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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Großbritannien

Polytechnic Library Ade, Willkommen UB
Gernot U. Gabel

Neuordnung der britischen Hochschulbibliotheken

Mit Inkrafttreten des neuen Hochschulgesetzes im Frühjahr 1992 ist in Großbritannien ein Typ von Hochschulbibliothek verschwunden, der seit Anfang der siebziger Jahre neue Impulse in die Bibliothekslandschaft des höheren Bildungswesens eingebracht hatte. Die ehemaligen Polytechnics sind seither zu Universitäten umgewandelt worden, und somit erhielten deren Bibliotheken gleichfalls die langersehnte Statuserhöhung gewährt.

Anfang der sechziger Jahre hatte der sogenannte Robbins Report die Bildungsdiskussion in Großbritannien dahingehend stimuliert, daß die Regierung einem Expansionsschub im Hochschulbereich generell zustimmte. Die 1964 an die Macht gelangte Labour-Regierung beauftragte dann eine Expertenkommission mit der Detailplanung. Deren 1966 vorgelegtes Weißbuch mit dem Titel "A Plan for Polytechnics and other Colleges" empfahl der Regierung, Colleges und Institute, die im Einzugsbereich einer Kommune bestanden und der Fort- und Weiterbildung dienten, nicht zu Universitäten umzubilden, sondern stattdessen eine neue Institution zu schaffen, die auf regionaler Ebene neue Aufgaben im höheren Bildungssektor wahrnehmen sollte, vornehmlich auf dem Gebiet der Technik, der Wirtschaft und der beruflichen Weiterbildung. Die Finanzierung dieser Einrichtungen sollte weitgehend von den Kommunen getragen werden (Local Education Authorities), Industrie und Gewerbe wurde ein Mitgestaltungsrecht bei der Abfassung der berufsorientierten Studienpläne eingeräumt. Um sicherzustellen, daß die an den Polytechnics erzielten Abschlüsse denen der Universitäten von Niveau her entsprechen, wurde 1964 per Royal Charter der "Council of National Academic Awards" (CNAA) geschaffen.

1969 begannen die Vorlesungen an den ersten 8 Polytechnics, deren Zahl bis Anfang der neunziger Jahre auf 39 anwuchs (34 in England und Wales, 5 in Schottland). Der neue Hochschultyp, von den älteren und prestigeträchtigen Universitäten als "arme Schwestern" und "zweitrangig" gescholten, erwies sich hinsichtlich des Lehrangebots als innovationsfreudiger als die etablierten Bildungseinrichtungen. Die Lehrveranstaltungen wurden als Modulkurse gestaltet, die berufliche Ausbildung erhielt einen hohen Stellenwert, Praktika mit Industriefirmen wurden in den Curricula verankert, das Weiterbildungsangebot ausgebaut, sowie Kurse für unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen und ethnische Minderheiten angeboten. Die Vielzahl der Bildungsangebote war so attraktiv, daß 1992 mehr als 430.000 Studenten, und damit rund die Hälfte aller an britischen Hochschulen Studierenden, an den Polytechnics eingeschrieben waren. Von Bildungsplanern wurden die Polytechnics mit ihren lehr- und praxisbezogenen Studienangeboten als Erfolgsmodell einer Hochschule der Industriegesellschaft gepriesen.

Ein typisches Element der Hochschulbildung blieb an den Polytechnics allerdings unterentwickelt: die Forschung. Die Lehrenden an Universitäten haben seit jeher das Hohelied der Forschung angestimmt, ihr Prestige daher bezogen, und sich als Elite betrachtet. Polytechnics waren vornehmlich als Einrichtungen der Lehre konzipiert, und somit wurde der dort sich etablierenden Forschung von der Regierung keine Priorität zugebilligt. Die für die Finanzierung der beiden Hochschultypen eingerichteten Gremien - Universities Funding Council / Polytechnics and Colleges Funding Council - erhielten von der Regierung entsprechende Vorgaben, so daß den Polytechnics kaum Forschungsmittel zuflossen. Im Studienjahr 1989/90 wurden den Universitäten 1,6 Milliarden Pfund für die Finanzierung ihrer Forschungseinrichtungen zugewiesen, für die Polytechnics fielen gerade 70 Millionen Pfund (4,5 %) ab. Die Pro-Kopf-Ausgaben je Student beliefen sich an Universitäten auf 6.296 Pfund, für Studierende an den Polytechnics und Colleges wurden hingegen nur 3.121 Pfund aufgewendet.

Den Bibliotheken der Polytechnics wurde seit Gründung dieses Hochschultyps eine unterschiedliche Funktion zuerkannt. Sie sollten zuvörderst die Dozentenschaft bei der Ausübung ihrer Lehrtätigkeit unterstützen und den Studenten in die Benutzung des für seine Disziplin wichtigen Schrifttums einführen. Sie waren somit vornehmlich als "Learning resource centres" zu planen, in denen die audio-visuellen Medien sowie die elektronische Datenverarbeitung bei der Vermittlung gezielt zum Einsatz kommen. Als Grundausstattung mit Monographien sollten 150.000 Bände ausreichen, bei den Periodika wurden im Mittel etwa 3.000 laufende Zeitschriften empfohlen. Forschungsliteratur war nur für fortgeschrittene Studenten im dritten Studienjahr von gewissem Belang. Aber bereits Mitte der siebziger Jahre äußerte die Library Association die Empfehlung, daß an den größeren Polytechnics auch forschungsrelevante Literatur zu beschaffen sei, und zwar in dem Umfang, wie dies an Universitäten mittlerer Größe geschehe. In den folgenden Jahren wurde das Forschungsmonopol der britischen Universitäten von Bildungsexperten zunehmend in Zweifel gezogen, und Bibliotheken verwiesen mit Nachdruck auf die Vielzahl spezieller Zeitschriften in den angewandten Wissenschaften, die für ihre Arbeit unerläßlich waren, aber aus Geldmangel nicht in hinreichendem Umfang beschafft werden konnten.

Ein Blick auf die Erwerbungsausgaben macht auch für die Bibliotheken die Diskrepanz zwischen den Universitäten und den Polytechnics deutlich. Laut einer von der Publishers Association vorgelegten Erhebung ließen sich im Studienjahr 1989/90 folgende Pro-Kopf-Ausgaben für Monographien und Zeitschriften ermitteln:

UniversitätenPolytechnics
Monographien
Zeitschriften
44,58 Pfund
62,22 Pfund
23,67 Pfund
23,14 Pfund

Als die Polytechnics im April 1989 von der Abhängigkeit der Local Education Authorities entbunden und in die wirtschaftliche Freiheit entlassen wurden, um in vollem Umfang mit den Universitäten in Konkurrenz zu treten, nahm der Druck auf die Regierung zu, die künstliche Trennung zwischen den beiden Hochschulsektoren aufzuheben. Mit der offiziellen Aufhebung des binären Hochschulsystems, die König Elisabeth 11. am 6. März 1992 mit der Unterzeichnung der "Further and Higher Education Act" für England und Wales vollzog, dem am 16. März ein äquivalentes Gesetz für Schottland folgte, ändert sich die Gesamtstruktur des britischen Hochschulsektors beträchtlich. Die Polytechnics können sich fortan zu Universitäten umbenennen, und ihnen wird das Recht zuerkannt, akademische Grade eigenständig zu verleihen. Die Finanzierung aller Hochschulen, also alter wie neuer Universitäten, wird künftig über regional getrennte Funding Councils für England, Schottland und Wales erfolgen. Um die Qualität des Lehrbetriebs zu gewährleisten, wurde das "Higher Education Quality Council" geschaffen, das ab April 1993 die Arbeit des sich dann auflösenden CNAA fortführen wird.

Bereits im Sommer 1992 genehmigte das Privy Council der Mehrzahl der Polytechnics die Umbenennung in Universitäten. In einigen Fällen wurde die Genehmigung versagt, um Verwechslungen mit existierenden Universitäten möglichst zu vermeiden. Somit gibt es in Großbritannien rund 100 Universitäten, wobei ein Dutzend der ehemaligen Polytechnics mit mehr als 10.000 eingeschriebenen Studenten zu den größten im Lande zählen.

Abschließend eine Liste der neuen Universitäten, deren Umbenennung bis Ende Januar 1993 vom Privy Council genehmigt worden ist:

Alter Name
Neuer Name
Anglia PolytechnicAnglia Polytechnic University
Birmingham PolytechnicUniversity of Central England in Birmingham
Bournemouth PolytechnicBournemouth University
Brighton PolytechnicUniversity of Brighton
Bristol PolytechnicUniversity of the West of England at Bristol
Polytechnic of Central LondonUniversity of Westminster
City of London PolytechnicLondon Guildhall University
Coventry PolytechnicCoventry University
Derbyshire College of Higher EducationUniversity of Derby
Polytechnic of East LondonUniversity of East London
Glasgow PolytechnicGlasgow Caledonian University
Hatfield PolytechnicUniversity of Hertfordshire
Polytechnic of HuddersfieldUniversity of Huddersfield
Humberside PolytechnicUniversity of Humberside
Kingston PolytechnicKingston University
Lancashire PolytechnicUniversity of Central Lancashire
Leeds PolytechnicLeeds Metropolitan University
Leicester PolytechnicDe Montfort University
Liverpool PolytechnicLiverpool John Moores University
Manchester PolytechnicManchester Metropolitan University
Middlesex PolytechnicMiddlesex University
Napier PolytechnicNapier University
Newcastle PolytechnicUniversity of Northumbria at Newcastle
Polytechnics of North LondonUniversity of North London
Nottingham PolytechnicNottingham Trent University
Oxford PolytechnicOxford Brookes University
Paisley CollegeUniversity of Paisley
Portsmouth PolytechnicUniversity of Portsmouth
Robert Gordon Institute of TechnologyRobert Gordon University
Sheffield PolytechnicSheffield Hallam University
South Bank PolytechnicSouth Bank University
Polytechnic South WestUniversity of Plymouth
Staffordshire PolytechnicStaffordshire University
Sunderland PolytechnicUniversity of Sunderland
Teeside PolytechnicUniversity of Teeside
Thames PolytechnicUniversity of Greenwich
Polytechnic of WalesUniversity of Glamorgan
Polytechnic of West LondonThames Valley University
Wolverhampton PolytechnicUniversity of Wolverhampton