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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Dänemark

Öffentliche Bibliotheken in Dänemark
Elisabeth Lylloff

Teil II

5. Die Zentralbibliotheken

Dänemark ist politisch und verwaltungsmäßig in 14 Kreise geteilt. Jeder Kreis hat eine Zentralbibliothek.

Die Kreise sind, was Größe und Struktur angeht, sehr verschieden. Der kleinste Kreis, die Insel Bornholm, hat etwa 45.000 Einwohner, während Århus, der größte, etwa 600.000 Einwohner hat. Die Anzahl von Gemeinden, die ein Kreis umfassen kann, ist ebenso unterschiedlich wie deren Größe.

Die tragende Idee der dänischen Zentralbibliotheken ist ein typisches Produkt der sogenannten Pionierzeit in den zwanziger Jahren. Zuletzt wurde 1970 in Verbindung mit der Kommunalreform die Anzahl der Zentralbibliotheken reduziert.

Gesetzgebung

Eine Zentralbibliothek hat zwei Funktionen: Sie ist erstens Volksbibliothek der Standortgemeinde, und zweitens Zentralbibliothek für die übrigen Volksbibliotheken des Kreises.

Der Kultusminister ernennt für jeden Kreis die Bibliothek, die die Zentralbibliotheksaufgaben übernehmen soll. D.h., daß immer eine Bibliothek ernannt wird, die gleichzeitig Volksbibliothek ihrer Gemeinde ist.

Das Kultusministerium hat über den Staatlichen Bibliotheksdienst mit den Standortgemeinden vertraglich festgelegt, welche Leistungen die Zentralbibliotheken zu erbringen haben.

Der Staat finanziert den Abschnitt der Leistungen, der für die Gemeinden des Kreises von Bedeutung ist. Der jährliche Beitrag zu den Zentralbibliotheksaufgaben beträgt 50 Mio. DKK (fast 13 Mio. DM).

Für jede Zentralbibliothek setzt der Kultusminister einen Beratenden Ausschuß ein. Hier sind u. a. die Standortgemeinde und die übrigen Gemeinden des Kreises vertreten. Der Ausschuß beschäftigt sich mit Grundsatzfragen und mit praktischen Problemen, die die Zentralbibliotheksfunktion betreffen.

Hierdurch haben auch die Benutzer Einfluß darauf, mit welchen Aufgabengebieten die Zentralbibliothek sich befassen und welche sie vorrangig behandeln soll.

Die Mitglieder des Ausschusses sind zu 99% Mitglieder ihres heimischen Gemeinderates; der Ausschuß ist also eindeutig ein politisches Gremium.

Aufgaben der Zentralbibliothek

Im Volksbibliotheksgesetz wird in zwei Sätzen formuliert, worin die Aufgaben einer Zentralbibliothek bestehen:

  1. Sie unterstützt die Volksbibliotheken des Kreises, indem sie Bücher und andere Materialien, die diese nicht selbst besitzen, an sie ausleiht oder von anderen Bibliotheken für sie beschafft.
  2. Sie bietet Beratung sowie bibliothekstechnische Dienstleistungen an, wo diese erforderlich sind.
In den Durchführungsbestimmungen werden die Aufgaben in drei Kategorien beschrieben:

  1. Obligatorische Aufgaben, die finanziell durch den staatlichen Beitrag gedeckt werden
  2. Obligatorische Aufgaben, für die Gebühren erhoben werden dürfen
  3. Freiwillige Leistungen, für die Gebühren erhoben werden sollen.
Obligatorische Aufgaben der 1. Kategorie, die durch den Staatszuschuß finanziert werden, sind z.B.

Zur 2. Kategorie - obligatorische Dienste, für die Gebühren erhoben werden können - gehören

Zur 3. Kategorie - freiwillige Leistungen, für die Gebühren erhoben werden sollen, gehören

6. Roskilde Bibliothek

Als Beispiel für die praktische Arbeit habe ich die Zentralbibliothek in Roskilde gewählt. Der Kreis Roskilde umfaßt 11 Gemeinden, einschließlich der Standortgemeinde.

Kommune EinwohnerzahlInsgesamt entliehenes
Material pro Einwohner
Roskilde50.98922,87
Greve46.80911,33
Køge38.23519,09
Solrød19.34315,71
Gundsø13.30210,35
Skovbo13.08111,71
Vallø9.43316,29
Ramsø8.85214,05
Bramsnæs8.4197,46
Lejre8.44611,69
Hvalsø7.24314,09
224.05215,90

Alle Bibliotheken werden von ausgebildeten Bibliothekaren geleitet und erfüllen damit die diesbezüglichen Forderungen des Volksbibliotheksgesetzes.

6.1 Gebührenfreie Dienstleistungen

Materialergänzungen

Die Materialergänzung umfaßt die obligatorische Beschaffung von Büchern und Hörbüchern, darüber hinaus auch Sprachkursen (freiwillig). Im ganzen beläuft sich die Ausleihe auf 20.559 Einheiten.1)

Die Nachfrage nach Hörbüchern ist - trotz wachsender Anschaffungen - immer noch größer als das Angebot. Das führt oft zu Wartezeiten für die Benutzer. Deshalb hat man auch den Leihverkehr zwischen allen Bibliotheken im Kreis intensiviert.

Benutzer/Gemeindebibliotheken bestellen in erster Linie bestimmte Titel. An Themenbestellungen gehen etwa 2-3 pro Tag ein.

Informationsdienst

Die Zentralbibliothek nimmt für die Bibliotheken die Auskunftsdienste wahr, die deren Möglichkeiten übersteigen. Sie liefert auch Kopien von Zeitschriftartikeln, aus Nachschlagewerken, Gesetzsammlungen usw., evtl. per Telefax.

Die Bibliothek in Roskilde hat viele Nachschlagewerke auf CD-ROM angeschafft, was die Vermittlung von Kopien sehr erleichtert. Für 1996 ist der Anschluss an den kommerziellen Dokumentlieferdienst für Zeitschriftenartikel UnCover über BibNet geplant, dessen dänische Version auch mit Bestandsnachweisen versehen wird.

Beratung und Orientierung der Bibliothekare

Die Zentralbibliothek veranstaltet vierteljährlich eine Konferenz der Bibliotheksleiter ihres Kreises. Hier werden Fragen von allgemeinem Interesse erörtert, wie Entwicklung der Zusammenarbeit oder die praktische Lösung neuer Aufgaben.

Bibliothekare der Kinderabteilungen treffen sich ebenfalls viermal im Jahr zum kollegialen Austausch von Ideen, Plänen und Erneuerungen.

Bis vor wenigen Jahren nahm die Zentralbibliothek auch an der Materialselektion einiger Bibliotheken teil. Heute, nachdem das bibliothekarisch-fachliche Niveau überall zufriedenstellend ist, ist dieser Dienst überflüssig geworden.

Die Kreiszentrale für das Unterrichtswesen

Jeder der 14 Kreise betreibt eine Zentrale, die u.a. durch Ausleihe von Klassensätzen und audiovisuellen Materialien die eigenen Bestände der Schulen ergänzt. Die Ausleihe erfolgt über die Schul- und Volksbibliotheken.

Diese pädagogische Zentrale und die Zentralbibliothek definieren und koordinieren ihr Wirkungsfeld in halbjährlichen Zusammenkünften.

Leihverkehr

Unmittelbar nach dem Erwerb wird der Bestandsnachweis für ein gegebenes Material in DANBIB eingespeichert. Damit wird es im Prinzip für alle Bibliotheken zugänglich.

Vermutlich im Herbst erhält die Bibliothek in Roskilde Anschluß an BibNet. Durch Sonderzuweisungen des Staatlichen Bibliotheksdienstes wird es möglich, alle Bibliotheken im Kreis anzuschließen. Danach können sie nicht nur die Bestellungen bei ihrer Zentralbibliothek online abgeben, sie können auch gleich ersehen, ob das gewünschte Material sofort zur Verfügung steht oder ob mit Wartezeit gerechnet werden muß, und sie können ihre Bibliotheksbenutzer gleichzeitig entsprechend informieren. Andere Zentralbibliotheken haben diese Möglichkeit bereits. Die hier gesammelten Erfahrungen waren sehr positiv, wenn auch nicht alles problemfrei verlief. Zwei der Zentralbibliotheken sind noch weiter gegangen und vermitteln Zugang zu den Datenbanken der anderen Bibliotheken in ihrem Bereich. Damit können alle Bibliotheken sich erheblich aktiver am Leihverkehr beteiligen. Es hat sich jedoch auch gezeigt, daß die Zentralbibliotheken hierbei weiterhin die wichtigste Rolle spielen werden.

Mit Zugang zu DANBIB, aber ohne BibNet, kann man also den Bestandsnachweis ersehen, nicht aber den Ausleihstatus des gewünschten Materials.

Der Staat hat die Einspeicherung der Bibliotheksbestände durch erhebliche Zuschüsse gefördert und beschleunigt, fordert in Verbindung damit jedoch auch, daß die EDV-Systeme der Bibliotheken miteinander korrespondieren. Man vermutet, daß bis Ende 1996 alle Volksbibliotheksbestände registriert und in DANBIB eingespeichert sein werden.

Im Kreis Roskilde ist dieser Prozeß abgeschlossen.

Fahrdienst

Die Bibliotheken des Kreises werden an fünf Tagen der Woche vom Lieferwagen der Zentralbibliothek besucht, der bestellte Materialien von der Zentralbibliothek, der Depotbibliothek oder der Einwandererbibliothek abliefert und Rücklieferungen wieder mitnimmt. Im besten Falle bedeutet das, daß ein bestelltes Material bereits am nächsten Tag dem Benutzer zur Verfügung steht. Der Fahrdienst übernimmt auch die Verteilung von Informationsmaterial des Kreises, des Staates, von Danmarks Radio oder ähnlichen Institutionen.

6.2 Dienste, für die Gebühren erhoben werden

Kurse und Themenveranstaltungen des Kreises

Die Zentralbibliothek plant zusammen mit den übrigen Bibliotheken eine Reihe von Kursen und Begegnungen für die Bibliotheksmitarbeiter, 4-5 pro Jahr. Oft wirken andere Institutionen, wie Dänemarks Bibliotheksschule oder DBC, dabei mit. Für die Teilnahme wird eine Gebühr erhoben. Themen sind z. B. Umgang mit der Datenbank, Einführung in DANBIB, Kinderkultur, EU-Kurse zu von der EU herausgegebenem Informationsmaterial, Arbeitsplanung in der Freihandausleihe, Formulierung einer Strategie zur Erwerbung von Autoreparatur-Handbüchern u.ä.

Dienstleistungen für gewerbliche Betriebe

Die Bibliothek in Roskilde bietet solche Dienste nicht an, aber 20 Bibliotheken in ganz Dänemark tun das bereits.

Kataloge zu Spezialsammlungen

Es wurde u.a. ein Verzeichis der Sprachkurse, die in den Bibliotheken des Kreises zur Verfügung stehen, erstellt. Der Katalog ist für Bibliotheksbenutzer und Sprachlehrer bestimmt. Besonders wichtig ist die Erfassung der Sprachkurse, die es für die weniger verbreiteten Sprachen gibt.

Lokalgeschichtliche Bibliographie

Die Bibliothek in Roskilde vervollständigt laufend eine Bibliographie, die alle Örtlichkeiten des Kreises berücksichtigt. Ebenso ist der Bibliothek ein lokalgeschichtliches Archiv angeschlossen, das ständig ausgebaut wird. Die bibliographische Arbeit und teilweise auch der Betrieb des Archivs werden vom Kreis getragen.

7. Die Entwicklung in der Zukunft

Ein Projekt, das sich mit den zukünftigen Aufgaben der Zentralbibliotheken befaßt, ist gerade eingeleitet. Man legt Wert darauf, Vertreter der Beratenden Ausschüsse und Mitarbeiter sowohl der Zentralbibliotheken wie der Bibliotheken, die von ihnen bedient werden, miteinzubeziehen.

Fragen, die behandelt werden sollen, sind z.B.

Der Sammeltitel des Projektes lautet Die Zentralbibliotheken und die Bibliotheken der Region im Jahre 2005.

Gleichzeitig hat das Kultusministerium eine Arbeitsgruppe beauftragt, sich mit dem Begriff Bibliothek in Gegenwart und Zukunft zu befassen.

In vielerlei Hinsicht befinden wir uns in einem Zeitalter der Verwandlung. Aus Verlautbarungen des Forschungs- wie auch des Kulturministeriums wird deutlich, daß den Bibliotheken in Zukunft eine Rolle als Garant für die Vermittlung von Wissen und Kultur zugedacht ist, um die Aufsplitterung der Gesellschaft in A- und B-Klassen zu verhindern.

1) Alle Zahlenangaben betreffen 1994.