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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Großbritannien

Neue Impulse für die Hochschulbibliotheken im Vereinigten Königreich *
Marianne Reessing-Fidorra

Die Bedeutung des Follett-Reports

Im Dezember 1993 legte die "Joint Funding Councils' Libraries Review Group" einen Bericht zur Situation der Hochschulbibliotheken im Vereinigten Königreich vor. Der Bericht wird nach dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Sir Brian Follett, genannt. Er wird ergänzt durch den von der "John Fielden Consultancy" erstellten "Fielden-Report" und den Bericht "Libraries and IT". Der Fielden-Report befaßt sich mit der Personalplanung und dem Personaleinsatz in den Hochschulbibliotheken, in "Libraries and IT" werden die Arbeitspapiere eines Unterausschusses zur Informationstechnologie vorgelegt. Die Themen dieser Arbeitsgruppen werden im Follett-Report in verkürzter Form behandelt.

Die "Joint Funding Councils' Libraries Review Group" ist ein Ausschuß der vier Gremien, die seit 1992 im Vereinigten Königreich zuständig sind für die Finanzierung der Hochschulen:

  1. Higher Education Funding Council for England,
  2. Scottish Higher Education Funding Council,
  3. Welsh Funding Council/Higher Education Devision,
  4. Department of Education for Northern Ireland.
Der Ausschuß setzt sich aus Vertretern der Hochschulen (wie Rektoren und Prorektoren), Bibliothekaren, sowie Vertretern aus Wirtschaft und Verwaltung zusammen.

Hintergrund der Einsetzung und Tätigkeit des Ausschusses war die Tatsache, daß sich seit Beginn der neunziger Jahre die britischen Hochschulbibliotheken einerseits stark wachsenden Studentenzahlen und neuen Informationstechnologien und andererseits durch Inflation und Kostensteigerung schwindenden Mitteln gegenüber sehen. Beispielsweise erhöhte sich die Zahl der Undergraduates von 517.000 auf 811.000, also um 57%, in den Jahren 1988/89 bis 1992/93. Der Preisindex für Zeitschriften stieg von 1980/81 bis 1991/92 um 300%, während die Zeitschriftenetats in dieser Zeit nur um 111% zunahmen.

Der Follett-Report richtet sich an die oben genannten vier "Funding Councils" und an die einzelnen Hochschulen. Grundtenor des Reports für die Hochschulen ist, wer gut funktionierende Bibliotheken will, muß dafür bezahlen. Jedoch sind höhere Mittelzuweisungen generell für die Hochschulen von der Regierung nicht zu erwarten.

Für bestimmte Maßnahmen wie Gebäudeerweiterungen stehen zusätzlich 50 Mio. Pfund zur Verfügung, und zwar unter der Voraussetzung, daß die Hochschulen selber 140 Mio. Pfund investieren. Weitere 15 Mio. Pfund stehen für neue Technologien bereit, 10 Mio. Pfund können zum Ausbau geisteswissenschaftlicher Spezialsammlungen abgerufen werden. Die Mittel werden nach gründlicher Prüfung der Anträge, die zur Zeit bei der "Joint Funding Councils' Libraries Review Group" eingehen, verteilt. Da viele Hochschulen beträchtliche Einnahmen aus der Wirtschaft haben, sind sie bereit, den geforderten Eigenanteil zur Finanzierung der Projekte zu erbringen, um auf diesem Wege zusätzliche Mittel für ihre Bibliotheken zu erhalten. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise damit zu rechnen, daß sich die Situation der Bibliotheken der "neuen Universitäten" (= die ehemaligen Polytechnics), die bisher in bezug auf Bestand, Ausstattung und Räumlichkeiten wesentlich schlechter gestellt sind als die alten Universitäten, in den nächsten Jahren verbessern wird, weil gerade viele der "neuen Universitäten" sehr erfolgreich bei der Erwirtschaftung zusätzlicher Mittel sind.

Obgleich - wie eingangs erwähnt - Personalplanung und Personalführung in einem eigenen Report behandelt werden, wird das Thema Management in Bibliotheken auch im Follett-Report erörtert. Indirekt klingt außerdem immer wieder die Frage nach den Zielsetzungen der Bibliotheken an. Sie sollen kontrollierbar und veränderbar sein, das Schlüsselwort heißt Qualitätskontrolle.

Die Arbeitsgruppe hat keine starren Normen formuliert, wie bestimmte Prozentzahlen für Zeitschriftenerwerbung etc. Die Bibliotheken sollen ihre spezielle Situation analysieren und stärker als bisher gemeinsam mit der Hochschule nach Lösungen suchen.

Der Follett-Report ist im wesentlichen eine Sammlung von Empfehlungen mit den Schwerpunkten Bibliotheksdienstleistungen für Lehre und Forschung sowie neue Technologien. Im Zusammenhang mit den steigenden Studentenzahlen werden vor allem längere Öffnungszeiten der Bibliotheken und ein vergrößertes Angebot von Lesesaalplätzen gefordert. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Monographienetats infolge der erheblichen Preissteigerungen bei Zeitschriften in fast allen Bibliotheken sanken, andererseits aber die Studenten während ihres Studiums wesentlich mehr Monographien als Zeitschriften benutzen, wird vorgeschlagen, bei der Literaturbeschaffung wieder stärker Lehrbücher und Standardliteratur zu berücksichtigen. Die Verbesserung der Literaturauswahl soll durch eine Intensivierung der Kooperation zwischen Hochschulen und Bibliotheken erreicht werden. Außerdem wird die Verbesserung der Benutzerschulung im weitesten Sinn gefordert. Stärker als bisher sollen Bibliotheksbenutzung, wissenschaftliche Arbeitstechniken, Umgang mit computergestützten Literaturrecherchen und Informationen mit den Lehrveranstaltungen kombiniert werden. Bibliothekare sollen ihre Rolle als Lehrende weiter ausbauen und umfassender als bisher zu Vermittlern vielfältigster Informationen werden. Die Erfüllung dieser zusätzlichen Anforderungen ist nur möglich, wenn die Bibliotheken ihre Geschäftsgänge, ihren Personaleinsatz und ihre Zielsetzungen immer wieder überprüfen und gegebenenfalls neu bestimmen.

Den steigenden Anforderungen bei der Literaturversorgung der Forschung sollen die Bibliotheken mit stärkerer Zusammenarbeit untereinander begegnen, um so vorhandene Ressourcen besser zu nutzen. Der Leitgedanke "Kooperation" ist für die Hochschulbibliotheken im Vereinigten Königreich neu. Seit der Thatcher-Ära wurde nämlich Konkurrenz von den Hochschulen und ihren Institutionen gefordert; die Zusammenarbeit einzelner Bibliotheken blieb rudimentär, eine Ausnahme stellte nur die British Library dar. Nach dem Follett-Report sollen nun gemäß den bereits genannten Bedingungen - Gewährung von Fördermitteln nur bei Vorhandensein von Eigenmitteln - Spezialsammlungen gefördert werden, wenn sie überregional genutzt werden können. Neue Wege der Koordination bei Zeitschriften sollen begangen werden, damit Zeitschriftentitel für die Forschung trotz steigender Preise in einer Stadt oder Region erhalten bleiben. In diesem Zusammenhang gewinnt das "electronic document ordering" eine zusätzliche Bedeutung. Neben der British Library sollen Dienstleistungen auf regionaler oder innerstädtischer Ebene entstehen und mit Anschubfinanzierungen gefördert werden. Wie die Zusammenarbeit im einzelnen ausgestattet wird, bleibt den einzelnen Hochschulbibliotheken überlassen. Bereits bestehende Kooperationen, wie z. B. CALIM zwischen den verschiedenen Hochschulen in Manchester, erhalten durch den Follett-Report neuen Auftrieb.

Abschließend läßt sich feststellen, daß der Follett-Report eine umfassende Analyse des heutigen Hochschulbibliothekswesens im Vereinigten Königreich ist und Empfehlungen für zukünftige bibliothekarische Entwicklungen bietet. Sein Erscheinen ist auf breite Zustimmung gestoßen, wie sich aus der englischen Fachliteratur, der Stellungnahme der Library Association und Gesprächen mit englischen Bibliothekaren erkennen läßt. Obwohl alle Empfehlungen eher allgemeiner als konkreter Natur und nur sehr begrenzte zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung stehen, kann die bibliothekspolitische Bedeutung des Follett-Reports nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Report regt viele Bibliothekare an, sich der eigenen Bibliothek und Hochschule mit anderem Blickwinkel zu nähern und möglicherweise neue Lösungen und Strategien für die Bibliotheksprobleme zu finden. Er bietet wichtige Argumentierungshilfen bei Forderungen innerhalb und außerhalb der Hochschulen, indem er die zentrale Funktion der Bibliotheken für Forschung und Lehre betont, auf die den Bibliotheken verstärkt zufallende Rolle eines Vermittlers im Netz weit verzweigter elektronischer Informationen hinweist, und die aus den wachsenden Benutzungsanforderungen und schwindenden Etats, sowie die aus dem immensen Technologieschub resultierenden Probleme anerkennt. Der Follett-Report wirkt sicher belebend auf manche verkrusteten Strukturen in den britischen Bibliotheken und macht gleichzeitig deutlich, daß finanzielle Wunder in der heutigen Zeit nicht erwartet werden können, sondern Abhilfe vor allem aus den Bibliotheken selber kommen muß.

Literatur

Joint Funding Councils' Libraries Review Group: Report. ("Follett-Report"). A Report for the HEFCE, SHEFC, HEFCW and DENI. Bristol 1993. - Der Report ist abrufbar über Internet/Janet "Bulletin Board for Libraries -BUBL-".

Library Association: A Response to the Joint Funding Councils' Libraries Review Group Report. 1994. Zugänglich über Internet/Janet "Bulletin Board for Libraries -BUBL-".

Line, Maurice B.: The Importance of Follett. In: Serials. Oxford. Vol.7 (1), 1994, S. 69-72.

Relay, the Journal of the University College and Research Group. Cardiff. Vol. 40 (March), S. 1-11. Darin Stellungnahmen von Derek Law, John Akeroyd, J. K. Roberts.

Stoker, David: From Parry to Follett: the Changing World of the University Librarian. In: Journal of Librarianship and Information Science. Vol. 26 (2), 1994, S. 51 - 53.

* Der Bericht wurde angeregt durch einen vom Land Nordrhein-Westfalen und vom British Council, Köln, geförderten, einmonatigen Aufenthalt in der Bibliothek der Manchester Metropolitan University.