Tagebücher, Interviews sowie Photo- und Videoaufnahmen ausgewertet. Zu Beginn des Projektes stellte es sich heraus, daß das Personal bzw. die Lernenden über sehr unterschiedliche Vorkenntnisse im Umgang mit IT verfügten. Ebenso war zwischen den einzelnen Einrichtungen der Umfang ihrer jeweiligen technischen Unterstützungen sehr unterschiedlich.
Zu Anfang der zweiten Projektphase sollte jede Testeinrichtung eine Kerngruppe von Lernenden ermitteln und verschiedene Verfahren untersuchen, durch die die neuen Technologien in den Lehrplan der jeweiligen Gruppe integriert werden könnte. Die Nationale Stiftung für Pädagogische Forschung erhielt den Auftrag, eine externe Auswertung durchzuführen. Zur Überprüfung besuchte sie die Einrichtungen zwischen September 1995 und Februar 1996.
Auch die Rolle der pädagogischen Bibliotheksdienste, die Schulbibliotheken bei der Internetanwendung Hilfe leisten, wurde durch zwei Einzelfallberichte untersucht.
Zusammenfassende Ergebnisse
Ausgehend von dem zweijährigen Versuch, konnten wir eine Grundlage schaffen, mit der sich andere Schulen und Hochschulen beim Aufbau ihrer eigenen "Bibliotheken der Zukunft" auseinandersetzen können. In manchen Fällen konnten die optimalen Umstände ermittelt werden, die anderen es ermöglichen, aus den Erfahrungen der Projektschulen zu lernen. Es konnten Barrieren abgebaut werden, die - wenn das nicht geschehen wäre - den Einsatz dieser Technologien zur Verbesserung des Lernprozesses in ihrem vollen Ausmaß behindert hätten. Im folgenden wird versucht, diejenigen Faktoren hervorzuheben, die für andere Anwender von Bedeutung sind.
Fertigkeiten, Kenntnisse und Verständnis der Lernenden
Es scheint förderlich zu sein, wenn
- sich das Personal über den Umfang der von den Lernenden benötigten Informationen und IT-Fertigkeiten verständigt und deren Vermittlung in den Lehrplan verankert,
- ausreichend Zeit für die praktische Erfahrung mit IT-Fertigkeiten eingeplant wird,
- das Personal eine Vorstellung über die benötigte Zeit bei der Erstellung einer Multimedia-Präsentation hat,
- die Planung der Arbeit anderswärtig vom Rechner bei den Lernenden gefördert wird, z. B. die Bearbeitung des gesamten Aufbaus einer Multimedia-Präsentation oder der gezielten Fragen für eine Online-Suche,
- die Lernenden mit Partnern oder in Kleingruppen zusammenarbeiten, damit sie sich gegenseitig unterstützen und Kenntnisse weitergeben,
- die Lehrer und Bibliothekare Seite an Seite mit den Lernenden arbeiten, so daß sie mit ihnen und sogar von ihnen lernen,
- die Lehrer sowie die Bibliothekare mit den von den Lernenden benutzten Informationsquellen vertraut sind,
- die Erwartungen der Lernenden nicht durch die Vorurteile des Personals behindert werden und sie Anerkennung und Unterstützung finden,
- die Begeisterung der Lernenden nicht durch zu viele Prüfungen beeinträchtigt wird, sondern Vorkehrungen für eine sinnvolle Auswertung getroffen werden.
Die Rolle der Lehrer/Bibliothekare
Es macht anscheinend etwas aus, wenn
- das Personal flexibel auf die wechselhaften Bedürfnisse der einzelnen Schüler reagieren und dementsprechende Unterstützung geben können,
- Team-Unterricht u.a. Methoden angewandt werden und man sich über die Rollenverteilung verständigt, so daß jeder im Klaren über die von ihm erwarteten Leistungen ist,
- das Personal die Vorteile einer Integration der Technologien in den Lehrplan für die Schüler kennt,
- das Selbstvertrauen des Personals gestärkt wird, indem sie nicht mehr der Ansicht sind, mehr als die Schüler über die Technologien wissen zu müssen, sondern zusammen mit ihnen lernen können,
- das Personal sich ausreichend mit den Technologien vertraut macht, realistische Erwartungen entwickelt und auch über Themen im Lehrplan Bescheid weiß,
- die Rolle des Bibliothekars mehr als "Fremdenführer" als "Torwächter" zu den Informationsressourcen angesehen wird,
- das Bedürfnis der Lehrer, die Lernsituation zu steuern, mit dem Bedürfnis der Schüler, eine selbständige Arbeitsweise zu entwickeln, in Gleichgewicht gebracht wird; neue Modelle für Lernen ausprobiert werden, in deren Rahmen die Schüler voneinander sowie vom Lehrer etwas lernen können und umgekehrt,
- die Rolle, die Leistungen und Fachkenntnisse des gesamten Schulpersonals einschl. der Bibliothekare Anerkennung findet.
Die Verwaltung von Ressourcen
Es scheint, etwas auszumachen, wenn
- das Schulmanagement die Bibliothek als ein Thema für die ganze Schule ansieht,
- eine Atmosphäre geschaffen wird, in der die Unterstützung und Bereitschaft zur Informationsteilung gedeihen kann und das sog. Territoriumsgefühl auf ein Minimum beschränkt bleibt,
- die Bibliothek ausreichend mit Personal ausgestattet ist (Bibliothekare, Schreibkräfte und technische Betreuer),
- die Bibliothek den ganzen Tag lang geöffnet bleibt, auch nach der Schule,
- die Technologien nicht in irgendwelchen Nebenräumen stehen, sondern in der Schulbibliothek und diese flexibel genutzt werden kann,
- die Lernenden leichten Zugang zu einer Reihe von Hardware, Software und Informationsquellen haben, sie je nach ihren Bedürfnissen freie Auswahl haben und beliebig kombinieren können. Dazu müßte die Organisation von und der Zugang zu Ressourcen innerhalb der Schule überdacht werden (z. B. die Medien- bzw. anderen IT-Ressourcen an eine zentrale Stelle zusammenzubringen, bzw. den Schülern zu erlauben, einzeln oder in Gruppen dahin zu gehen, wo die Ressourcen sind),
- der Zeitplan der Schule bzw. Hochschule so gestaltet ist, daß durch ihn die Anwendung flexibler Lernmethoden gefördert wird,
- der Bibliotheksetat alle Bereiche für die Bereitstellung der Ressourcen miteinbezieht, einschließlich Hardware, Software, Abonnements, Leihgeräte und die Kosten für Online-Service,
- die Haushaltsplanung die Kapitalkosten sowie die laufenden Kosten zur Einführung von neuen Technologien in Betracht zieht,
- Pläne zur Erledigung von Routineaufgaben aufgestellt werden, z. B. wie nach der elektronischen Post zu schauen ist, wie Sicherungskopien von den Schülerarbeiten zu erstellen sind, wie Dateien und Verzeichnisse aufgeräumt werden,
- Regelungen bei zu hoher Nachfrage eingeführt werden, die dennoch für die Lernenden einen gleichberechtigten Zugang zu den Technologien fördern,
- Hardware so eingesetzt wird, daß ein maximaler Nutzen der Kapazitäten erzielt wird, d. h. Textverarbeitung erfolgt an kleineren Geräten bevor sie auf die Multimedia-Geräte übertragen wird,
- Maßnahmen zum maximalen Nutzen der Online-Zeit getroffen werden, um die Kosten auf einem Minimum zu halten, d. h. Online-Suchen werden im voraus geplant, Ergebnisse der Suchen werden auf Disketten gesichert,
- eine technische Online-Betreuung besteht,
- eine flexible, zuverlässige auswärtige Hilfestellung von Online-Diensten besteht, die mit den Bedürfnissen der Schulen und Hochschulen vertraut ist.
Weitere Schritte
Keine Schule oder Hochschule ist so wie eine andere. An jeder findet man eigene Ansichten, über das, wie die Bibliothek der Zukunft aussehen sollte und welche Rolle die Technologie darin spielen wird. Die virtuelle Bibliothek, wo alles elektronisch gespeichert wird und die Bibliothek nicht mehr als physischer Ort existiert, ist nicht das einzige Modell. An manchen Schulen sieht man eine Bewegung zur zentralen Rolle der Bibliothek als Standort fürs Lernen, also den Beginn, das Klassenzimmer aus dem Mittelpunkt zu bewegen. In beiden Modellen spielt der Lehrer und Bibliothekar eine wesentliche Rolle. Vielleicht können Schulen bzw. Hochschulen die oben aufgeführten Betrachtungen zur Hilfe nehmen, wenn sie eigene Ziele aufstellen und diese umsetzen wollen.
Ein vollständiger Bericht über das aktuelle Projekt, auf dem sich die vorliegende Kurzzusammenfassung stützt, wurde vom NCET 2) herausgegeben, zusammen mit einem Personalentwicklungspaket (3), das einige der für Lehrer und Bibliothekare relevanten Fragen untersucht. Weitere Publikationen sind in der Planung, einschließlich ein Video und eine CD-ROM mit Beispielen aus den Arbeiten der Schüler. Wir bleiben in weiterer Zusammenarbeit mit unseren Partnern, um die durch das Projekt entstanden Fragen näher anzugehen, wie:
- die nationale Politik zur Telekommunikation in der Bildung,
- die berufliche Entwicklung für Lehrer, Bibliothekare und des technischen Personals,
- die Beratung und Betreuung für Schulen und Hochschulen,
- die Strategien zur Einbeziehung der neuen Technologien in den Lehrplan,
- die Vermittlung und Bewertung der Schülerfähigkeiten zur Informationsrecherche,
- die Organisation des Zugangs zu IT-Ressourcen für Schüler.
Literaturhinweise
(1) Dede, Chris. On technology in schools. Educational Leadership B. 53 Nr. 2 Oktober 1995 S. 6.
2) Libraries of the Future: a pilot study of the impact of multiamedia and communications technologies on libraries in education. Final report. British Library Research & Innovation Report 7. NCET, 1996.
3) Libraries of the Future: a staff development pack. NCET, 1996.
(Ceris Bergen, National Coun cil for Educational Technology, Coventry, Großbritannien)
(Übersetzung von Kristen M. Reynolds)