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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Großbritannien

Herausforderungen für die School Library Services in Großbritannien
Michael Ryan

Der Autor, Vorsitzender der School Libraries Group (Schulbibliotheksgruppe) der Library Association, bezieht Stellung zur derzeitigen Situation der School Library Services in Großbritannien. Ideenreichtum und Eigeninitiative der Schulbibliothekare/innen sind gefragt, um auf die bildungpolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen zu reagieren. Die School Libraries Group unterstützt ihre Mitglieder tatkräftig bei der Bewältigung der anstehenden Probleme.

Die School Libraries Group (SLG) vertritt die Interessen aller Mitglieder des Bibliotheksverbandes, die mit dem Schulbibliothekswesen befaßt sind. Die meisten Mitglieder dieser Verbandsgruppe sind qualifizierte Bibliothekare und Bibliotheksassistenten, die in Schulen oder School Library Services tätig sind.

Die Gruppe organisiert Fortbildungskurse und Konferenzen. Sie veröffentlicht die Zeitschrift "School Libraries in View", koordiniert die Teilnahme ihre Mitglieder an schulbibliotheksrelevanten Aktivitäten wie Arbeitsgruppen und Forschungsprojekten und berät den Bibliotheksverband in Schulbibliotheksfragen.

Da die meisten Mitglieder der SLG in oder mit Schulen arbeiten, fühlen sie sich verpflichtet dafür Sorge zu tragen, daß den Kindern und Jugendlichen der Zugang zu leistungsfähigen Bibliotheken ermöglicht wird und daß diese Bibliotheken von qualifizierten Personal geleitet werden.

In Großbritannien gibt es viele Schulen mit gut funktionierenden Bibliotheken. Es bestehen aber immer noch große Unterschiede bei der schulbibliothekarischen Versorgung. Einige Schulen haben überhaupt keine Bibliotheken. Die meisten Schulen benötigen eine größere finanzielle Unterstützung. Es gibt noch viel zu tun.

Die letzten Jahre waren geprägt durch erhebliche Veränderungen für die Schulen und die School Library Services. Seit 1988 haben eine Anzahl von Gesetzesänderungen das Bildungssystem in Großbritannien faktisch von Grund auf neugestaltet. Viele dieser Veränderungen, besonders die Einführung des ersten Nationalen Lehrplanes und die Politik der Local Management of Schools - LMS (Selbstverwaltung der Schulen) hatten nachhaltige Auswirkungen auf die School Library Services und die Bibliotheken in den einzelnen Schulen.

Der 1988 eingeführte Nationale Lehrplan bestimmte die Unterrichtsfächer, die an allen staatlichen Schulen (für Schüler zwischen 5 und 16 Jahren) zu lehren sind und legte teilweise die Organisation und die Methodik des Unterrichts fest. Da die Lehrer und Schüler in ganz Großbritannien nun zu dem gleichen Thema nach Büchern und Informationen, oft auch zur gleichen Zeit, zu suchen begannen, entstand ein großer Druck auf die Schulbibliotheken und die School Library Services.

Durch die eingeführte Budgetierung sollen die Schulen unabhängiger und eigenständiger agieren. Ein Mindestbetrag muß von den zuständigen Kommunen direkt an die Schulen überwiesen werden. Die Schulen können dann ihre eigenen Lehrkräfte einstellen und ihre Gebäude und Ressourcen selbst verwalten.

Für viele School Library Services, die üblicherweise von den Kommunen finanziert wurden, bedeutete dies, daß ein Teil oder der Gesamtbetrag ihres Etats jetzt direkt an die Schulen geht.

Die School Library Services mußten daraufhin ihren Service kommerzialisieren und ihre Dienstleistungen an die örtlichen Schulen verkaufen. Einige School Library Services arbeiten sehr erfolgreich unter den neuen ökonomischen Bedingungen, andere weniger.

Es ist sehr schwierig, die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die einzelnen Schulen zu ermitteln, da die Regierung keine Daten über interne Schulbibliotheken sammelt. Zweifelsohne haben viele Schulen seit Einführung des Nationalen Lehrplanes und durch die rasante Entwicklung moderner Informationstechnologien wie CD-ROM und Internet-Zugang den Stellenwert der Schulbibliothek erkannt und Zeit und Geld zur Verbesserung ihrer Einrichtungen investiert.

Die Auswirkungen auf die School Library Services sind etwas einfacher zu ermitteln, da die Abteilung für das Informations- und Bibliotheksstudium an der Universität Loughborough (LISU) eine jährliche statistische Übersicht über die School Library Services und die Dienstleistungen der Öffentlichen Bibliotheken für Kinder und Jugendliche herausgibt. Aus dieser Übersicht geht hervor, daß ein Personalabbau stattgefunden hat und daß sich der Buch- und Sachmitteletat verringert hat. Verursacht wird dieser Rückgang durch die Einsparungen der kommunalen Haushalte und durch den Rückgang der Einnahmen von den Schulen, die selbst knapp bei Kasse sind.

Die School Libraries Group und der Bibliotheksverband unternehmen viel, um die Position der School Library Services und der Schulbibliotheken zu stärken. So organisierte der Bibliotheksverband 1995 eine nationale Aktion mit der Bezeichnung "Library Power", mit der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Problematik gelenkt werden sollte. (s. Abb.)

Der Bibliotheksverband verfügt über eine Interessenvertretung im Parlament in London, die direkt mit den Politikern spricht. Der Verband hat an drei wichtigen Regierungsberichten mitgearbeitet, von denen zwei "Investing in Children, the future of library services for children und young people" und "School Library Services and Financial Delegation to Schools" eine besondere Relevanz für Schulen haben.

Es wäre äußerst bedauerlich, wenn der von LISU ermittelte Negativtrend anhalten würde. Derzeit nutzen 94% der Grundschulen und 81% der Sekundarschulen School Library Services. Der angebotene Service wird sehr hoch eingeschätzt. Die School Libraries Group ist fest entschlossen, die Wichtigkeit dieser Dienstleistungen zu betonen und sich für ihr Überleben einzusetzen.

Die meisten der School Library Services werden als Teil der öffentlichen Bibliothek von den Kommunen betrieben, egal ob sie die benötigten finanziellen Mittel direkt zugewiesen bekommen oder ob sie ihre Dienstleistungen an die Schulen verkaufen müssen. Die angebotenen Dienstleistungen unterscheiden sich von Ort zu Ort, obwohl alle School Library Services Medien an die Schulen ausleihen. Viele stellen zusätzliche Medienpakete (Kurzausleihen) zu speziellen Themen zur Verfügung. Einige übernehmen den Ankauf vom Büchern für Schulen. Dadurch kommen die Schulen in den Genuß günstiger Rabatte.

Viele School Library Services bieten Beratung und Fortbildung zu allen Aspekten der Bibliotheksverwaltung, der Bibliotheksnutzung und dem Bestandsaufbau an. Manchmal werden Seminare veranstaltet. Oft werden Informationsgespräche mit den Lehrkräften und Bibliothekaren an den Schulen geführt.

Die rasante Entwicklung der Informationstechnologie hat zur Einführung von neuen Dienstleistungen geführt. So werden z. B. CD-ROM-Sortimente zur Präsentation in die Schulen gegeben. Anschließend können die Schulen über den Erwerb der Titel entscheiden. Aufgrund der Kommerzialisierung der School Library Services muß sich das Personal intensiv mit den Bedürfnissen seiner Schulkundschaft befassen. Es bedarf marktgerechter Dienstleistungen, um die Schulen als Kunden zu gewinnen und zu halten.

Um Interessenskonflikte mit den Öffentlichen Bibliotheken zu vermeiden, die Bücher und manchmal auch andere Materialien gebührenfrei verleihen, haben viele Bibliotheken klare Richtlinien festgelegt. Aus denen geht hervor, was die Schulen von den Öffentlichen Bibliotheken und was sie von den School Library Services bekommen können und was nicht.

Wenn die Schulen ihren eigenen Etat verwalten, werden oft formelle vertragliche Vereinbarungen zwischen den School Library Services und den Schulen ausgehandelt - meistens für ein Jahr, manchmal auch für länger.

Das Erziehungswesen in Großbritannien ist noch immer sehr unbeständig. Die widersprüchliche Entwicklung, die es einzelnen Schulen gestattet, ihren Etat selbst zu verwalten, hat sich verlangsamt (ca. 4% der Schulen sind jetzt Selbstverwalter).

Trotzdem muß die Regierung an ihrer Politik festhalten und ein mannigfaltiges Angebot von verschiedenen Schultypen schaffen, um den Eltern mehr Auswahl zu bieten.

Auch gibt es in vielen Teilen Großbritanniens, einschließlich Schottland und Wales, grundlegende organisatorische Veränderungen in den Kommunalstrukturen. In den Jahren 1996 und 1997 werden die meisten Kommunen in kleinere Verwaltungseinheiten aufgeteilt. Es ist schwierig, die Auswirkungen dieser Neuorganisierungen auf die Öffentlichen Bibliotheken und die School Library Services vorauszusagen. Große Bedenken bestehen hinsichtlich finanzieller Verluste (das Budget für gemeinsam finanzierte Dienstleistungen wird geringer) und der Aufteilung bestehender Arbeitsteams, die über Fachwissen und Erfahrung in der Arbeit mit Schulen verfügen.

Wenn die School Library Services überleben wollen, müssen die Bibliothekare mit Ideenreichtum und Initiative auf die veränderten Umstände reagieren. Neben der Organisation von Konferenzen und der Herausgabe der Zeitschrift "School Libraries in View" informiert die School Libraries Group den Bibliotheksverband über ihre Belange und über aktuelle Trends. Der Bibliotheksverband vertritt die Interessen der Schulbibliotheksgruppe, indem er direkt mit der Regierung, mit einzelnen Politikern, der Presse und anderen Institutionen spricht. Die School Libraries Group teilt auf Anfrage mit, wo ihre Mitglieder die benötigte Unterstützung oder Beratung erhalten können. Die Gruppe fungiert als Netzwerk und als Mittler zwischen den einzelnen Bibliotheken und dem Bibliotheksverband.

Schulbibliotheken werden dringender benötigt als je zuvor. Der bildungspolitische und wirtschaftliche Druck auf die Schulen ist immens. Kinder und Jugendliche brauchen leistungsstarke Schulbibliotheken, um für die zukünftige Informationsgesellschaft ausgerüstet zu sein. Die School Libraries Group ist fest entschlossen, die Weiterführung und den Ausbau dieser Bibliotheken sicherzustellen.

Michael Ryan (Vorsitzender der School Libraries Group)
(Übersetzung: Edith Bruhn)